Kapitel Siebenunddreissig

»Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse.«

5. Mose 30, 15

Lincoln trug die Frau den Vulkan hinunter, Griffin und ich folgten ihm benommen.

Meine Mutter.

»Ist irgendetwas passiert, als du bei Phoenix warst?«, fragte Griffin.

Ich versuchte mich zu erinnern. »Nein, nein … ich weiß nicht. Er hatte mich die meiste Zeit in Schlaf versetzt. Ich erinnere mich daran, dass wir auf dem Boot waren, wir kämpften, dann zwang er mich dazu, die Verbannten zu opfern, und schlug mich bewusstlos. Auf dem Vulkan bin ich dann wieder zu mir gekommen.«

Doch dann wurde mir klar, dass ich nicht einfach so zu mir gekommen war. »Warte! Da war noch etwas. Ich hatte einen Traum, in dem der Engel, der mich gemacht hat, vorkam. Ich … ich bat ihn, uns zu helfen und …« Ich schüttelte den Kopf. »Er nahm meinen Dolch und schmierte mein Blut darauf.« Ich blickte zu Griffin auf. »Dann sagte er zu mir, er hätte uns geholfen.«

»War das der Dolch, den Phoenix in den Vulkan geworfen hat?«

Ich nickte.

»Phoenix war nicht der Einzige, der ein Opfer dargebracht hat. Dein Blut war ebenfalls auf der Klinge.«

Ich sah die Frau in Lincolns Armen an.

Habe ich das getan? Habe ich sie hierher geholt?

»Aber ich … In der Prophezeiung steht, dass nur eine Person zurückgebracht werden kann.«

»Für jemanden mit schrecklichem Verlangen, aber vielleicht war das hier ja etwas anderes?«

Ich fröstelte – plötzlich durchfuhr mich ein Schauer –, und ich merkte, dass ich nicht die Einzige war, der es so ging. Alle schienen etwas wahrgenommen zu haben und wir blickten zu der Landspitze von Santorin hinüber.

Aus dieser Entfernung konnte man nur zwei Gestalten erkennen. Eine davon hatte langes Haar, das fast bis auf den Boden reichte und wild im Wind flatterte. Orange. Nein, golden. Haare wie aus Gold, genau wie Phoenix Haare wie Opale hatte.

Die Frau – meine Mutter – bewegte sich in Lincolns Armen. Ich erstarrte, als ich sah, wie sie die Augen aufschlug. Sie waren anders als meine. Ich hatte Dads Augen. Ihre waren von einem atemberaubenden Blau. Sie blickte in dieselbe Richtung wie wir alle, aber mein Blick war jetzt auf sie geheftet.

»Lilith«, flüsterte sie, bevor sie wieder das Bewusstsein verlor.

»Gott helfe uns«, sagte Griffin, der auf der anderen Seite von mir stand.

Ich ging den Hang hinunter auf Steph zu.

»Willst du nicht bei deiner Mutter bleiben?«, rief mir Griffin nach.

Ich blieb stehen und blickte zurück zu ihnen. »Warum sollte ich das wollen?«

Ich ging weiter, bis ich Steph erreichte, die mich in ihr Boot zog. Dort vergrub ich den Kopf in ihrer Schulter und weinte den ganzen Weg zurück nach Santorin.

Alle gingen ins Hotel zurück, und ich wartete darauf, dass vielleicht eine erlösende Gleichgültigkeit einsetzte, aber alles, was ich empfand, war Zorn.

Steph half mir zusammen mit Salvatore in unser Zimmer, sie weigerte sich, mich aus den Augen zu lassen. Sie hatte bereits unsere Sachen gepackt, aber wir mussten noch duschen und uns umziehen. Die Akademie hatte angeordnet, dass wir alle umgehend die Insel verlassen sollten. Offensichtlich hatte Irin angefangen, Schwierigkeiten zu machen. Er hatte gedroht, uns anzugreifen, wenn wir nicht bis Mitternacht verschwunden wären, was bedeutete, dass wir noch ungefähr zwei Stunden Zeit hatten. Wir konnten natürlich unsere Kräfte dazu einsetzen, ihn zu überwältigen, aber das hätte unvermeidbare Konsequenzen gehabt, über die sich momentan niemand den Kopf zerbrechen wollte.

