Kapitel Zweiundzwanzig

»Ein Engel kann die Gedanken und den Verstand eines Menschen erhellen, indem er seine Kraft zu sehen stärkt …«

Thomas von Aquin

Ich ging die Wendeltreppe hinunter und hoffte, dass ich nicht stolpern und einen peinlichen Sturz hinlegen würde. Ich machte mir wirklich nicht viel daraus, so aufgedonnert auszusehen. Nicht so viel wie Steph jedenfalls. Aber jetzt, wo es so war, wollte ich keinen totalen Idioten aus mir machen. Ich meine, wie oft werde ich schon noch die Gelegenheit bekommen, ein solches Kleid zu tragen?

Als ich schon halb die Treppe unten war, spürte ich die Veränderung. »Oh nein«, jammerte ich. »Nicht jetzt.« Ich legte eine Hand auf das Geländer, um Halt zu finden, während die Schwerkraft ihren Griff um die Welt lockerte und sich etwas anderes, etwas, was nicht da sein sollte, um mich herum bewegte. Das letzte Mal, als ihr Reich unseres berührte, waren wir in Jordanien gewesen, deshalb war es auch nicht so seltsam gewesen, dass wir von Sand umweht waren. Doch auf Santorin, einer Vulkaninsel, war es schlicht und ergreifend beunruhigend, Wüstensand auf sich zuwehen zu sehen.

Ich versuchte, eine Stufe zurück nach oben zu gehen, aber meine Beine waren wie beim letzten Mal wie einzementiert. Ich holte tief Luft und konzentrierte mich darauf, meine Schutzbarrieren wieder aufzurichten. Ich konnte nicht so schutzlos dastehen, wenn Nox oder auch Uri auftauchten.

Nach und nach, wie wenn ein eingeschlafener Körperteil wieder zum Leben erwacht, spürte ich, wie meine Nerven anfingen zu prickeln. Mit den Zehen zu wackeln tat gut, aber es reichte nicht. Ich konzentrierte mich weiterhin, meine Hände glitten wieder am Geländer entlang, und ich schaffte es, diesen einen Schritt zurück nach oben zu machen.

Okay. Es gibt Bewegung!

Der Sand wurde hereingeweht und regnete auf die Stufen. Ein paar Sandkörner fielen auf meine Hand. Ich versuchte, über unsere Verbindung nach Lincoln zu greifen, hatte den Gedanken jedoch kaum zu Ende gedacht, als jemand anderes vor mir stand.

»Uri?«, fragte ich. Ich war mir relativ sicher, aber es verwirrte mich jedes Mal ein wenig, wenn ich einen meiner Engel-Führer sah. Uri war ein auserkorener Engel. Er sah zerzaust und schmutzig aus – allerdings nicht auf die Art, wie ein armer, aber herzensguter Kerl. Nein, er sah immer aus, als würde er gerade von der weltgrößten Sauftour zurückkommen. Sandiges wirres blondes Haar rahmte sein Gesicht ein, er trug ein weißes Hemd, das oben nicht zugeknöpft war und unten lose aus der Hose hing, eine schwarze Hose, die aussah, als sollte sie mal wieder gewaschen werden und … keine Schuhe. Das Sahnehäubchen bildete der Dreitagebart.

Ich starrte ihn an. Irgendetwas hatte er an sich. Ich war mir nicht sicher, was es war, aber ich war in seiner Gegenwart in vielerlei Hinsicht beunruhigter als in Nox’ Gegenwart.

Nox war einfach. Seine Motive waren falsch, er wollte das Falsche, er selbst war falsch. Uri … Uri war etwas anderes, aber etwas, das alles in allem viel Furcht einflößender war.

Er beobachtete, wie ich ihn beobachtete, und ich merkte, dass er sich seine eigenen Gedanken machte. Der angewiderte Blick war unverkennbar, aber ich hatte gelernt, damit umzugehen. Engel, die nicht dieses Leben gewählt haben, sind zwar einerseits von der Menschheit fasziniert, andererseits betrachten sie uns aber als niedrigere Wesen – es war fast, als wollten sie uns nicht zu nahe kommen, für den Fall, dass das Menschsein ansteckend sein könnte.

»Guten Abend, Violet«, sagte Uri mit trockener Stimme.

Ich richtete mich auf und streckte meine Hand aus, damit er sie schüttelte.

