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Weitere vier Wochen gingen ins Land, ohne dass ein weiterer Brief kam. Clarissa hatte sich langsam wieder beruhigt. Inzwischen war es Ende September und für die Jahreszeit noch immer ungewöhnlich warm, jedoch fühlte sie sich bei diesen Temperaturen wohl. Sie nahm sich zum ersten Mal in ihrem Leben dem Garten an, schnitt die Rosenstöcke zurück, beschnitt die Sträucher, pflanzte noch ein paar Lavendelsträucher, weil sie den Duft liebte, ließ Daniel den Rasen mähen. Sie hatte keine Ahnung von Gartenarbeit, noch nie in ihrem Leben hatte sie einen so großen Garten besessen. Der Garten ihres Reihenhauses, das sie noch letztes Jahr bewohnt hatten, war mehr ein Hof, größtenteils gepflastert und die wenigen Bäume, die dort rundherum wuchsen, hatte sie immer von einem Gärtner herunter schneiden lassen. Aber hier, bei diesem Garten, war ihr Interesse an der Gartenarbeit gewachsen und lächelnd kniete sie vor einem Ginsterstrauch und knipste die Zweige auf eine einheitliche Länge ab, während Sparky ein paar Meter von ihr entfernt auf dem Boden lag und mit größter Hingabe an einem Stück Fleisch kaute, das er offensichtlich irgendwo ausgebuddelt hatte.

»Ihr Hunde seid echt Ferkel«, lachte Clarissa und sah ihrem Retriever zu, wie er voller Liebe das Fleischstück zwischen den Pfoten hielt.

»Erst einbuddeln, dann vermodern lassen, dann fressen, igitt...«

Sparky unterbrach sein Tun für kurze Zeit und sah sie aufmerksam an. Es gab Momente, da hätte Clarissa schwören können, dass er sie anlächelte. Dann wandte er sich aber wieder seinem vermoderten Fleischstück zu. Hingebungsvoll kaute er darauf herum und wälzte sich hinterher genüsslich auf dem Rasen. Es war ein idyllischer Nachmittag. Damian hatte seit kurzem eine Freundin und saß mit ihr gemeinsam im Garten am Tisch. Die beiden tranken Cola, unterhielten sich angeregt. Das Mädchen kicherte ab und zu und Damian gab sich äußerst cool.

