Kapitel Dreißig
Eine Anzahl von Feldgeneratoren mussten sie zurücklassen, nachdem sie bei genauerer Betrachtung feststellten, dass sie defekt waren; die Gehäuse erwiesen sich als brüchig und waren von Rissen durchzogen. Doch zumindest fünfzig Stück schienen unversehrt zu sein.
Nach einigen Stunden Arbeit hatten sie auch die letzten dieser Generatoren auf ein paar Spinnen befestigt, die sie über die Hügel zur Yacht des Händlers zurückschickten. Dakota sah sich ein letztes Mal in der Kuppel um und fragte sich, wie es während der letzten Stunden zugegangen sein musste, ehe die Kolonie vernichtet wurde. Ob die Wesen, die dies alles hier geschaffen hatten, wussten, was auf sie zukommen würde? Dann gesellte sie sich nach draußen zum Händler und zu Nancy, die zwischen den Ruinen auf sie warteten.
Dakota blickte auf die mit Maschinen beladenen Spinnen, die im Gänsemarsch den nächsten Hang hinaufkrabbelten. Vielleicht sollte ich jetzt die Drohnen aktivieren, die ich entdeckt habe. Mal sehen, ob sie aufwachen.
Die Tentakel des Händlers wippten unter seinem Bauch. ›Wie Sie wünschen.‹
Vor langer Zeit hatten sich die Meridianischen Drohnen tief in die Oberfläche hineingebrannt oder eingegraben. Als sie sich nun zu dritt auf den Fuß des nächsten Hügels zubewegten, schickte Dakota ein Aktivierungssignal auf Kommandoebene ab und hoffte, es könnte die Instruktionen, mit denen man die Drohnen vielleicht zurückgelassen hatte, außer Kraft setzen.
Nicht mal eine volle Minute verging, da wurde sie auch schon mit einem schwachen Beben belohnt, das den Staub unter ihren Füßen in kleine Wirbel versetzte. Dakota blieb stehen, drehte sich um und sah, wie rings um den Horteingang gewaltige Fontänen aus Fels und Schotter in die Höhe spritzten, als eine Drohne nach der anderen aus ihrem unterirdischen Versteck nach oben drängte. Mit hoher Geschwindigkeit brachen sie durch die Kruste, kreisend und im harten Sonnenlicht funkelnd; während sie von der Oberfläche emporschossen, rutschten Gesteinsbrocken von ihren verspiegelten Hüllen.
›Scheiße!‹, schrie Nancy in Panik. ›Was zum Teufel ist das?‹
Dakota fiel ein, dass sie vergessen hatte, Nancy ihre Absicht mitzuteilen.
Entschuldigung, ich hätte Sie warnen sollen. Das sind die Drohnen, die ich auf unserem Weg hierher entdeckte. Ich befahl ihnen, die Fregatte anzusteuern, aber zuerst mussten sie sich aus dem Boden ins Freie bohren.
›Wie kann man nur so dämlich sein?‹, tobte Nancy. ›Ich dachte, wir würden angegriffen!‹
Hey, ich habe mich für mein Versäumnis entschuldigt, oder?
›Ab sofort werden Sie mich informieren, auch wenn Sie nur daran denken, irgendetwas zu tun. Haben Sie mich verstanden?‹
Ja, Nancy, ich habe Sie verstanden.
Dakota bemühte sich, die Feindseligkeit zu ignorieren, die in Nancys Stimme mitschwang, während sie auf den nächsten Hügel zuhielt. Die Spinnen hatten die Spitze bereits erklommen und ein gutes Stück des Wegs zur Yacht des Händlers zurückgelegt.
Beim Aufstieg blieb der Händler an ihrer Seite. Dieses Mal fiel Nancy nicht so weit zurück. Als Dakota sich umwandte, sah sie, dass immer noch Gesteinsschutt langsam auf die uralten Ruinen herabregnete. Von den Drohnen war mittlerweile nichts mehr zu erkennen.