Er bekam große Augen und ich musste unwillkürlich lächeln. Zwei Punkte für mich. Erstens wusste ich, dass er nicht unbedingt erpicht darauf war, mich zu berühren – aber zur Hölle damit, er hatte mich auch einmal dazu gebracht, seine Hand zu schütteln, deshalb war das nur fair – und zweitens hatte ich ihm gezeigt, dass ich stark genug war, mich zu bewegen.

Volltreffer. Weiter so.

Er bewegte sich vorwärts, kam die eine Stufe zu mir nach oben, während ich eine Stufe nach unten ging. Dieses Mal behielt er einen neutralen Gesichtsausdruck bei.

Ihm die Hand zu geben war, als würde man etwas Unnatürliches anfassen – ich konnte es kaum begreifen. Sein Griff war fest – sehr männlich –, aber seine Haut war so weich wie die eines neugeborenen Babys. Diese beiden Wahrnehmungen – Stärke und Unschuld – passten eigentlich nicht zusammen. Und da war noch etwas anderes – ein Funken, der zwischen uns knisterte.

Bei diesem Gefühl zuckte ich zusammen. Uris Hand hielt mich fest und er hob amüsiert den Blick. »Erst berührst du den Menschen, dann den Geist, dann … den Engel.«

Ich wollte gerade fragen, was das bedeutete, doch dann ließ sein Gesicht diesen minimalen Ausdruck einfach los und wurde leer. Das hatte er schon einmal getan, und der Engel, der mich gemacht hatte, ebenfalls. Er hielt noch immer meine Hand, war noch immer da, und doch irgendwie … nicht.

Kein Knistern. Nicht einmal ein Schnappen oder ein Knallen.

Und es fühlte sich seltsam vertraut an.

»Du siehst … anders aus«, sagte er plötzlich und wich, sobald ich seine Hand losließ, schockiert zurück. Es dauerte nur fünf oder sechs Sekunden, aber er war definitiv vorübergehend woanders gewesen und war ebenso schnell wieder zurückgekehrt.

Ich zuckte mit den Achseln und bemühte mich, meine Stimme wieder zu finden. »Das war nicht meine Entscheidung, aber ich kann nicht klagen.«

»Offensichtlich«, sagte er, aber es klang, als verurteilte er mich.

Was soll’s.

Er sah mich an, als hätte er meine Gedanken gelesen, eine seiner Augenbrauen zuckte ein wenig. Natürlich, mehr hatte ich von Uri auch kaum einmal zu sehen bekommen. Anders als Nox lächelte er nicht viel.

»Du fürchtest dich nicht so sehr vor mir, wie du solltest«, sagte er. In seiner Feststellung lag eine Frage.

Verdammte Engel – verbannt oder nicht, Licht oder Finsternis –, sie waren Kreaturen des Stolzes.

»Wenn ich mich die ganze Zeit vor den Dingen fürchten würde, vor denen ich Angst haben sollte, würde ich nie aufhören zu schreien.«

Uri neigte den Kopf. »Das stimmt.«

Oh, wie tröstlich.

»Was willst du hier, Uri? Wird das ein weiteres Du musst aufgeben‹-Gespräch? Ich habe es nämlich ein wenig eilig.« Nicht dass das eine Rolle spielen würde – im Moment hielt er ohnehin die Zeit an. Ich blickte an ihm vorbei zu Lincoln, der neben der schwarzen Limousine stand. Er hatte eine Hand auf das Dach des Wagens gelegt, die Augen geschlossen und den Kopf geneigt, als würde er beten. Er sah aus, als wäre er in einem qualvollen Zustand gefangen. Ein weiterer aufbauender Gedanke.

»Ich glaube, du wirst gleich einen der Gefallenen sehen.«

Er »glaubte« nicht. Er wusste. Engel wussten immer. Ich nickte.

»Er wird der Hüter genannt. Das ist alles, was ich weiß. Ich muss ihn dafür bezahlen, dass wir hierbleiben können. Offenbar würde es mehr schaden als nutzen, wenn wir ihn zurückschicken würden.«

»Vielleicht«, sagte Uri. »Aber du tust gut daran, die Augen offen zu halten.«

»Was soll das heißen?« Er ermahnte mich damit nicht nur, aufzupassen.