Neben ihrer Gartenarbeit beobachtete Clarissa sein Tun aus dem Augenwinkel heraus und innerlich musste sie lachen. Die Kleine hieß Sabrina und sie war das erste Mädchen, das Damian überhaupt mit nach Hause brachte. Bis dahin hatte er natürlich schon mehrere Freundinnen gehabt, aber bisher hatte er die Mädchen nie mit nach Hause gebracht. Ein richtiger Junge redet nicht mit seiner Mutter über seine Freundin, hatte er ihr bis dahin immer erklärt. Aber mit Sabrina hatte sich irgendetwas verändert. Sie waren nun schon seit ein paar Wochen zusammen und Sabrina ging bei Ostermanns ein und aus. Aber das war wohl alles relativ normal. Damian war inzwischen fast siebzehn Jahre alt und klar wollte er mit seiner Freundin so viel wie möglich Zeit verbringen. Clarissa seufzte und wandte sich wieder ihrem Ginsterstrauch zu. Sie hoffte, dass Daniel es geschafft hatte, ein Gespräch mit Damian zu führen, über Verhütung und dergleichen. Es war ja nicht so, dass Damian nicht aufgeklärt war, er wusste Bescheid. Aber letztlich gab es doch noch einige Dinge, die sie auch versucht hatte mit ihm zu besprechen, aber das hatte er geschickt abgewehrt. Sie mochte Sabrina. Sie war ein natürliches, sehr sportliches Mädchen und schminkte sich im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossinnen nur sehr dezent. Eigentlich verwendete sie Clarissas Beobachtungen zufolge nur eine getönte Tagescreme und ein wenig Wimperntusche um ihre hübschen Augen ein wenig zu betonen. Sie war nicht gepierced wie die meisten Mädchen ihres Alters und auch sonst eher ein natürlicher Typ. Sie gefiel ihr. Auch hatte Sabrina ein offenes, freundliches Wesen und ganz offensichtlich eine gute Kinderstube, denn ihr Benehmen war ebenso natürlich wie ihre Erscheinung, und tadellos. Charlotte tat sich da etwas schwerer. Clarissa hatte sie schon oft mit Kleidung erwischt, die sie eigentlich in der Schule lieber nicht tragen sollte und mit einem Makeup im Gesicht, wie es wahrscheinlich Models zu Fotoshootings erhielten, nur sehr viel dilettantischer aufgetragen. Sie behängte sich mit Unmengen von Silberschmuck und hielt das für äußerst cool, auch wenn ihr Bruder ihr ständig vorwarf, sie würde sich behängen wie ein Christbaum. Auch mit einem Freund schien es nicht zu klappen, obwohl Charlotte sich so sehr wünschte, einen Freund zu haben. Ihr Zimmer hing voller Poster irgendwelcher Boygroup-Mitglieder und Charlotte suchte sich die Jungs in der Schule, die sie anhimmelte, streng nach diesen Vorbildern aus. Zu ihrem Unglück kam hinzu, dass diese Jungs, die sie anhimmelte, in der Regel die höheren Klassen besuchten und sicher Besseres zu tun hatten, als sich mit einem fünfzehnjährigen Mädchen abzugeben. Sicher, es gab fünfzehnjährige Mädchen, die bereits aussahen wie zwanzig und sich auch so benahmen und die hätten bei solchen Jungs bestimmt eine gute Chance gehabt. Allerdings zählte Charlotte nicht zu diesen Mädchen. Ihre Schminkversuche wirkten eher lustig, ihr Kleidungsstil änderte sich jede Woche und ihr ganzes Verhalten war viel zu kindlich um in dieser Liga mitspielen zu können. Clarissa beobachtete diese Entwicklungen seufzend, aber innerlich belustigt, denn sie wusste, solange Charlotte sich so verhielt, bestand nicht ernsthaft ein Anlass zur Sorge.

Daniel kam seit einigen Wochen früher von der Arbeit nach Hause als in der Anfangsphase. Er hatte sich inzwischen in seine neue Position eingearbeitet, einiges verändert und umstrukturiert und langsam konnte er wieder aufatmen. Die Firma lief gut, es hatte sogar zwei Neueinstellungen gegeben, worüber Daniel persönlich sehr erfreut war, denn er zählte zu den Chefs, die es vorzogen, Jobs zu schaffen, statt Stellen abzubauen. Meist kam er schon gegen vier Uhr nachmittags nach Hause, nur noch selten wurde es später. Wenn er Sitzungen hatte, zogen sich diese schon mal bis in den Abend hinein, aber das kam selten vor und so langsam erfüllten sich auch Clarissas Wünsche nach mehr Romantik in der Ehe wieder, einfach deswegen, weil Daniel den Kopf wieder frei hatte, mehr Zeit hatte und diese natürlich auch gerne mit ihr verbrachte. An diesem Abend fielen sie beide bereits in der Dusche übereinander her. Clarissa hatte ihn nicht kommen hören. Sie war nach der Gartenarbeit gleich unter die Dusche gestiegen, denn sie fühlte sich verschwitzt und der Geruch von Erde klebte an ihr. Daniel hatte sie überrascht und war plötzlich zu ihr in die Duschkabine gestiegen.

»Ein Whirlpool wäre mir lieber«, hauchte er ihr ins Ohr, während er sie sanft an sich zog. »Ein Whirlpool, eine Flasche Champagner...aber die Dusche tut es auch.«

Clarissa lächelte, schloss die Augen und presste sich an ihn. Seufzend bemerkte sie seinen harten Penis, der sich mit aller Macht zwischen ihre Beine schob. »Weißt du«, hauchte Daniel. »So unter der Dusche, das hat irgendwas Verruchtes, findest du nicht?«

Er hob ihr Bein an und drang in sie ein. Clarissa stieß einen tiefen Seufzer aus und gab sich seinen sanften, aber intensiven Stößen hin. Sie mochte diese Position. Überhaupt mochte sie es, wenn er sie im Wasser liebte.