Dakota blickte wieder nach vorn und schickte den Drohnen ein Ping; sie stellte fest, dass sie auf Maximalleistung liefen und alle mit hohem Tempo auf die Fregatte zurasten. Hastig gab sie eine Warnung an Lamoureaux durch, um sicherzugehen, dass die anderen nicht glaubten, sie würden angegriffen.
›Na schön, trotz und alledem war das eine ziemlich spektakuläre Vorstellung‹, meldete sich Nancy bei ihr, wobei sie fast respektvoll klang.
Ich mache nur meinen Job, erwiderte Dakota. Sobald wir diese Feldgeneratoren an Bord gebracht haben, möchte ich mit dem Schiff in den Hort hinunterfliegen. Wir sollten die Gelegenheit nutzen und uns dort gründlich umsehen. Haben Sie irgendwelche Einwände?
›Nein. Das war doch ohnehin so geplant, nicht wahr? Ach, übrigens … diese Explosionen rund um den Hort. Waren das die Drohnen?‹
Ja. Warum?
›Und was verursacht dann dieses Glühen, das aus dem Inneren des Horts kommt?‹
Dakota hielt inne und drehte sich zu Nancy um, die ein kurzes Stück weiter unter ihr stand, einen Fuß auf einen Felsbrocken gestützt. Hinter ihr war das Innere des Horts tatsächlich heller geworden; es strömte ein Licht aus, das flimmerte, als stammte es von hundert verschiedenen Quellen, die sich aufeinander abgestimmt in ständiger Bewegung befanden. Es war, als würde ein Schwarm riesiger Glühwürmchen aus der Tiefe des Schachts nach oben fliegen.
Mit raumgreifenden, hüpfenden Schritten stürmte Dakota zur Hügelkuppe hoch, um von einem etwas höher gelegenen Punkt aus auf den Hort zu blicken. Als sie wieder hinschaute, war das Licht noch heller geworden und nahm weiterhin merklich an Leuchtkraft zu. Abermals bebte der Boden unter ihren Füßen. Sie sah zum Händler hinüber, der sich ebenfalls umgedreht hatte und zurückschaute. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit.
Händler, was hat das verdammte Licht zu bedeuten?
›Ich habe keine Ahnung. Fragen Sie die Drohnen, vielleicht haben die eine Erklärung.‹
Ein eisiger Schauer überlief sie. Diese Sonden, zu denen Sie den Kontakt verloren – könnte es sein, dass sie da unten auf irgendwas gestoßen sind?
›Das liegt nicht außerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit. Ich schickte eine weitere Sonde nach unten, aber vor kurzem brach auch dieser Kontakt ab.‹
Das Gefühl, dass sich irgendetwas Schreckliches anbahnte, überwältigte Dakota. Eilig schaute sie in die andere Richtung und konnte gerade noch die obersten Antriebsdorne der Yacht des Händlers ausmachen, die über einem rund einen Kilometer entfernten Hügelkamm aufragten. Sie sah auch die Prozession der Spinnen, die sich in einer Wellenlinie über die dazwischen liegenden Hänge und Täler der Yacht näherten.
Schnell schickte sie eine Anfrage an die Meridianischen Drohnen, in der Hoffnung, sie könnten sie darüber aufklären, was hier vorging. Sie benötigte mehrere Anläufe, um sich eine Art Antwort zu verschaffen, und als sie sie bekam, riss sie erschrocken die Augen auf.
Wir müssen von hier verschwinden, übermittelte sie den anderen. So schnell wie möglich.
Sie hetzte die Hügelflanke hinunter, getrieben von dem Gedanken, sich von dem Hort zu entfernen, doch ihre Beine bewegten sich so langsam wie in einem Alptraum. Den Drohnen befahl sie, umzukehren und in die Nähe des Horts zurückzufliegen, aber sie hatte bereits kostbare Sekunden verloren.
›Dakota?‹, fragte der Händler. ›Bitte erklären Sie.‹
Im Hort befinden sich Hunderte von unbemannten Scouts der Emissäre, Händler, und wir haben sie gerade geweckt.
Unverzüglich setzte sich der Händler wieder in Richtung seiner Yacht in Bewegung. ›Dann müssen wir die Drohnen zu unserer Verteidigung wieder hierherbeordern.‹
Ich habe sie schon zurückgerufen, aber ich weiß nicht, ob sie rechtzeitig hier sein können.
