Kapitel Dreizehn

»Der gesunde Mensch aber ist nicht notwendigerweise ein Quäler. Meist quält nur der Gequälte.«

C. G. Jung

Auf der Fahrt zurück zum Hades verlor Steph immer wieder kurz das Bewusstsein. Es machte mich nervös, dass wir sie dorthin zurückbrachten, aber wir mussten sie wieder in Ordnung bringen. Meine Wohnung lag zwar näher, stellte aber keine Option dar, weil Dad dort war. Außerdem bestand Dapper darauf, dass wir zu ihm fuhren.

Griffin hielt direkt vor den glänzenden gelben Türen des Clubs an.

»Wo sind Spence und die anderen?«, fragte ich.

»Sie konnten einen der Verbannten beim Café ausschalten, aber Phoenix war zu schnell. Sie beobachten jetzt die Umgebung, nur um sicher zu sein. Nichts wird hier heute Abend in unsere Nähe kommen«, sagte Griffin, während er aus dem Auto kletterte.

Na, das ist doch schon mal was, nehme ich an.

»Steph, bist du wach?«, fragte ich, weil ich ihr keine Angst einjagen wollte. Trotz Phoenix’ Beteuerungen hatte ich keine Ahnung, wie schlimm das alles wirklich für sie gewesen war, aber ich wusste nur allzu gut, wie schrecklich die Nachwirkungen sein konnten. Ich verdrängte die Gedanken daran, weil ich für sie stark sein musste, weil ich ihr geben musste, was immer sie brauchte, um darüber hinwegzukommen.

Sie zuckte mit der Schulter. »Mmh … Geht schon …«

Ich machte die Tür auf. »Ich trage sie hinein«, sagte ich zu den anderen.

Lincoln hielt die Tür auf, wobei er sorgfältig darauf achtete, mich nicht zu berühren. »Ich mache das.«

»Nein, es geht schon. Ich kann das!«, blaffte ich ihn an. Plötzlich spürte ich meine Anspannung, wegen all dem, was geschehen war. Ich hatte so hart daran gearbeitet, in Phoenix’ Gegenwart nicht mehr so verletzlich zu sein, aber nach allem, was passiert war, fühlte ich mich wieder vollkommen ungeschützt. Die Macht, die Phoenix über mich hatte, bereitete mir Übelkeit, aber wenigstens schnitt sie mir nicht ins Herz, bis ich nicht mehr atmen konnte.

Lincoln blickte zu Boden. »Ich weiß, dass du das kannst. Aber es sieht vielleicht ein wenig merkwürdig aus, wenn du sie durch die volle Bar trägst. Wir erregen auch so schon genug Aufmerksamkeit.«

Ich stützte mich mit der Hand am Auto ab und drückte heftig dagegen. Ich war so wütend. Auf ihn, auf Phoenix … auf mich.

Steph bewegte sich. »Vi, es ist okay. Lass ihn mich tragen.« Sie lächelte schwach.

Ich seufzte und trat beiseite. Lincoln sah mich nicht an, er hielt einfach nur den Kopf gesenkt und nahm meine Freundin auf den Arm.

Als wir das Hades betraten, war es dort wie immer sehr voll. Ich zählte im Kopf die Tage und stellte fest, dass Donnerstag war, einer der betriebsamsten Tage des Clubs überhaupt. Wieder einmal machte ich mir Sorgen, es könnte die falsche Entscheidung gewesen sein, hierherzukommen.

Die Leute starrten uns an, als wir mitten durch den Club zur Bar gingen und ausnahmsweise mal nicht auf Diskretion achteten. Ich sah, wie sich jemand rasch aus einer Ecke löste und auf uns zukam.

»Oh nein«, sagte ich zu mir selbst. Die Bodenbretter fühlten sich auf einmal an wie Treibsand, der mich nach unten zog und festhielt.

Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Ich hätte daran denken sollen, aber bei alldem … ich hatte total vergessen, bei Dapper nachzufragen, ob Stephs Bruder heute arbeitete. Er schob sich gerade durch die Menge und rief unsere Namen. Erst Stephs, dann meinen.