Ihr fiel die romantische Bucht in der Türkei ein, in der sie sich leidenschaftlich geliebt hatten, vor vielen Jahren, als sie zum ersten Mal mit den Kindern in den Urlaub gefahren waren. Im Hotel hatte es einen Babysitter auf Bestellung gegeben und den hatten sie so manches Mal genutzt. An einem Abend hatten sie während eines Spaziergangs am Meer eine kleine Bucht entdeckt, die menschenleer gewesen war und vor Freude jauchzend hatten sie sich ausgezogen und die Gunst der Stunde zu einem Nacktbad im Meer genutzt. Es hatte nicht sehr lange gedauert und sie hatten sich leidenschaftlich geliebt, statt zu baden. Clarissa erschauerte, als ihr einfiel, wie Daniel sie in dieser Nacht über einen großen Felsen gelegt hatte, der nur zur Hälfte im Wasser stand, wie er sich fast schon obszön an ihr vergangen hatte. Er war ihr so kraftvoll erschienen, so stark und ihre Gefühle damals hatten sie völlig irgendwo im Nirvana schweben lassen. Das Rauschen des Meeres und der Mond, der sich auf den leichten Wellen spiegelte, hatten ihr Übriges dazu getan. Das war wahrscheinlich die romantischste Nacht in ihrem Leben gewesen und oft, auch heute noch, viele Jahre später, fiel ihr diese Nacht immer wieder ein. Auch jetzt, unter der Dusche, während Daniel sie kraftvoll stieß und sie seinen heißen Atem an ihrem Ohr spürte, glaubte sie, in ihrem Kopf das Meeresrauschen zu hören. Ihr wurde leicht schwindelig, aber es war ein angenehmes Gefühl, das Gefühl von Schwindel, das sie immer packte, wenn sie einem Orgasmus nahe war. Mit einem tiefen Seufzer stieß Daniel ein letztes Mal zu und sie fühlte, wie er sich in ihr ergoss.

»Hallo mein Schatz«, sagte er zärtlich und küsste ihren Hals. »Ich bin zu Hause...«

»Hab ich gemerkt«, lachte Clarissa.

Sie brauste sich noch einmal ab, stieg aus der Dusche und warf sich ihren Bademantel über. Daniel seifte sich ein und pfiff laut vor sich hin. Clarissa legte sich für einen Moment auf das Bett und als sie spürte, dass ihre Haut trocken war, schlüpfte sie in eine bequeme Jogginghose und ein Sweatshirt.

»Nana, Frau Ostermann«, sagte Daniel, und grinste anzüglich, als er aus dem angrenzenden Badezimmer kam. Er trug nur ein Handtuch um die Hüften und seine Haut glänzte noch feucht. »Keine Unterwäsche?«

Clarissa lachte. »Nein, du weißt doch, dass ich ein Ferkel bin.« Sie zog ihre Schlappen an, die sie immer im Haus trug und lief nach unten in die Küche.

»Ich erwarte dich in fünfzehn Minuten zum Essen!« rief sie ihm zu.

In der Küche lag Sparky hechelnd vor seinem Wassernapf. Sie schüttelte den Kopf.

»Du säufst heute vielleicht was weg«, sagte sie, und füllte den riesigen Wassernapf erneut. Zum vierten Mal an diesem Nachmittag. Sie sah auf die Uhr. Nun gut, es war sechs, früher Abend inzwischen. Trotzdem, vier Wassernäpfe waren auch für Sparky eine ungewohnte Trinkmenge. Außerdem hatte er nachmittags schon jede Menge Wasser aus der Regentonne geschlabbert. Schließlich warf sie die Schnitzel, die sie bereits am Nachmittag vorbereitet hatte, in die Pfanne und schaltete die Herdplatte ein, auf der das Gemüse in einem Topf stand. Fünfzehn Minuten später erschien Daniel pünktlich in der Küche und Clarissa rief nach den Kindern. Damian brachte Sabrina mit. Clarissa hatte gar nicht mitbekommen, dass das Mädchen immer noch da war. Freundlich rutschte sie zur Seite und stellte einen fünften Teller und ein Glas für Sabrina auf den Tisch und legte Besteck dazu.

