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Sebastian saß auf seinem Bett und beobachtete, wie das Mädchen langsam zu sich kam. Er hatte sie an die Ringe an der Wand gefesselt. Damit sie nicht trampeln konnte, hatte er ihre Beine unter ihren Körper gefaltet und festgebunden. Sie hockte vor der Wand und konnte sich kaum bewegen, hoffte er jedenfalls.

Sie wurde wach, begann gegen den Knebel anzukämpfen, zuerst unbewusst, dann bemerkte sie, dass noch mehr nicht stimmte. Sie bäumte sich auf. Dabei klappte die Windjacke auf, die er ihr angezogen hatte, nachdem er ihr das T-Shirt vom Körper gerissen hatte. Dieses vermaledeite T-Shirt. Er hasste es, konnte seinen Anblick nicht ertragen. Wo hatte er es gelassen?

Bei seinem Zwischenstopp in Hameln hatte er es noch gesehen. Er lächelte, als er sich an Lirims überraschtes Gesicht erinnerte. Frau Gambach hatte gesagt, sausen lassen, also hatte er ihn abserviert, war einfach mit dem SUV zum Treffpunkt gefahren, Fenster runter und puff. Ein wenig ärgerte er sich, dass er sich nicht getraut hatte, in Lirims Karre nachzusehen, ob er die Rohlinge für ihn mitgebracht hatte. Er war einfach davongefahren, ohne sich umzugucken, hatte nur noch die Waffe aus dem Fenster geworfen.

Das Mädchen stöhnte. Jetzt konnte er ihre Brust sehen. Er kroch über das Bett und deckte sie wieder zu. Sie starrte ihn an. Tränen flossen aus ihren Augen. Nun heul doch nicht. Sie zitterte. „Hör auf mit dem Geheule. Dir passiert nichts. Ich will nur die Fotos. Dann kannst du gehen.“

Sie versuchte, etwas zu sagen, es gelang nicht.

„Pass auf, wenn ich dir den Knebel abnehme, hältst du die Fresse, klar? Du antwortest auf meine Fragen, sonst nichts.“ Er begann den Knebel zu lösen. Vorsichtig. Sie bewegte die Lippen, fuhr sich mit der Zunge darüber.

„Ich habe Durst“, krächzte sie.

„Du kriegst was, wenn ich weiß, was ich wissen will.“

Sie sah ihn ängstlich an.

„Wo sind die Fotos? Warum schnüffelt ihr hinter mir her?“

„Haben Sie Valentin verprügelt?“

Er verpasste ihr eine Ohrfeige. „Nur meine Fragen. Wo sind die Fotos?“

„Mir tut alles weh, machen Sie mich los.“

„Wo. Sind. Die. Fotos?“ Jedes Wort eine Ohrfeige. So hatte er es von seinem Vater gelernt. Sein Vater. Nie hatte er gedacht, dass es tatsächlich Frauen gab, die Schläge verdient hatten.

Er erinnerte sich, wie er hinter dem Sofa gehockt und den Vater beobachtet hatte. Wie war das noch? Er war nach Hause gekommen. Mutter hatte das Essen fertig, es schmeckte ihm nicht. Sebastian hatte geglaubt, dass er im Wohnzimmer sicher war. Meistens ging der Alte von der Küche aus direkt ins Bett. Manchmal nahm er die Mutter mit.

Doch diesmal kam er ins Wohnzimmer. Seine Schwester schlief in ihrem Bett. Sebastian rutschte zwischen Sofa und Heizung, hielt sich die Augen zu. Er spürte, dass der Alte sich auf das Sofa fallen ließ. Seine Mutter musste den Fernseher einschalten. Dann hörte er Kleidung rascheln. Seine Mutter jammerte. Was hatte sie gesagt? ‚Nicht hier, nicht vor den Kindern.‘

Sebastian hatte sich nicht getraut, hinzusehen. Doch der Vater war aufgestanden, hatte seine Mutter geschlagen und mit sich zum Sofa zurückgebracht.