»Steph, da kommt Jase auf uns zu. Wir dürfen ihm nicht sagen, was passiert ist. Wir können ihn nicht auch noch mit hineinziehen«, sagte ich eindringlich. All meine Gewissensbisse darüber, dass ich sie mit in diese Welt gebracht hatte, kamen wieder in mir hoch.

Sie sah mich an, dachte kurz nach und nickte dann, auch wenn ihre Augen halb geschlossen waren. »Ich spreche mit ihm.«

Für mehr hatten wir keine Zeit, bevor er durch die Menge brach und direkt vor uns stand. Dapper verschmolz mit dem Hintergrund, offensichtlich wollte er nicht, dass Jase mitbekam, dass er auch darin verwickelt war. Wir waren nicht die Art von Freunden, mit denen sich Dapper brüsten würde.

»Hey, Mann! Was zum Teufel machst du da mit meiner Schwester?«, brüllte er Lincoln an.

Seine Hände waren zu Fäusten geballt, und er sah aus, als würde er gleich zuschlagen. Er warf mir einen schnellen Blick zu.

»Violet. Bist du okay? Was geht hier vor?« Aber er wartete meine Antwort nicht ab. »Gib sie mir!«, sagte er und ging auf Lincoln los, wobei er die Hände unter Steph schob und versuchte, sie von ihm wegzuziehen. Steph wollte nach ihm schlagen, aber das brachte ihn nur dazu, es noch hartnäckiger zu versuchen. Ich konnte verstehen, warum. Sie sah völlig weggetreten aus.

»Jase!«, brüllte ich gegen die Musik an. Sein Kopf fuhr in meine Richtung, sein Blick war wütend.

Ich hätte ihn am liebsten angelächelt, weil ich so stolz auf ihn war, dass er auf diese Weise für seine Schwester eintrat. Aber Schulterklopfen würde uns hier nicht weiterbringen.

»Jase, sie ist okay!«, schrie ich erneut. »Wir bringen sie nach oben.« Dann fiel mir wieder ein, dass Dapper nichts damit zu tun haben wollte. »In die Personalwohnung«, betonte ich und sah Lincoln dabei an. Bestimmt hatte sonst niemand das kleine Nicken bemerkt, mit dem er mich bedachte.

»Ihr bringt sie nirgendwohin!«, schrie Jase. »Gib sie mir!« Er versuchte erneut, sie Lincoln zu entreißen.

Na, dann viel Glück.

Lincoln schob Steph mit einem Ruck ein wenig nach oben. »Sie ist nicht so leicht, wie sie aussieht. Ich habe sie gerade sicher im Arm. Wie wäre es, wenn ich sie nach oben bringe und du kannst ihr dann nach Belieben helfen?«

Aber Jase wollte das nicht dulden, und auch wenn seine Hartnäckigkeit nervig war, empfand ich einen gewissen Stolz.

In dem Moment schaltete sich Griffin ein. Er legte die Hand auf Jase’ Schulter und blickte ihm in die Augen. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Griffins Stärke besteht in der Fähigkeit, Wahrheit zu finden und zu vermitteln. Wenn Wahrheit existierte, konnte er sie in einem Menschen erkennen. Außerdem konnte er Wahrheit voll und ganz an andere Menschen vermitteln.

»Wir helfen ihr. Wir haben ihr nichts getan.«

Ich entdeckte den Schimmer, den leichten Staub von Griffins Kraft, als sie von ihm zu Jase wanderte, dessen Augen sich weiteten und dann sanft wurden, weil er die Wahrheit, die ihm aufgezwungen wurde, nicht bestreiten konnte.

Griffin nickte Lincoln zu, damit er weiterging.

Lincoln ging voraus, stieg die Treppe zu Onyx’ Wohnung hinauf und legte Steph auf die Schlafcouch.

Jase drängte sich hinter ihnen herein und setzte sich neben seine Schwester. Er glaubte vielleicht, dass niemand ihr etwas tun würde, aber er musste mit eigenen Augen sehen, dass sie okay war.

»Steph, was ist passiert?«

Steph tat ihr Bestes. Sie wurde von Minute zu Minute klarer. In einer Stunde oder so würde sie bestimmt wieder ganz die Alte sein. Sie setzte sich in den Kissen auf und bemühte sich, die Augen offen zu halten und zu lächeln.

