35

Als sie vor der Hütte standen, um sich die Stiefel auszuziehen, war Beth verlegen. Ihr Kuss auf dem Hügel war spontan passiert und hatte sich rein und richtig angefühlt. Aber jetzt, wo sie in die Hütte gingen, war sie sich bewusst, dass sie entscheiden musste, ob sie den nächsten Schritt wirklich tun sollten. Sie wollte es, aber sie war nicht sicher, ob es weise war.

Jack war ihr bester und engster Freund, der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der sie wirklich kannte. Diese Freundschaft wollte sie nicht aufs Spiel setzen.

»Hast du Angst?«, fragte Jack, als sie die Hütte betraten.

»Nein«, log sie.

»Also ich schon«, gestand er, küsste sie auf die Nase, während er ihr den Hut auszog, und fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. »Aber ich träume ja auch davon, mit dir zu schlafen, seit ich dich das erste Mal getroffen habe.«

»Wirklich?«

»Ja, wirklich. Wenn du meine Gedanken hättest lesen können, dann wärst du manchmal rot geworden.«

»Du willst mich aufziehen?«

»Nein«, sagte er und knöpfte ihren Mantel auf. »Die Träume von dir haben mich in so mancher kalten Nacht warm gehalten.«

Er ließ ihren Mantel zu Boden fallen, zog sie in seine Arme und küsste sie erneut. Als seine Zunge über ihre strich, spürte Beth, wie das Verlangen in ihr übermächtig wurde, und sie wusste, dass sie verloren war und nicht mehr zurückkonnte.

Ohne ihren Kuss zu unterbrechen, gelang es ihm, ihr die Kleider bis auf ihr Hemd auszuziehen, dann legte er sie aufs Bett und kniete sich daneben, um ihr die Strümpfe abzustreifen. »Ich habe mich immer gefragt, wie deine Beine wohl aussehen«, sagte er und fuhr mit einer Hand darüber, während er ihr in die Augen blickte. »Ich habe sie einmal bis zu den Knien gesehen, als wir auf dem Floß waren, und ich wäre fast über Bord gefallen, so aufgeregt war ich.«

»Oh Jack«, schimpfte sie.

»Der Gedanke gefällt dir nicht, dass ich dich die ganze Zeit über begehrt habe?«, fragte er, und seine Augen glitzerten verschmitzt, während seine Hände nach oben zwischen ihre Schenkel glitten und nur wenige Zentimeter vor ihrer Scheide innehielten.

Köstliche Wellen der Lust machten sie sprachlos. Sie konnte nur die Arme nach ihm ausstrecken.

Er brauchte nur wenige Sekunden, um sich auszuziehen, gerade lang genug, dass sie die Decke zurückschlagen und darunterschlüpfen konnte, denn in der Hütte wurde es langsam kalt. Aber in dem Moment, in dem er bei ihr war und seine Arme um sie legte, vergaß sie ihre Sorgen, ihre Sittsamkeit und die Kälte, denn seine warme, seidige Haut an ihrer fühlte sich so richtig an.

Sie hatte geglaubt, dass Theo, Jefferson und John Fallon alle gute Liebhaber gewesen wären, aber sie waren nur mittelmäßig verglichen mit Jack. Er benutzte seine Finger mit solcher Sinnlichkeit, streichelte, erforschte und küsste sie auf so köstlich langsame Weise, dass jeder Nerv in ihrem Körper zum Leben zu erwachen schien. Wieder und wieder versuchte sie, seinen Penis zu greifen, um auch ihm Freude zu bereiten, doch er hielt sie immer davon ab. Erst als sie spürte, wie etwas in ihr explodierte und sie jedes Gefühl für Ort und Zeit verlor, nahm er sie schließlich mit kraftvollen Stößen, sodass sie gewaltige Schockwellen durchliefen.

Sie hörte sich selbst aufschreien, spürte Tränen über ihr Gesicht laufen und wusste in diesem Moment, dass er sie etwas hatte empfinden lassen, zu dem keiner ihrer vorherigen Liebhaber in der Lage gewesen war.

