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Hatte ich tatsächlich geschlummert? Ich erinnerte mich noch, dass Kofi gesagt hatte, dass Heckmann außer Lebensgefahr war und die Kollegen gerade überprüften, ob er irgendwo einen Zweitwohnsitz, eine Ferienwohnung oder einen Garten besaß. Im nächsten Augenblick fuhren wir schon am Fagus-Werk, bei Künkel & Wagner und am Bahnhof vorbei.

„Was ist das da?“, fragte ich, als wir um einen Kreisel herumkurvten. In der Mitte stand ein seltsames Steinteil.

„Weiß ich nicht, hat irgendetwas mit der Papierfabrik zu tun. Soll ich anhalten, willst du’s nachlesen?“

„Lass mal, ist nicht so wichtig. Ich dachte, du kennst dich aus.“

„In Alfeld? Voll die Provinz.“

‚Okay‘, dachte ich. ‚Holzminden ist der Nabel der Welt, oder was? Zumindest für mich. Holzminden hatte alles, was mir in Hamburg gefehlt hatte oder hatte alles nicht, was mich in Hamburg gestört hatte.‘

„Hm, die Adresse scheint in der Fußgängerzone zu liegen. Ich halte hier an und wir gucken mal.“

Wir fanden das Haus auf Anhieb, Frau Posner, klein, drall, im geblümten Sommerkleid, ließ uns herein und bot uns Kuchen an.

Auf dem Wohnzimmertisch standen drei benutzte Teller und Tassen. Sie holte zwei neue Gedecke und schob die anderen zur Seite.

„Sie hatten Besuch?“

„Meine Kinder.“

„Sebastian und … ?“

„Melli, Melanie, die wohnt noch bei mir. Sie ist in der Zehnten. Einen Ausbildungsvertrag hat sie auch schon unterschrieben. Sie wird Altenpflegerin. Schwere Arbeit, aber sicher.“ Sie lachte glucksend. „Alte gibt’s immer. Da kann sie sich auch selbstständig machen, später, wenn sie will.“

„Ihr Sohn?“

„Der Basti? Das ist ein ganz lieber. Jeden Samstag kommt er und bringt alles in Ordnung. Wissen Sie, ich darf nicht so schwer heben. Der Basti besorgt uns die Getränke und was wir an Dosen brauchen und so.“

„War er heute hier?“

„Sie haben ihn knapp verpasst. Er hat der Melli ihr Fahrrad repariert. Dann sind die beiden los. Wollten was unternehmen. Wenn Sie warten, kommen sie bestimmt bald zurück. Melli geht heute Abend mit ihrer Freundin ins Sound.“

Die redete schneller als ich denken konnte. Ich versuchte, sie zu unterbrechen. „Wir müssten Ihren Sohn dringend sprechen. Haben Sie eine Ahnung, wo er hingefahren sein könnte?“

„Vielleicht ins Sieben-Berge-Bad, ganz neu ist das.“ Sie gluckste wieder. „Wahrscheinlich nicht. Melli hat sich die Haare gemacht, neue Farbe und alles.“

„Hat Ihr Sohn noch ein Zimmer bei Ihnen?“

„Zimmer? Herrgott, was denken Sie? Wozu denn? Es wär eh leer. Basti hat immer alles zusammengehalten und versteckt, was ihm gehört.“

„Versteckt?“

„Früher in einer Schachtel unter dem Bett und dann in der Scheune.“

„Welche Scheune?“

„Er denkt immer noch, ich weiß es nicht.“ Sie beugte sich vertraulich vor, dachte ich jedenfalls. Stattdessen schaufelte sie ein Stückchen Kuchen in den Mund und trank einen großen Schluck Kaffee dazu. Bis sie geschluckt hatte, konnte sie nicht sprechen. Ausgerechnet.