»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte Sabrina wohl erzogen. »Damian sagte, ich könnte ruhig mitessen, Sie hätten bestimmt nichts dagegen – aber ich esse inzwischen fast täglich hier, mir wird das langsam peinlich.«

»Naja«, sagte Daniel, und er lachte. »Wenn es so weitergeht müssen wir einfach mal mit deinen Eltern über einen angemessenen Unterhalt reden, aber noch können wir es uns leisten, dich ab und zu mit am Tisch sitzen zu haben.«

Sabrina lächelte und stürzte sich mit größtem Appetit auf das Schnitzel, das Clarissa ihr auf den Teller gelegt hatte. Sie fühlte sich wohl in diesem Haus, das war ersichtlich. Clarissa wusste das zu schätzen. Sie mochte es, wenn sie all ihre Lieben um sich herum versammelt hatte. Nach dem Essen stieß Sparky einen tiefen Seufzer aus, der fast schon wie ein leises Jaulen klang und lief erneut zu seinem Wassernapf. Er schlürfte den gesamten Napf leer und wartete dann schwanzwedelnd auf Nachschub.

»Das ist nicht normal«, sagte Clarissa. »Das ist jetzt schon der fünfte Napf, den ich ihm heute mit Wasser fülle.«

»Hoffentlich hat er keine Krankheit«, sagte Daniel. Er sah den Retriever besorgt an. »Normal ist das ja nicht.«

Im gleichen Moment lief der Hund an die Haustür und signalisierte, dass er nach draußen wollte.

»Läufst du mal schnell eine Runde mit ihm?« fragte Clarissa. »Ich will nicht dass er anfängt in den Garten zu pinkeln.«

»Klar«, sagte Daniel. Er griff nach der Leine und öffnete die Haustür, aber Sparky war schneller und schlupfte durch den Spalt nach draußen. Im Garten pinkelte er an diversen Stellen, dann wälzte er sich auf dem Rücken im Gras und jaulte zwischendurch immer mal wieder auf. Clarissa beobachtete das Treiben vom Küchenfenster aus.

»Mit dem stimmt was nicht«, sagte sie besorgt.

»Der hat einfach nur zu viel gesoffen«, sagte Daniel. »Ich lauf jetzt eine Runde mit ihm, dann geht es ihm sicher besser. Aber vielleicht solltest du morgen früh mal mit ihm zum Tierarzt fahren.«

Clarissa nickte. Sie sah auf die Küchenuhr. Es war inzwischen sieben Uhr und der Tierarzt war ohnehin nicht mehr in der Praxis. Das hatte sicher auch bis morgen Zeit.

Als Daniel mit dem Hund von einem längeren Spaziergang zurückkam, schien er sich ein wenig beruhigt zu haben, allerdings stürzte er sich erneut auf seine Wasserschüssel und trank sie fast in einem Zug leer. Danach legte er sich mit einem tiefen Schnaufer unter den Tisch.

»Morgen gehen wir zum Tierarzt«, erklärte Clarissa. »Da stimmt doch was nicht. Hoffentlich ist er nicht zuckerkrank...«

»Woher denn, Clarissa«, sagte Daniel abwehrend. »Der Hund ist noch jung, kriegt nur gutes Fressen, woher soll der zuckerkrank sein? Vielleicht hat er irgendwas Ekliges gefressen und wird den Geschmack nicht los.«

»Er hatte heute Nachmittag im Garten so ein komisches Stück Fleisch«, sagte sie nachdenklich. »Na siehst du«, sagte Daniel. »Das ist Sparky wie wir ihn kennen. Er staubt ein Stück Fleisch ab, vergräbt es im Garten und gräbt es erst aus wenn es so richtig schön stinkt. Naja, dass das nicht gesund ist kann man sich denken, sogar für einen Hund.«

Er griff in seine Arbeitstasche. »Fast hätte ich es vergessen, ich habe uns heute einen Film aus der Videothek mitgebracht«, sagte er. »Mit Johnny Depp. Den magst du doch.«

Er grinste. Ja, den mochte sie tatsächlich. »Das Fenster« las sie auf der DVD. Den kannte sie noch nicht.