Dakota strauchelte einmal, fing sich wieder und rannte weiter. An Nancys hechelndem Atem merkte sie, dass sie begriffen hatte, worum es ging, und gleichfalls losgesprintet war.
Auf dem letzten Hügelkamm vor der Yacht legte Dakota eine Pause ein, um hinter sich zu blicken. Nancy näherte sich dem Fuß der Anhöhe, auf der sie stand, und der Händler hatte sie beide überholt. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie, wie er durch die offene Luke in die Yacht hineinschlüpfte, und einen entsetzlichen Moment lang befürchtete sie schon, er könnte sie und Nancy einfach zurücklassen.
Derweil hatten die Spinnen die Feldgeneratoren säuberlich unter der geöffneten Luke aufgestapelt. In der Luke selbst standen zwei Spinnen und warteten darauf, dass ihre Kameraden am Boden die Generatoren mit ihren Teleskoparmen zu ihnen hochreichten.
Bei der Yacht angekommen, kletterte Dakota geschwind auf eine der Spinnen hinauf und zog sich durch die Luke. Die beiden Spinnen, die sich bereits im Inneren der Yacht befanden, huschten eilig ein Stück zurück, um ihr Platz zu machen. Drinnen krachte sie versehentlich gegen einen Stapel Feldgeneratoren und konnte nur mit knapper Not verhindern, dass sie wieder aus der Luke purzelten. In diesem Moment sah sie Nancy, die sich den letzten Hang hinunterkämpfte und eine mächtige Staubwolke aufwirbelte, die kilometerweit zu sehen sein musste.
Vom Hort schoss eine wahre Flut aus dunklen Objekten gen Himmel; ihre Geschwindigkeit war so enorm, dass Dakota kaum Zeit hatte, sie wahrzunehmen. Ein Teil ihrer Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die Annäherung der Meridianischen Drohnen, die ebenso kaum wahrnehmbar waren, als sie auf die Scouts der Emissäre zuflogen.
Der Boden rings um die Yacht begann neuerlich zu beben; erstickend dichte Staubsäulen stiegen auf und verschleierten bald die Spitzen der nahe gelegenen Hügel.
Nancy stolperte und ruderte wild mit Armen und Beinen. Über die gemeinsame Komm-Leitung hörte Dakota sie schreien.
›Haben Sie das gesehen? Was ist denn jetzt schon wieder los?‹
Das sind die Scouts der Emissäre, antwortete Dakota. Sehen Sie zu, dass Sie schleunigst hierherkommen.
Nancy rappelte sich eilends hoch und taumelte an einem schulterhohen Felsblock vorbei. Sie hatte die Yacht fast erreicht.
›Ich habe Ihnen doch gesagt, dass mir das Ganze nicht geheuer vorkam!‹ kreischte sie über die Komm.
Sie hatten Recht. Wir hätten alles gewissenhafter abchecken sollen.
›Das nächste Mal hören Sie lieber auf mich. Man hat mich nicht ohne Grund zur Chefin der Sicherheit gemacht.‹
In der Umgebung des Horts blitzte ein gleißendes Licht auf, und ein Strahl aus gebündelter Energie traf den Kamm eines entfernten Hügels, der mit einer ungeheuren Wucht explodierte. Gleichzeitig sauste etwas Dunkles, Längliches dicht über sie hinweg, gefolgt von einem Schwall glühender Hitze, die so intensiv war, dass sie Dakotas Filter für einen kurzen Augenblick überforderte.
Nancy?
›Ich brauche Hilfe.‹
Dakota sprang aus der Luke und hetzte zu der Stelle, an der Nancy zusammengebrochen war. Ein Schauer aus kleinen Steinen prasselte rings um sie nieder, doch die geringe Schwerkraft bremste den Fall. In dem dichten Staub betrug die Sichtweite in jede Richtung höchstens ein paar Meter. Endlich fand Dakota Nancy, die auf Händen und Knien am Boden kauerte; durch die Komm-Verbindung hörte sie ihren stoßweisen, röchelnden Atem.