Jack stützte sich auf den Ellbogen und betrachtete Beth, die neben ihm schlief. Sein Herz schwoll an vor Liebe zu ihr. Es war fast Mitternacht, aber der Ofen und die Laterne, die darüberhing, gaben genug Licht, um sie deutlich zu sehen. Es war Mittag gewesen, als sie in die Hütte gegangen waren, und seitdem hatten sie sich dreimal geliebt, sich zwischendurch etwas zu essen gemacht, sich gegenseitig gewaschen, eine halbe Flasche Whiskey getrunken und über alles und nichts geredet. Er hätte eigentlich erschöpft sein müssen, aber er war zu aufgeregt, um zu schlafen. Sie war seine erste Liebe gewesen, seine einzige wahre Liebe, und jetzt gehörte sie endlich ihm.

Es hatte während der sechs Jahre, seit sie sich auf dem Schiff kennengelernt hatten, viele andere Frauen gegeben. Prüde, schamlose, nette, grausame, glückliche und traurige Frauen. Bei einigen hatte er sich einzureden versucht, dass er sie liebte, mit anderen hatte er nur geschlafen und darauf gehofft, dass die Freuden, die er ihnen bereitete, sein fehlendes Engagement wettmachten. Aber letztlich war da immer das Gefühl der Enttäuschung gewesen.

Beth war immer sein Leitstern gewesen, auch wenn er wusste, dass sie nur Augen für Theo hatte. Wäre sie nicht gewesen, dann wäre er jetzt noch immer in New York; er wäre niemals nach Montreal gegangen und durch Kanada bis hierher gereist. Er war zu ihrem selbsternannten Schutzengel geworden, nur um ihr nahe zu sein. Er hätte alles für sie getan, selbst wenn sie in ihm niemals mehr als einen Freund gesehen hätte.

Aber jetzt war sie hier, lag mit ihrem schlanken Körper dicht an seinem und schlief tief und fest, das Gesicht so lieblich wie das eines Kindes. Er erinnerte sich an den Ausdruck auf ihrem Gesicht nach der Rettung aus ihrem Kellerverlies, ganz starr vor Kälte und noch verängstigt von den Qualen der Gefangenschaft. An ihre Wut, als sie herausfand, dass Pearls Haus in Philadelphia ein Bordell war. Und die Nacht im Krankenhaus in Montreal hatte sich ebenfalls in seine Erinnerungen eingebrannt, als sie sich weinend nach Theo gesehnt hatte, aber sich damit zufriedengeben musste, von ihm getröstet zu werden.

Ihr Mut auf dem Chilkoot Pass und ihr Durchhaltevermögen während der Reise hatten ihn erstaunt. Dann, in Dawson, so kurz nach Sams Tod, hatte sie auch noch Molly verloren. Doch sie hatte die Zähne zusammengebissen und sich Abend für Abend im Nugget die Seele aus dem Leib gespielt. Viele Goldgräber, die nicht genug Geld für einen Drink hatten, erzählten ihm, dass sie vor dem Saloon gestanden und ihr zugehört hatten. Sie sagten, dass sie dann weniger hungrig und durstig gewesen waren und ihre Musik ihnen die Hoffnung gegeben hatte, dass sie irgendwie ihr Glück machen würden.

Jack konnte verstehen, wie sie sich fühlten, denn er war ihrer Musik schon an jenem Abend auf dem Schiff verfallen, als er sie zum ersten Mal gehört hatte.

Er schlüpfte aus dem Bett, legte noch mehr Holz in den Ofen, damit er bis zum Morgen weiterbrannte, und blies die Laterne aus. In zwei Wochen würde das Eis auf dem Fluss aufbrechen, und erneut würden Tausende von Menschen auf der Suche nach Gold hierherströmen.

Er lächelte, denn er wusste, dass er hier in seiner kleinen Hütte etwas viel Wertvolleres als Gold gefunden hatte.

Ein lauter Jubelschrei von Oz klang den Hügel bis zu Beth und Jack hinauf, die an der Waschrinne standen und Steine und Kies auswuschen.

»Was ist denn in den gefahren?«, sagte Jack. Er stand auf und ging zu einer Stelle, von wo aus er sehen konnte, was unten vor sich ging.

»Wahrscheinlich hat er eine Flasche Whiskey gefunden, die er ganz vergessen hatte«, scherzte Beth.

Es war jetzt Mitte Juni. Zwei Wochen zuvor war das Eis im Fluss aufgebrochen, und Oz’ Claim war zu einem einzigen zähen Schlammfeld geworden. Aber der warme Sonnenschein hatte inzwischen das Schlimmste weggetrocknet, Gras und Wildblumen sprossen überall um die Hütte, und Vogelgezwitscher erfüllte die Luft.

