34

Die fünf Hunde, die den Schlitten ziehen sollten, konnten es kaum noch abwarten, endlich loszufahren, und bellten und scharrten ungeduldig über das schneebedeckte Eis des Flusses.

»Sitzt du bequem?«, erkundigte sich Cal Burgess bei Beth, während er das Bärenfell noch enger um sie stopfte.

Beth nickte. Mit ihrem Wolfspelzhut, dem Mantel aus Waschbärenfell und mehreren Lagen Kleidung darunter fühlte sie sich sehr behaglich.

Auf Cals Signal hin sprangen die Hunde nach vorn, und Beths Kopf wurde auf beängstigende Weise vor und zurück geschleudert. Aber als die Hunde ihren Rhythmus fanden, wurde die Fahrt ruhiger. Sie wirbelten den feinen Schnee auf dem Eis auf, der es wie Zuckerguss bedeckte.

Beth hatte am Abend zuvor ihre Sachen gepackt. Alle Kleider, die sie im Saloon getragen hatte, und ihre empfindlicheren Sachen sowie Schuhe und Stiefel waren jetzt in eine Kiste verpackt, die sie am Morgen bei Freunden untergestellt hatte, die ein Restaurant betrieben. In ihrer Reisetasche befand sich alles andere, und vor der Abfahrt hatte sie noch einige Luxusartikel für Jack gekauft – Früchtekuchen, Marmelade, Schokolade, Obst, etwas Lamm und Schinken, Käse und mehrere Flaschen Whiskey. Ihre Geige war neben ihr auf dem Sitz eingeklemmt, und wenn ihre Begegnung mit John an diesem Morgen nicht gewesen wäre, dann hätte sie sich jetzt einfach nur auf die Reise und auf das Wiedersehen mit Jack gefreut.

Sie hatte sich um sieben Uhr an diesem Morgen Kaffee gekocht, als John in die Küche kam. Sie konnte Whiskey in seinem Atem riechen, und seine schweren Augenlider und das zerknitterte, dreckige Hemd ließen darauf schließen, dass er betrunken gewesen sein musste und in seinen Sachen geschlafen hatte.

Sie bot ihm eine Tasse Kaffee an, aber seine einzige Antwort war ein vorwurfsvoller Blick, der ihr zu verstehen gab, dass sie gar nicht in seiner Küche sein sollte.

»Es gibt keinen Grund, so feindselig zu sein«, sagte sie sanft. »Ich werde gleich für immer gehen.«

»Wohin?«, fragte er.

Sie wusste, dass es nicht Sorge um sie war, nur Angst, dass sie in einem anderen Saloon arbeiten und dort vielleicht über ihn reden könnte.

»Ich glaube nicht, dass du das Recht hast, mich das zu fragen, nachdem du so unfreundlich zu mir gewesen bist«, erklärte sie schnippisch.

Er warf ihr einen wütenden Blick zu. »Huren wie du sollten aus der Stadt geworfen werden«, gab er zurück.

Bis zu diesem Moment hatte sie fest vorgehabt, leise und ohne irgendwelche Anschuldigungen zu gehen, aber dass er sie eine Hure nannte, änderte alles.

»Du scheinheiliges Arschloch!«, rief sie. »Du warst schon seit dem ersten Tag, den ich hier wohne, hinter mir her. Ich habe dich drei Monate lang auf Abstand gehalten, und als ich mich mit dir einließ, konntest du nicht genug von mir bekommen.«

»Du hast mich in Versuchung geführt«, jammerte er. »Du bist ein hinterlistiges Biest, das die Schwäche der Männer ausnutzt.«

Beth stemmte wütend die Hände in die Hüften. »Du erbärmliche falsche Schlange«, zischte sie. »Wie kannst du es wagen, dein eigenes schlechtes Gewissen zu erleichtern, indem du mir die ganze Schuld gibst? Du bist der, der gesündigt hat, weil du eine Frau und Kinder hast. Ich glaube, deine arme Frau würde es so sehen, dass du es warst, der mich ausgenutzt hat!«

»Meine Frau ist eine Dame«, fuhr er sie an. »Sie würde verstehen, dass ich einer Hure wie dir nicht gewachsen war.«

Beth schäumte vor Wut. »Dame! Was zur Hölle soll das heißen? Dass sie dich nur im Dunkeln und mit bis oben hin zugeknöpftem Nachthemd ranlässt? Kein Wunder, dass du mich wolltest – ich wette, du hast jede einzelne dreckige kleine Fantasie ausgelebt, die du jemals hattest. Aber es ist ja auch gut möglich, dass jemand mit deiner Frau geschlafen hat, während du hier warst. Vielleicht hat sie ja sogar herausgefunden, wie es ist, mit einem echten Mann ins Bett zu gehen anstatt mit einem frömmelnden Schwächling.«