»Der Hüter ist ein Sammler. Er besitzt viele Dinge, die nicht für diese Welt gedacht waren. Doch bei einigen wäre es … angemessener, wenn sie in den richtigen Händen wären.«

»Okay …« Ich stemmte die Hand auf die Hüften. »Aber du wirst es mir schon genauer sagen müssen. Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte ich und empfand wieder die Frustration, die ich immer spürte, wenn ich mich mit diesen jenseitigen Wesen unterhielt, die so viel zu wissen und so viel unter ihrer Kontrolle zu haben schienen und es trotzdem einfach nicht begriffen. »Wenn du helfen möchtest, Uri, dann hilf!«

Sein Interesse an mir wuchs, weshalb ich mich beruhigen und meine Wut vor ihm verstecken wollte.

»Es ist nicht an uns zu handeln. Auch haben wir nicht notwendigerweise den Wunsch zu … helfen, wie du es ausdrückst. Mit dir bewegen wir uns ohnehin schon auf einem schmalen Grat.«

Ich wollte ihn gerade anfahren, hielt dann aber die Luft an, als ich sah, dass sich hinter ihm etwas bewegte. Es war wie damals in Jordanien, als ich Nox gesehen hatte. Etwas … Lebendiges.

»Was … Was sind das für Dinge?«, fragte ich und unterdrückte ein Schaudern.

»Spiegelungen«, sagte er nach einer Pause.

»Das verstehe ich nicht.«

»Nein.«

Dass ich wütend war, wäre noch untertrieben. Ich hasste die Art und Weise, wie das lief – keine Antworten, wenn ich sie brauchte, nur wenn sie es für angebracht hielten. Wer zum Teufel hatte ihnen so viel Kontrolle gegeben?

»Läuft das jetzt wie letztes Mal? Du hast eine Nachricht für mich und eine von Nox oder so?«

»Nox vertraut mir seine Nachrichten nicht an«, sagte er mit Bitterkeit in der Stimme.

Ich konnte sie nicht verstehen. Einerseits verstanden sie sich, andererseits verachteten sie sich gegenseitig.

»Seid ihr beiden wirklich Brüder?«, fragte ich, ich konnte mich einfach nicht beherrschen.

»Sehen wir aus wie Brüder?«

»Ich seht aus wie Zwillinge, genau gleich«, sagte ich.

»Dann sind wir gleich.«

Ich wusste nicht, warum ich überhaupt gefragt hatte. »Sag einfach, was du mir sagen willst«, sagte ich und verschränkte die Arme.

»Das habe ich schon.«

»Das war es? Bestimmt kannst du mir noch etwas geben, womit ich arbeiten kann. Du weißt schon, was hier vor sich geht, oder? Phoenix will Lilith zurückholen.« Und ich weiß nicht, warum, aber in diesem Moment war ich mir ziemlich sicher, dass es ihm auch gelingen würde.

»Prüfungen werden kommen und Prüfungen gehen. Diejenigen, die noch stehen, müssen sich entfalten. So ist der Lauf des Universums.«

»Noch mehr Prüfungen? Und du sollst gut sein, ein Engel des Lichts?«, fauchte ich ihn an.

»Mädchen, das ganze Dasein ist eine Prüfung. Manche werden einfach nur offensichtlicher auf die Probe gestellt. Außerdem habe ich mir diesen Titel nicht selbst verliehen. Ich bin ein auserkorener Engel. Die Menschen haben beschlossen, dass die Auserkorenen vom Licht sein müssen, die Bösartigen von der Finsternis. Aber ihr habt uns ja auch Flügel und Heiligenscheine gegeben.« Uri blickte über seine Schulter zu Lincoln, und ich hatte das Bedürfnis, ihn abzulenken – um Lincoln, zu schützen. Ich machte einen Schritt auf Uri zu.

»Nicht. Lass ihn in Ruhe.«

»Und was glaubst du, könnte ich ihm antun, was ihm nicht ohnehin schon angetan wurde?«

Damit wandte er sich wieder mir zu. Jetzt waren wir uns nah, zu nah.

»Ist alles schon entschieden?«, fragte ich. Bei dem Gedanken daran bebte meine Stimme. Ich musste es wissen.

»Du hast wie immer zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Es bleibt dir überlassen, frei zu entscheiden. Du hast jedoch gewisse, fest eingebettete Neigungen, deshalb ist dein Weg nicht so leicht zu ändern. Aber es gibt Leute, die etwas anderes glauben und entschlossen sind.«

»Wie kann ich Phoenix aufhalten?«

»Das kannst du nicht. Er kann sich nur selbst aufhalten. Er muss wählen, genau wie du. Die richtige Wahl ist ihm bisher nur noch nicht begegnet.«

»Wird das noch geschehen?«, fragte ich und nahm einen winzigen Funken Hoffnung wahr.