Beth war noch niemals so glücklich gewesen. Von dem Moment an, wenn sie morgens die Augen öffnete und Jack neben sich sah, bis zu dem, an dem sie abends wieder ins Bett sanken, war sie erfüllt von der seligen Sicherheit, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, hierherzukommen.

Sie hatten nicht von Liebe oder gar von der Zukunft gesprochen, denn das kam ihnen unwichtig vor, weil es doch so offensichtlich war, dass sie für immer zusammengehörten. Beth half Jack und Oz, schaufelte Erde von den Haufen und wusch sie fröhlich aus. Es machte ihr nichts aus, dass es harte, schmutzige Arbeit war oder dass sie ihr manchmal sinnlos vorkam. Es reichte, an Jacks Seite zu sein, zu lachen und zu reden und sich absolut sicher zu fühlen.

Manchmal fuhr er mit ihr nachmittags mit Oz’ kleinem Ruderboot auf den Fluss zum Fischen, und sie lag dann auf dem Rücken, genoss den Sonnenschein und malte sich begierig aus, wie sie sich lieben würden, sobald sie wieder in der Hütte waren. Bei anderen Gelegenheiten gingen sie in die Wälder oberhalb des Claims, und sie pflückte Blumen, während er Feuerholz sammelte. Das Verlangen überwältigte sie oft dort oben, denn es hatte etwas herrlich Verruchtes und Gefährliches, sich unter freiem Himmel zu lieben, vor allem, wo ein Bär oder sogar ein Mensch vorbeikommen und sie überraschen konnte.

»Lass uns nachsehen, was mit ihm los ist«, sagte Jack. »Es wird ohnehin Zeit, was zu essen. Vielleicht können wir dann später noch ein bisschen schmusen?«

Hand in Hand liefen sie den Hügel hinunter und fanden Oz, der sein zerschlissenes kariertes Hemd trug und seine Hose mit einem Seil um die Hüften zusammengebunden hatte, über seine Waschrinne gebeugt.

Als sie sich näherten, blickte er auf, und sein breites Lächeln enthüllte seine schwarzen Zähne. »Seht euch an, was ich gefunden habe!« Er hob eine alte Backnatron-Dose hoch und gab sie ihnen.

Sie enthielt vier kleine Goldnuggets. Jack schüttete sie in seine Hand. »Guter Gott!«, rief er. »Die hast du alle gleichzeitig gefunden?«

»Jap«, erwiderte Oz. »Ich habe heute Morgen fünf Halden durchgewaschen und nichts gefunden, und dann in der sechsten steckten diese hier.«

»Ich freue mich so für dich, Oz.« Beth ging zu ihm und umarmte ihn. »Wie schön!«

»Aus welchem Loch sind die gekommen?«, fragte Jack und sah sich um. Überall auf dem Boden neben der Hütte waren Löcher mit Hügeln daneben.

»Aus dem da.« Oz deutete auf eines direkt neben der Hütte. »Das ist das Loch, das wir zuletzt gemacht haben. Erinnerst du dich, du hattest Angst, dass ich reinfallen könnte, wenn ich aus der Hütte komme?«

Jack lächelte und wandte sich zu Beth um. »Das war, kurz bevor du kamst. Als er mich bat, da zu graben, habe ich versucht, es ihm auszureden.«

»Ich schätze, jetzt wirst du die Hütte versetzen wollen, damit du drunter graben kannst?«, fragte Beth.

Oz grinste. »Vielleicht. Aber zuerst habe ich mir in den Kopf gesetzt, mich ein bisschen fein zu machen und in die Stadt zu fahren, um überall zu verbreiten, dass der alte Ostrich wieder auf eine Goldader gestoßen ist. Es gibt Leute, die sich schon lange über mich lustig machen. Das wird sie zum Schweigen bringen.«

»Dann werden einige ganz wild darauf sein, dir den Claim abzukaufen«, erinnerte ihn Jack.

»Wenn sie mir genug bieten, dann verkaufe ich ihn vielleicht sogar«, gab Oz zurück.