Ich fing an, das getrocknete Blut und die Asche abzuwaschen. Dank meinem Engel schien ich darunter unversehrt zu sein, ein Gedanke, bei dem ich gleichzeitig lachen und weinen musste. Manche Dinge waren jedoch nicht zu ändern. Ich war hoffnungslos geschwächt. Der Blutverlust würde mir noch Tage zu schaffen machen und ich sah total ausgemergelt aus.

Ich stieg aus der Dusche und betrachtete mich im Spiegel, ich fragte mich, ob es jemals aufhören würde – die Kämpfe, der Schmerz, die Opfer.

Wie konnte mich mein Engel nur bestrafen, indem er sie zurückschickte? Mich, die Person, die ihr so gleichgültig war, dass sie sie in dem Moment, als sie geboren wurde, im Stich ließ.

Und was ist mit allen anderen? Was ist mir der Akademie? Ich hatte keine Ahnung, was sie mit mir vorhatten. Josephine hatte bewiesen, dass das, was sie am Anfang gesagt hatte, der Wahrheit entsprach – ich zweifelte nicht mehr daran, dass sie sämtliche Verbannte vernichten wollte. Sie war nicht korrupt wie Magda, aber das bedeutete nicht, dass sie nicht gefährlich war, dass sie mich nicht von einem Moment auf den anderen erledigen würde.

Was meine Seele anging … Seit ich in Phoenix’ Armen aufgewacht war, hatte sie sich beruhigt. Seitdem war ich wieder in Lincolns Nähe gewesen, doch ich empfand nicht mehr diesen körperlichen Schmerz, wenn er bei mir war. Vielleicht war durch meine körperliche Schwäche auch die Fähigkeit meiner Seele, sich mir zu widersetzen, verringert worden. Woran immer es lag, ich war dankbar für die Atempause.

Ein höfliches Klopfen erklang an der Tür.

»Süße, Lincoln ist gekommen«, sagte Steph. Ich wusste, sie würde ihn bitten zu gehen, wenn ich das wollte.

»Okay«, sagte ich und zog mir rasch eine Jeans und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt über. Steph ging geradewegs ins Badezimmer, machte die Tür hinter sich zu und drehte die Dusche auf, um uns ein wenig Zeit allein miteinander zu geben.

Ich saß auf der Bettkante und versuchte nicht auszusehen, als würde ich mich danach sehnen.

Lincoln saß mir gegenüber.

»Salvatore holt gerade seine Sachen«, sagte er.

Ich nickte

»Ähm … die anderen sind schon dabei, ihre Sachen unten in die Autos zu laden. Griffin hat mit Josephine gesprochen, die Akademie hat zugestimmt, dass du vorerst unter Griffins Leitung bleibst.«

Ich nickte wieder. Mir war das »vorerst« nicht entgangen, aber wenigstens bedeutete das, dass ich jetzt erst mal nach Hause konnte.

»Sie hat gedroht, uns zu trennen«, sagte ich und bemühte mich dabei, meine Wut auf sie und den Rest der Welt zu zügeln.

Lincoln schwieg einen Augenblick, dann erwiderte er: »Das werde ich niemals zulassen.«

Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte befürchtet, er wäre mit dieser Idee einverstanden.

Er stand auf, kam zu mir herüber und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Es geht ihr ganz gut. Sie haben sie gewaschen und sie verliert immer wieder das Bewusstsein, aber sie erwarten, dass sie bald wieder ganz bei sich sein wird.«

Ich nickte.

»Willst du sie sehen?«

Ich schüttelte den Kopf und hielt meinen Blick auf den Teppich geheftet.

»Okay«, sagte er und drückte mir die Schulter. »Ich muss zum Flughafen. Josephine hat darauf bestanden, dass ich das Vergnügen habe, die Abtrünnigen zu verabschieden, weil ich sie auch hergebracht habe. Aber wir sehen uns dann dort.«

Ohne aufzublicken, nickte ich, wortlos. Zu mehr war ich nicht fähig.