Er hob die Hand, um sie zu schlagen, aber Beth schlug sie weg. »Wenn du mich auch nur anrührst, dann wirst du es bereuen«, knurrte sie. »Ich kann jederzeit auf die Front Street laufen und einen Trupp zusammentrommeln, der dir bei lebendigem Leib die Haut abzieht. Ich habe Freunde in dieser Stadt. Und jetzt geh mir aus dem Weg!«

Danach verschwand er lautlos wie die Schlange, die er war, und ließ sie zitternd vor Wut und ein bisschen beschämt darüber zurück, dass sie nicht von Anfang an gemerkt hatte, was er für ein Mann war.

Während sie in offenbar sehr schnellem Tempo vorankamen und der kalte Wind wie Nadeln in ihr Gesicht stach, gab Beth sich alle Mühe, nicht mehr an John zu denken. Sie war ein bisschen stolz, dass sie sich verteidigt und ihm die Meinung gesagt hatte – vor ein oder zwei Jahren wäre sie zu so etwas noch nicht in der Lage gewesen. Aber es hätte nicht so weit kommen sollen, und jetzt fühlte sie sich verletzt und beschämt.

Der Schnee lag wie eine dicke, weiße Decke auf den Ufern, und die Stümpfe der gefällten Bäume bildeten ein merkwürdig unebenes Muster. Aber weiter hinten, wo die Berge zu steil waren, um Bäume zu fällen, sahen die schneebedeckten Tannen wunderschön aus. Es gab kein Geräusch außer dem Hecheln der Hunde, dem rhythmischen Trommeln ihrer Pranken und dem Rutschen der Metallkufen auf dem Schnee. Sie wusste, dass Cal hinten auf dem Schlitten stand, aber er war so leise, dass es ihr so vorkam, als wäre sie mit den Schlittenhunden ganz allein.

Schwache Sonnenstrahlen drangen durch die Wolken, und es war gut, den Lärm, die Hässlichkeit und das Gerede in Dawson hinter sich zu lassen.

Beth wurde klar, dass sie noch niemals einen so tiefen Frieden erlebt hatte. Solange sie sich erinnern konnte, waren immer Leute und Lärm um sie herum gewesen. Selbst in den Bergen auf dem Pass waren immer Leute in der Nähe gewesen. In Dawson hatte sie die alten Sourdoughs, die meilenweit entfernt von ihrem nächsten Nachbarn lebten, immer gefragt, wie sie diese Isolation nur aushielten. Fast alle sagten, dass sie die Einsamkeit liebten. Jetzt hatte sie eine Ahnung, warum das so war. Stille war sehr heilsam.

»Wir sind fast da.« Cal beugte sich zu ihr herunter und sprach ihr ins Ohr. »In ein paar Minuten sind wir in Bonanza. Bis sie hier Gold fanden, wurde es Rabbit Creek genannt, und ich wette, damals war es hier sehr schön.«

Die Hunde bogen vom Yukon auf einen schmalen Seitenarm ab. Innerhalb von Minuten kamen sie an den ersten kleinen schneebedeckten Hütten vorbei, aus deren Schornsteinen Rauch aufstieg. Hunde bellten, während sie vorbeifuhren, und von da an stimmten andere mit ein, fast so, als würde jeder Hund auf dem Weg die Nachricht weitergeben, dass ein Fremder vorbeigekommen war.

Beth hatte sich die sagenumwobenen Goldfelder immer im Sommer vorgestellt, eine idyllische Szene mit blumenübersäten Wiesen, Männern in Hemden, die das Sediment aus dem Wasser sieben, und schattigen Bäumen. Vielleicht war es vor dem Goldfieber hier so gewesen, aber die Bäume waren jetzt alle abgeholzt, und jedes kleine Blockhaus und jede Hütte, an der sie vorbeikamen, waren von Werkzeugen und Hilfsmitteln umgeben; Waschrinnen, Pickel, Schaufeln und Schubkarren lagen überall in dem dreckigen, zertrampelten Schnee. Männer, die in ihren schweren Mänteln und Hüten eher wie Affen aussahen, beugten sich über Feuer oder gruben Erde aus Löchern im Boden.

»Das da vorne ist Ostrichs Claim«, rief Cal ihr zu. »Siehst du die Flagge dort? Er hisst sie jeden Morgen. Er hat sie selbst genäht.«

Beth konnte eine blaue Flagge mit etwas Braunem darauf im Wind flackern sehen, aber erst als die Hunde langsamer wurden, erkannte sie lächelnd, dass es der braune Umriss eines aus Leder ausgeschnittenen Straußes war.

