26
»Du hast wirklich eine Zigeunerseele«, murmelte Jefferson und hob Beths Hand an seine Lippen. »Ich könnte dir ewig zuhören und würde nie genug davon bekommen.«
»Ich hätte genug davon«, sagte sie mit einem Lächeln und griff nach dem Glas mit dem französischen Champagner, den er ihr eingegossen hatte.
Es war Ende Januar, und draußen lag eine dicke Schneeschicht, aber sie waren im Jeff Smith’s Parlour, dem Saloon und Spielsalon für diejenigen, die zu seinem engeren Kreis gehörten. Der Ofen bullerte, Beth war ein bisschen betrunken, und es fühlte sich gut an, dass ein attraktiver Mann versuchte, sie zu verführen.
Jefferson warb schon seit Dezember um sie. Er hatte ihr einen Schaukelstuhl für ihre Hütte geschenkt, ihr Süßigkeiten gekauft und sie immer wieder auf einen Drink oder zum Essen eingeladen. Aber heute war sie zum ersten Mal ganz allein mit ihm; normalerweise waren auch alle seine Kumpane da, wenn er mit ihr in seinen Saloon ging.
Sie waren früher am Abend da gewesen, aber vor einer Weile verschwunden, und sogar Nate Pollack, der Barkeeper, war gegangen, nachdem er noch ein paar Holzscheite in den Ofen gelegt hatte.
»Hast du immer noch vor, nächsten Monat zu den Goldfeldern aufzubrechen?«, fragte Jefferson. Er berührte eine Strähne ihres Haars und wickelte sie sich um den Finger.
»Sam und Jack können es kaum noch abwarten«, erwiderte sie. »Also schätze ich, dass ich mit ihnen gehen werde.«
»Das ist keine Reise für eine Dame«, sagte er und schüttelte den Kopf.
»Ich bin so stark wie die meisten Männer«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Außerdem wird Skagway eine Geisterstadt sein, wenn alle weg sind. Was sollte ich dann hier tun?«
»Sobald das Wetter besser wird, werden sogar noch mehr Schiffe kommen. Die Leute sind aus der ganzen Welt auf dem Weg hierher«, sagte er mit einem Funkeln in seinen grauen Augen, das sie inzwischen so sehr mochte. »Du machst ein größeres Vermögen hier als jemals in Dawson City. Du könntest auf dem Weg dorthin sterben; selbst die Indianer sagen, dass es sehr schwierig ist.«
»Es war unser Plan, dorthin zu gehen, also werden wir gehen.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Und was ist mit dem Earl?«
Beth senkte den Blick. So wütend sie auch auf Theo war, sie liebte ihn noch immer, und die Aussicht, sich von ihm zu trennen, war unerträglich. Aber er verhielt sich ihr gegenüber seit Monaten wie ein Lump, und sie wusste, sie könnte sich nicht darauf verlassen, dass Theo sich änderte, wenn sie ohne Sam und Jack hierbliebe, und dann würde sie sehr einsam sein.
»Er wird uns nicht begleiten«, sagte sie und versuchte zu lächeln, als würde ihr das nicht wehtun.
»Dann ist er ein Narr, denn er wird umkommen, wenn er Jack nicht hat, der ihn rettet, wenn er in Schwierigkeiten gerät«, meinte Jefferson.
»Sicher nicht!«, rief Beth.
»Er ist viel zu arrogant. Es gibt viele, die ihn sehr gerne tot sehen würden.«
»Aber du nicht?«, fragte sie nervös.
Jefferson blickte sie einen Moment lang nachdenklich an. »Nein, ich mag den Mann«, erklärte er schließlich. »Aber er ist auch schlau genug, mir nicht auf die Füße zu treten. Ich habe das jedoch munkeln hören, und ich erkenne die Anzeichen.«
»Kannst du nicht mit ihm sprechen und ihn warnen?«
»Er würde nicht auf mich hören. Außerdem, was kümmert es dich, was aus ihm wird? Du weißt doch sicher, dass er die meisten Nächte mit Dolly im Red Onion verbringt?«
Beth fühlte sich, als habe ihr jemand mit einem Messer das Herz durchbohrt, denn bis zu diesem Moment war das nur ein Verdacht gewesen und keine Gewissheit.
Dolly war eine kurvige Blondine, die im Red Onion sang und tanzte. Sie war auch eine Hure, und es hieß, dass sie fünfzig Dollar pro Nacht nahm. Jeder Mann in Skagway, so schien es, wollte sie haben.