Sein Kopf neigte sich zur Seite, ein Finger zuckte. An einer normalen Person würde ich so winzige Bewegungen gar nicht bemerken, aber Uri war keine normale Person und er bewegte sich überhaupt nicht, es sei denn, er wurde dazu veranlasst. Etwas an meiner Reaktion faszinierte ihn. Rasch machte ich meinen Kopf leer und meine Miene ausdruckslos, was ihn nur noch mehr fesselte. Er zog ganz leicht die Mundwinkel nach oben.

»Such nach etwas Altem, was nicht unbedingt das Auge verlockt, aber den Engel in dir betört. Auf Wiedersehen, Violet.«

Ich schluckte. Die Fragestunde war vorbei.

»Auf Wiedersehen, Uri«, sagte ich. Mein Blick glitt wieder zu seiner Umgebung, und ich spürte den Drang, die Hand auszustrecken, sie zu berühren – nein, mehr. Diese schwebenden Dinge hinter ihm und sogar die Schatten, die darunter zu schweben schienen, waren so lebensecht und verstörend schön, wie sie so in unnatürlich hellem Licht schimmerten. Ich fragte mich, ob es Engel waren, vielleicht in ihrer wahren Form. Was immer es war, in mir erwachte ein Beschützerinstinkt ihnen gegenüber und der Wunsch, ihnen nah zu sein. Ich fühlte mich zu ihnen hingezogen.

Uri wandte seinen neugierigen Blick von mir ab, Sand wurde um ihn herum aufgewirbelt. Auch wenn es faszinierend war, war es nicht dramatisch, es musste einfach so sein. Ich spürte die Veränderung, als die normale Schwerkraft zurückkehrte, und mein Magen machte einen Sprung wegen all dem Unnatürlichem an dem, was eben passiert war. Warum war ich die Einzige, die diese Dinge sehen konnte? Doch dann öffnete ich meine fest zur Faust geballte Hand und starrte auf die Sandkörner hinunter, die dort zurückgeblieben waren.

Nun, das war neu.

Langsam ging ich die übrigen Stufen hinunter und versuchte dabei, meine Bewegungen wieder anzupassen und meine Atmung zu verlangsamen. Uris gesamter Auftritt hatte mich nervös gemacht. Er war sicherlich eine unerwünschte Überraschung, doch auch wenn er mich nervöser machte als Nox, so vermittelte er mir wenigstens nicht das Gefühl, er wollte mich umgarnen.

Als ich Lincoln erreichte, hielt er die Wagentür für mich auf und blickte zu Boden. Ich konnte seine Kraft spüren, die seidigen Honigaromen, die sich um ihn herum verdichteten. Für ihn hatte sich nichts verändert – er hatte das Gespräch mit Uri nicht mitbekommen, Raum und Zeit waren für ihn wie für alle anderen stehen geblieben.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich, als ich auf den Rücksitz glitt. Obwohl ich das alles wusste, sah er anders aus und wirkte ebenfalls außer Atem.

»Und bei dir?«, erwiderte er. Seine Stimme zitterte. »Ich hätte schwören können, ich konnte … Hast du gerade deine Kraft verwendet oder … ich glaube, ich hatte eine Art Déjà-vu.«

Er hat es auch gespürt.

Als ich versucht hatte, ihn über unsere Verbindung zu erreichen, hatte er etwas gemerkt. Ich biss mir auf die Lippe und dachte darüber nach, ob ich ihm alles erzählen sollte. Aber im Moment wusste ich nicht, ob er mir glauben würde. Die Grenze zwischen den Reichen zu überschreiten war nicht normal für Grigori und ich hatte niemandem von meiner Begegnung mit Nox in Jordanien erzählt. Damals schien es nicht notwendig zu sein, dass ich es geheim halte, aber seitdem war so viel passiert, dass ich mich allmählich gefragt hatte, ob ich mir das Ganze nicht einfach eingebildet hatte. Jetzt … Na ja, es kam mir vor, als wäre ich eine Art Radar geworden für alles, was verkehrt und sonderbar war. Die Leute sahen mich schon seltsam an. Ich wollte nicht, dass Lincoln einer von ihnen wurde.