Zwei große Malamuts, einer schwarz-weiß, der andere grau-weiß, rannten von der Hütte auf sie zu, wedelten mit dem Schwanz und stießen dieses Wuu-wuu aus, das Beth inzwischen als typisch für diese Rasse kannte.

»Sie wissen, dass ich ihnen immer etwas mitbringe«, sagte Cal. Er brachte seine Hunde zum Stehen und sprang vom Schlitten. »Aber du kannst es ihnen geben.«

Beth kletterte aus dem Schlitten und nahm die Tasche, die Cal ihr hinhielt. Sie enthielt zwei große Knochen, und etwas nervös gab sie jedem Hund einen davon. Sie musste schon Tausenden von Schlittenhunden begegnet sein, dieser Rasse und auch Huskys, seit sie Skagway verlassen hatte. Sie bewunderte ihre Stärke und ihren Mut sehr, aber sie war noch keinem davon so nah gewesen wie jetzt.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Cal. »Malamuts mögen Menschen, und dich werden sie auch mögen.«

»Wie geht’s, Cal?«, ertönte eine Stimme von der Hütte, und ein älterer Mann mit einem buschigen Bart, der einen dicken Mantel und eine verfilzte Pelzmütze trug, kam über den Pfad auf sie zu. »Bleibst du, oder nimmst du die hübsche junge Dame mit auf ’ne Spritztour?«

Beth lächelte.

»Die Spritztour endet hier, Oz«, erwiderte Cal. »Das ist Miss Bolton, die berühmte Klondike Gypsy Queen. Sie will Jack besuchen.«

Bevor Beth Oz’ Hand schütteln konnte, wandte er sich um und rief Jack, und seine Stimme war so laut, dass die Schlittenhunde heulten.

»Tja, Missy«, sagte Oz und drehte sich wieder zu ihr um. »Ich hoffe sehr, dass Sie Ihre Fidel mitgebracht haben, denn ich habe eine Menge darüber gehört, wie schön Sie spielen können.«

Plötzlich stand Jack auf dem Hügel über ihnen und rannte, als wäre der Teufel selbst hinter ihm her, wobei er laute Jubelrufe ausstieß.

»Ich würde sagen, der Kerl freut sich, Sie zu sehen, Missy«, sagte Oz mit einem zahnlosen Grinsen.

Jack hatte jetzt einen dichten Bart, sein Haar hing ihm bis auf die Schultern, und in den schlammverschmierten Sachen und Stiefeln sah er genauso aus wie alle Goldgräber. Aber sein Gesicht strahlte vor Gesundheit, und es lag nicht mehr dieser angestrengte Ausdruck darauf wie in den letzten Wochen im Golden Nugget.

Er umarmte Beth und wirbelte sie lachend herum.

Aber als Oz sie in seine Hütte auf eine Tasse Kaffee einlud, wurde Beth ganz mutlos, denn sie wusste nicht, wie Jack dort reinpasste, ganz zu schweigen von ihr. Die Hütte war winzig mit festgetretenem Lehmboden, einem Bett, das aus alten Kisten gemacht war, einem Tisch, einer Bank und einem weiteren Stuhl, alles aus grobem Holz zusammengezimmert. Aber es war sehr warm darin, denn es gab einen kleinen Ofen, und Oz schüttete einen großzügigen Schluck Whiskey in den Kaffee.

Jack und Oz wollten jedes Detail über das Feuer hören. Sie hatten ein paar Tage nach dem Brand davon erfahren, und Jack sagte, er sei fest entschlossen gewesen, nach Dawson zu fahren, um sich zu vergewissern, dass es Beth gut ging. Aber dann hatte man ihm berichtet, dass das Monte Carlo noch stand und dass sie sich um die Obdachlosen kümmerte.

Erst als Cal aufstand und sagte, dass er jetzt ihre Tasche vom Schlitten abladen würde, weil er auf dem Rückweg noch eine Ladung Holz mitnehmen müsse, wurde Beth klar, dass Jack und Oz davon ausgegangen waren, dass sie nur kurz zu Besuch gekommen war und mit Cal wieder zurückfahren würde.

»Ich hatte gehofft, ich könnte eine Weile bei euch bleiben«, erklärte sie. »Aber ich sehe, dass ihr keinen Platz habt. Also sollte ich vielleicht besser mit Cal wieder in die Stadt fahren.«

»Das wirst du ganz sicher nicht tun«, rief Jack. »Ich wohne nicht hier bei Oz. Ich habe meine eigene Hütte oben auf dem Hügel. Wenn sie dir nicht zu einfach ist, dann würde ich mich sehr freuen, wenn du bleibst.«

Sie winkten Cal zum Abschied, dann nahm Jack Beths Reisetasche und führte sie um Oz’ Hütte herum einen steilen Hügel hinauf, vorbei an einem Haufen schneebedeckter Ausrüstung.