Beth sah Jack erschrocken an und fragte sich, was dann aus ihm werden sollte, aber zu ihrer Überraschung lächelte er Oz an. »Fahr ruhig in die Stadt«, sagte er. »Wir waschen noch ein bisschen weiter, während du weg bist, und versuchen, noch mehr für dich zu finden. Aber pass auf das auf, was du da hast, hörst du? Mehr finden wir vielleicht nicht.«

Eine Stunde später winkten Jack und Beth am Ufer zum Abschied, während Oz in seinem Boot nach Dawson aufbrach. Sein Feinmachen hatte darin bestanden, sich den Bart zu stutzen und sich etwas weniger zerschlissene Sachen anzuziehen. Beth hatte ihn überredet, die Nuggets in einem Beutel unter seinem Hemd um den Hals zu tragen. Jack hatte ihm geraten, sie auf die Bank zu bringen, bevor er anfing, zu trinken und zu spielen.

»Was, wenn er den Claim verkauft?«, fragte Beth, als sie dem älteren Mann nachwinkten. Er hatte Flash und Silver bei ihnen gelassen, und die beiden Hunde saßen am Flussufer und blickten ihrem Herrn hinterher.

»Ich hoffe, dass er das tut«, erwiderte Jack. »Er schafft nicht noch einen Winter hier draußen.«

»Aber was wird dann aus dir? Der neue Besitzer wird dich hier nicht wollen.«

Jack zuckte mit den Schultern. »Das ist mir egal. Wenn du nicht aufgetaucht wärst, dann wäre ich jetzt schon auf dem Weg irgendwo anders hin.«

»Wirklich?«

Er lachte über ihren überraschten Gesichtsausdruck und streichelte ihre Wange. »Ich bin nicht wegen des Goldes gekommen, sondern weil ich aus Dawson wegwollte. Und jetzt, wo du bei mir bist, kann ich überall glücklich sein.«

Ihr ging es ganz genauso, aber dass Jack es aussprach, war wundervoll.

»Was sollen wir dann tun?«, fragte sie. »Wenn wir von hier vertrieben werden?«

»Was immer wir wollen«, antwortete er und nahm sie in die Arme. »Mein Traum ist schon wahr geworden.«

Sie legte ihre Hände um sein Gesicht. »Ich liebe dich, Jack Child«, sagte sie.

»Tust du das?« Er sah erstaunt aus.

»Natürlich. Einhundert Prozent. Aber ich erwarte, dass du Pläne machst. Wenn du es nicht tust, werde ich anfangen, dich herumzukommandieren.«

»Ich würde mich von niemandem lieber herumkommandieren lassen.« Er lachte.

»Hast du nicht etwas vergessen?« Sie biss ihm spielerisch in die Nasenspitze.

»Was?«

»Na ja, ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe. Müsstest du darauf nicht antworten?«

»Was soll ich denn sagen?«, fragte er.

Sie wusste, dass er sie nur neckte, und boxte ihm aufs Ohr. »Sag es«, befahl sie.

Er umfasste ihre Hüften und wirbelte sie herum. »Ich liebe dich, Miss Bossy Bolton. Das tue ich schon seit sechs langen Jahren«, sagte er und drehte sie noch weiter.

Als er sie losließ, schwankte sie ein bisschen, weil ihr so schwindelig war. »Das ist keine besonders romantische Art, es einer Frau zu sagen«, erklärte sie entrüstet.

»Ich bin eher der praktische Typ.« Er grinste sie an. »Also werde ich jetzt wirklich romantisch sein und vorschlagen, dass wir hier unten noch ein bisschen für Oz weiterarbeiten und sehen, was wir für ihn finden können.«

Sie fanden noch fünf weitere kleine Nuggets an diesem Nachmittag. Jack legte sie in Oz’ Dose. »Sie müssen ein paar Hundert Dollar wert sein«, sagte er nachdenklich. »Es gab eine Zeit, da hätte ich sie mir eingesteckt, aber als ich dich kennenlernte, habe ich mich verändert.«

»Wirklich?«

»Jap.« Er nickte. »Du warst so rein und ehrlich, ich dachte, ich hätte keine Chance bei dir, wenn ich nicht genauso werde. Ich verdanke dir eine Menge.«

Beth war gerührt. »Es war dumm von mir, nicht sofort zu merken, dass du der Richtige für mich bist.«

»Zur Hölle, Beth, wenn wir damals in New York schon zusammengekommen wären, dann hätte das wahrscheinlich kein Jahr gehalten. Sieh dir doch nur an, welche Abenteuer wir zusammen erlebt haben!«

Sie wusste, das war seine Art, ihr zu sagen, dass er nicht verbittert darüber war, dass sie Theo ihm vorgezogen hatte, und dafür liebte sie ihn noch mehr.

