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Die nächsten Tage verbrachte Clarissa wie in Trance. Der Schmerz um den Verlust ihres geliebten Hundes schien sie fast aufzufressen und sie fühlte sich nicht in der Lage ihre Kinder zu trösten. Damian kam in solchen Dingen offensichtlich sehr nach seinem Vater, Clarissa sah ihn ständig mit zusammengepresstem Kiefer, mit einem Gesicht, das einer erstarrten Maske glich. Charlotte hingegen ließ ihren Tränen freien Lauf, Clarissa hielt sie auch oft im Arm und sie weinten gemeinsam, aber das war alles was Clarissa ihrer Tochter geben konnte. Sie konnte nur mit ihr gemeinsam unter dem Verlust leiden und mit ihr gemeinsam den Hund betrauern. Sie fand keine tröstenden Worte und immer wenn sie es versuchte, rannen ihr sofort die Tränen über die Wangen und sie konnte nur noch flüstern, heiser, unfähig wirklich zu sprechen. Die Tierärztin hatte eine Bescheinigung über den Tod des Hundes durch Rattengift ausgestellt und Daniel hatte es übernommen, eine Anzeige bei der Polizei zu machen, weil Clarissa dazu nicht in der Lage war. Die Polizisten zeigten sich sehr betroffen, konnten aber leider nicht mehr tun als eine Anzeige wegen Tierquälerei und Sachbeschädigung gegen Unbekannt aufzunehmen. Daniel wies auf die vorangegangenen anonymen Briefe hin. Der diensthabende Polizist runzelte die Stirn und wählte eine Telefonnummer.
»Ja, hier Brinkmann«, meldete er sich. »Herr Meierhofer, ich habe hier einen Herrn Ostermann, der gerade bei mir eine Anzeige gegen Unbekannt aufgegeben hat, sein Hund ist vergiftet worden. Er sagte mir gerade, dieser Sache wären anonyme Briefe vorausgegangen, seine Frau war wohl mehrfach hier und hat mit Ihnen gesprochen?«
Daniel konnte die Antwort von Herrn Meierhofer nicht hören, aber Brinkmann legte relativ schnell auf.
»Mein Kollege möchte Sie gerne sprechen in dieser Angelegenheit«, sagte er. »Gehen Sie einfach hier durch die Glastür in den ersten Stock, Herr Meierhofer empfängt Sie dort auf dem Flur.«
»Danke«, sagte Daniel und machte sich auf den Weg.
Fünf Minuten später saß er Herrn Meierhofer
gegenüber, der bereits die anonymen Briefe vor sich liegen
hatte.
»Denken
Sie nicht langsam auch, dass man diese Briefe ernst nehmen sollte?«
fragte Daniel. »Verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiß schon
dass die Möglichkeiten begrenzt sind, herauszufinden, wer diese
Briefe geschrieben hat. Ich verstehe auch, dass Sie diese Briefe
vielleicht weniger ernst nehmen als wir. Aber meine Frau haben sie
zu Tode erschreckt und jetzt ist unser Hund tot. Ein schrecklicher
Verlust für uns alle, aber besonders für meine Frau. Der Hund wurde
in den Briefen erwähnt und ich persönlich sehe den Zusammenhang.
Was können wir tun?«
Meierhofer starrte Daniel nachdenklich an.
»Herr Ostermann, denken Sie bitte nicht dass wir Sie nicht ernst nehmen, das habe ich auch Ihrer Frau bereits gesagt. Normalerweise ist es nur so, dass Menschen, die anonyme Briefe schreiben, in der Regel zu feige sind, um tatsächlich etwas zu unternehmen. Solche Menschen sind in der Regel neidisch, wurden in irgend einer Form zurückgewiesen, sind voller Hass, aber im Prinzip eben auch zu feige um wirklich etwas zu unternehmen.«
»Wie Sie aber sehen, unternimmt dieser Briefeschreiber etwas«, sagte Daniel.
