Kapitel Zwanzig
Einen Tag später begab sich Dakota zum Heck der Mjollnir. Ihr Ziel war der Haupthangar, ein gigantisches, wie ein Zylinder geformtes Gewölbe, das nahezu ein Fünftel des Gesamtinnenraums der Fregatte einnahm. Als sie sich in eine Überwachungskuppel setzte und den Blick durch die luftleere Halle schweifen ließ, sah sie die Meridianischen Drohnen, die sich zwischen die Landungsschiffe und Hängegerüste schmiegten oder an verschiedenen Schotten klebten, als wären sie dort festgeleimt. Ihre vollkommen glatten, reflektierenden Oberflächen machten sie beinahe unsichtbar.
Dann konnte sie beobachten, wie sich das Hauptportal des Hangars langsam öffnete; es teilte sich in vier Viertelkreise und enthüllte ein sich vergrößerndes Kreuz aus mit Sternen gesprenkelter Schwärze. Mitten in dieser Leere hing die Yacht des Händlers und schwoll allmählich an, als sie sich bedächtig in den Hangar hineinmanövrierte.
Die Yacht hatte die Farbe von Pergament, und die Antriebsdorne funkelten unter den starken Scheinwerfern der Halle. Sie schwenkte zu einer Seite, als das Portal sich wieder zu schließen begann, und wartete darauf, von den Greifarmen gepackt und in ein leeres Hängegerüst gezogen zu werden.
Dakota berührte ein Komm-Terminal, und im nächsten Moment verriet ihr ein sanfter Glockenton, dass eine Verbindung zu dem Raumschiff bestand.
»Willkommen an Bord, Händler.«
»Ich grüße und beglückwünsche Sie, meine teure Dakota. Mir scheint, dass die Fregatte sich weigert, eine Luftschleusenverbindung zu meiner Yacht herzustellen. Darf ich fragen, warum?«
»Während der Dauer der Reise müssen Sie dort bleiben, wo Sie jetzt sind. Senator Corso hat sich in diesem Punkt sehr klar ausgedrückt.«
»Ah, Lucas Corso. Ich habe gehört, dass er während der letzten Jahre den Fluss des Lebens stromaufwärts schwimmen musste, und welch beschwerlicher Weg hinter ihm liegt. Seine Zähne sind indes gewachsen; jetzt ist er eher ein Raubfisch als ein Beutefisch. Vermutlich hatten Sie bereits Gelegenheit, die Meridianischen Drohnen einzusetzen?«
»Doch, ja, ich habe sie aktiviert. Sind Sie sicher, dass Sie mir ein derart massives Zerstörungspotenzial anvertrauen wollen?«
»Ich betrachte unsere Beziehung als eine Symbiose, Dakota. Da wir aufeinander angewiesen sind, müssen wir notgedrungen einander vertrauen. Doch selbst diese Drohnen reichen für unsere Zwecke nicht ganz aus. Einem direkten Angriff hat die Fregatte nach wie vor kaum etwas entgegenzusetzen, deshalb schlage ich vor, dass wir Schutzschilde eines wesentlich fortgeschritteneren Typs erwerben, die Ihrer gegenwärtigen Abschirmung weit überlegen sind.
»Und wo bekommen wir diese Art Schutzschirm?«
Die Primärspeicher der Mjollnir zeigten Dakota, dass ein neuer Schwung Daten von der Yacht des Shoal-Mitglieds an sie übermittelt wurde.
Sie prüfte die Informationen auf Fallen, und als sie keine entdeckte, versteckte sie sie hinter einer Firewall im Speicher des Terminals. Es war ein Satz Koordinaten für ein System, das ein paar Tausend Lichtjahre weiter entlang ihrer geplanten Flugbahn lag, dicht am Rand des Spiralarms und nicht weit von der Region des Langen Kriegs entfernt.
»Um zu dem betreffenden System zu gelangen, muss man einen kleinen Abstecher einlegen, aber unsere Gesamtreisezeit verlängert sich dadurch höchstens um ein paar Tage«, erklärte der Händler. »Dakota … bitte überlegen Sie es sich noch einmal, ob Sie mich nicht doch an Bord kommen lassen wollen, denn ich würde zu gern den Mos Hadroch sehen. Auf diesen Augenblick habe ich sehr lange gewartet, und ich möchte beweisen, dass ich vertrauenswürdig bin.«
Bestimmt bildete sie es sich nur ein, dass in dem maschinellen Tonfall seines Übersetzungssystems eine Spur von Wehmut mitschwang.