»Es geht mir gut. Ich fühle mich nur total bescheuert«, sagte sie.

»Wo bist du verletzt?«, fragte Jase und musterte sie von oben bis unten.

»Nur im Gesicht. Ich war in der Bibliothek, und als ich hierherkommen wollte, bin ich die dämliche Treppe runtergefallen.«

»Das kannst du sonst jemandem erzählen!«, sagte er.

»Es stimmt aber«, fuhr Steph fort, völlig ungerührt von der Weigerung ihres Bruders, ihr das abzukaufen. »Es war dunkel und ich bin gestolpert und beim Fallen auf das Geländer geknallt.« Ihre Hand wanderte zu ihrem Gesicht, und sie zuckte ein wenig zusammen. »Die Bibliothekarin kam heraus, um mir zu helfen. Sie gab mir eine Tablette und sagte, ich solle mich entspannen.« Sie täuschte ein sarkastisches Lachen vor.

Eigentlich klang es sehr glaubwürdig. Steph spann ein trickreiches Netz, während wir anderen schwiegen und aufmerksam ihrer Geschichte lauschten, um uns hinterher daran halten zu können.

»Sie gab dir eine Tablette, die dich so fertiggemacht hat? Die Bibliothekarin?«, wiederholte Jase. Er war ziemlich gut darin, völligen Unsinn zu erkennen.

»Ja. Dann kamen Lincoln und sein Freund Griffin vorbei und sahen mich draußen auf den Stufen.«

Jase sah Lincoln an, den er bereits kannte, und dann Griffin, der sich durch Nicken zu erkennen gab.

»Sie riefen Violet an und brachten mich hierher, weil sie wussten, dass du hier sein würdest.«

Und da war er. Der dreifache Rittberger mit Doppelschleife und dem Schwierigkeitsgrad 5.0, den Steph mit einer perfekten Landung abschloss. Genau im Schoß ihres Bruders!

Jase’ harte Fassade bröckelte. Er schluckte schwer – wahrscheinlich eine gehörige Dosis brüderlicher Liebe – und legte ihr die Hand auf die Stirn.

»Schon okay, du Dussel. Ich lasse mich von jemandem vertreten und bringe dich nach Hause.« Er wandte sich an mich. »Danke, dass du sie zu mir gebracht hast, Vi, und ich … Du weißt schon … tut mir leid, dass ich so aggressiv war.« Betreten blickte er zu Boden.

Lincoln rührte sich in der hinteren Ecke, wo er jetzt neben Griffin stand, aber als ich zu ihm hinüberschaute, betrachtete er eingehend den Boden.

Steph fiel wieder in einen leichten Schlummer.

»Schon gut. Ich wusste, du würdest ihr helfen wollen, und ich hielt das für eine bessere Option, als sie einfach nach Hause zu bringen.«

»Ja, man weiß zurzeit nie, ob jemand da ist. Ich nehme an, sie hat dir erzählt, dass Dad eine dauerhafte Auszeit von seinem Job als Elternteil genommen hat?«

Na ja, so direkt hatte sie das nicht gesagt. Ich wusste, dass es nicht gerade rosig aussah und dass ihr Dad viel unterwegs war. Dass ihre Mum gern … unter Leute ging und ein wenig launisch war, wenn es darum ging, ihre Mutterrolle zu erfüllen. Was mich wieder an ihre zornigen Anrufe von gestern Abend erinnerte.

»Sozusagen. Tatsächlich ist das der zweite Grund, weshalb wir zu dir gekommen sind. Weißt du, Steph und ich haben es gestern Abend nicht nach Hause geschafft, wir sind außerhalb der Stadt hängen geblieben – Probleme mit dem Auto.«

Jase zog die Augenbrauen nach oben, sein Blick wurde wieder etwas misstrauischer.