»Ja, ich muss zugeben, den Zusammenhang sehe ich auch. Allerdings können das auch zwei voneinander unabhängige Leute sein«, sagte er. »Die wissen vielleicht nicht einmal was voneinander und zufällig kommt gerade alles geballt auf Sie zu.«
»Ich bitte Sie«, sagte Daniel. »Es ist doch offensichtlich!«
»Nein«, sagte Meierhofer. »Leider können wir das anhand der vorliegenden Tatsachen nicht beweisen. Vielleicht stammen die anonymen Briefe von jemandem der Unfrieden stiften will, Ihnen Angst machen will. Und das Rattengift könnte ein Hundehasser aus der Nachbarschaft dem Hund gegeben haben. Beweisen können wir gar nichts.«
»Und was sollen wir jetzt tun?« fragte Daniel.
Meierhofer starrte ihn nachdenklich an.
»Herr Ostermann, ich verstehe Ihre Gedankengänge, ich persönlich sehe da auch einen Zusammenhang, nur können wir es nicht beweisen und wir haben keinerlei Anhaltspunkte für einen Verdacht in irgendeine Richtung. Oder fällt Ihnen spontan jemand ein, der mit der Sache zu tun haben könnte?«
Daniel starrte auf den Boden.
»Nein, eigentlich nicht«, sagte er.
Meierhofer lächelte.
»Mal ganz unter uns, Herr Ostermann...«
Daniel schaute auf.
»Gibt es in Ihrem beruflichen oder privaten Umfeld vielleicht eine Dame, die es auf Sie abgesehen haben könnte?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil es meistens Frauen sind, die solche Briefe schreiben. Wenn Sie diese anonyme Schmiererei lesen, wird klar, dass da jemand möchte, dass Ihre Frau sich von Ihnen trennt. Jemand möchte freie Bahn haben.«
»Es könnte ...« Daniel unterbrach sich.
»Ja?« fragte Meierhofer und beugte sich vor.
»Nun«, sagte Daniel. »Es ist mir ein wenig unangenehm.«
»Versuchen Sie es einfach mal«, sagte Meierhofer.
Daniel räusperte sich. »Meine Frau und ich hatten eine Ehekrise und während dieser Zeit hat meine Frau ...« Wieder unterbrach er sich.
»Hatte sie ein Verhältnis?« fragte Meierhofer in geschäftsmäßigem Ton.
Daniel nickte. »Mit einer Frau«, fügte er hinzu.
»Aha«, sagte Meierhofer. »Und wo könnten wir diese Frau finden? Wie haben die beiden sich getrennt? Ging das von ihr aus oder von Ihrer Frau?«
»Die Dame lebt in Frankfurt, wir haben bis vor einigen Monaten auch noch in Frankfurt gelebt. Ich bin wegen eines beruflichen Wechsels mit meiner Familie nach Köln gezogen.«
»Aha.«
»Meine Frau hat sich von ihr getrennt, aber bereits vor unserem Umzug.«
»Und wie ist diese Trennung verlaufen?«
»Wir haben nicht besonders viel darüber gesprochen, verstehen Sie?« sagte Daniel und er wirkte ein klein wenig verzweifelt. Es war ihm peinlich darüber zu reden.
»Würden Sie es dieser Dame zutrauen, solche Briefe zu schreiben und eventuell sogar einen Hund zu vergiften?«
Daniel zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er. »Wirklich nicht. Ich kann sie nicht einschätzen. Meine Frau sagt, sie traut es ihr nicht zu, es sei nicht ihre Art.«
»Hat Ihre Frau noch Kontakt zu der Dame?«
»Ja. Per Telefon und E-Mail. Meine Frau ist Malerin und die Dame ist Galeristin. Sie verkauft die Bilder meiner Frau.«
Meierhofer nickte wissend.
»Interessant«, sagte er. Er seufzte und machte sich ein paar Notizen auf einem Zettel. »Und in Ihrem eigenen Umfeld, Herr Ostermann? Gibt es da vielleicht eine Dame von der Sie glauben, Sie könnte es auf Sie abgesehen haben?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Daniel. Meierhofer lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust.
»Herr Ostermann, möglich ist alles. Es kann diese Frau sein. Es kann jemand sein, der einfach nur von Neid zerfressen ist und auf den Sie niemals kommen würden. Es kann auch jemand sein, der an Ihnen sehr interessiert ist.«
»Ich hatte auch ein Verhältnis«, sagte Daniel und er wurde knallrot. »Allerdings ist es schon zwei Jahre her.«
»Weiß Ihre Frau davon?«
Daniel nickte. »Das war ja der Grund unserer Krise.«
»Aha«, sagte Meierhofer.
