13

„Steck die Kamera weg.“

„Wieso?“

„Willst du Timo ans Messer liefern?“

„Timo?“

Valentin presste die Lippen fest zusammen. „Wer sonst?“

„Spinnst du?“ Lars richtete sich auf, um dem Freund ins Gesicht schauen zu können. „Warum sollte Timo auf uns schießen? Ausgerechnet auf uns?“

„Der Heckmann stand direkt vor mir, als der erste Schuss fiel.“ Valentin lachte trocken. „Der ist gerannt wie ein Karnickel.“

„Genau, er hat sich in Sicherheit gebracht. Das hat der vom Dach aus auch gesehen. Wenn er es auf Heckmann abgesehen hätte“, Lars richtete sich auf, „hätte er die Sechstklässlerinnen da vorn und die Typen aus der 12 auf dem Weg zur Mensa erwischt. Da ist der Heckmann langgerannt.“ Er hielt inne. „Das war nicht Timo. Niemals.“

Valentin schloss die Augen. „Ich hoffe, dass du recht hast. Wer hatte denn sonst noch was gegen den Heckmann?“

„Wer nicht?“

Sie schwiegen beide. Valentin stöhnte, sackte ein wenig zur Seite, richtete sich wieder auf, knirschte mit den Zähnen. Vor Wut? Vor Schmerzen?

Lars sagte: „Ich hole einen Sanitäter, die sollen dir was geben.“

Valentin schüttelte den Kopf. „Erst die anderen.“

Lars war froh, dass er sitzen bleiben konnte.

Später ertappte er sich dabei, dass er blicklos vor sich hin stierte. Den Kopf völlig leer. Unbeteiligt. Dann hörte er Valentins Stimme, ganz leise.

„Philip ist tot, oder?“

Lars wollte das nicht hören, schüttelte den Kopf. Dann tauchte Michelles lebloser Körper in Gordons Armen vor seinem geistigen Auge auf, und er flüsterte: „Michelle auch.“

Valentin begann zu weinen. Seine Schultern zuckten noch, als die beiden Sanitäter ihn zum Notarztwagen führten.

Lars blieb einfach sitzen. Wenn jemand ihn fragte, ob er verletzt war, verneinte er.

Frau Stellmacher kniete sich neben ihn. „Kann ich was für dich tun?“

„Nein, danke. Ich will nur hier sitzen, mir geht’s gut.“

Sie nickte. „Deine Schwester ist in der Turnhalle. Da gibt es Kakao.“

Lars erschrak. Er hatte Nora vergessen. Dabei hatte er seinem Vater versprochen, auf sie aufzupassen. Er stand auf. „Ich gehe zu ihr.“

„Das ist gut.“ Frau Stellmacher rappelte sich auch wieder auf. Lars beachtete nicht, wohin sie ging.

Er beobachtete, dass Heckmann mit einem Mann in einer Lederjacke und einem Schwarzen sprach. Den Schwarzen kannte er. Jeder kannte Kofi Kayi. Musterschüler des Campe. Sensationeller Abi-Durchschnitt, obwohl er als dreijähriger Flüchtling aus Togo gekommen war und kein Wort Deutsch konnte. Sein Foto hing in der Eingangshalle. Auch die Polizeiakademie hatte er mit Bravour durchlaufen, und nun kehrte er ans Campe zurück, um einen verrückt gewordenen Schüler einzufangen.

Nein, keinen Schüler. Nicht Timo.

Ob Kofi so einen wie Heckmann in Mathe gehabt hatte? Dann wüsste er Bescheid. Könnte verstehen? Verstehen? Was denn?

Timo war’s nicht. Punkt.

Aber wer dann?

Er musste mit Timo sprechen. Ihn warnen. Lars zog das Handy aus der Hosentasche.

Die beiden Polizisten kamen auf ihn zu.

Nicht hier.

Er stand auf und ging davon, durchs Hauptgebäude, über den Parkplatz. Verfolgten sie ihn? Er sah niemanden. Schnell über die Straße, auf den Parkplatz vom Supermarkt.

Er wählte Timos Nummer. Nichts.

Er versuchte, Julia zu erreichen. Nur die Bandansage.

Mist. Mist. Mist.

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