Sie schob einen Arm unter Nancys Schulter und zog sie hoch; Nancy stöhnte vor Schmerzen. Zusammen taumelten sie zur Yacht zurück, und als Dakota Nancy losließ, wäre sie um ein Haar wieder kollabiert.
Kommen Sie, Nancy, wir müssen Sie irgendwie ins Schiff reinbugsieren.
Sie hievte Nancy auf den Rückenpanzer einer Spinne und kletterte hinterher; dann packte sie sie mit sicherem Griff unter beiden Armen.
Halten Sie sich am Rand der Luke fest, und ich hebe Sie hoch.
›Ich kann nicht mehr.‹
Sowie Sie in der Yacht sind, sehe ich mir Ihre Verletzungen an.
Stöhnend streckte Nancy die Hände aus und umklammerte den Rahmen der Luke. Sie begann sich hochzuziehen, und Dakota half nach, indem sie ihre Hüften umfasste und in die Höhe stemmte. Zum Glück machte die niedrige Schwerkraft vieles leichter, trotzdem musste Dakota eine der bereits in der Yacht befindlichen Spinnen anweisen, Nancy hineinzuhelfen.
Gleich nach ihr hievte Dakota sich selbst hoch, und sobald sie das Schiff betrat, spürte sie den subtilen Übergang von geringer Schwerkraft zur totalen Schwerelosigkeit.
Wir sind alle an Bord. Nichts wie weg von hier, Händler.
Das Shoal-Mitglied gab keine Antwort, aber hinter ihnen schloss sich die Luke und sperrte den Staub aus. Als Dakota Nancy den Helm abnahm, sah sie, dass die Frau ohnmächtig geworden war. Ihre Haut war feuerrot und voller Brandblasen.
Dann reagierte Dakota endlich auf ein Dringlichkeitssignal von der Mjollnir, das sie seit ungefähr einer Minute ignoriert hatte.
›Dakota!‹, brüllte Lamoureaux, als sie den Kanal öffnete. ›Wir konnten etwas beobachten, das wie ein Kampf aussah. Was ist da unten los, verflucht nochmal?‹
Im Hort versteckten sich Scouts der Emissäre, die gerade in Aktion traten. Wir befinden uns wieder an Bord der Yacht, und die Feldgeneratoren haben wir eingeladen. Aber Nancy wurde verletzt. Sie richtete eine visuelle Verbindung ein, um Lamoureaux zu zeigen, was sie selbst sah. Als er sich von Nancys Zustand überzeugt hatte, konnte sie sein Entsetzen fühlen.
Sie hat eine hohe Dosis an Strahlung abgekriegt, meldete Dakota. Wenn es nicht schon geschehen ist, müsst ihr die Mjollnir für einen Fluchtstart bereitmachen. Ich weiß nicht, wie gut sich die Meridianischen Drohnen gegen ein paar Hundert Scouts der Emissäre behaupten können, aber wenn diese Scouts die Fregatte erreichen, stecken wir bis zum Hals in der Scheiße.
›Okay. Kommt schnellstmöglich hierher zurück. Ich habe euch auf den externen Sensoren, und es scheint, als hättet ihr soeben den Orbit verlassen.‹
Dakota blickte sich in dem beengten Raum um, in dem alles vollkommen still und ruhig wirkte. Es hatte nicht den leisesten Hinweis darauf gegeben, dass das Schiff sich überhaupt bewegt hatte. Als sie ihren zusammengefalteten Overall entdeckte, streifte sie ihn wieder über, während ihr Iso-Anzug in ihren Körper zurückwich.
Dann fing das Schiff zum ersten Mal sanft an zu schaukeln, und Tröpfchen einer Flüssigkeit kreiselten durch die Luft.
Händler?
›Eine unglückliche Begegnung mit ein paar Scouts der Emissäre, die uns verfolgen. Dürfte ich Sie wohl darum bitten, einige Meridianische Drohnen zu unserer Verteidigung einzusetzen?‹
Dakota schloss die Augen und klinkte sich in die Drohnen ein; sofort wurde sie von einem chaotischen Datenstrudel mitgerissen. Die Drohnen hatten ihre ursprüngliche Programmierung erneuert und kämpften nun darum, die Scouts der Emissäre in den Hort zurückzudrängen.