»Du wusstest es nicht, oder?«, fragte Jefferson. Er legte die Arme um sie und zog sie an seine Brust. »Es tut mir leid, wenn ich dir wehgetan habe, das wollte ich nicht.«
Beth schluckte die Tränen herunter. »Mir geht es gut. Ich habe es mir schon gedacht. Ich schätze, jetzt weiß ich wirklich, dass es Zeit wird zu gehen.«
»Weißt du, ich möchte wirklich, dass du bleibst und mit mir zusammen bist. Ich besorge dir ein schönes Haus, in dem du wohnen kannst, mit einem Dienstmädchen und allem Drum und Dran. Ich sorge sogar dafür, dass der Earl aus der Stadt verschwindet.«
Der Champagner und sein weicher Südstaatenakzent ließen ihren Widerstand schwinden, und als er ihr Kinn anhob, um sie zu küssen, wich sie nicht zurück. Sein Kuss war so geschmeidig wie er selbst, warm und sehr sinnlich, und sie war sofort erregt.
Er strich mit den Fingern leicht über ihren Hals, während er sie küsste, und obwohl eine kleine Stimme tief in ihrem Innern sie warnte, dass es ein Fehler war, mit ihm zu schlafen, wollte sie ihn. Er wusste sie zu schätzen, er behandelte sie wie eine Dame, und wenn Theo die blonde Hure besser gefiel, dann wurde es Zeit, ihm zu zeigen, dass es ihr egal war.
Jeffersons Hand stahl sich in das Mieder ihres Kleides und umschloss ihre Brust, und seine Küsse wurden leidenschaftlicher. »Gehen wir nach hinten in mein Zimmer«, murmelte er an ihrem Hals. »Da haben wir es bequemer.«
Er wartete nicht auf ihr Einverständnis, sondern nahm sie auf die Arme und trug sie durch eine Tür in den hinteren Teil des Saloons. Auch hier war es warm, denn es gab einen weiteren Ofen, und in dem Licht, das er abgab, sah sie ein Bett aus geschnitztem Mahagoni, das in ein Grandhotel gepasst hätte und auf dem ein rot gemusterter Quilt lag.
Er hatte keine Schwierigkeiten mit den kleinen Knöpfen hinten an ihrem Kleid oder mit dem Spitzenbesatz ihres Mieders, und obwohl sie wusste, dass das bedeutete, dass er es gewohnt war, Frauen auszuziehen, fühlte sie sich dadurch nicht weniger begehrt.
Seine Erfahrung zeigte sich auch in seinem Liebesspiel. Er ließ sich Zeit, und seine Berührungen waren fest, aber zärtlich, während er ihr liebevolle Worte ins Ohr flüsterte und ihr sagte, wie schön sie sei.
Noch bevor er sie ganz ausgezogen hatte, stand sie kurz vor dem Höhepunkt; und als sie die Arme um ihn schlang und ihn streichelte, stellte sie fest, dass er sehr muskulös war und nicht so weich, wie sie es bei einem Südstaatengentleman erwartet hätte.
Es war Wochen her, seit Theo mit ihr geschlafen hatte, und das war eher ein hastiger, unbefriedigender Snack als ein Festmahl gewesen. Jefferson bot ihr ein Bankett, neckte sie, saugte und leckte an ihr, und als er schließlich in sie eindrang, war sie schweißbedeckt und fiebrig vor Lust.
»Sie haben meine Erwartungen bei Weitem übertroffen, Mam«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln, als er sich auf die Ellenbogen stützte und, immer noch in ihr, auf sie hinuntersah.
»Sie meine auch, Sir«, erwiderte sie und kicherte. »Außerdem glaube ich, dass wir das Problem gelöst haben, wie man sich in Alaska warm hält.«
»Was immer in der Zukunft passiert, ich werde diese Nacht niemals vergessen«, sagte er und beugte sich zu ihr herunter, um sie zu küssen.
Beth konnte nur lächeln, denn sie wusste, dass seine Worte das schlechte Gewissen beruhigten, das sie am Morgen haben würde.