»Fein«, sagte sie. »Dann schlag ich vor, du machst uns eine Flasche Wein auf und wir verziehen uns ins Wohnzimmer. Komm Sparky«, forderte sie den Hund auf. Der Hund sprang auf und lief ihr ins Wohnzimmer nach. Daniel legte den Film in den DVD-Player und entkorkte eine Flasche Wein. Fast im gleichen Moment in dem der Film losging, jaulte Sparky plötzlich laut auf und rannte wie ein Irrer durch das Wohnzimmer, schlüpfte durch den Türspalt raus in den Flur und stand laut jaulend vor der Haustür. Daniel und Clarissa stürzten ihm zeitgleich hinterher und Clarissa riss reflexartig die Haustür auf. Der Hund sprang wie verrückt und laut jaulend quer durch den Garten, wälzte sich auf dem Rücken, gab laut heulende Geräusche von sich und ließ sich nicht beruhigen. Als Daniel sich ihm näherte, schnappte Sparky zu und Daniel konnte gerade noch so seine Hand wegziehen. Clarissa eilte nach draußen zu ihrem Hund.

»Versuch einen Notdienst für Tiere zu erreichen!« rief sie Daniel zu. »Ich versuch ihn zu beruhigen!«

Sparky wälzte sich und als Clarissa sich ihm näherte, robbte er auf dem Bauch ihr entgegen, leckte ihre Hand, wälzte sich weiter und gab grauenhafte Laute von sich. Clarissa begann zu weinen, sie war völlig außer sich. Inzwischen waren auch Charlotte und Damian unten im Garten und Damians Freundin Sabrina stand mit betroffenem Gesicht fröstelnd im Garten, denn inzwischen war die Sonne fast untergegangen und es war ziemlich kalt. Charlotte weinte hysterisch, aber dafür hatte Clarissa in diesem Moment keine Zeit. Daniel stürzte wenige Minuten später wieder nach draußen, hatte seine Jacke in der Hand und eine Strickjacke für Clarissa.

»Los!« rief er. »Wir müssen den Hund irgendwie ins Auto kriegen, ich hab einen Notdienst gefunden!«

Gemeinsam schleppten sie den schweren Hund, der sich kaum noch rührte und nur noch krampfte und jaulte, ins Auto.

»Kümmere dich um deine Schwester!« rief Clarissa Damian im Wegfahren zu. Sie saß mit dem Hund auf dem Rücksitz. Daniel gab Gas und fuhr was das Zeug hielt.

»Langsam Daniel«, ermahnte Clarissa ihn. »Wir müssen ankommen, wenn wir vorher noch in einen Unfall verwickelt werden ...«

Im gleichen Moment jaulte Sparky in einer Lautstärke und einem Ton auf, der so furchtbar klang, dass er sowohl Clarissa als auch Daniel, der versuchte sich auf das Fahren zu konzentrieren, durch Mark und Bein fuhr. Der Hund zuckte und krampfte noch ein letztes Mal und war plötzlich völlig reglos. Mit einem Mal lag er scheinbar völlig entspannt in Clarissas Armen.

»Daniel ...« weinte Clarissa. »Daniel!«

Daniel blinkte und fuhr rechts auf den Bürgersteig und hielt dort an. Er stieg aus und öffnete die hintere Tür. Clarissa schluchzte und vergrub ihr Gesicht im Fell des Hundes, der heute Mittag noch so fröhlich durch den Garten getollt war. Daniel setzte sich neben sie.