»Ja, ich weiß, wie das klingt, aber es ist wahr. Jedenfalls hat eure Mum meinen Dad angerufen, weil sie sich ziemliche Sorgen gemacht hat. Ich nehme an, sie wird Steph so bald wie möglich sehen wollen.«

Jase sah seine Schwester zweifelnd an. »Wie bald?«

»Wie in: Nach-einer-kalten-Dusche-bald.«

»Na, toll«, sagte er und sah auf die Uhr. »Sie wird denken, ich hätte sie betrunken gemacht oder so etwas, und weiß Gott, was sie über ihr Gesicht sagen wird!«

Ich schaute sie mir noch einmal genau an und schnappte nach Luft. Der blaue Fleck war definitiv kleiner, und die sichtbaren Blutergüsse waren verschwunden. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte … Aber das war unmöglich, niemand konnte sie geheilt haben. Nicht einmal ich konnte jemand anderes – außer Grigori – heilen.

Ich warf Lincoln einen Blick zu. Auch er betrachtete Steph neugierig.

»Ich könnte ein wenig Make-up für sie auftragen«, sagte ich und starrte sie weiterhin an.

»Nee, schon gut. Könnte sich lohnen, Mums Gesichtsausdruck zu sehen«, sagte er mit einem warmen Lächeln. »Irgendwie wünschte ich, ich wäre gestern Abend zu Hause gewesen und hätte mitgekriegt, wie sie an die Decke geht.«

Als ich nichts erwiderte, fügte er rasch hinzu: »Ich war arbeiten, weißt du, nicht … ich bin nach Hause gegangen … Aber eben spät.«

»Ja, klar«, witzelte ich ebenfalls. Doch Jase wurde rot.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Lincoln wieder von einem Fuß auf den anderen trat.

»Glaubst du, du könntest dich um diese kalte Dusche kümmern?«, fragte mich Jase.

»Vielleicht solltest du auch eine nehmen«, sagte Lincoln aus dem Blauen heraus.

Jase wirbelte herum und sandte einen herausfordernden Blick in seine Richtung, was keine so gute Idee war. Lincoln befand sich ohnehin schon im Beschützer-Modus. Ich stand auf.

»Warum geht ihr nicht einfach schon mal nach unten und wir kommen in zehn Minuten nach?«, sagte ich.

»Wirst du nicht jemanden brauchen, der dir helfen wird, sie nach unten zu bringen?«, fragte Jase.

Lincoln unterdrückte tatsächlich ein Lachen.

Was zum Henker ist bloß in ihn gefahren?

»Nein, schon gut. Ich glaube, was immer sie da genommen hat, lässt allmählich nach, und ich würde sagen, dass es ihr nach einer Dusche sehr viel besser geht.« Und selbst wenn nicht, konnte ich sie allein leichter die Treppe hinunterbringen.

Jase schien unschlüssig zu sein. Griffin ging auf die Tür zu. »Los, komm, Jase, sie hat recht. Lass uns nach unten gehen und Dapper suchen. Er ist ein Freund von mir, und ich bin mir sicher, dass er dir für den Rest des Abends freigibt.« Er legte gerade so viel Wahrheit in seine Worte, um Jase zu überzeugen. Lincoln war schon auf dem Weg nach draußen.

Steph schlug die Augen auf, sobald sie hörte, dass die Tür zufiel.

»Du bist wach?«, sagte ich, wobei ich sofort nach einem Weg suchte, wie ich ihr helfen konnte.

Sie klatschte mir auf die Hände. »Ich wusste, es würde einfacher werden, wenn er davon ausgeht, dass ich nicht für weitere Diskussionen zur Verfügung stehe. Wir hatten gestern Abend also Probleme mit dem Auto, was?«

»Ja, ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Dad ist ausgeflippt und deine Mum hat ihn angerufen und wollte wissen, wo wir waren, falls also jemand fragt, wir waren bei einer Freundin von Lincoln in einer Gegend mit schlechtem Handy-Empfang.«

»Alles klar«, sagte sie und versuchte aufzustehen.

Ich half ihr. »Wie fühlst du dich?«

»Von Minute zu Minute besser. Nach einer Dusche werde ich viel frischer sein.«

Ich drehte das Wasser auf und gab ihr die Ersatzkleidung, die ich in meinem Rucksack hatte.

Als Steph aus dem Bad kam, sah sie bedeutend besser aus und der Bluterguss auf ihrer Wange war weiter verblasst.