»Ich hoffe, ich kann dich überreden zu bleiben«, sagte er ein bisschen später, als er neben ihr lag und sie im Arm hielt. »Wir beide wären ein tolles Team. Und wenn der Goldrausch vorbei ist, gehen wir in andere Städte und suchen uns neue Herausforderungen.«
Beth war erleichtert, dass die Hütte leer war, als sie gegen Mittag des nächsten Tages dort ankam. Nach dem Komfort bei Jefferson wirkte sie spartanisch und trostlos. Ihre Betten waren nur mit Stroh gefüllte Säcke, und der, den sie sich mit Theo teilte, war noch genauso unberührt, wie sie ihn am Abend zuvor zurückgelassen hatte, deshalb wusste sie, dass er die ganze Nacht über nicht da gewesen war. Sams und Jacks zeigten dagegen noch den Abdruck ihrer Körper, und die Decken waren wie üblich zerwühlt.
Sam und Jack wussten, dass Beth auf einen Drink ins Jeff Smith’s Parlour gegangen war, und da sie sich die Mühe gemacht hatten, Kohlen im Ofen nachzulegen, bevor sie heute Morgen gegangen waren, hatte sie das Gefühl, dass sie nicht wütend darüber waren, dass sie die Nacht mit Jefferson verbracht hatte. Dennoch war es ihr peinlich. Es war in Ordnung, wenn Männer mit Frauen ins Bett gingen, aber eine Frau, die derselben Versuchung erlag, wurde für ein Flittchen gehalten.
Sie hatte bei Jefferson bereits gebadet; er hatte ihr ein Bad eingelassen und sie sogar gewaschen. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl, den er ihr geschenkt hatte, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Noch einmal durchlebte sie diese sinnliche Erfahrung und beschloss, dass es ihr egal war, ob man sie Flittchen nannte. Sie würde dazu stehen, wenn die Männer nach Hause kamen. Jack und Sam hatten ständig irgendwelche Affären, warum sie nicht auch?
Und was Theo anging, wenn es ihm nicht gefiel, dann konnte er ja zu Dolly, der Hure, gehen. Wenn er erst einmal feststellte, dass sie nur für eine Sache gut war, dass sie nicht kochen und nähen konnte und ihm seine Sachen nicht wusch, würde er ja vielleicht merken, was er an der Gypsy Queen gehabt hatte.
Die Hüttentür wurde am späten Nachmittag abrupt aufgestoßen und brachte eisigen Wind und Schnee herein.
Beth hatte im Schaukelstuhl gedöst. Sie schrak hoch und sah Theo in der Tür stehen, das Gesicht rot vor Wut.
»Wie konntest du mit diesem Bastard ins Bett gehen?«, schrie er sie an. »Jetzt stehe ich da wie ein Vollidiot!«
Beth hatte vorgehabt, ihm zu gestehen, was sie getan hatte, denn sie wusste, dass irgendjemand es ihm sowieso stecken würde. Aber sie hatte nicht erwartet, dass Theo es bereits wusste.
Eine Sekunde lang sah sie ihn nur an, schockiert darüber, dass ihn offenbar nur verletzte, wie die anderen darauf reagieren würden, aber nicht die Tatsache, dass sie fremdgegangen war.
»Du bist selbst daran schuld«, verteidigte sie sich. »Du hast mich seit Monaten schlecht behandelt und deine Zeit lieber mit dieser Hure im Red Onion verbracht.«
»Ich hatte da geschäftlich zu tun«, zischte er. »Die Geschäfte eines Mannes gehen immer vor, wenn er irgendetwas erreichen will.«
»Es gibt nur eine Art von Geschäft, die man in einem Bordell erledigt«, gab sie zurück, die Stimme wütend erhoben. »Und ich werde nicht die zweite Geige neben einer Hure spielen, also geh dahin zurück, und stell dich hinten an, während sie sich von jedem Mann in der Stadt durchficken lässt.«
Er sah sie überrascht an.
»Du bist ein verlogener, betrügerischer Lump«, fuhr sie fort. »Sagst den Leuten, du wärst ein Earl! Nimmst sie aus mit deinen gezinkten Karten! Damit hätte ich vielleicht noch leben können. Aber ich will nicht mit einem Mann zusammen sein, der mich nicht zu schätzen weiß. Ich habe immer zu dir gestanden, aber das ist vorbei. Hau ab, und komm ja nicht wieder.«
Nur für einen Moment zögerte er, dann riss er seine Sachen aus dem Regal in der Ecke, stopfte sie in eine Tasche und ging, wobei er die Tür so fest zuschlug, dass die ganze Hütte wackelte.
Beth weinte bittere Tränen, aber nicht, weil sie mit einem anderen Mann zusammen gewesen war, sondern weil ihre Liebe nicht mehr da war. Sie wäre für Theo bis ans Ende der Welt gegangen, und trotz ihrer harten Worte wusste sie, dass sie ihn noch immer liebte.
