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Frau Gambach stand im Ausstellungsraum, sie war ins Gespräch mit einem Pärchen vertieft. Heute in einem cremefarbenen Kostüm und einer Rüschenbluse. Sie zuckte zusammen, als sie mich auf sich zukommen sah, entschuldigte sich bei den Kunden und kam ihrerseits auf mich zu.
„Herr Hauptkommissar, was kann ich für Sie tun? Herr Posner ist heute nicht im Haus.“
„Das macht nichts. Ich wollte zu Ihnen.“
„Einen Moment bitte.“
Sie winkte einem Mitarbeiter, tuschelte mit ihm und wies mir dann den Weg ins Büro.
Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch. „Was möchten Sie wissen?“
„Wie sind Sie an die Rathausschlüssel gekommen?“
Sie schluckte, ihr Mundwinkel zuckte.
Das war alles.
„Ich verstehe nicht.“
„Die Firma Picker-Bau gehört Ihrem Sohn?“
„Meinem Bruder, ich war nie verheiratet.“
„Musste Ihr Bruder auch für die Informationen bezahlen oder haben Sie sich den Gewinn geteilt?“
„Ich verstehe immer noch nicht – oder?“ Sie sah aus, als dächte sie angestrengt nach. Ihr Blick wurde starr, alle Muskeln im Gesicht spannten sich an. „Wollen Sie mir sagen, dass mein Bruder in Betrügereien verwickelt ist?“
„Sie beide, denke ich. Sie besorgen die Schlüssel. Ihr Bruder verwertet die Informationen. Wer bricht in die Häuser ein? Sie höchstpersönlich?“
Sie sprang auf. „Ich werde … das darf doch nicht wahr sein. Ich habe ihm vertraut. Ich habe allen beiden vertraut. Was bin ich für eine blöde Kuh.“
Sie setzte sich wieder, zog ihren Rock glatt.
‚Hübsches Schauspiel‘, dachte ich.
„Mein Vater hat immer gesagt, Matthias taugt nichts. Matthias ist mein jüngerer Bruder. Er sollte den kaufmännischen Teil der Firma übernehmen. Stattdessen hat er die erstbeste Gelegenheit genutzt, eine große Menge Geld abzuheben und ist verschwunden. Ich hatte zu kämpfen, um den Schaden auszugleichen und den Laden voranzubringen.“
„Wann soll das gewesen sein?“
„2001, etwa ein Jahr, bevor mein Vater gestorben ist.“
„Ihr Bruder kam nicht zur Beerdigung?“
Sie lachte höhnisch. „Seinen Erbteil hatte er sich selbst ausgezahlt. Erst vor etwa einem Jahr ist mein Bruder wieder aufgetaucht, abgebrannt, aber fröhlich.“
„Sie haben ihn wieder aufgenommen?“
„Nein, habe ich nicht. Ich habe ihm Geld angeboten, damit er verschwindet.“
„Er hat das Geld genommen und ist nicht verschwunden.“
„Genau, er hat sich bei Picker-Bau eingekauft. Die hatten keine Erben, der Chef war krank. Sie waren froh, überhaupt etwas zu bekommen. Sie freuten sich sogar, dass er die Firma unter dem alten Namen weiterführen wollte.“
„Nehmen wir mal an, ich glaube Ihnen. Wann kommt der Teil mit den Schlüsseln?“
„Schlüssel? Ich weiß nichts von Schlüsseln. Was für Schlüssel?“
„Nachgemachte, gefälschte, Doubletten. Drücken Sie es aus, wie Sie möchten.“
Sie schien mit sich zu ringen. „Sie meinen, hier bei mir im Autohaus werden Schlüssel gefälscht?“
„Schlüssel Ihrer Kunden, ja. Zum Beispiel von Familie Weber. Webers sind Kunden bei Ihnen, erst gestern zur Inspektion gewesen. Bei denen wurde auch eingebrochen, falls man das so nennen kann. Der Täter hatte einen Schlüssel, er musste gar nicht einbrechen. Nur einsacken.“
Sie schwankte. „Ich weiß von nichts, das müssen Sie mir glauben. Es kann nur ein abgekartetes Spiel sein. Nach seiner regulären Arbeitszeit hat Sebastian Posner meinem Bruder gelegentlich Baufahrzeuge repariert. Ich bin mir sicher, da haben die beiden das ausgekocht. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich Sebastian vertraue. Er hat in der Werkstatt Zugang zu allen Bereichen. Kann ich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn mein Mitarbeiter mein Vertrauen missbraucht?“
Das klang wirklich bühnenreif. Immerhin hatte sie sich das Händeringen verkniffen.