Oz kam nicht nach ein paar Tagen zurück, wie er versprochen hatte. Jack und Beth wuschen weiter die Erde aus, fanden jedoch kein Gold in Jacks Halden, dafür aber noch mehr kleine Nuggets in Oz’. Außerdem sammelten sie etwas Goldstaub aus seiner Waschrinne.

Das Wetter war fast immer herrlich, obwohl die Moskitos eine Plage waren, aber als aus den Tagen eine Woche und dann noch eine wurde und Oz noch immer nicht zurück war, machte Jack sich Sorgen um ihn. Er hatte seine Hunde noch nie so lange bei jemand anderem gelassen, und die beiden saßen den ganzen Tag lang am Ufer und hielten nach ihrem Herrn Ausschau. Aber Jack wagte nicht, den Claim zu verlassen und nach ihm zu suchen.

Neuigkeiten aus Dawson City verbreiteten sich schnell, selbst zu den abgelegensten Orten, denn jeder, der vorbeikam, hatte etwas zu erzählen. Sie hatten gehört, dass die Stadt seit dem Feuer fast vollständig wiederaufgebaut worden war und dass an der Kanalisation und der Einrichtung von Elektrizität, Dampfheizungen und Telefonen gearbeitet wurde. Tausende neue Leute waren gekommen, seit das Eis aufgebrochen war, die Reichen über das Wasser und die Armen über die Berge, und es hieß, dass die allermeisten davon pleite waren und überall nach Arbeit suchten. Männer wie Jack, die für die Claimbesitzer arbeiteten, hatten Angst, dass ihre Löhne sinken würden, wenn es so viele Arbeitskräfte gab, und selbst die Claimbesitzer machten sich Sorgen, dass verzweifelte Männer vielleicht versuchen könnten, ihnen den Claim streitig zu machen, oder dass sie hier rauskamen, um sie zu berauben.

Am 4. Juli hörten sie das Knallen und Zischen des Feuerwerks in Dawson, und es erinnerte Beth daran, dass ein Jahr vergangen war, seit sie von Mollys Tod erfahren hatte. Aber Oz war noch immer nicht zurück.

Eines Nachmittags Mitte Juli fingen Flash und Silver an zu heulen, und endlich entdeckte Jack Oz, der in seinem Boot den Fluss hinaufruderte.

Sie freuten sich sehr, ihn zu sehen, aber als Oz zum Himmel stinkend an Land schwankte, war klar, dass er sich während der vergangenen Tage total besoffen hatte, und sie gingen vom Schlimmsten aus.

»Hast du alles verloren?«, fragte Jack, als er dem alten Mann in seine Hütte half.

»Ja, schätze schon«, sagte Oz, bevor er auf seinem Bett zusammenbrach und sofort in einen tiefen Schlaf fiel.

Jack ging zwei Mal während des Abends zu Oz’ Hütte, um nach ihm zu sehen, aber er wachte nicht auf.

»Er wird den Claim verspielt haben«, sagte Jack traurig, als er zu Beth zurückkam. »Er hat nichts wieder mitgebracht außer zwei Flaschen Whiskey. Keinen Proviant oder sonst irgendetwas. Ich schätze, wir müssen vielleicht doch schneller von hier weg, als wir dachten.«

»Das macht mir nichts aus«, sagte Beth. »Lass uns mit dem Schiff zurück nach Vancouver fahren. Ich kann wieder im Globe spielen, und du findest auch ganz leicht wieder Arbeit. Mit dem Geld, das ich gespart habe, kommen wir erst mal über die Runden.«

»Würdest du gerne nach Hause fahren?«, wollte Jack wissen.

»Nach England?«, fragte sie.

Jack nickte.

»Ich sehe es nicht mehr als mein Zuhause«, erwiderte sie nachdenklich. »Da wartet nichts mehr auf mich.«

»Genauso sehe ich das auch«, stimmte Jack ihr zu. »Mein Zuhause ist da, wo du bist. Ich schätze, wir müssen uns einen Ort suchen, wo wir beide uns wohlfühlen.«

In dieser Nacht lag in ihrem Liebesspiel ein Hauch von Traurigkeit, weil es für sie das Ende einer Ära war. Wochenlang waren sie ganz allein gewesen, und sie wussten, dass sie diese absolute Privatsphäre und die Freiheit, nur das zu tun, was sie wollten, nirgendwo anders finden würden. Sie hatten oft sogar die Zinkwanne nach draußen gestellt und im Sonnenschein gebadet in dem Wissen, dass niemand sie sehen oder hören konnte. In der Stadt würden sie irgendwo in zwei Zimmern hausen müssen, umgeben von dem Lärm, dem Gestank und dem Streit, den es immer gab, wenn viele Menschen zusammenlebten.