Ich nahm vorne Platz, so weit wie möglich von Josephine entfernt. Weil wir so viele waren, war es offenbar schwierig gewesen, an Flugzeuge zu kommen, deshalb hatte sie uns angeboten, den Akademie-Jet zu benutzen, was hieß, dass sie uns nach Hause begleiten würde.

Großartig. Lieber wäre ich geschwommen.

Als wir aus den Taxis stiegen, wartete Spence bereits auf uns. Ich kam mir wie ein Invalide vor, was meine Wut noch steigerte. Aber ich war froh, dass Spence jetzt da war, ich hatte das Gefühl, dass er mich verstand.

Onyx und Dapper saßen nebeneinander, sie hatten bereits etwas zu trinken in der Hand. Dapper lächelte, als er mich sah, Onyx erhob sein Glas.

Steph und Salvatore setzten sich hinter mich und Spence saß auf der anderen Seite des Ganges, damit ich Platz hatte, mich auszustrecken.

Josephine hatte ihre Crew um sich, aber ich merkte, dass sie alle in Gedanken versunken waren und nicht mehr ihre volle Aufmerksamkeit auf Josephine und ihr Wohlbefinden richteten – selbst Hiro und Mia schienen abgelenkt, auch wenn ich vermutete, dass sie augenblicklich handeln würden, wenn einer von uns versuchen würde, sich auf Josephine zu stürzen.

Ich nickte Morgan und Max zu, meinen Lieblingsmitgliedern der Crew, und fühlte mich durch meine Leute getröstet, die hinter mir hereinkamen, jeder von ihnen blieb kurz stehen, um mir die Hand auf die Schulter zu legen. Ich drehte mich nicht um, weil ich Angst davor hatte, in Tränen auszubrechen.

Das ist meine Familie.

Auch wenn ich Dad wirklich schmerzlich vermisste, erleichterte mir dieser Gedanke alles ein wenig. Das heißt, bis ich hörte, wie die Toilettentür aufging. Ich drehte mich um und sah Max, der ihr zu einem Platz hinter Josephine half.

Meine Mutter würdigte mich keines Blickes, nicht dass ich darauf gewartet hätte. Ich versank in meinem Sitz.

Warum zum Teufel ist sie in unserem Flugzeug?

Ich spürte Panik in meiner Kehle aufsteigen. Meine Knie zitterten. Ich schaffte das nicht, hier mit ihr festzusitzen. Mein Blick huschte umher und blieb an der noch offenen Tür hängen. Ich war so nah dran.

Fünf Schritte und ich wäre draußen.

Falls ich fünf Schritte schaffte, ohne umzukippen. Ich biss mir auf die Lippe und dachte über meine Möglichkeiten nach. Spence würde bestimmt mit mir kommen und wir würden ein anderes Flugzeug finden. Aber ich wollte wirklich keine Szene machen und unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen, nur um dann wieder zurück an Bord geschleppt zu werden. Josephine würde das einfach zu sehr genießen. Aber ich konnte nicht hierbleiben, ich konnte das einfach nicht. Nicht mit ihr.

Als ich mich gerade in Bewegung setzen wollte, verdunkelte Lincolns Silhouette den Eingang, und in dem Moment, als ich ihn sah, begann ich am ganzen Körper zu zittern. Er warf einen Blick durch das Flugzeug, dann sah er wieder mich an. An seiner Seite tauchte Griffin auf. Er blickte mich an – ich war ein feiges Häufchen Elend – und legte dann seine Hand auf Lincolns Schulter.

»Ich sitze hinten. Du setzt dich hier vorne hin«, sagte er mit sanfter Stimme, in der mehr lag, als seine Worte aussagten. Er klang beschützend.

Lincoln zögerte nicht, sondern setzte sich neben mich, wobei er mich fast in seinen Schoß zog. Ich hörte, wie Griffin stehen blieb und leise, aber so laut, damit alle um uns herum es hören konnten, sagte: »Niemand betritt dieses Ende des Flugzeugs.«

Zuerst kam ein »Kein Problem, Boss« von Nathan, dann sagte Becca: »Geht klar.« Die stärksten Kämpfer in Hörweite willigten in seinen Befehl ein und sorgten dafür, dass ich wusste, ich war sicher.