»Clarissa«, sagte er leise. Er legte seine Hand um ihr Genick und streichelte ihren Haaransatz. »Es tut mir so leid.«

Clarissa schluchzte und weinte hysterisch, sie konnte sich kaum beruhigen. Nach endlosen zehn Minuten warf sie trotzig ihren Kopf in den Nacken.

»Fahr zu diesem Notdienst«, sagte sie. »Ich will wissen woran Sparky gestorben ist. Und ich wette mit dir, jemand hat ihm irgendwas gegeben. Ich wette, es hat mit diesen anonymen Briefen zu tun.«

»Meinst du wirklich?«

Sie nickte heftig. »Fahr!« sagte sie. Wilde Entschlossenheit war in ihrem Gesicht zu lesen. Daniel setzte sich hinter das Steuer und fuhr weiter, zur Adresse des Tierarztes. Er wusste, was der Verlust des Hundes für Clarissa bedeutete. Sparky war ihr Ein und Alles gewesen, neben den Kindern, neben ihm. Lange Jahre über hatte sie sich einen Hund gewünscht, aber diesen Wunsch immer zurückgestellt, weil die Kinder erst ein gewisses Alter haben sollten, damit ihr genügend Zeit für das Tier bleiben würde. Und nun war ihr der Hund genommen worden, nachdem er nur ein halbes Jahr bei ihnen gewesen war. Vor allem quälte es Daniel innerlich, dass der Hund offensichtlich so qualvoll gestorben war. Das tat man doch nicht einfach so einem Tier an! Wer immer das gewesen sein mochte, derjenige sollte dafür bezahlen.

Die Tierärztin hatte bereits auf sie gewartet und als sie den großen, toten Hund sah, standen ihr für einen Moment selbst die Tränen in den Augen.

Clarissa sah erbärmlich aus. Ihre Augen waren rot verschwollen, die Wimperntusche war völlig verschmiert und man sah ihr an, welchen Schmerz ihr dieser Verlust bereitete.

»Leider zu spät«, murmelte Daniel. Er trug Sparky im Arm und legte ihn auf den Untersuchungstisch in der Praxis.

»Ich will wissen, woran er gestorben ist«, sagte Clarissa. »Ich will wissen, warum!« Die Tierärztin sah nachdenklich den Hund an, tastete ihn ab und sah ihm in die offenen Augen, bevor sie ihm für immer die Lider verschloss.

»Sie sagten am Telefon, er hätte Unmengen von Wasser getrunken?«

Daniel nickte.

»Und sonst? Welche Auffälligkeiten?«

»Naja, das war schon sehr auffällig, aber da dachten wir uns noch nichts dabei. Aber plötzlich fing er an zu jaulen, sich zu wälzen, er ist richtig ausgeflippt. Er wollte sogar nach mir beißen, obwohl er das normalerweise niemals getan hätte.«

»Lagern Sie irgendwo Rattengift?« fragte die Tierärztin.

»Rattengift?« fragte Clarissa verwundert. »Nein, natürlich nicht!«

Die Tierärztin sah Clarissa einen Moment lang an, als müsste sie darüber nachdenken, ob sie ihr die Wahrheit sagen konnte, ob sie diese verkraften konnte. »Es klingt für mich wie eine typische Vergiftung mit Rattengift«, erklärte sie. »Die Tiere bekommen einen unglaublichen Durst. Bei Ratten geht das soweit, dass sie die nächste Wasserquelle suchen – meist finden sie diese in Form von Regenfässern oder ähnlichem. Und darin ertrinken sie dann meist, weil sie solche Schmerzen haben, dass sie nicht mehr schwimmen können.«

»Mein Gott«, flüsterte Clarissa. »Ich kann ihm den Mageninhalt auspumpen«, sagte die Tierärztin. »Dann könnte ich Ihnen was Endgültiges sagen.«

Clarissa nickte. Daniel legte seinen Arm um ihre Schultern. »Komm, wir warten draußen«, sagte er. »Das tun wir uns nicht an.«

»Sparky ...« flüsterte Clarissa mit tränenerstickter Stimme. »Mein Sparky ...« Daniel führte sie nach draußen in das leere Wartezimmer und sie legte ihren Kopf in seinen Schoß und ließ sich trösten. Allerdings hatte Clarissa in diesem Moment das Gefühl, als gäbe es nichts und niemanden auf dieser Welt, das ihr diesen Schmerz nehmen könnte. Es wollte sie innerlich fast zerreißen.