Hatte er was von Blasen gesagt? Heute konnte Sebastian die Geräusche einordnen, die er damals gehört hatte. Auch das rhythmische Auf und Ab des Sofas ergab jetzt einen Sinn.

War seine Mutter so eine? Verweigerte sie ihrem Mann seine Rechte? Er spürte Erregung in sich aufsteigen. Oder war es ganz anders? Gefiel ihr das? So wie es ihm gefiel.

Als er sich vorstellte, wie sein Alter seine Mutter zwang, wie sie zwischen seinen Beinen kniete und ihn bediente, während er sein Bier in der Hand hielt und fernsah, wurde er hart. Er fragte sich, ob ihm das auch gefallen würde.

Das Mädchen jammerte schon wieder. Er sah zu ihr herab. Vielleicht sollte er sie behalten. Er streckte eine Hand aus, drückte ihre Brust. Sie schrie auf. Er schlug ihren Kopf gegen die Wand. Sie sackte bewusstlos zusammen. Mist, jetzt musste er warten, bevor er die Informationen bekam, die er brauchte.

Er holte eine Schere und schnitt die Jacke auf, die er mit festgebunden hatte. Viel war ja nicht dran, mehr Brustwarze als alles andere. Er betastete sie ausgiebig. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich einen runterzuholen. Später. Wenn alles erledigt war, konnte er sie losbinden und alles angucken.

Er dachte an diesen Mann, der ein entführtes Mädchen zwanzig Jahre für sich allein gehabt hatte.

Er könnte sie in die Scheune bringen, zu seinen anderen Wertgegenständen. Erst einmal musste er aufräumen, alles andere in Ordnung bringen.

Es war nicht einfach, aber er war auf dem besten Weg.

Zufrieden setzte er sich auf sein Bett und wartete darauf, dass das Mädchen wieder aufwachte.

So hatte er den Schlaf seiner kleinen Schwester bewacht, jede Nacht. Erst wenn der Alte von seinen Unternehmungen nach Hause gekommen und im Schlafzimmer verschwunden war, gestattete er es sich, ebenfalls zu schlafen.

Bis zu jener Nacht, in der die schweren Schritte des Alten nicht ins Schlafzimmer abbogen, sondern den Flur hinunter aufs Wohnzimmer zukamen. Sekunden später stand er vor ihm. „Zieh dich an. Du musst mir helfen.“ Ohne ein weiteres Wort stapfte er wieder zurück. Sebastian beeilte sich, ihm zu gehorchen. Erst auf der Straße fragte er: „Wo gehen wir hin?“

„Mein Kollege ist nicht gekommen, du musst mir helfen, ein paar Sachen abzutransportieren, die ich gekauft habe.“

Sebastian wusste sofort, dass gekauft geklaut bedeutete und dass irgendetwas schiefgegangen war.

Den Kleintransporter, mit dem sie durch die Nacht fuhren, kannte er nicht. Irgendwann schaltete der Alte die Scheinwerfer aus und bog in einen Feldweg ab. Gemeinsam krochen sie durch einen Zaun und schleppten schwere Rollen mit aufgewickelten, fingerdicken Kupferkabeln zu dem Transporter. Erst beim dritten oder vierten Mal tauchte der Mond am Himmel auf und Sebastian sah, dass sie nah an einem Steinbruch entlanggingen. Er erschrak, ein paar Steine lösten sich, kollerten den Abhang hinunter. Er klammerte sich an der Rolle fest, rutschte ab. Der Alte fauchte ihn an, griff nach ihm, zog ihn wieder hoch. Doch Sebastians Gürtel hatte sich an dem Kabel verhakt. Der Alte strauchelte, fiel, knallte mit dem Kopf auf die Rolle und rutschte dann den Abhang hinunter. Eine ganze Lawine Steine donnerte hinterher.

Sebastian blieb nicht eine Zehntelsekunde stehen. Er befreite den Gürtel von dem Kabel und rannte davon, rannte, bis er auf eine Straße kam, erreichte ein Dorf und fand eine Telefonzelle. Eine Stunde später saß er auf dem Bauernhof bei Frau Hellmich und trank Kakao.