Bevor ich wusste, was ich tat, kamen die Worte auch schon heraus. »Alles bestens.«

Er nickte, er hielt noch immer die Tür auf, und noch immer sah er mich nicht an. Ich war mir sicher, er wusste, dass ich log.

»Max sitzt hinten bei dir. Ich sitze vorne.«

»Oh. Klar.«

Ich ließ mich in meinen Sitz sinken und redete mir ein, dass es so besser wäre. Erinnerte mich selbst daran, dass alle Fortschritte im gleichmäßigen Atmen verfliegen würden, wenn er sich – so wie er heute aussah – neben mich setzen würde. Atmen stellte mit diesem eng anliegenden Oberteil ohnehin schon eine Herausforderung dar. Dennoch, der Knoten in meinem Magen – der nichts damit zu tun hatte, eine Grigori zu sein oder gute Entscheidungen zu treffen, sondern ausschließlich damit, dass ich ein Teenager war – dieser Knoten zog sich noch weiter zusammen.

»Du bist Morgans Partner, nicht wahr?«, fragte ich den perfekt gestylten, schwarz gekleideten Kerl, der neben mir saß.

»Ja, ich bin Maximilian«, sagte er. »Oder einfach Max«, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu.

Wow, noch ein Ninja, der fast normal ist.

»Hast du den Wagen organisiert?«, fragte ich, weil ich die gespannte Stimmung durchbrechen wollte.

Die Limousine war eine beträchtliche Verbesserung gegenüber den vorherigen Taxis – nicht gerade eine Luxuslimousine, aber groß und schwarz und mit einem Chauffeur im Anzug ausgestattet.

Max räusperte sich. »Nein. Der Wagen wurde als eine kleine Aufmerksamkeit vom Hüter geschickt.«

»Oh«, sagte ich, und mir wurde klar, dass ich wahrscheinlich besser keine weiteren Fragen mehr stellte, solange der Chauffeur des Hüters zuhörte. Ich sah ihn mir noch einmal an, und meine Neugier wuchs, vor allem weil … er ein Mensch war.

Die Fahrt dauerte Gott sei Dank nicht lange. Santorin war eine relativ kleine Insel und wir hatten sie wahrscheinlich halb durchquert, als das Auto schon bald vor etwas anhielt, was dem hellen, wandernden Licht nach, das ich beim Herfahren beobachtet hatte, ein Leuchtturm sein musste.

Wir stiegen alle aus, und Max bot mir seinen Arm an, damit ich mit meinen extrem hohen Absätzen auf dem Kies nicht das Gleichgewicht verlor. Er begleitete mich bis zur Tür, Lincoln kam ein paar Schritte hinter uns.

»Wo sind wir?«, fragte ich und drängte nervös die Kraft zurück, die dieser Ort ausströmte.

»Am Leuchtturm von Akrotiri, am unteren Ende Santorins. Ich werde draußen beim Auto warten«, sagte Max, als er am Fuß der Stufen stehen blieb, die zur Eingangstür führten. »Weiter darf ich nicht mitkommen.«

Er ging zurück zum Auto, neben dem noch immer der Chauffeur stand. Es war irritierend, dass sich auch der Fahrer dem Leuchtturm nicht weiter nähern wollte.

Lincoln war so leise an mich herangetreten, dass ich bei seinen Worten erschrak.

»Bist du bereit? Wir können immer noch gehen, wenn du willst.« In seiner Stimme lag etwas Hoffnungsvolles.

Aber ich musste da hineingehen und diesem Verbannten den Schmuck übergeben. Josephine sagte, das wäre alles.

Wie schlimm konnte das schon werden?

Ja, klar! Vereinbarungen mit Verbannten beruhen immer auf Ehrlichkeit! Und Josephine kann man bestimmt vertrauen.

Eine Welle der Übelkeit schwappte über mich hinweg.

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

Trotz meines tiefen Bedürfnisses, nichts von dem zu glauben, was aus Josephines Mund kam, hatte sie mit einer Sache recht – Phoenix war inzwischen mit Sicherheit unterwegs, und dies könnte unsere einzige Hoffnung sein, auf dieser Insel zu bleiben.

Zeig ihm einfach den Schmuck und überlass ihn ihm.

Das würde ich hinkriegen.

Bevor Lincoln, dessen Gesichtsausdruck noch immer besorgt war, die Gelegenheit hatte, noch etwas zu sagen, streckte ich die Hand aus und klopfte an die Tür.