Lincoln hielt mich fest und strich mir das Haar zurück, kämmte es mit seinen Fingern hinter meine Ohren, bis das Zittern endlich aufhörte und ich mich in meinem Sitz zurücklehnte.

Als Stimmen aus dem hinteren Teil des Flugzeugs zu mir herübergetragen wurden, bewegte ich mich.

»Ich sehe, du bist wieder wach«, sagte Josephine.

»Ja. Es geht mir immer besser. Schlaf scheint dazu beizutragen, dass ich mich regeneriere«, sagte eine Stimme, die irgendwie vertraut war, obwohl ich sie noch nie gehört hatte.

»Hast du irgendeine Erinnerung an das, was passiert ist?«, fragte Josephine.

Die Sprecherin zögerte, aber dann antwortete sie deutlich. »Nein. Außer dass ich das Gefühl habe, dass einige Zeit vergangen ist.«

»Allerdings. Es ist über siebzehn Jahre her, seit wir das letzte Mal dachten, dass du noch bei uns bist, Evelyn. Von vielen wurdest du schmerzlich vermisst.«

Ich blickte zu Lincoln hinüber und merkte, dass er mich vorsichtig beobachtete. Ich drehte mich zum Fenster, konzentrierte mich aber weiterhin auf das Gespräch – Josephine machte keine Anstalten, es privat zu halten.

»Weißt du, weshalb du hier bist?«, fuhr sie fort.

Evelyn zögerte erneut, bevor sie antwortete, was mein Misstrauen ihr gegenüber noch verstärkte.

Nicht dass ich ihr nicht bereits genug misstrauen würde.

»Ich kann dir nur so viel sagen. Wenn ich hier bin, kannst du davon ausgehen, dass Lilith auch wieder da ist.«

»Hm«, sagte Josephine. »Das ist ganz richtig.«

»Nun!«, fauchte Evelyn. »Wie zur Hölle konntest du das zulassen?«

Ich konnte die Verachtung in Josephines Stimme hören, als sie antwortete. »Ihr erster Sohn, Phoenix, entdeckte eine verlorene Schrift der Verbannten aus Moses Zeiten. Er fand heraus, wie er die Pforten der Hölle öffnen und sie wieder zum Leben erwecken konnte.«

»Moment mal!«, sagte Evelyn. Ich war mir sicher, dass sie jetzt aufgestanden war. Bestimmt waren alle Augen auf sie gerichtet. Alle außer meinen und Lincolns, dessen Blick noch immer auf mich geheftet war. »Phoenix? Nein, das kann nicht sein. Wir haben ihn jahrzehntelang beobachtet. Er hatte nie die Neigung, Lilith nachzueifern, er war mehr Mensch als Verbannter. Bisweilen mächtig und bösartig, ja. Auch habgierig und vereinnahmend, aber insgesamt nicht wahnsinnig. Etwas muss ihn verändert, muss seine dunkle Seite heraufbeschworen haben. Was ist passiert?«

Ich konnte es nicht länger aushalten. Lincoln legte seine Hand auf meine, doch ich schob sie weg und stand auf. Alle Blicke fuhren zu mir herum, alle hielten den Atem an. Evelyns stahlblaue Augen musterten mich, sie spürte die Herausforderung.

»Ich bin passiert. Phoenix ist wegen mir so, wie er ist«, sagte ich und stemmte die Hände in die Hüften, weil ich nicht zeigen wollte, wie schwach ich mich fühlte.

Meine Mutter starrte mich noch intensiver an, machte einen Schritt auf mich zu und warf dabei die Hand nach oben. »Na dann, herzlichen Glückwunsch! Du hast gerade die Hölle auf die Erde gebracht.«

Ich starrte rundheraus zurück. »Oh, glaub mir, das weiß ich.«

Sie zuckte zusammen und kam weiter auf mich zu. Als sie auf der Hälfte angekommen war, standen Nathan und Becca zu beiden Seiten des Gangs auf – eine eindeutige Drohung. Evelyn blieb stehen.