»Es ist wirklich schön, dich zu sehen«, sagte Jack, und seine dunklen Augen leuchteten warm. »Ich schätze, es ist etwas schiefgegangen zwischen dir und Fallon? Aber du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst.«

Beth war zu sehr außer Atem, um zu sprechen, und sie war ein bisschen entsetzt darüber, dass Jack bereits von der Affäre zwischen John und ihr gehört hatte. Sie hätte es sich allerdings denken können, denn niemand konnte in Dawson irgendetwas tun, ohne dass alle davon erfuhren.

Jacks Hütte war aus Holzstämmen gebaut und sah fast genauso aus wie die von Oz, aber sie war größer und neuer, und die Möbel waren nicht nur grob zusammengezimmert.

»Du kannst das Bett haben«, sagte er, während er den Ofen anfeuerte und noch mehr Holz nachlegte. »Ich habe ein Feldbett, das reicht für mich.«

»Was hast du über Fallon und mich gehört?«, wollte sie wissen, während sie sich auf einen Stuhl mit einer Sitzfläche aus Bändern, wie ihn viele Goldgräber hatten, setzte.

Jack zuckte die Achseln. »Nur dass du mit ihm zusammen bist, aber ich war ein bisschen traurig, dass du dich offenbar nicht dazu in der Lage gesehen hast, mir davon in deinen Briefen zu schreiben.«

»Erzählst du es mir jedes Mal, wenn es eine neue Frau in deinem Leben gibt?«, entgegnete sie.

»Das würde ich, wenn sie mir etwas bedeutet.«

»Fallon hat mir aber nichts bedeutet. Es war nur ...« Sie hielt inne und wusste nicht, wie sie es erklären sollte, ohne zuzugeben, dass es nur Sex gewesen war.

»Eine Affäre?«, schlug er vor.

»Ja, mehr war es nicht.«

Jack nickte verständnisvoll. »Und wer hat es beendet?«

Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu erzählen, was passiert war. Aber als sie ihm berichtete, was John nach dem Feuer gesagt hatte, sah sie die lustige Seite daran und fing an zu lachen.

»Oh Jack, das war so lächerlich. Ich hätte ihn niemals für einen scheinheiligen Pfaffen gehalten, und als er dann plötzlich sagte, wir sollten uns alle von der Verderbtheit abwenden und dass Dawson wie Sodom und Gomorra sei, da konnte ich nicht mehr ernst bleiben.«

Jack lachte ebenfalls. »Ich glaube manchmal, dass die merkwürdigsten Leute der Welt alle in Dawson landen. Ich fand Fallon immer ein bisschen komisch. Wenn er ins Nugget kam, trank er nur ein Glas und sah dir bei deinen Auftritten zu. Er schien keine Freunde zu haben, er spielte nie, ich verstand einfach nicht, was ihn nach Klondike gezogen oder warum er das Monte Carlo gekauft hat.«

»Er hat mir den Grund nie gesagt.« Beth zuckte mit den Schultern. »Aber eigentlich haben wir uns auch nie viel unterhalten, wenn ich jetzt darüber nachdenke. Er meinte heute Morgen, ich wäre eine Hure. Ist das nicht furchtbar, Jack? Ich schätze, daran bin ich selbst schuld.«

Jack kam zu ihrem Stuhl und kniete sich vor sie. In seinen Augen sah sie Verständnis. »Ich würde gerne morgen nach Dawson fahren und ihn zu Brei schlagen, aber dadurch würde das Gerede nur noch schlimmer. Er kann einem leidtun, wenn er nicht den Unterschied versteht zwischen einer Frau, die sich ihm freiwillig schenkt, und einer, die Bezahlung verlangt. Quäl dich nicht, Beth, sieh es einfach als Erfahrung. Du bist immer noch die hübscheste Frau, die ich kenne, meine beste Freundin und eine großartige Geigerin. So wie ich das sehe, hast du nicht mehr verloren als ein bisschen Stolz.«

»Ich hätte nichts mit einem verheirateten Mann anfangen dürfen«, sagte sie traurig. »Das war falsch.«

»Jetzt werde du mir nicht auch noch heilig.« Jack lachte, sprang auf die Füße und zog sie hoch. »Komm, ich zeige dir, was ich hier mache, bevor es dunkel wird, und heute Abend betrinken wir uns und feiern, dass du es endlich nach Bonanza geschafft hast.«

Jack führte sie ungefähr fünfzig Meter hinter seine Hütte. Er hatte sie gewarnt, vorsichtig um alle Stellen herumzugehen, wo der Schnee eingedrückt war, denn das waren die Löcher, die er gegraben hatte. Er erklärte, was er tat.