Am folgenden Morgen machte Beth einen Berg Pfannkuchen und trug sie runter zu Oz; Jack folgte ihr auf dem Fuße mit einer Kanne Kaffee. Aber zu ihrer Überraschung saß Oz in sauberen Sachen und mit klatschnassen Haaren auf der Bank vor seiner Hütte. Auch den Bart hatte er sich abrasiert.

Beth hatte ihn immer für mindestens sechzig gehalten, aber ohne den Bart erkannte sie, dass er zwanzig Jahre jünger war.

»Also, so was.« Sie stellte den Teller mit den Pfannkuchen auf die Bank neben ihn und stemmte die Hände in die Hüften. »Wir dachten, du schläfst noch immer deinen Rausch aus. Oder bist du der jüngere Bruder von Ostrich?«

Er lächelte verlegen. »Ich war im Fluss schwimmen. Ich schätze, es war der Schock des kalten Wassers, der mich dazu gebracht hat, den Bart abzurasieren. Es tut mir leid, dass ihr so lange auf Flash und Silver aufpassen musstet, aber es ist ein bisschen kompliziert geworden.«

»Iss deine Pfannkuchen, solange sie warm sind«, sagte Jack und goss ihnen allen Kaffee ein. »Wann musst du von hier weg?«

»Olsen kommt heute Nachmittag«, antwortete Oz.

Jack nickte. Olsen der Schwede hatte bereits ein Vermögen mit seiner Mine am Eldorado gemacht und besaß sehr viele Häuser in Dawson. Er war ein Riese von einem Mann und ein erstklassiger Pokerspieler und hatte sich vermutlich sofort auf Oz gestürzt, als er hörte, dass er mit Gold in die Stadt zurückgekehrt war.

»In Dawson ist es nicht mehr wie früher«, sagte Oz traurig. »Sicher, sie haben alles neu gemacht, aber es herrscht eine bedrückte Atmosphäre überall, so als wäre die Blase geplatzt. Und jetzt kommen Frauen!«

»Aber das ist doch gut, oder nicht?«, rief Beth und setzte sich auf einen Baumstumpf. »Es waren doch immer viel zu wenige.«

»Es sind keine Lebedamen.« Oz schüttelte den Kopf, als wenn er traurig darüber wäre. »Es sind richtige Damen, die Frauen von Bankern, aus der gehobenen Gesellschaft, Lehrerinnen und so was, mit Sonnenschirmen und komischen Hüten. Sie lassen sich dort mit ihren Männern und Kindern nieder. Es gibt jetzt auch einen Laden mit schicken Kleidern, der einer Französin gehört, und es heißt, da bekommt man den letzten Schrei aus Paris.«

Beth und Jack sahen sich an und fragten sich, ob das alles stimmte oder ob Oz sich das einbildete. »Was macht das Monte Carlo?«, wollte Beth wissen.

»Hat einen neuen Anstrich, so als hätte es nie ein Feuer gegeben. Fallon ist schon lange weg. Sie sagen, er hat die Stadt Hals über Kopf verlassen, kurz nachdem du weg warst.«

»Was ist mit One Eye?«, fragte Jack.

»Er ist noch da. Es heißt, er hat einen Saloon in Louse Town und lässt dort ein paar Huren für sich anschaffen.«

»Und wo gehst du dann heute hin?«, erkundigte sich Jack.

»Das kommt ganz darauf an.«

»Darauf, wie viel du hier zusammenkratzen kannst?«, fragte Jack. »Ein Glück, dass ich weiter für dich die Erde ausgewaschen habe, während du weg warst.« Er griff in seine Tasche und holte den kleinen Lederbeutel heraus, in dem er die Nuggets aufbewahrte, die sie gefunden hatten, und warf ihn dem älteren Mann in den Schoß. »Tu mir bloß den Gefallen, Oz, und verspiel das nicht auch noch. Wir möchten nicht befürchten müssen, dass du im nächsten Winter pleite bist und frierst.«

Oz öffnete den Beutel und ließ die Nuggets in seine Hand gleiten. Dann sah er überrascht zu Jack auf.