Sie spürte, wie eine der Meridianischen Drohnen starb; technologisch waren sie den Scouts weit überlegen, doch diese befanden sich allein aufgrund ihrer hohen Anzahl im Vorteil.
Dakota konzentrierte sich darauf, die Yacht zu schützen; sie hielt die Augen fest geschlossen und streckte Arme und Beine aus. Ihre Finger zuckten krampfhaft, während sie ihre Seite der Schlacht dirigierte, die draußen tobte. Angesichts der wütenden schwarzen Masse aus sie verfolgenden Scouts sah die Yacht des Händlers winzig und fragil aus. Und immer mehr Scouts ergossen sich aus der Mündung des Horts; gleißende Blitze flackerten über ihre Außenhüllen, als sie das Bombardement dicht gebündelter Strahlen abwehrten. Die Panzerungen der Maschinen beider Parteien, die diesen Kampf führten, zerbarsten, als ihre äußeren Schichten weggebrannt wurden, während die komplexen nanomolekularen Schaltkreise in ihrem Inneren versuchten, die dauernden Schäden zu beheben.
›Wir sind gleich so weit für einen kurzen Sprung‹, teilte Lamoureaux ihr mit. ›Haben Sie schon die Monitore auf Nancys Anzug gecheckt?‹
Dakota verwünschte sich im Stillen, weil sie nicht selbst daran gedacht hatte. Sie öffnete die Augen und aktivierte eilig den Datenschirm, der auf den Ärmel von Nancys Raumanzug gepresst war.
Es wird angezeigt, dass sie über fünfzig Gray Strahlung absorbiert hat, antwortete Dakota. Sie war sich durchaus nicht sicher, ob selbst die Wunder der modernen medizinischen Technologie eine derart hohe Dosis an ionisierender Strahlung ausgleichen konnten.
Nancy hustete, und Dakota blickte prüfend in ihr Gesicht. Die Lippen bewegten sich lautlos, und die Augen waren halb nach oben verdreht.
›Tja, das sieht wirklich nicht gut aus‹, meinte Lamoureaux.
Das ist die Untertreibung dieses beschissenen Jahrhunderts.
›Nun ja, wir können nicht mehr tun, als sie in eine Med-Box zu stecken und auf das Beste zu hoffen.‹
Ich hätte auf sie hören sollen. Sie hat die Situation besser eingeschätzt, aber ich wollte nichts davon wissen. Ich hätte alles viel genauer abchecken müssen, anstatt einfach irgendwo reinzuplatzen, ohne mich vorher wirklich kundig zu machen.
›Gehen Sie jetzt nicht zu hart mit sich ins Gericht, Dakota. Sie hat sich nicht gerade bemüht, Ihr Vertrauen und Ihren Respekt zu gewinnen.‹
Die Yacht erzitterte wieder. Händler, wie groß sind die Schäden?
›Beträchtlich, muss ich zu meinem Bedauern feststellen. Ich denke, ursprünglich befanden sich nur einige wenige Scouts in dem Hort, die dann jede verfügbare Ressource ausbeuteten, um Kopien von sich selbst herzustellen.‹
Woher wollen Sie das wissen?
›Es handelt sich um eine bewährte Taktik. Wenige dringen in ein umkämpftes Gebiet ein, vermehren sich rasch und greifen dann von innen an.‹
Und wie hilft uns dieses Wissen weiter?
›Die Scouts mit einem Antimateriekern erkennt man an den Magnetfeldern, die sie zur Eindämmung benutzen. Das sind Selbstmord-Vorrichtungen. Die Scouts ohne Antimateriekern kontrollieren den Rest.‹
Wenn wir also die mit dem Steuermechanismus zerstören, stoppen wir automatisch die anderen.