»Der Boden ist selbst im Sommer ungefähr einen halben Meter tief gefroren«, sagte er. »Also grabe ich, so tief ich kann, und mache dann Feuer in dem Loch. Dadurch schmilzt das Eis, und am nächsten Tag schaufele ich den matschigen Boden raus. Das sind die Haufen, die du da siehst.« Er deutete auf riesige schneebedeckte Hügel und einen frischen, an dem er gerade gearbeitet hatte, als sie kam. »Man nennt sie Halden.«

Er wischte den Schnee von einem langen Trog mit Querlatten am Boden. »Das ist eine Waschrinne, und wenn es taut, dann schaufele ich die Erde von den Halden in die Waschrinne und wasche sie aus. Die Steine und die Erde werden weggespült, und wenn ich Glück habe, dann liegen am Ende ein paar Goldklumpen auf dem Boden der Waschrinne.«

»Und die gibst du dann Oz?«, fragte sie.

»Nicht, wenn ich sie hier finde. Ich habe ein Nutzungsrecht für diesen Teil des Claims. Ich habe ihm kein Geld dafür bezahlt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich den halben Tag lang unten bei ihm arbeite, und alles, was wir dort finden, gehört ihm. Dafür gehört mir alles, was hier liegt.«

Beth nickte. »Und hast du schon Gold gefunden?«

»Noch nicht, das wird sich erst zeigen, wenn ich mit dem Auswaschen anfange. Vielleicht werde ich nie was finden. Aber Oz hat in den letzten zwei Jahren schon ganz viel gefunden. Er könnte, wenn er wollte, diesen Claim für ein Vermögen verkaufen.«

Beth lächelte. Seit sie in Dawson angekommen war, hatte sie viele fantastische Geschichten über die Claims in Bonanza oder Eldorado gehört, die für schwindelerregende Summen den Besitzer gewechselt hatten. Viele Männer, denen die Claims ursprünglich gehört hatten, besaßen jetzt Hotels oder Saloons in Dawson oder waren als sehr reiche Männer zurückgefahren.

Doch es gab auch viele alte Sourdoughs wie Oz, die niemals verkaufen würden. Sie lebten weiter in ihren primitiven Hütten, gingen hin und wieder in die Stadt, um ganz viel von ihrem Gold zu verprassen, und dann kehrten sie in ihre Hütten zurück und fingen von Neuem an.

»Oz kann nicht mehr so viel graben«, erklärte Jack. »Er wird langsam alt, ist müde und hat Schmerzen. Er braucht auch nicht wirklich noch mehr Gold, aber er will auch nicht aufhören. Also hat er mit mir, was er will – Hilfe, Gesellschaft und die Aufregung, die man empfindet, wenn man wieder auf Gold stößt.«

Sie gingen weiter den Hügel hinauf, bis sie schließlich im Wald standen.

»Hier komme ich rauf und jage«, sagte Jack. »Vor ein paar Wochen habe ich einen Elch erwischt, und jetzt haben wir genug Fleisch, bis es taut. Es war so schön hier im letzten Herbst, es wuchsen so viele verschiedene Beeren, und die Blätter änderten ihre Farbe, nicht wie da unten.« Er deutete mit dem Daumen hinunter zum Wasserlauf.

Beth drehte sich um und betrachtete die schneebedeckte Szene. »Jetzt ist es auch sehr schön«, sagte sie. »Aber ich schätze, das liegt daran, dass alle Gräben, Löcher, Halden und Ausrüstungsgegenstände unter der Schneedecke verschwunden sind. Ich wette, wenn es taut, dann sieht es hier aus wie auf einem sehr schlammigen Schrottplatz.«

Jack musste noch Feuer in seinen Löchern anzünden, deshalb ging Beth zurück zur Hütte, weil ihr so kalt war.

Sie musste ihn nicht fragen, ob er sie errichtet hatte. Sie trug eindeutig seine Handschrift, von der Art, wie er das Bett in einen Alkoven gebaut hatte, bis hin zu den sorgfältig gearbeiteten Fensterläden. Sie nahm an, dass er die meisten Möbel gefertigt hatte, wenn das Wetter so schlecht gewesen war, dass er nicht nach draußen gehen konnte. Sie fuhr mit der Hand über die Tischbeine und bewunderte die gedrechselten Rundungen, die er abgeschliffen hatte, bis sie ganz glatt waren.