»Die Sache ist aber seit zwei Jahren vorbei.«
»Hm. Und wie ist diese Sache beendet worden? Friedlich?«
»Naja, was heißt friedlich«, sagte Daniel. »Ich habe die Dame regelmäßig getroffen, wenn ich auf Geschäftsreise war. Meine Frau kam dahinter. Sie ist mir hinterher gefahren und somit war es vorbei.«
»Sie Glücklicher«, sagte Meierhofer.
Daniel sah ihn fragend an.
»Naja«, erklärte der Polizist. »Die meisten Ehen sind in einem solchen Moment wohl gelaufen.«
»Wahrscheinlich, ja«, stimmte Daniel ihm zu.
»Und diese Frau hat Sie nie wieder kontaktiert?« Meierhofer registrierte Daniels betretenes Schweigen. »Herr Ostermann, es wäre schon wichtig, dass Sie mir da nichts verschweigen. Ich kann Ihnen natürlich versprechen, die Sache diskret zu behandeln so gut es geht, aber ich muss schon die Fakten kennen.«
»Doch, hat sie.«
»In welcher Form?«
»Nun ja, natürlich wollte sie sich nicht damit abfinden, dass es nun vorbei war. Sie hat mir mehrfach Mails geschrieben, mich auch angerufen. Und ich habe sie auch noch mal getroffen.«
»Und dann hat es eines Tages einfach aufgehört, an Sie heranzutreten?«
Daniel starrte ein wenig verlegen zur Seite.
»Also nicht?« fragte Meierhofer.
»Nicht ganz«, gab Daniel zu.
Der Polizist runzelte die Stirn.
»Sie schrieb mir hier und da noch mal eine Mail, aber ich habe sie ignoriert und meine Frau weiß das auch nicht. Ich hab ihr nie geantwortet. Ich habe es meiner Frau auch nicht erzählt, nicht weil ich etwas zu verbergen gehabt hätte, sondern weil ich alte Wunden nicht wieder aufreißen wollte. Es war schwer genug. Ich habe ihr lediglich von einer Mail erzählt, die sie mir geschrieben hat. Alles andere weiß sie nicht und das muss sie auch nicht erfahren. Dann sind wir nämlich ganz schnell wieder mitten in …«
»Wann kam die letzte E-Mail?«
»Das ist ein paar Monate her. Ich habe ihre Mails nicht mehr, sie sind alle gelöscht.«
Daniel lächelte trübsinnig. »Verstehen Sie? Ich wollte nicht noch mal Öl ins Feuer gießen. Meine Frau und ich führen seither eine wunderbare Ehe. Ich liebe meine Frau über alles. An der anderen Dame bin ich nicht mehr interessiert. Ich habe die eine oder andere Unterhaltung mit der Dame geführt, aber nicht weil ich das Verhältnis fortsetzen wollte. Alles was ich wollte war, sie zu beruhigen, ihr klar zu machen, dass ich für sie nicht greifbar bin, dass es aus ist. Ich hätte es auch meiner Frau erzählt, aber ich habe ihr sehr weh getan mit diesem Verhältnis, meine Frau hat sehr lange darunter gelitten und ich fand es vernünftiger, ihr nichts davon zu erzählen. Schlafende Hunde soll man nicht wecken.«
Meierhofer nickte zustimmend. »Die letzte Mail kam also vor ein paar Monaten?«
»Ja.«
»Lebten Sie da schon in Köln?«
»Ja.«
»Kennt Sie Ihre Anschrift?«
Daniel zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Anita ist... nun ja, sie ist nicht dumm, wenn es darum geht, solche Dinge herauszufinden. Sie war die Sekretärin einer meiner Geschäftspartner. Der steht immer noch in Verbindung mit der Firma in der ich vorher beschäftigt war. Es ist gut möglich, dass sie dadurch weiß, dass wir nach Köln gezogen sind. Und es ist möglich dass sie unsere Anschrift kennt, denn wir stehen im Telefonbuch.«
Er räusperte sich.