»Das Fleisch heute Mittag«, flüsterte sie weinend. »Ich dachte, er hätte es irgendwo ausgegraben. Das war bestimmt vergiftet ...«

»Möglich«, sagte Daniel. Er versuchte ruhig zu bleiben. Natürlich ging auch ihm durch den Kopf, dass der Tod des Hundes von jemandem gewollt herbeigeführt worden war. Ein teuflischer Anschlag. Und selbstverständlich brachte er das in Verbindung mit den anonymen Briefen, die in den vergangenen Wochen im Briefkasten gelegen hatten. Nach einer halben Stunde kam die Tierärztin aus dem Untersuchungszimmer und setzte sich im Wartezimmer neben Clarissa.

»Es war Rattengift«, sagte sie. »Und zwar eine Unmenge. Das hätte sogar ein Pferd getötet. Es muss ihm jemand mit einem großen Stück Fleisch verabreicht haben, denn ich habe auch noch unverdautes Fleisch im Mageninneren gefunden.«

»Er hatte heute Mittag ein großes Stück Fleisch im Maul, aber ich dachte mir nichts dabei, weil Sparky gerne mal was eingegraben hat, um es irgendwann wieder auszugraben und zu fressen.«

Die Tierärztin nickte. »Ja, das machen Hunde gerne, aber daran stirbt keiner. Dieses Fleisch war mit einer ganz fiesen Sorte Rattengift versetzt. Der Täter hat das Fleisch praktisch damit gefüllt. Rattengift ist körnig, jedenfalls diese Sorte. Für eine Ratte genügen normalerweise schon ein oder zwei Körnchen, und das war mindestens eine große Tasse voll.«

»Das gibt es nicht«, weinte Clarissa. »Wer kann einem unschuldigen Tier so etwas antun?«

Die Tierärztin erhob sich. »Es tut mir unendlich leid, Frau Ostermann, glauben Sie mir. Ich habe so was auch noch nie erlebt. Aber die Grausamkeit von Menschen gegenüber Tieren kennt scheinbar keine Grenzen. Haben Sie einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte?«

»Nein«, sagte Daniel. »Aber wir werden Anzeige erstatten.«

»Das rate ich Ihnen auch«, sagte die Tierärztin. »Könnte sein, dass es in nächster Zeit noch mehr solche Fälle in ihrer Nachbarschaft gibt. Wäre nicht das erste Mal dass sich jemand durch Hunde in der Nachbarschaft gestört fühlt und Rundum-Anschläge macht.«

Daniel nickte.

»Ich schreibe Ihnen jetzt noch eine Bescheinigung für den Tod des Hundes, die brauchen Sie für die Polizei, aber natürlich auch für die Behörden um die Hundesteuer abzumelden.«

Daniel erhob sich, ließ sich die Bescheinigung aushändigen.

»Was soll mit dem Tier passieren?« fragte sie. »Möchten Sie den Hund mitnehmen oder sollen wir uns drum kümmern?«

Daniel sah Clarissa fragend an.

»Darf man ihn im Garten beerdigen?«

»Leider nicht«, sagte die Tierärztin.

»Irgendwo im Wald?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein.«

»Wir lassen ihn hier«, sagte Daniel. Clarissa schluchzte laut auf. Daniel ließ sich eine Rechnung geben, denn in der Eile hatte er völlig vergessen, Geld mitzunehmen.

»Ich zahle das gleich morgen«, murmelte er betroffen. Die Tierärztin nickte. »Wenn wir früher gekommen wären, hätten wir ihn noch retten können«, weinte Clarissa.