„Bei Eschershausen ist die. Frau Hellmich, der gehörte die damals, hat mich gleich angerufen, nachdem sie den Jungen das erste Mal zurück nach Hause gebracht hatte.“

„War er ausgerissen?“

„Das nicht gerade. Mein Mann, Gott hab ihn selig, war für Zucht und Ordnung. Lief nicht alles so, wie er es wollte, konnte er schon mal aufbrausen. Manchmal ist ihm die Hand ausgerutscht. Dann war es besser, der Basti kam ihm ein paar Tage nicht unter die Augen. Meistens konnte er zu einem Freund.“

„Aber nicht jedes Mal?“

„Wie er dahin gekommen ist, habe ich nicht verstanden. Jedenfalls hat er sich in dieser Scheune versteckt. Die Frau Hellmich hat ihn entdeckt und ausgefragt. Sie hat mich angerufen, und wir haben vereinbart, dass Basti noch bleiben kann.“

„Warum hat sie das gemacht?“ Ich notierte mir den Namen. „Haben Sie die Telefonnummer noch?“

„Frau Hellmich war bei der Fürsorge, früher. Die ist längst tot. Da ist keiner mehr auf dem Hof. Der Sohn ist in Kapstadt oder so. Basti kümmert sich drum, dass alles in Ordnung ist, dafür darf er die Scheune benutzen.“

„Das hat Ihnen Frau Hellmich erzählt?“

„Als sie noch gelebt hat. Jetzt ist sie ja tot. Da weiß ich nichts mehr.“

Ich sah, dass Kofi sein Handy malträtierte. Er nickte mir zu, hatte die Adresse ausfindig gemacht.

„Könnte er mit Melanie dorthin gefahren sein?“

Sie sah mich an, als wäre ich eine besonders behaarte Spinne. „Die Scheune ist geheim. Er denkt, ich weiß nichts davon und Melli auch nicht. Er hatte schon immer seine Geheimnisse und seine eigenen Ideen.“

Kofi beteiligte sich erstmals am Gespräch. „Hat Ihr Sohn eine Vorliebe für Waffen?“

„Für alles, was sich bewegt und Bauteile aus Metall hat. Uhrwerke, Waffen, Autos. Früher hatte er eine Dampfmaschine.“

„Ist er Mitglied im Schützenverein gewesen?“

„Bogenschießen hat er mitgemacht.“

Kofi signalisierte mir, dass er aufbrechen wollte. Also verabschiedeten wir uns.

„Wo willst du hin?“

„Glaubst du ernsthaft, dass wir noch etwas Wichtiges erfahren hätten?“

Er wirkte ungehalten.

„Was ärgert dich?“

„Wir sollten lieber zusehen, dass wir herausfinden, wo Heckmann Eugenia Belfano versteckt hat. Ich verstehe nicht, warum du auf diesen Einbrüchen herumreitest.“

Bevor ich etwas sagen konnte, redete er schon weiter. „Wahrscheinlich wird sich herausstellen, dass Heckmann bei Auto-Gambach nicht nur das Kraftfahrzeug, sondern auch ein Gewehr gekauft hat. No problem.“

Ich setzte wieder an. Er hob die Hand. „Ich war übrigens im Krankenhaus und habe mit Valentin Shekovietz gesprochen, das heißt, ich habe gesprochen, er hat geschrieben. Der Statur nach könnte der Angreifer durchaus Heckmann gewesen sein.“

„Hast du ihn auch gefragt, ob er etwas über Heckmanns Frauengeschichten herausgefunden hatte?“

Jetzt wirkte Kofi enttäuscht. „Er hat gesagt, Privatsachen interessieren ihn nicht. Als ich ihn auf das Foto vom Hauseingang hingewiesen habe, hat er gesagt, dass ihm das jemand gebracht hatte, der meinte, Heckmann würde sich an Schülerinnen vergreifen. Doch Valentin ist fest davon überzeugt, dass Heckmann Schüler so sehr hasst oder fürchtet, dass er sich nicht in seiner Freizeit mit ihnen abgeben würde. Er hat noch hinzugefügt, dass er froh ist, dass der Heckmann keine eigenen Kinder hat.“

„Er hat sich ziemlich eingehend mit ihm beschäftigt.“

„Schon, aber keine Obsession. Nichtsdestotrotz bin ich überzeugt …“

„Okay, okay, lass uns zurückfahren. Wir halten aber in Eschershausen noch bei der Scheune an.“

„Das kann nicht schaden.“

Kofi saß schon wieder hinter dem Steuer. Ich ging noch einmal meine Argumente durch.

Für mich war Heckmann weder der Schütze noch der Entführer. Hoffentlich fanden wir in der Scheune Beweise.

Insgeheim hoffte ich natürlich auch, dass wir dort das entführte Mädchen finden würden.

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