»Wir haben auch noch etwas Goldstaub gefunden. Den habe ich nicht mitgebracht, aber den hole ich dir noch«, fügte Jack hinzu.

»Du hast das für mich aufbewahrt, obwohl du wusstest, dass du gehen musst?«, fragte Oz und blinzelte zu Jack auf.

»Sicher, es gehört mir doch nicht.«

»Es gibt nicht viele, die so ehrlich wären«, sagte Oz nachdenklich. »Schätze, dann habe ich es doch richtig gemacht.«

»Das hast du, Oz«, erwiderte Jack, weil er annahm, dass er damit meinte, dass er ihn hatte bleiben und eine Hütte auf seinem Claim bauen lassen. »Ich war glücklich hier, und seit Beth da ist, bin ich sogar noch glücklicher.«

»Dann werdet ihr heiraten?«

Beth kicherte. »Er hat mich noch nicht gefragt, Oz. Bring ihn nicht in Verlegenheit.«

»Eine Frau, die solche Pfannkuchen backen und so schön auf der Geige spielen kann, ist ihr eigenes Gewicht in Gold wert«, erklärte Oz und stopfte sich erneut den Mund voll. »Ich frage sie sonst, Jack, wenn du dich nicht beeilst und es tust.«

»Ich werde es nicht vor dir tun«, entgegnete Jack grinsend. »Aber wir haben vor, nach Vancouver zu fahren. Ich laufe besser den Fluss runter und erkundige mich, ob uns jemand später nach Dawson rudern kann. Wir passen nicht alle in dein Boot, nicht, wenn wir die Hunde auch noch mitnehmen.«

»Ihr könnt mein Boot haben. Ich will mit den Hunden zu Fuß gehen, vielleicht auf dem Weg bei dem ein oder anderen alten Freund vorbeischauen. Aber zuerst müssen wir das Geschäftliche erledigen.«

»Ich hole den Goldstaub«, sagte Jack.

»Das meinte ich nicht, mein Sohn.« Oz stand auf und ging in seine Hütte.

»Ich soll sicher unterschreiben, dass ich meine Ansprüche an dem Claim wieder aufgebe«, flüsterte Jack Beth zu.

Oz kam mit einem Stück Papier in der Hand zurück. »Hier, mein Sohn«, sagte er. »Deine zehn Prozent.«

Jack starrte verwirrt auf das Stück Papier. Beth kam näher und sah, dass es ein Scheck über zwanzigtausend Dollar war, zahlbar an Jack Child.

Sie keuchte auf. »Du hast den Claim für zweihunderttausend verkauft?«, rief sie.

»Du hast ihn nicht beim Pokern mit Olsen verloren?«, fragte Jack.

»Natürlich nicht. Ich habe zu viele Männer auf diese Weise in ihr Unglück laufen sehen.« Oz gluckste. »Ich habe etwas Geld gewonnen und wieder verloren und mich heftiger betrunken, als ich es für möglich gehalten hätte. Aber den Claim hätte ich nicht aufs Spiel gesetzt. Ich habe ihn Olsen verkauft.«

»Aber warum gibst du mir zehn Prozent?«, fragte Jack mit zitternder Stimme.

»Weil du dich den ganzen Winter lang um mich gekümmert hast. Du warst wie ein Sohn für mich. Außerdem hätte ich niemals mehr Gold gefunden, wenn du diese Löcher nicht für mich gegraben hättest. In Dawson hieß es, ich wäre erledigt. Olson hätte mir keine zehn Cent für den Claim gegeben, wenn er kein Gold gesehen hätte.«

»Ich kann das nicht annehmen«, sagte Jack mit Tränen in den Augen. »Das ist zu viel!«

»Du hattest einen Teil meines Claims übernommen und hättest jederzeit selbst auf Gold stoßen können. Es ist nur fair, dir einen Anteil zu geben. Wir waren Partner, oder nicht?«

Jack sah fassungslos aus. Er blickte immer wieder abwechselnd auf den Scheck und zu Oz.

»Du hast das Geschäft abgeschlossen, als du mir die Nuggets gegeben hast«, sagte Oz. »Ich werde überall rumerzählen, dass Honest Jack die Gypsy Queen heiraten wird. Betrachtet es als Hochzeitsgeschenk.«