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Ich hatte es mir in der hintersten Reihe bequem gemacht, soweit man bei den Bänken von Bierzeltgarnituren von bequem reden konnte. Fast alle Sitzplätze waren belegt, und die Leute strömten immer noch auf den Sportplatz des Campe-Gymnasiums. Der Dirigent stand bereits auf seinem Podium. Vor ihm fanden sich gerade die anderen Musikanten ein. Immer zwei auf einem Podest. Ganz unterschiedliche Metallaufbauten konnte ich erkennen. Nur die Hochöfen an den linken Seiten, die waren bei allen gleich. Als die Opernsängerin in ihrem recht extravaganten Outfit auf die Bühne in der Mitte kletterte, musste ich grinsen. Die passte da hin wie eine Knoblauchzehe auf die Erdbeertorte.

Erstaunt stellte ich fest, wie laut elektrische Entladungen klingen konnten, wenn man es darauf anlegte. Der Rhythmus ging ab, einige klatschten, ich wippte mit dem Fuß.

Ein junger Mann drängte sich an mir vorbei. Er brachte einer Mutter, die mit zwei Kindern ein paar Plätze weiter neben mir saß, ein Kuscheltier, das sie wohl verloren hatte. Der junge Mann trug das T-Shirt, das alle Festivalhelfer anhatten. Trotz der Kappe konnte ich auf den ersten Blick erkennen, dass er slawischer Abstammung war.

Er wirkte unruhig auf mich. Noch während er mit der Frau sprach, schaute er immer wieder zur Hütte mit der Technik. Jetzt sah ich sie auch. Zwei junge Bengels, beide etwa in seinem Alter, schienen sich zu streiten. Wenn ich die Körpersprache richtig interpretierte, war der eine, Käppi-verkehrt-herum-auf, stinksauer, während der zweite, Kamera-vor-dem-Bauch, ihn wohl beruhigen wollte.

Der Slawe eilte zu ihnen, sobald er mit der jungen Frau fertig war. Er breitete die Arme aus, schien beide besänftigen zu wollen.

Aber das ging gründlich schief.

Kamera-vor-dem-Bauch wollte ihn zum Schweigen bringen und stupste ihn an. Käppi-verkehrt-herum-auf schien von dem, was der Slawe gesagt hatte, restlos begeistert. Seine Körpersprache wandelte sich im Nu von niedergeschlagen zu …, ja, eindeutig, zu angriffslustig. Oho, jetzt geht’s gleich zur Sache. Nein, der Slawe hält sie auseinander.

Ich wüsste zu gern, worum es geht. Ich musste grinsen. Wahrscheinlich um ein Mädchen. In dem Alter ging es immer um Mädchen. Oder um Autos. Nee, dazu waren die noch zu jung.

Schade, jetzt hatte ich den Abgang von Käppi-verkehrt-herum-auf verpasst.

Dafür steigerte sich die Gruppe auf den drei Bühnen zu einem lautstarken Finale oder Semifinale? Egal, mir reichte es. Ich würde noch zum Kauffmannsgarten spazieren und dann mal zur After-Show-Party in die Stadthalle gucken.

Status Quo und die Stones waren genau meine Kragenweite, auch wenn nur Coverbands mit ihren Songs auftraten.

Ich musste mir keine Sorgen machen, dass ich den Weg nicht finden würde. Außer mir strömten noch jede Menge Menschen an den großen Teichen hinter der HAWK entlang, die kurze Treppe hinauf, in den Kauffmansgarten hinein. Obwohl es schon ziemlich dunkel war, beeindruckten mich die großen Bäume.

Die Stelle in der Parkanlage, an der die französische Akrobatengruppe auftrat, fand ich sofort. Doch die künstliche Riesenwurzel wurde von so vielen Zuschauern umlagert, dass ich von der Wiese aus, auf der die Bierwagen standen, fast nichts sehen konnte.

Lichter flackerten, Musik vibrierte in der Luft, und gelegentlich wackelte die Spitze der Wurzel.

Schade, die Beschreibung im Programmheft hatte sich interessant angehört. „Ein Spektakel über das Exil, eine Allegorie der Realität der Passage, auf der Grundlage der Werke von Nietzsche, Rilke und Sartre. Zirkus und Theater verschmelzen zu einer Geschichte ohne Worte.“

Ich hatte Rilke gelesen und Sartre, versteht sich, Nietzsche nie, würde ich wohl auch nicht. Eine Allegorie der Realität der Passage? Verschwurfelter ging es kaum. Ob das ein Übersetzungsfehler war? Oder Absicht? Seht her, wir denken uns was dabei. Jedenfalls hätte ich die jungen Franzosen gern gesehen.

Auch egal. Ich beschloss, mir eine Cola zu gönnen. Da sah ich Käppi-verkehrt-herum-auf wieder. Er hielt eine Bierdose in der Hand und redete beschwörend auf einen Rothaarigen ein, der schon deutlich Schlagseite hatte.

Plötzlich fühlte ich es auf meinem Rücken kribbeln. Mir war, als würde ich beobachtet. Ich stützte mich auf dem Wagen ab und scannte die Menschen. Die meisten schauten gebannt auf das Spektakel. Dann bemerkte ich den Mann. Er stand gegen einen Baum gelehnt, hielt einen Motorradhelm in der Hand. Intensiv beobachtete er Käppi-verkehrt-herum-auf und den Rothaarigen. Es wirkte fast so, als wollte er sie zwingen, lauter zu sprechen, damit er sie auch verstehen konnte.

Oder irrte ich mich? Ich bewegte mich ein Stück zur Seite. Der-mit-dem-Helm, deutlich älter als die beiden anderen, rührte sich nicht, starrte noch immer beschwörend auf die Jugendlichen, die, ja, was taten sie eigentlich? Sie heckten etwas aus, das war so sicher wie das Bier nach dem Feuerwehreinsatz. Und genauso sicher war ich mir auch, dass genau das Dem-mit-dem-Helm nicht in den Kram passte.

Wo war Kofi eigentlich? War es weit bis zu diesem Nordparkplatz, wo er abtanzen wollte? Der war hier aufgewachsen. Der kannte die Jungs bestimmt und konnte mir sagen, ob das ernst zu nehmen war oder Kinderkram.

Ich zog das Handy aus der Brusttasche und wählte Kofis Nummer. Es klingelte fünfmal, bevor mir ein netter junger Mann anbot, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen, damit Herr Kayi sich baldmöglichst bei mir melden könne.

Baldmöglichst. Was für ein dämliches Wort.

Die beiden Jüngeren hatten ihr Bier ausgetrunken und gingen davon. Der-mit-dem-Helm folgte ihnen. Eindeutig.

Und was sollte ich tun?

Da sprach mich eine junge Frau auf Französisch an. Sie suchte eine Toilette. Woher sollte ich das wissen? Sah ich aus wie ein Einheimischer oder wie dein Freund und Helfer in Zivil?

Nachdem ich sie abgewimmelt hatte, waren die drei im Dunkel der Parkanlage Kauffmannsgarten verschwunden.

Ausweichmanöver
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