„Wenn er für die Toten am Campe verantwortlich ist, sicher.“
Sie wurde bleicher als ihr Kostüm. „Wie meinen Sie das?“
„Die Waffe, mit der der Täter bei dem Überfall auf die Schüler geschossen hat, stammt aus einem dieser dubiosen Einbrüche ohne Einbruchspuren, die wir ja nun erklären können, weil wir wissen, dass in Ihrer Werkstatt die Schlüssel dazu hergestellt wurden. Förster Eggebrecht aus Grünenplan ist Kunde bei Ihnen, oder?“
Sie nickte, ohne mich anzusehen, wahrscheinlich, ohne es zu wissen. So wie sie jetzt aussah, hatte sie damit nicht gerechnet. Sie hatte offensichtlich keine Verbindung gesehen. Ganz bestimmt war sie jedoch nicht halb so ahnungslos wie sie behauptete. „Ich werde jetzt mein Team anrufen. Dann werden wir uns die Werkstatt anschauen. Sie könnten mir die doppelten Schlüssel natürlich auch einfach zeigen.“
Sie fokussierte wieder, hörte auf zu schwanken. „Das kann ich nicht. Ich weiß wirklich nichts davon. Zugegeben, Sebastian wurde in den letzten Monaten stetig unzuverlässiger.“ Sie schob mir seine Personalakte zu. „Sie haben es ja am Freitag erlebt, er war nicht anwesend. Schauen Sie in die Akte, ich habe alle Zeiten, zu denen er außer Haus war, obwohl er hätte hier sein müssen, gemarkert.“
Ich schlug die Akte auf, fuhr mit dem Finger die Daten ab.
„Mittwochmorgen ist er erst nach elf Uhr gekommen?“
„Ja, er hat Gebrauchtwagen angeguckt. Inkognito sozusagen, also privat. Bei Händlern verlangen die Leute tausend Euro zusätzlich.“
„Ist Ihnen nie aufgefallen, dass er zum Zeitpunkt des Überfalls auf die Schule nicht hier war?“
„Nein, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Wer kommt denn auf so etwas. Ich habe ihn am Donnerstag mit einem Blumenstrauß und einer Kondolenzkarte zum Campe-Gymnasium geschickt. Ich wäre doch nie im Leben auf die Idee gekommen, dass er …“ Sie brach ab, fuhr sich mit einer fahrigen Geste durchs Haar.
„Wo ist er jetzt?“, fragte ich.
„Das weiß ich nicht. Am Wochenende ist er oft bei seiner Mutter in Alfeld.“
„Telefonnummer?“
„Steht in der Akte. Ich kenne sie nicht auswendig.“
„Sie sollten beten, dass wir ihn rechtzeitig finden. Wir müssen davon ausgehen, dass er ein Mädchen in seiner Gewalt hat. Haben Sie eine Idee, wo er sie versteckt haben könnte?“
„Er nutzt irgendwo außerhalb Holzmindens eine Scheune oder einen Schuppen. Dort arbeitet er die Oldtimer auf. Ich weiß nicht, wo das ist. Es ist noch nicht einmal sicher, dass seine Mutter die Adresse kennt. Da ist er sehr eigen.“
„Seine Wohnung?“
„Zwei Zimmer, Küche, Bad, habe ich ihm vermittelt, als er hier angefangen hat. Die ist zu hellhörig, da könnte man niemanden verstecken.“
Ich stand auf, ging auf den Hof und veranlasste telefonisch alles Weitere. Kofi war überrascht, wollte erst nicht so recht. Doch als ich ihm sagte, dass ich sozusagen ein Geständnis für die Einbrüche hatte, legte er los.
Ich wartete auf dem Hof, behielt Frau Gambach im Auge. Sie sollte weder verschwinden noch jemanden warnen. Als ihr Telefon klingelte, ging ich wieder nach drinnen. Ihre Hand schwebte über dem Telefon. „Ich soll nicht abnehmen, oder?“
„Besser nicht.“
Draußen fuhren die Kollegen vor.
Nachdem ich sie eingewiesen und ihnen erklärt hatte, wonach wir suchten, hatte ich mich entschieden. Ich würde selbst nach Alfeld fahren. Vielleicht verlief alles ganz unspektakulär. Wir klingelten und verhafteten den Täter, der seiner Mama die Wäsche zum Waschen brachte.
Kofi wollte fahren, weil ich lädiert war. Mir war’s recht.
Wir würden rund fünfundvierzig Minuten bis Alfeld brauchen.