Er hatte ihr nie erzählt, dass er mit seinem Vater an diesem Steinbruch war. In seiner Geschichte war er aus dem Haus geschlüpft, nachdem der Alte gekommen war. Dass der noch mal weggegangen war, konnte er nicht wissen. Es hatte ihn auch niemand danach gefragt.

Seine Mutter weinte nur auf dem Begräbnis. Danach nie wieder.

Er dagegen bekam noch monatelang Schweißausbrüche, wenn ein Polizeiwagen an ihm vorbeifuhr oder er auf der Fußgängerzone den Streifen begegnete. Doch er hatte sich vergebens gefürchtet. Niemand verdächtigte ihn. Er war eben clever.

So langsam könnte sie wieder wach werden. Sebastian stand auf und holte einen Topf Wasser. Einen Teil schüttete er ihr über den Kopf. Sie schüttelte sich. Den Rest bot er ihr zum Trinken an, nachdem sie wieder ganz zu sich gekommen war.

Sie weinte unaufhörlich. Das konnte einem auf die Eier gehen. Es wurde Zeit.

„Wo ist die Kamera?“

Sie schluchzte. „Die gehört Lars.“

„Was habt ihr mit den Fotos vorgehabt?“

„Ein Freund von uns soll den Wagen von unserem Lehrer gestohlen haben, wir dachten, dass es in der Werkstatt einen Ersatzschlüssel gibt.“

Genauso hatte er sich das gedacht. Diese kleinen Schnüffler. Er musste sie aufhalten, alle.

„Wer weiß noch von der Sache?“

„Nur Lars.“

„Dieses andere Mädchen, mit dem du im Autohaus warst?“

„Die weiß gar nichts. Die habe ich nur mitgenommen, weil sie diese Jump-Befragung machen sollte.“

Sie sah ihn mit weit aufgerissenen, rehbraunen Augen an.

Konnte er ihr glauben? Er schaute an ihrem hoch gereckten Gesicht herunter, ihren schlanken Hals entlang, zu ihrem Brustkorb, der feucht glänzte. Sie bemerkte seinen Blick, senkte den Kopf und erkannte, dass sie nackt war.

Ihm gefiel die Angst, die in ihren Augen flackerte.

Er stand auf. Band ihr den Knebel wieder um und sagte: „Ich muss was erledigen, geh nicht weg, ich komme bald wieder.“ Er grinste sie höhnisch an, er war so gut.

Zwei Dinge musste er noch erledigen. Die Sachen aus dem Werkstattwagen mussten in die Scheune gebracht und gut versteckt werden. Dann konnte er sich auch eines seiner Lieblingsstücke aus seinem Geheimversteck holen. Die gläsernen Flugspritzen hatten ihn fasziniert.

Eine hatte er auf den Hund von der alten Zicke abgefeuert, die zu faul war, mit ihrem Köter spazieren zu gehen. Sobald sie ihn laufen ließ, tauchte er in der Scheune auf und stand bettelnd und schwanzwedelnd vor Sebastian. Diesmal hatte er ihn mit einer Scheibe Salami weiter in die Scheune gelockt und dann paff. Der Hund hatte einmal gefiept. Als die Wirkung begann, hatte er ihn irgendwie dankbar angeschaut und war umgefallen. Einfach so. Es hatte fast eine Stunde gedauert, bis der Köter wieder aufgewacht war.

Er musste diesen Lars mit seiner Kamera in seine Gewalt bringen. Dann waren alle erledigt, die ihm ins Handwerk pfuschen wollten.

Er betrachtete das Handy des Mädchens.

Wie konnte er Lars am besten in eine Falle locken?

Schnell ging er zurück in sein Schlafzimmer. Sie zuckte zusammen, als er die Tür öffnete. Er hob ihr Kinn an und schoss ein paar Fotos. Lieber kontrollieren. Nicht, dass man auf dem Foto sehen konnte, was er aus dem Fenster sah. Nicht mit ihm. Nur weiße Wand und das Mädchen. Sehr gut.

Ausweichmanöver
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