Außerdem war alles sehr ordentlich. Teller und Tassen waren auf einem Regal aufgestapelt, ein Hemd hing auf einem Gestell am Feuer zum Trocknen, und er hatte sogar sein Bett gemacht.

Während sie das Bett genauer betrachtete, entdeckte sie plötzlich die Bilder. Sie waren an der Wand im Alkoven befestigt und konnten von jemandem, der auf eine Tasse Tee und einen Plausch vorbeikam, nicht gesehen werden.

Eines zeigte Jack und sie kurz nach ihrer Ankunft in New York; es war an einem Stand am South Seaport gemacht worden. Beths Abzug war verloren gegangen, als sie so überstürzt aus der Wohnung in der Houston Street ausziehen mussten, und es war schön, es wiederzusehen. Noch ein Bild zeigte sie im Bear in Philadelphia beim Geigespielen. Sie hatte keine Ahnung, wer es aufgenommen hatte oder wann, denn sie hatte es noch nie zuvor gesehen.

Es gab noch eins von Jack und ihr in Skagway. Sie erinnerte sich noch, dass es ein Mann gemacht hatte, der an einem Fotojournal über den Weg über den Chilkoot Pass arbeitete. Sie wusste nicht, wie Jack an einen Abzug davon gekommen war, denn sie hatten den Mann nie wiedergesehen. Schließlich gab es noch eins von ihrem Auftritt am Eröffnungsabend im Golden Nugget. Es war von dem Herausgeber der Dawsoner Zeitung The Nugget gemacht worden und zusammen mit einem Artikel über Jack, Theo und sie und darüber, wie sie Sam auf dem Weg hierher verloren hatten, in der Zeitung erschienen. Jack musste ihn gebeten haben, ihm einen Abzug des Bildes zu geben.

Ihr wurde ganz warm ums Herz, als sie all die Bilder von sich sah. Sie war der Ansicht gewesen, dass die meisten Goldgräber sich Fotos von hübschen, leicht bekleideten Frauen aufhängten, nicht welche von alten Freunden.

»Diese Bilder von dir haben mir einige Erinnerungen zurückgebracht«, sagte sie später, als er zurückkam.

Er sah sie verlegen an. »Es tut gut, sie anzusehen, wenn ich im Bett liege«, sagte er. »Ich hatte auch eines von uns vieren in Skagway eine Weile dort hängen, aber ich habe es wieder abgenommen, weil Sams Gesicht mich traurig und Theos mich wütend gemacht haben.«

Beth deutete auf das, was sie zusammen in New York zeigte. »Da siehst du so jung und dünn aus«, sagte sie. »Und ich sehe so prüde aus. Wie wir uns verändert haben!«

»Du wolltest mich damals nicht mal in dein Zimmer lassen.« Er grinste. »Und jetzt sitzen wir all diese Jahre später hier, allein und meilenweit weg von irgendetwas. Das nenne ich Fortschritt!«

In den Tagen nach ihrer Ankunft bei Jack fühlte Beth sich wie eine Feder, deren Anspannung sich ganz langsam löste. Das Feuer in Dawson, ihre Hilfe für die Obdachlosen und die unangenehme Auseinandersetzung mit John hatten ihr offenbar sehr zugesetzt.

Es war gut, morgens in absoluter Stille aufzuwachen und zu wissen, dass der Tag, der vor ihr lag, keinerlei Ansprüche an sie stellte. Manchmal machte Jack mit ihr eine belebende Schlittenfahrt, wobei Oz’ Hunde, Flash und Silver, sie zogen. Aber meistens las sie ein bisschen, flickte Jacks zerrissene Sachen und unternahm lange Spaziergänge entlang dem zugefrorenen Wasserlauf oder oben durch die Wälder, bei denen die Hunde sie gerne begleiteten.

Es war wärmer geworden, und wenn die Sonne herauskam, fühlte es sich fast wie Frühling an. Mit Jack zusammenzuleben war unglaublich angenehm, denn er behielt immer die Ruhe und beschwerte sich nie. Auf seinem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, wenn sie ihm Kaffee und Kuchen zu seiner Ausgrabungsstelle brachte, und er wusste es zu schätzen, wenn sie heißes Wasser für ihn bereithielt, mit dem er sich waschen konnte, wenn er zurückkam. Aber er erwartete das alles nicht von ihr.