»Deine blauen Flecken«, sagte ich. »Irgendwie scheinen sie schon zu verheilen.«

»Hast du …?«, setzte Steph an, während sie sich in der Nähe des Auges gegen die Wange drückte.

»Nein.« Ich blickte zu Boden und schämte mich. »Ich habe es mit Onyx versucht, aber ich kann keine Menschen heilen.«

»Oh. Ja, ich glaube, du hast recht. Es fühlt sich eindeutig besser an.«

»Steph, wie schlimm war es?«, fragte ich vorsichtig, weil ich starr vor Angst war vor dem, was sie jetzt vielleicht gleich sagen würde.

»Abgesehen von dem Schlag ins Gesicht ist mir niemand zu nahe gekommen. Alles passierte so schnell. Samuel und Kaitlin hatten gerade noch Zeit, mich ins Schlafzimmer zu bringen, bevor sie da waren. Dapper versuchte, sie an der Tür aufzuhalten – er sagte zu ihnen, dass dies die Neutralitätsvereinbarung beenden würde –, aber sie drangen einfach ein. Ich hörte, wie sie gegen ihn und Onyx kämpften, und einer der Verbannten brüllte die anderen an und sagte, dass sie nicht die Erlaubnis hätten, jemanden zu töten. Dann kamen sie ins Schlafzimmer. Ein südländisch aussehender Verbannter – dunkle Haare und dunkle Augen – stürzte sich auf mich, während sich die anderen über Kaitlin und Samuel hermachten. Er schlug mich, und das ist das Letzte, woran ich mich erinnere, bis ich in Phoenix’ Flugzeug aufwachte.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, doch Steph redete weiter.

»Als ich wieder zu mir kam, konnte ich Phoenix im unteren Teil des Flugzeugs hören. Er brüllte herum.« Sie schluckte. Die Erinnerung daran jagte ihr Angst ein. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er jemanden schlug. Es war seltsam – nach allem, was ich verstehen konnte, musste es wohl der Verbannte gewesen sein, der mich entführt hatte. Phoenix war wütend, weil er mich geschlagen hatte.«

»Du warst sein Druckmittel. Er wollte nicht, dass du verletzt wirst.«

Sie nickte. »Ich dachte mir, dass es in diese Richtung ging. Er wusste, dass der Austausch ein Trick war, oder?«

»Verzeih mir, Steph.« Ich konnte ihr kaum in die Augen blicken.

»Nicht. Es ist nicht deine Schuld, Vi.« Sie umarmte mich, und ich hielt sie so fest, dass sie sich herauswinden musste. »Immer sachte mit uns Menschen«, sagte sie lächelnd.

»Ich hätte dich niemals in all das hineinziehen sollen.«

Steph stand wieder fest auf ihren Füßen. Es ging ihr wirklich viel besser, sie war fast wieder die alte.

»Darüber wird jetzt nicht mehr geredet.« Und damit war die Sache für sie beendet. Vorerst. »Komm jetzt. Big Brother wird nur noch misstrauischer, wenn ich nicht bald nach unten komme.«

Wir machten uns auf den Weg in die Bar. Steph ließ zu, dass ich – für alle Fälle – schützend den Arm um sie legte. Oben an der Treppe blieb sie stehen.

»Hast du sie ihm gegeben?«

»Ja«, sagte ich leise.

»Haben wir die Grigori-Schrift bekommen?«

»Nein.«

»Nun, das ist …«

»Ja.«

»Ich mache mich gleich morgen wieder an die Übersetzung. Ich komme der Sache immer näher, noch ein paar Tage und ich habe etwas.«

Ich sagte nichts mehr. Ich hätte am liebsten mir ihr herumgestritten. Ihr gesagt, dass sie mindestens eine Woche im Bett bleiben sollte. Aber Steph konnte man nicht vorschreiben, was sie tun sollte, und Tatsache war auch, dass wir jetzt mehr denn je diese Übersetzung brauchten, weil etwas auf uns zu kam – etwas Schlimmes –, und Steph war die einzige Hoffnung, die wir hatten. Ein Gedanke, durch den ich mich selbst noch mehr hasste. Dadurch würde es nämlich noch schwieriger werden, sie aus diesem Albtraum herauszuholen, in den ich sie gebracht hatte.