Eine Woche später verbrachten Beth und Sam einen Abend zu Hause. Es war so kalt draußen, dass die Wimpern innerhalb von Sekunden mit Eis überzogen waren und die Lungen beim Atmen schmerzten. Sie hatten Holz in den Ofen gelegt und saßen dicht daneben, jeder in einen warmen Quilt gewickelt.
Jack war bei den Arnolds, einer Familie mit drei Kindern, die Anfang Dezember nach Skagway gekommen waren. Sie waren von Anfang an schlecht ausgestattet gewesen, und das wenige Geld, das sie mitgebracht hatten, ging ihnen bald aus. Sie lebten noch immer in einem Zelt, wie so viele Leute hier, und eines ihrer Kinder, die neunjährige Nancy, war kurz nach Weihnachten an einer Lungenentzündung gestorben.
Jack hatte versucht, dem Vater Sid Arnold Arbeit zu beschaffen. Er war in Portland Barbier gewesen, aber hier gab es für jemanden wie ihn wenig zu tun, denn fast alle Männer ließen sich dicke Bärte und Schnurrbärte stehen. Er hielt nur einen Tag im Sägewerk durch – er war einfach nicht stark genug für schwere Arbeit –, und er kam auch mit allen anderen Jobs nicht zurecht, die Jack ihm besorgte. Jetzt waren seine Frau und sein kleiner Sohn Robbie krank, und Jack hatte in Skagway für sie gesammelt, damit sie mit dem nächsten Schiff zurückfahren konnten. Aber Sids Augen glänzten genauso vor Goldfieber wie die seiner Frau vom richtigen Fieber. Er wollte noch immer unbedingt über den Chilkoot Pass gehen, überzeugt davon, dass es die Antwort auf alles war.
»Glaubst du, dass Jack ihn überreden kann?«, wollte Sam von Beth wissen.
Beth schüttelte den Kopf. Sie beobachtete den Goldwahnsinn jetzt schon so lange, dass sie inzwischen wusste, dass er nicht heilbar war. Die meisten Leute, die hierherkamen, hatten keine Ahnung, wie weit es nach Dawson City war – sie glaubten, es wäre nur eine kleine Wanderung über ein paar Berge. Wenigen war klar, wie kalt und gefährlich es im Gebirge war, und viele von denen, die im Herbst über den White Pass oder den Chilkoot Pass aufgebrochen waren, hatten umkehren und bis zum Frühling warten müssen.
Aber die Chilkoot-Indianer, die den Pass oft benutzten, berichteten auch, dass viele von denen, die nicht zurückgekommen waren, es nicht überlebt hatten. Vögel und Aasfresser hatten ihnen das Fleisch völlig von den Knochen genagt.
»Vielleicht ist die einzige Lösung, seine Frau und die beiden übrigen Kinder alleine auf das Schiff zu schicken«, sagte Beth traurig. »Ich glaube, sie haben Familie in Portland, die sie wieder gesund pflegen wird. Das heißt, wenn sie nicht sterben, bevor das Schiff dort ankommt.«
»Hast du Angst, über den Pass zu gehen?«, wollte Sam wissen.
»Ja«, gestand sie. »Aber wir sind so weit gekommen, wir würden es immer bereuen, wenn wir den Rest nicht auch noch gehen.«
»Ohne Theo wird es nicht das Gleiche sein.«
»Nein, wird es nicht.« Beth seufzte. »Es wird einfacher sein.«
Sam schwieg für einige Zeit und starrte mit leeren Augen ins Feuer. Beth wusste, dass Jack und er Theo wegen seiner kreativen Ideen und dem Spaß vermissten, den man mit ihm haben konnte. Sie hatten ihr gestanden, dass sie schon seit einiger Zeit von Dolly wussten und gehofft hatten, Beths Nacht mit Jefferson würde ihn endlich wieder zur Vernunft bringen.
Aber sosehr sie ihn auch mochten und obwohl er für sie wie ein Bruder war, hielten sie zu Beth. Deshalb hatten sie nicht versucht, mit ihm zu reden, und er hatte seinerseits ihre Nähe nicht gesucht.