Aber am meisten wusste sie zu schätzen, dass er sie zum Lachen brachte. Wenn sie in ein Buch vertieft war und plötzlich aufblickte, sah sie sein Gesicht, das sich grotesk gegen die Scheibe presste. Einmal hatte sie ein Knurren und Kratzen an der Tür gehört und sich furchtbar erschrocken, weil sie dachte, es wäre ein Bär, aber es war nur Jack, der ihr einen Streich spielen wollte. Besonders viel lachten sie jedoch während ihrer Unterhaltungen, wenn sie sich an frühere Ereignisse erinnerten oder an Leute, die sie beobachtet hatten. Ihr wurde klar, dass das mit Theo nie möglich gewesen war, und auch keine langen Gespräche. Sie nahm an, dass sie sich vielleicht sehr miteinander gelangweilt hätten, wenn Sam und Jack nicht ständig bei ihnen gewesen wären.

Die Tage wurden jetzt länger, und manchmal gingen sie zum Abendessen runter in Oz’ Hütte, und Beth spielte anschließend Geige für ihn. An manchen Abenden hörten die Männer auf den umliegenden Claims sie und kamen auch noch. Das waren die schönsten Momente, denn einige der Männer sangen den Text zu ihren Stücken, sie konnten lustige Geschichten erzählen und freuten sich über weibliche Gesellschaft.

Es gab nur wenige Frauen in Bonanza. Hauptsächlich waren sie hart und abgebrüht und hoben auf dem gefrorenen Boden genauso effektiv Löcher aus wie die Männer. Außerdem erledigten sie auch noch andere Aufgaben, wuschen Wäsche oder backten Brot oder Kuchen, um dringend benötigtes zusätzliches Geld zu verdienen. Sie wiesen Beths zaghafte Freundschaftsangebote ab, und obwohl Jack meinte, es läge daran, dass sie keine hübsche Frau in der Nähe ihrer Männer haben wollten, hatte Beth das Gefühl, dass es eher an dem Gerede über sie lag.

Obwohl sie das nicht wirklich störte, wurde Beth dadurch bewusst, dass es sehr schwierig für sie werden könnte, gesellschaftlich anerkannt zu werden, wenn sie erst wieder zurück in der Welt dort draußen war.

Eine Tänzerin oder sogar eine Hure konnte vielleicht heiraten und eine Krankenschwester oder eine Sekretärin werden und musste nicht befürchten, dass jemand herausfand, was sie vorher gemacht hatte. Aber Beth wusste, dass sie es zusammen mit Klondike Kate, Diamond Tooth Gertie und anderen Frauen geschafft hatte, großes Aufsehen in Dawson City zu erregen, und dass die Geschichten über sie sich durch die Zeitungsartikel über den Klondike überall in der Welt verbreitet hatten.

Falls sie es nicht aufgab, öffentlich Geige zu spielen, oder irgendjemandem erzählte, dass sie während des Goldrauschs in Dawson City gewesen war, würden die skandalöseren Dinge ihrer Zeit hier in Dawson unweigerlich nach außen dringen.

Beth dachte über dieses Problem nach, als sie sich eines Morgens wusch und anzog. Sie hatte noch keine Lösung gefunden, denn ihr Geigenspiel war ihre einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Aber da die Sonne schien, beschloss sie, sich nicht länger Sorgen um die Zukunft zu machen, sondern lieber zu versuchen, Jack dazu zu überreden, seine Arbeit ruhen zu lassen und mit ihr spazieren zu gehen.

Sie wusste, dass es wärmer geworden war, sobald sie aus der Hütte trat, denn ihr Gesicht prickelte nicht so wie sonst. Dann hörte sie das Tropfen. Es war überall um sie herum, kam von der schneebedeckten Ausrüstung, vom Dach der Hütte, vom Weg runter zu Oz, von überall her.

Der Schnee schmolz!

Aufgeregt lief sie hinter die Hütte und den Hügel hinauf und rief nach Jack. Er hielte inne und stützte sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf seine Schaufel.

Beth blieb erschrocken stehen und vergaß, was sie sagen wollte, als sie ihn ohne Bart sah.

»Wann hast du denn das gemacht?«, fragte sie.

»Was?«

»Du weißt schon! Dein Bart ist ab.«

»Oh, das.« Er rieb sich übers Kinn, als sei er überrascht, dort keine haarige Masse zu fühlen. »Ich habe heute Morgen gesehen, dass es taut, und da dachte ich, es würde Zeit, dass der Bart auch verschwindet.«

»Das steht dir viel besser«, sagte sie. Tatsächlich sah er sehr attraktiv aus, denn sein kantiges Kinn und sein breiter Mund waren zwei schöne Merkmale, die er niemals verdecken sollte. »Und du siehst viel jünger aus.«

»Ich bin froh, dass es deine Zustimmung findet«, erwiderte er. »Aber was ist denn passiert, dass du so aufgeregt hier heraufläufst? Ist Queen Victoria gestorben?«

»Soweit ich weiß, nicht.« Beth lachte. »Ich war nur aufgeregt, weil der Schnee schmilzt.«

»Erinnerst du dich noch daran, wie es letztes Jahr war?«, sagte Jack nachdenklich. »Wir steckten am Lake Bennett bis zu den Knien im Schlamm, und du bist herumgerannt und hast nach Frühlingsblumen gesucht!«

»Lass uns das noch mal machen«, schlug sie vor.

