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Der Döner, den ich mir zum Mittagessen einverleibt hatte, lag mir schwer im Magen. Ich wäre hundertmal lieber Rad gefahren als zur Arbeit gegangen.

Als ich ins Büro kam, lief Kofis Rechner, er selbst war nicht da. Woran hatte er gearbeitet?

Auf dem Bildschirm erschien ein Comic, als ich die Maus bewegte. Ich setzte mich. Waren das Julias Mangas? Ich schaute mir die Personen an. Die beiden Protagonisten hatten tatsächlich Ähnlichkeit mit Julia und Timo. Und der Bösewicht? Hm, es gab einen Zwerg, der Heckmann ähnlich sah. Ich sah mir die Hintergründe genauer an, erkannte aber keines der Häuser. Ich lehnte mich in Kofis Stuhl zurück. Mein Blick fiel auf seine Schreibtischunterlage.

Eine Mindmap lag neben seinem Mauspad. In der Mitte stand „Harald Heckmann“, umkringelt. Darum herum hatte er verschiedene Äste angeordnet. Autodiebstahl, Schütze, Einbrüche, Motiv stand da zum Beispiel.

Was war das jetzt?

Verdächtigte Kofi den Studienrat? Er konnte kaum auf sich selbst geschossen haben.

„Ich habe alle Infos, die wir über Heckmann haben, mal zusammengetragen. Je länger ich darüber nachgedacht habe, umso mehr spricht für ihn.“ Kofi nahm mir das Blatt aus der Hand und zeigte auf den ersten Ast. Motiv.

Ich hatte nicht gehört, wie er hereingekommen war. Offensichtlich nahm er es mir nicht übel, dass ich mir seine Aufzeichnungen angesehen hatte.

„Nehmen wir an, Heckmann hatte den Diebstahl des Wagens selbst veranlasst.“

„Versicherungsbetrug?“

„Das kann er nicht allein. Er nimmt Kontakt auf, vielleicht über einen ehemaligen Schüler. Die Sache geht schief. Er gerät unter Druck.“

„Wie führt uns das zu dem Überfall auf die Schüler und auf ihn?“

„Nimm mal an, er hat zum Beispiel diesem Lirim aus den Papieren den Wagen versprochen. Der seinerseits hat einen Abnehmer und auch den Abtransport organisiert. Nun verschwindet Timo mit dem Auto, und anschließend ist es nicht mehr zu verkaufen.“

„Verstehe, dann ergeben sich zwei Szenarien. Entweder Lirim will Heckmann unter Druck setzen, oder …“

„Heckmann lässt jemanden auf die Jugendlichen schießen.“

„Erscheint mir überzogen. Außerdem wusste er, dass Timo nicht mehr da war.“

„Das ist eben die Frage. Wusste er, dass er die Schule komplett verlassen hat, oder ging er davon aus, dass er zum Rondell gehen würde, wie es die anderen nach ihm gemacht haben?“

Ich wollte ihn unterbrechen. Er hob einen Zeigefinger und sprach weiter. „Selbst wenn er es wusste, der Schütze wusste es nicht. Wenn Heckmann jemanden beauftragt hatte, blieb ihm keine Chance, den Überfall abzublasen, oder?“

„Trotzdem, zwei Tote wegen eines Wagens?“

„Ich gehe davon aus, dass es keine Verletzten geben sollte. Nur Angst machen.“

„Dann war der Schütze entweder sehr schlecht oder hat sich reingesteigert.“

„Genau.“

„Wie passt der Überfall auf Valentin in dieses Bild?“

Jetzt strahlte Kofi, als habe er eine Diamantenmine in seinem Garten entdeckt. Er zeigte auf einen Stapel Papiere. „Er ist Jahrgangssprecher und hat akribisch Material gesammelt, um Heckmann abzuschießen.“ Er legte ein paar Blätter zur Seite. „Scheinbar haben sie ihm außerhalb der Schule nachspioniert. Dieses Foto zeigt ihn, wie er mit einer Frau ins Haus geht.“

„Ich wusste gar nicht, dass Heckmann verheiratet ist.“

„Ist er nicht. Deshalb kann er eine Freundin haben.“

„Sie ist schlecht zu erkennen. Eine Schülerin?“

„Kann ich nicht sagen. Sieht sehr zierlich aus.“ Er legte die Stirn in Falten. „Das wäre allerdings ein starkes Motiv.“

Irgendetwas nagte an mir. Die Lösung widerstrebte mir. Gut, Heckmann war kein besonders sympathischer Typ, aber ein kaltblütiger Mörder? Ich erschrak. Lag es möglicherweise daran, dass Kofi auf die Idee gekommen war und nicht ich?

