Die guten Ratschläge der anderen

»Das Leben geht weiter.« Diesen Satz bekommt fast jeder Mensch in einer tiefen Lebenskrise von irgendeiner Seite zu hören. Es ist ein Satz, der vollkommen richtig und vollkommen falsch zugleich ist: Das Leben der andern und das Leben an sich geht natürlich weiter, es fahren weiter Straßenbahnen und Grashalme wachsen. Doch das Leben im persönlichen Sinne, mein Leben, geht nach einem schweren Verlust – und welcher Verlust könnte schwerer zu verkraften sein als der Tod eines geliebten Menschen? – nicht so weiter. Es hält an, und wenn es dann wieder weitergeht, ist es ein anderes Leben.

Die Schriftstellerin Sibylle Berg drückte das in ihrer Spiegel-Kolumne im März 2011 sehr treffend aus: »Wie kann man weitermachen, wenn man merkt, wie schnell alles vorbei ist? Wenn der Tod den Menschen nimmt, den man liebt? … Wenn der geliebte Mensch nicht mehr da ist? Ich habe keine Ahnung, wie man mit der Trauer weiterleben kann, und warum man es sollte. Und noch ein Jahr herumbringen, mit dem Füllen des Kühlschranks, dem Warten auf den Feierabend, dem Sonntag, der leer ist … und noch ein Jahr, und alt werden daran, wie das gehen soll, ich weiß es nicht.«

Der Tod eines Menschen, mit dem man tief verbunden ist, beendet unwiederbringlich einen Teil der Existenz. Es wird nicht mehr so sein, wie es vorher war, das Leben.

Es gibt keine Therapie gegen dieses Gefühl, die so richtig wäre wie die Penicillin-Behandlung bei einer Mittelohrentzündung. Es gibt Anteilnahme, und es gibt den Trost, den es bedeutet, wenn jemand zuhört. Ohne Ratschläge, ohne: »Ich an deiner Stelle …«, ohne die Versicherung des Gegenüber, er wisse, was in einem selbst vorgeht. Etwas gemeinsam aushalten anstatt davonzulaufen ist keine leichte Übung in einer Zeit, in der es für alles eine Lösung, ein Medikament oder einen Experten zu geben scheint. Es ist nicht einfach, zuzugeben, dass man ratlos ist.

Jeder weiß, wie verbreitet Ermunterungen von professioneller wie von privater Seite sind, wenn wir ein Problem haben. Niemand wird dabei absichtlich Worte wählen, die uns verletzen. Aber es sind trotzdem oft die falschen Worte, die gewählt werden. Sie fallen zur falschen Zeit und sie fallen aus falschen Vorstellungen darüber, was Trauer bedeutet. Vor allem, was sie im Einzelfall bedeutet. Trauer ist nicht einfach nur »schwarz«, Trauer hat so viele Farben wie es Menschen gibt und wie das Leben selbst. Das anzuerkennen wäre ein erster Schritt, um Trauernden echten Trost geben zu können, anstatt sie in ihrer Einsamkeit und Verlorenheit zu isolieren. Jeder Mensch trauert anders und wird anders mit Verlusten umgehen. Trauernde brauchen keine Anleitungen und keine Rat-»Schläge«, die leider oft mehr als Schlag denn als Rat empfunden werden. Sie brauchen Respekt, Zuwendung und die Bereitschaft, sich auf ihre individuelle Situation einzulassen. Sie brauchen jemanden, der einen Raum schafft, in dem sie sich aufgehoben fühlen und ihren Gefühlen freien Lauf lassen können.

Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur
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