»Was ist mit Soapy?«, fragte Sam und brach das Schweigen. »Empfindest du etwas für ihn?«
»Lust vielleicht.« Beth kicherte. »Aber es ist jetzt eine Woche her, und er hat noch nicht versucht, mich wiederzusehen. Ich schätze, jetzt, wo er gehört hat, dass Theo aus dem Rennen ist, bin ich nicht mehr ganz so attraktiv für ihn.«
Sam lächelte ein wenig. »Vielleicht ist es ganz gut so, Schwesterchen, er ist ein gefährlicher Mann. Ich mag ihn irgendwie, aber er ist glatter als ein Aal. Wenn nur die Hälfte der Geschichten über ihn stimmt, dann reicht das, um jeden auf die Palme zu bringen. Du wirst eines Tages den richtigen Mann finden, jemanden, der dich verdient hat.«
Beth streckte die Hand aus und zerzauste ihm den dichten blonden Bart. »Wir haben es ganz schön weit gebracht, nicht wahr? Ich bezweifle, dass die Langworthys uns jetzt noch erkennen würden. Nicht nur, weil wir anders aussehen, sondern auch, weil wir uns so verändert haben. Stell dir vor, wir hätten so ein Gespräch zu Hause in Liverpool geführt! Weißt du noch, was Mama über Leidenschaft gesagt hat? Ich hatte damals keine Ahnung, was das ist.«
»Ich auch nicht.« Sam grinste. »Das war eine der besten Entdeckungen.«
Sie lachten beide und unterhielten sich weiter darüber, wie gut es war, den Beschränkungen entkommen zu sein, mit denen sie aufgewachsen waren, und dass sie nicht nur Geschwister, sondern auch Freunde waren.
»Hat es nie eine Frau gegeben, von der du dich nicht trennen wolltest?«, erkundigte sich Beth.
»Es ginge schneller, die aufzulisten, bei denen ich froh war, sie los zu sein«, scherzte Sam. »Ich scheine immer dann jemanden kennenzulernen, der mir wirklich gefällt, wenn wir weiterziehen. Nimm zum Beispiel die kleine Rothaarige, die mit ihrer Mutter an der Main Street Kuchen backt!«
»Sarah?« Beth hatte schon oft mit der jungen Frau gesprochen. Sie war sehr anständig, ging nie in den Saloon oder flirtete mit Männern. Aber sie hatte etwas Keckes an sich, und sie war sehr hübsch.
»Ja, Sarah aus Idaho. Ich mag sie wirklich, sie ist so ...« Er brach plötzlich ab, als sie draußen Schüsse hörten. »Das war ganz in der Nähe«, rief er, streifte die Decke von seinen Schultern und stand auf.
Schusswechsel waren üblich, genauso wie Prügeleien in den Straßen und in den Saloons. Aber normalerweise hörte man sie nicht in diesem Teil der Stadt.
»Geh nicht nach draußen, Sam«, bat Beth ihn. »Du weißt doch, wie es ist, wenn welche von denen betrunken und wütend sind. Du könntest dazwischengeraten und verletzt werden.«
Er zögerte. »Ich gehe nur mal vor die Tür und sehe nach, was los ist. Da kann nichts passieren.«
Als er die Tür aufstieß, wehte ein eisiger Wind herein. Sam griff nach seinem pelzbesetzten Mantel, trat schnell nach draußen und schloss die Tür hinter sich wieder. Beth erhob sich, um aus dem winzigen Fenster zu blicken, aber sie konnte nur Sams Schultern und den schneebedeckten Boden sehen. Doch als sie Leute rufen hörte, weckte das ihre Neugier, und sie griff ebenfalls nach Mantel und Hut.
Sam grinste, als sie nach draußen trat. »Hab mir schon gedacht, dass du nicht widerstehen kannst! Sollen wir nicht hingehen? Es klingt, als wäre es in der State Street. Wir sehen nur mal nach. Wir mischen uns nicht ein.«
Sie beeilten sich, und Beth hielt sich an Sams Arm fest, um auf dem glatten Boden nicht auszurutschen. Als sie um die Ecke in die State Street bogen, stießen sie auf eine Gruppe von Leuten, die um einen Mann herumstand, der auf dem Boden lag. Selbst in der schwach beleuchteten Straße konnte man die Blutflecken im Schnee sehen.
»Wer war das?«, fragte Sam einen Mann, der die Straße entlangging.
»Kenn’ den Namen nicht, einer, der betrogen wurde, nehme ich an.«
»Wissen Sie, wer der Mann ist, auf den geschossen wurde?«, wollte Beth wissen.
»Der Typ, den sie den Earl nennen.«