Die Tierärztin legte tröstend eine Hand auf Clarissas Arm.

»Nein«, sagte sie leise. »Glauben Sie mir. Dafür hätten Sie bei den ersten Vergiftungsanzeichen bereits hier sein müssen. Aber wie sahen die aus? Er hat viel getrunken, ungewöhnlich viel. Das ist aber nichts Besonderes. Das tun Tiere manchmal, besonders wenn es warm ist und wenn sie viel draußen getobt haben. Und glauben Sie mir, als er anfing zu jaulen und sich zu wälzen, da war es bereits für alles zu spät. Dieses Gift ist sehr tückisch und äußerst wirksam. Melden Sie den Fall an die Polizei, dieses Gift darf nur gegen Unterschrift in Apotheken verkauft werden. Wenn Sie möchten, werde ich noch eine genaue Analyse vornehmen lassen, das geht nur im Labor, aber wir können herausfinden, was genau es war. Wer auch immer es gekauft hat, muss dafür irgendwo unterschrieben haben.«

»Und wenn es gar nicht hier in Köln gekauft wurde?« fragte Daniel.

»Ich bin Tierärztin, keine Kriminalistin, mehr kann ich Ihnen nicht sagen – nur dass es eben nicht frei verkäuflich ist. Wenn Rattengift irgendwo abgegeben wird, muss das registriert sein.«

Drei Stunden später fiel Clarissa erschöpft in ihr Bett. Den Rest des Abends hatte sie mit ihrem Mann und ihren Kindern schweigend und weinend im Wohnzimmer verbracht, sie hatte sich nicht mal in der Lage gefühlt, die Kinder zu trösten. Sabrina hatte sich taktvoll verzogen, Damian gab sich größte Mühe nicht zu weinen, aber seine Lippen zitterten den ganzen Abend über verdächtig und er knirschte mit den Backenzähnen. Charlotte weinte sich die Augen aus dem Kopf und Clarissa war nicht einmal in der Lage, ihr irgendetwas Tröstendes zu sagen. Daniel wechselte immer zwischen ihr und Clarissa ab, hielt mal die Tochter, mal die Frau im Arm um zu trösten, so gut es ging. Selten hatte er sich in seinem Leben so hilflos gefühlt wie an diesem Abend. Clarissa schluckte Beruhigungspillen und trank zwei Cognac, anders hätte sie in dieser Nacht ganz sicher kein Auge zugetan. Daniel sah es zwar nicht gerne, aber er wusste, dass sie zu diesen Mitteln nur im äußersten Notfall griff und er war schlau genug zu begreifen, dass dies ein Notfall war.

»Morgen gehen wir gemeinsam zur Polizei und erstatten Anzeige«, sagte er. »Ich rufe morgen früh in der Firma an und sage denen, ich habe einen dringenden Notfall in der Familie. Und dann regeln wir das gemeinsam.«

Clarissa nickte und kämpfte gegen die Tränen, die schon wieder in ihr aufstiegen. »Jetzt müssen sie was unternehmen«, sagte sie leise. »Jetzt ist ja was passiert.« Clarissa legte sich auf die Seite. »Und ich habe ihm noch zugeschaut, als er das Fleisch gefressen hat«, flüsterte sie weinend. »Draußen auf der Straße oder auf irgend einer Wiese hätte ich es ihm abgenommen, aber in unserem eigenen Garten hätte ich niemals mit so etwas gerechnet ...« Sie weinte wieder. »Ich habe ihm zugeschaut wie er es gefressen hat«, heulte sie. »Ich hätte es ihm wegnehmen müssen!«

»Schatz, damit konnte keiner rechnen. Ich hätte auch vermutet, dass er es irgendwo ausgegraben hat.«

Er streichelte ihren Nacken und ihre Schultern bis er spürte, dass sie eingeschlafen war. Er hasste es, wenn sie Schlaftabletten nahm und noch mehr, wenn sie dazu Alkohol trank. Aber in dieser Nacht hatte er vollstes Verständnis dafür.