»Es wird noch eine ganze Weile keine Blumen geben«, erinnerte er sie.

»Aber vielleicht gibt es irgendwo einen geschützten Platz. Können wir nicht mal nachsehen?«

Jack rammte die Schaufel in den Boden. »Also gut, dir zuliebe.«

Als sie den Wald oben auf dem Hügel erreichten, war es noch offensichtlicher, dass es taute, denn das Geräusch des von den Ästen rutschenden Schnees war fast eine Symphonie. Beth machte einen Schneeball und warf ihn auf Jack, und der rächte sich sofort. Sie rannte weg, aber immer wenn sie hinter einem Baum Schutz fand, formte sie einen neuen Schneeball und bewarf ihn damit.

Das Spiel ging immer weiter; sie jubelten jedes Mal lachend, wenn sie trafen, und schimpften, wenn sie sich verfehlten.

Sie waren immer tiefer in den Wald gelaufen, und Beth fand einen sehr dicken Baum, hinter dem sie sich versteckte. Jack war plötzlich still, deshalb spähte sie um den Baumstamm, um zu sehen, wo er war.

Plötzlich spürte sie, wie sich eine Hand schwer auf ihre Schulter legte. »Buh!«, rief er, und sie zuckte erschrocken zusammen, weil sie ihn nicht hatte kommen hören.

Sie hielt Schnee in einer Hand, bereit zum Wurf, und hob spontan die Hand und drückte ihn Jack ins Gesicht. »Selber Buh«, sagte sie kichernd.

Er lachte und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht, aber es war immer noch etwas an seiner Nase. Sie standen dicht voreinander, und Beth zog ihren Handschuh aus und streckte die Hand aus, um den Schnee abzuwischen. Aber als ihre Hand seine Wange berührte, sah sie plötzlich etwas in seinen Augen. Es war der gleiche Ausdruck, den sie in der letzten Nacht auf dem Schiff darin gesehen hatte, bevor sie New York erreichten. Sie war damals so unschuldig gewesen, dass sie nicht gewusst hatte, was er bedeutete, außer dass es etwas Besonderes war. Aber jetzt wusste sie, was es war.

Brennendes Verlangen.

Sie konnte ihre Hand nicht von seiner Wange nehmen. Ein Gefühl, das so stark und so süß war, dass sie glaubte, weinen zu müssen, stieg in ihr auf. Er nahm ihre Hand und zog sie an seinen Mund, küsste ihre Handfläche. Seine warmen, weichen Lippen sandten ihr einen erregenden Schauer über den Rücken.

Sie war es, die näher trat, die Hände um seine Wangen legte und ihn auf die Lippen küsste. Für einen Moment bewegte er sich nicht, ließ nur die Lippen auf ihren liegen, ohne dass ihre Körper sich richtig berührten, aber dann legte er eine Hand an ihr Gesicht und erwiderte ihren Kuss mit so viel Zärtlichkeit, dass sie das Gefühl hatte, wieder eine unschuldige Siebzehnjährige zu sein.

Wie lange sie dort standen und sich küssten, wusste sie nicht, aber sie wusste, dass sie nicht aufhören wollte. Jeder Zentimeter ihres Körpers brannte vor Verlangen, sie wollte mehr als nur Küsse, aber sie hatte Angst, sich auch nur eine Sekunde von ihm zu lösen, weil sie fürchtete, dass der Zauber dann vorbei sein würde.

Schnee rutschte noch immer von den Bäumen um sie herum, und die Sonne, die ihr auf die Wange schien, fühlte sich warm an. In der Ferne konnte sie das Rasseln der Winde hören, als ein Goldgräber seinen Eimer mit Erde aus einem Loch im Boden zog, und ein Vogel zwitscherte in einem nahen Baum.

Es war Jack, der den Kuss unterbrach. Seine nackten Hände legten sich erneut um ihr Gesicht, und er sah ihr tief in die Augen. »Meine wunderschöne Beth«, seufzte er. »Ich hoffe, das ist nicht nur ein Traum, und ich wache auf und stelle fest, dass es nicht wirklich passiert ist.«