Ich beschloss, trotzdem einen Einwand vorzubringen. „Wie passen die Einbrüche dazu? Der Schütze hat definitiv mit dem Gewehr des Försters geschossen.“

Kofi ließ sich auch davon nicht aus der Ruhe bringen. „Unter Umständen ist das unser Denkfehler. Die beiden Fälle hängen nicht unbedingt direkt zusammen. Der Schütze könnte das Gewehr vom Einbrecher gekauft haben.“

Möglich war das.

Heckmann als Täter? Ich spürte ein Kribbeln in mir aufsteigen. Elke hatte es immer das Jagdfieber genannt. „Dann ist mit dir nichts anzufangen, du denkst und sprichst von nichts anderem mehr. Geh und komm nicht wieder nach Hause, bevor du deinen Bösewicht gefasst hast.“

Bevor ich meine nächste Frage formulieren konnte, sagte Kofi: „Ich habe eben in Hildesheim einen Durchsuchungsbeschluss beantragt. Kann sich nur noch um Stunden handeln. Leider besteht keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.“

„Dunkel wird es von allein. Meistens geht es schneller. Schließlich ist heute Freitag.“

Als die Tür aufging, sprangen wir beide auf, doch es war nur Marc. „Mann, seid ihr nervös.“ Er grinste. „Oder erwartet ihr den Pizzaboten?“

„Einen Durchsuchungsbeschluss.“

„Cool, nehmt ihr mich mit? Ich habe auch etwas Feines für euch. Fingerabdrücke.“

„Ganz was Neues. Du und Fingerabdrücke.“

„Auf dem Heckmann-Auto befanden sich die Fingerabdrücke von Valentin Shekovietz und Lars Asmus.“

„Ach, nee. Woher hast du die?“

„Ihr habt mir die Foto-CD gegeben. Ich wollte eigentlich prüfen, ob Timo Fleck die CD oder die Hülle angefasst hat, habe aber nur Stefans und die von den beiden Jungs gefunden, die sie gebracht haben. Hilft euch das weiter?“

„Auf jeden Fall. Das beweist, dass Timo das mit dem Auto nicht allein durchgezogen hat.“

Das gefiel mir auch nicht. Ich hatte die drei beim Titanick-Konzert beobachtet, da waren sie sich nicht einig.

„Hört mal, ihr zwei. Wir müssen nicht hier auf den Beschluss warten. Ich würde gern noch mal ins Krankenhaus fahren und Valentin befragen, falls er inzwischen wach ist. Du könntest Eugenia auf den Zahn fühlen.“

Kofi sah unglücklich aus. „Was machen wir, wenn wir den Beschluss erst am Montag bekommen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Abwarten und ein kühles Blondes trinken?“

Er war damit nicht zufrieden, und ich auch nicht. Wo war mein Jagdfieber hin? Erloschen, weil Marc Infos über Fingerabdrücke lieferte, die meine Theorie, dass Timo Fleck und Sebastian Posner die Täter waren, befeuerte?

Wir mussten unbedingt mit diesem Posner reden. Hatte der auch so ein schwarzes T-Shirt? Handelte es sich gar nicht um eine Band oder nicht nur?

Ich zählte sie an den Fingern ab. Lars, Valentin, Julia, Timo, Gordon, dazu die beiden Ermordeten, Philip und Michelle, sind sieben. Eugenia nicht zu vergessen. Acht. Acht Leute, die über Verwandte, Praktika, Freunde, beim Sportunterricht, in Vereinen und so weiter und so weiter Schlüsselabdrücke sammeln konnten. Sie brauchten nur jemanden, der ihnen aus den Abdrücken echte Schlüssel herstellte. Das würde auch erklären, warum an keinem der Tatorte dieselbe fremde DNA aufgefunden wurde. Es waren acht oder noch mehr verschiedene Täter. Unter Umständen gehörten sie zur Familie oder zum Freundeskreis, sodass ihre Spuren sowieso im Haus waren. Ließ sich das überprüfen?

„Marc, sag mal, könntest du nachsehen, ob bei einem der Einbrüche Spuren von Valentin Shekovietz oder Lars Amus gefunden wurden?“

„Kann ich, klar. Was denkst du?“

„Ich will nur nichts übersehen.“

Wenn es eine derartige Kooperation gab, wie war es zu dem Überfall gekommen? Hatte es Streit beim Verteilen der Beute gegeben? Ging es um das Auto?

Immer wieder dieses blöde Auto. Eins war klar, einen Volvo würde ich mir nie kaufen, ach was, ich würde nicht einmal einen geschenkt nehmen.

Ausweichmanöver
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