»Aber ich kann es mir nicht vorstellen, dass sie dahinter steckt. Sie lebt in Hannover – allerdings bin ich mir da auch nicht mehr sicher, sie schrieb mir ja noch was von einem beruflichen Wechsel und einem Umzug. Das ist auf jeden Fall weit weg und die Sache ist, wie gesagt, zwei Jahre her.«
Er räusperte sich verlegen. »Außerdem ist sie wirklich nicht der Typ Frau, der so was tun würde, ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen. Sie ist eine rassige, sehr schöne Frau, sie könnte jeden haben.«
»Aber Ihnen ist sie trotzdem lange hinterhergelaufen«, sagte der Polizist.
Daniel nickte. »Ja, aber das hatte eher damit zu tun, dass sie nicht fassen konnte, dass ich eine Frau wie sie wegen einer Frau wie meiner verlassen könnte.«
»Aha«, sagte Meierhofer.
Daniel räusperte sich erneut. »Ich weiß nicht, ob Sie diese Sorte Frau kennen, Herr Meierhofer. Schön, sexy, klug. Top-Job, schicke Wohnung. Aussicht auf eine höhere Karriere. Diese Frauen denken, sie sind das Non Plus Ultra. Ich glaube, sie hat nie daran gezweifelt, dass ich meine Frau irgendwann für sie verlassen würde. Ich glaube auch nicht, dass es ihr dabei wirklich um mich ging, sondern eher um mich als Sammlerobjekt. Heute glaube ich, dass sie immer ein wenig auf meine Frau herabgesehen hat. Anita ist sehr arrogant.« Er lächelte ein wenig trüb. »Leider ist mir das alles erst heute klar.«
Meierhofer räusperte sich nun ebenfalls. »Nun ja«, sagte er. »Es gibt wohl solche Frauen.«
Daniel nickte.
»Wir werden die Sache im Auge behalten«, sagte Meierhofer. »Sollte irgendetwas Ungewöhnliches passieren, sollte ein weiterer Brief kommen, kommen Sie damit her. In Ordnung? Achten Sie darauf, ob Sie jemand beobachtet, achten Sie auf jeden, mit dem Sie zu tun haben. Ich brauche von Ihnen den Namen und die Anschrift der Dame, mit der Sie ein Verhältnis hatten. Wir werden die Kollegen in Hannover bitten, sie zu befragen. Mehr können wir derzeit wohl nicht tun!«
»Muss das sein?«
»Nein. Wir können es auch lassen, potenziell verdächtige Personen zu verhören. Aber ich dachte, Sie sind daran interessiert herauszufinden, wer Sie da belästigt und bedroht? «
»Ja, das bin ich. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Anita …«
»Und ich kann Ihnen nicht garantieren, dass die Dame morgen befragt wird«, erklärte Meierhofer. »Ich werde es anregen, aber wir sprechen hier von einem vergifteten Hund und wissen nicht, ob das mit den Briefen in Zusammenhangt steht. Wenn die Kollegen in Hannover Zeit haben, werden sie die Dame möglicherweise zu einem Gespräch einladen und mit ihr über den Fall sprechen. Wahrscheinlich wird sie empört sein und alles abstreiten und damit ist die Sache erledigt.«
»Weil es nur ein Hund war? Ist das nicht auch ein Leben?«
»Doch, natürlich, aber es ist kein Mensch getötet worden. In diesem Fall würde man jetzt natürlich ganz anders ermitteln.«
Daniel stöhnte. »Naja, es steigert sich ja. Vielleicht ist demnächst unsere Tochter dran oder unser Sohn. Was ist mit einer Untersuchung unseres Grundstückes?«
»Was genau glauben Sie, könnten wir da finden?« fragte Meierhofer. Daniel zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht. Fußabdrücke
vielleicht.«
»Bei
dem strahlenden Wetter, das wir in letzter Zeit hatten? Der Sommer
war heiß, der Boden ist hart, in jedem Garten genauso wie in freier
Natur. Sie machen sich zu viele Hoffnungen, was polizeiliche
Ermittlungen betrifft. Wir können nicht viel tun. Wir können Sie
nur auffordern, die Augen offen zu halten!«
Daniel verabschiedete sich und machte sich
nachdenklich auf den Heimweg.