»Lasst mich vorbei.«

Griffin stand ebenfalls auf und sah mich abwartend an. Ich nickte ihm ein wenig zu.

»Lasst sie vorbei«, sagte Griffin.

Nathan und Becca nahmen wieder ihre Plätze ein, blieben aber auf der Kante sitzen und hielten sich bereit.

Evelyn nahm das alles in sich auf und ging ein paar Schritte weiter. Ich erstarrte, weil sie so nah war, und Lincoln stand mit einem Satz auf und stellte sich hinter mich.

»Das ist nah genug«, sagte er.

Evelyn musterte ihn von oben bis unten, um diese neue Bedrohung einzuschätzen. Sie blieb wie verlangt stehen.

»Deine Male?«, fragte sie und bedeutete mir, sie zu zeigen.

Ich streckte meine Arme vor, die innere Seite der Handgelenke nach oben. Sie sah die Narbe, die nach Jordanien nie wieder richtig verheilt war.

Sie schnappte nach Luft. »Wie heißt du?« Ihre Stimme bebte.

Ich gab ihr keine Antwort.

»Violet?«, flüsterte sie.

Aber davon würde ich mich nicht täuschen lassen. Ich stand aufrecht da. Ich hatte Übung darin, alles zu verdrängen. Auch wenn ich zuvor das Bedürfnis gehabt hatte zu fliehen, kannte ich die Regeln.

Ich laufe nicht davon, ich gebe nicht auf, ich glaube nicht an märchenhafte Happy Ends.

Und es half, dass ich einen erstklassigen Kämpfer hinter mir stehen hatte.

»Das ist der Name, den mir meine Mutter gab – bevor sie mich einem Engel übergab, mein Schicksal besiegelte und mich und meinen Dad im Stich ließ.«

Evelyn starrte mich einfach weiterhin an, so intensiv, dass ich Mühe hatte, den Blickkontakt zu halten. Sie sah Lincoln an und danach wieder mich. »Phoenix hat sich in dich verliebt«, sagte sie schließlich.

Ich erstarrte bei ihren Worten, erholte mich aber rasch wieder und drehte ihr den Rücken zu. »Ich schulde dir keine Erklärungen.«

Ich ließ mich wieder in meinen Sitz fallen, weil ich wusste, dass ich keine Energie mehr hatte, und weil ich nicht vor ihr in Ohnmacht fallen wollte. Ich hörte, wie sie wegging. Lincoln blieb noch eine Weile, wo er war, dann setzte er sich wieder neben mich.

Er sagte nichts. Er berührte mich nicht. Er wusste, dass ich damit in diesem Moment nicht hätte umgehen können. Ich drehte mich zum Fenster und tat, als würde ich schlafen, während ich versuchte, die Unmengen von Gedanken zu ignorieren, die mein Gehirn bombardierten und um Aufmerksamkeit kämpften.

Nicht lange danach spürte ich, wie er sich von mir wegbewegte und sich das erste Stechen meiner Seele meldete, mich warnte.

»Lass mich durch.«

»Tut mir leid, Evelyn. Ich bin mir sicher, dass es viel zu besprechen gibt, aber im Moment ist sie erschöpft. Du hast keine Ahnung, was sie durchgemacht hat.« Lincoln blieb die Stimme weg, aber er täuschte darüber hinweg, indem er sich räusperte. »Sie muss sich ausruhen … und du dich auch, könnte ich mir vorstellen.«

»Du bist ihr Partner?«, fragte sie herausfordernd.

»Ja, das bin ich.«

»Du bist von einem Engel der Herrschaften?« Das war eine seltsame Frage.

»Woher weißt du das?«, fragte Lincoln.

»Wenigstens ein paar Dinge wurden richtig gemacht«, murmelte sie. »Ich nehme an, dass du bereit wärst, Gewalt anzuwenden, wenn ich jetzt versuchen würde, an dir vorbeizukommen?«

»Da liegst du ganz richtig«, sagte er, und ich merkte, dass das kein Scherz war.

Meine Seele regte sich wieder.

»Würdest du für sie sterben?«

Ich hörte beinahe auf zu atmen.

Ich konnte seinen Blick auf mir spüren.

»Das tue ich. Jeden Tag.«