›Präzise.‹
Dakota verlangsamte ihre Zeitwahrnehmung, bis die Sekunden sich in die Länge dehnten. Sie führte eine Analyse des bisherigen Schlachtverlaufs durch und bemerkte, dass nur ein Dutzend Scouts in der Nähe des Horts blieben, während alle anderen sich mit großer Aggressivität in den Kampf stürzten. Sie beobachtete einen Scout, der auf eine Meridianische Drohne zuraste und im Moment der größten Annäherung detonierte. Die Schutzschilde der Drohne brachen zusammen, und sie wurde in einem gewaltigen Ausstoß von Hitze und Strahlung vernichtet.
Sie entschied, nicht länger zu flüchten, sondern selbst in die Offensive zu gehen.
Als sie die Drohnen schnurstracks zu dem Hort lenkte, bedeutete das für viele die sofortige Zerstörung. Doch anstatt wieder einen Ausweichkurs einzuschlagen, worauf sie programmiert waren, trieb sie die restlichen gnadenlos weiter zum Hort und der Ansammlung von Scouts, die über eine Kontrollfunktion verfügten und sich dort eingebunkert hatten.
›Dakota, hier spricht Ted. Wir haben eine Idee.‹
Hoffentlich taugt sie was.
›Ein paar Scouts kommen auf uns zu. Wir könnten sie vielleicht mit Impulskanonen eliminieren, sowie sie in Schussweite gelangen, aber wir können es nicht riskieren, dass sie Informationen über die Fregatte sammeln und an die Emissäre weitergeben. Denn dann wären sie gewarnt, dass wir uns in ihrer Nähe aufhalten.‹
Glauben Sie, das hätten sie nicht schon längst getan?
›Durchaus möglich, dass das bereits passiert ist, aber für alle Fälle sollten wir auf Nummer sicher gehen. Das ist unser Plan: Wir springen jetzt und treffen uns mit euch an den folgenden Koordinaten. Geben Sie sie an den Händler weiter, später holen wir euch dann an dieser Position ab.‹
Wir könnten weit voneinander entfernt im Normalraum auftauchen, Ted. Die Distanz könnte unter Umständen mehrere Lichtjahre betragen.
›Nicht, wenn wir nur einen kleinen Sprung machen, wie damals, als Sie uns von Redstone weggebracht haben. Das verringert die Chancen, dass wir uns verpassen. Ungefähr zwölf Lichtjahre von hier gibt es ein binäres System, das bestimmt ein gut erkennbares Ziel darstellt.‹
Im nächsten Moment entstand in Dakotas Kopf das Bild des Binärsystems.
›Es verfügt über sechs Satelliten, deshalb steuern wir den fünften an. Keiner von uns wird den exakten Punkt treffen, aber mit etwas Glück landen wir so nahe nebeneinander, dass es relativ schnell zu einem Rendezvous kommt.‹
Und was ist mit Nancy? Sie braucht dringend medizinische Behandlung, Ted – und zwar sofort!
›Der Konsens lautet, dass wir ein viel zu großes Risiko eingehen, wenn wir die Scouts noch näher an uns heranlassen. Wir werden diesen Sprung unverzüglich einleiten.‹
Konsens? Sie meinen Corso und Martinez, richtig?
Lamoureaux antwortete nicht, aber sie konnte seine Anspannung und Besorgnis spüren, als wären es ihre eigenen Gefühle. Dakota kehrte in die reale Welt zurück und ließ den Blick wieder auf Nancy ruhen. Ihre Haut hatte sich noch stärker gerötet, und ihre Lippen zitterten schwach.
Vielleicht war es besser, dass sie nicht mitbekam, was passierte.
Dakota beschrieb dem Händler den neuen Plan. Mittlerweile war über die Hälfte der Drohnen, die sie am Eingang zum Hort entdeckt hatten, zerstört.
›Kann man einige der intakten Drohnen bergen?‹
Ich glaube nicht, erwiderte sie. Ich könnte sie zu uns zurückholen, aber damit würden wir nur die Scouts anlocken.
›Dann müssen wir sie aufgeben.‹
Immerhin haben wir bekommen, was wir wollten. Wann können wir springen?
›Umgehend.‹
Die Fregatte war bereits fort; nur Sekunden nach ihrem Gespräch mit Lamoureaux war sie in den Transluminalraum eingetaucht.
Sie konzentrierte sich noch einmal auf den Hort. Die letzten der mit Antimaterie ausgerüsteten Scout-Klone hatten sich den restlichen Meridianischen Drohnen entgegengeworfen – mit verheerenden Folgen.
Dakota machte die Augen wieder auf und betrachtete Nancy. Sie dachte, wenn sie Glück hatte, bliebe sie, Dakota Merrick, vielleicht lange genug am Leben, um die Ironie zu würdigen, dass sie versuchte, das Leben einer Frau zu retten, die ihr selbst den Tod wünschte.
Es kann losgehen, Händler.
›Initiiere.‹
Die Sterne kreisten um die Yacht und waren dann für einen kurzen Augenblick verschwunden.
»Das ist es«, bestätigte Lamoureaux und beugte sich in dem Interface-Sessel vor, während er beide Hände nach hinten reckte, um sich den Nacken zu massieren. »Zwölf Lichtjahre, und nur eine halbe AE vom Zielpunkt entfernt.«
Corso nickte und blickte nach oben auf die unter der Decke schwebende Simulation des Systems, in dem sie gelandet waren. Jeder der dargestellten Planeten gewann nach und nach mehr Details, als zusätzliche Daten von den Hüllensensoren hereinkamen.
Martinez entfernte sich von der Konsole, an der er gearbeitet hatte, und sackte neben Perez auf eine Couch. »Ich schätze, jetzt können wir nicht mehr tun als abwarten, ob sie es ebenfalls schaffen.«
Die nächsten Minuten krochen zäh dahin. Corso sah sich auf der Brücke um und studierte Displays von abgefangenen Tach-Net-Transmissionen aus dem Perseusarm; das meiste davon war ein unverständliches Kauderwelsch.
Dreizehn Minuten nach dem Sprung ertönte ein Alarm.
»Sie sind da!«, rief Lamoureaux, auf einen Punkt in der Ferne starrend. »Ich habe ihre Signale aufgeschnappt.«
Martinez klatschte ein paarmal in die Hände, und Corso ertappte sich dabei, wie er breit grinste, als die Spannung jäh von ihm abfiel.
»Die Entfernung zwischen uns beträgt nur ein paar Lichtminuten«, fügte Lamoureaux hinzu. »Das bedeutet, dass wir in wenigen Stunden das Rendezvousmanöver einleiten.«
»Ist die Krankenstation auf Nancys Ankunft vorbereitet?«, erkundigte sich Martinez.
Corso entging nicht Lamoureaux’ kurzes Zögern, als er entgegnete: »Ich habe die Siegel aufgebrochen und die Med-Boxen wieder aktiviert.«
Martinez nickte nur, als stelle ihn diese Antwort zufrieden, doch Corso wusste, dass sie sich alle etwas vormachten; höchstwahrscheinlich konnten sie Nancy Schiller gar nicht mehr helfen. Sollte sie wie durch ein Wunder noch am Leben sein, wenn die Yacht des Händlers an der Fregatte andockte, wäre es vermutlich viel zu spät, um sie zu retten.
Lamoureaux trat von dem Interface-Sessel herunter und näherte sich Corso. »Haben Sie noch einmal über das nachgedacht, was wir bei den Reaktoren fanden?«, fragte er ihn leise.
Corso streifte Perez und Martinez mit einem wachsamen Blick, doch die beiden Männer waren zu einer Konsole auf der anderen Seite der Brücke gegangen und diskutierten eifrig über Daten aus der Astrogation.
»Ich denke, Dakota sollte sich das ansehen«, erwiderte er. »Wenn wir bezüglich Whitecloud Recht haben, muss sie die Erste sein, die es erfährt.«
»Ihnen ist doch klar, dass wir ihr dann verraten müssen, wer er in Wirklichkeit ist?«
»Ja … ja, sicher«, gab Corso zurück. »Ich werd’s ihr sagen, obwohl mir jetzt schon davor graut.«
»Das kann ich mir gut vorstellen«, bestätigte Lamoureaux. »Um dieses Gespräch beneide ich Sie wirklich nicht.«