»Das kommt gar nicht infrage«, lehnte sie rundheraus ab. »Ich hatte schon ein großes Problem, Lucas dazu zu bewegen, Sie überhaupt in die Nähe der Fregatte zu lassen.«
»Niemand betritt eine Kampfarena, ohne sich vorher zu vergewissern, dass seine Waffen auch voll funktionstüchtig sind, Dakota. Sollte der Mos Hadroch eine Kanone sein, verfüge nur ich über den Auslöser. Bevor wir ihn einsetzen, müssen wir ihn testen.«
Der verdammte Fisch hatte sogar Recht, gestand sie sich ein. »Ich werde mit ihm reden«, erwiderte sie. »Mehr kann ich nicht tun. Aber er wird sich nicht umstimmen lassen.«
Vor der Ankunft des Shoal-Mitglieds hatte Corso die Sicherheitssysteme auf die höchste Alarmstufe eingestellt und Nancy Schiller angewiesen, die Schutzmaßnahmen für die wichtigsten Steuersysteme zu verschärfen, um sie noch besser gegen Manipulationen abzusichern.
»Anscheinend sitze ich fest zwischen der erdrückenden Tiefsee und der tödlichen Luft«, gab sich der Händler schließlich geschlagen. »Aber eines dürfen Sie nicht vergessen: Wenn wir unseren endgültigen Bestimmungsort erreichen, werde ich nicht in der Lage sein, den Mos Hadroch per Fernsteuerung zu aktivieren. Wollen Sie mir selbst dann den Zugang zu ihm verwehren, Dakota?«
»Nein«, antwortete sie. »Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, ändert sich die Situation. Natürlich«, fügte sie hinzu, »könnten Sie uns auch einfach verraten, was wir tun müssen, um den Mos Hadroch selbst zu steuern. Dann brauchen Sie diese Reise mit uns erst gar nicht anzutreten.«
Dakota lächelte in sich hinein, als eine längere Pause folgte.
»Ich denke, wir beide verstehen einander«, gab der Händler nach einer Weile zurück. »Dann auf Wiedersehen, Dakota.«
»Warten Sie.« Sie streckte eine Hand aus, ohne daran zu denken, dass der Händler sie nicht sehen konnte. »Ich möchte Sie noch etwas fragen.«
»Ja?«
»Während meiner Reise zum Schwarm traf ich auf Hunderte von zerstörten Zweigwelten der Atn. Doch die meisten davon wurden verwüstet, als es den Mos Hadroch vermutlich noch gar nicht gegeben hat.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Anfangs nahm ich an, der Schwarm hätte diese Zweigwelten attackiert, weil er dachte, in einer von ihnen könnte sich der Mos Hadroch verbergen. Aber die Atn und der Schwarm bekämpften sich schon viel, viel früher. Wieso führten sie so lange Krieg miteinander? Oder ist der Mos Hadroch doch älter, als ich glaubte?«
»Wir alle leben inmitten der Ruinen unserer Vorgänger, Dakota. Es gibt Kriege, die begannen, da waren die ersten Sterne noch jung, und sie werden selbst dann noch weitergehen, wenn der letzte Stern gestorben ist. Sowohl die Schwärme als auch die Atn waren zu Anfang ihrer Existenz Waffen auf beiden Seiten eines längst vergessenen Krieges – aber die Atn wissen mittlerweile nicht mehr, welchem ursprünglichen Zweck sie einstmals dienten. Befriedigt das Ihre Neugier?«
»Ja.« Dakota stemmte sich aus ihrem Sessel hoch und warf einen letzten Blick in den Hangar hinunter. »Auf Wiedersehen, Händler.«
»Ich habe den Kommunikationsverkehr von Redstone überwacht, Dakota. Ich weiß, dass Sie Ihr eigenes Schiff zerstört haben.«
Dakota umklammerte die Rückenlehne des Sessels, von dem sie gerade aufgestanden war. »Richtig, aber ich hatte keine Wahl. Sie wissen schon, warum mir nichts anderes übrigblieb.«
»Es ist immer besser, über sein eigenes Schicksal selbst zu bestimmen, nicht wahr? Und dennoch stelle ich mir vor, dass es für Sie eine schmerzliche Entscheidung gewesen sein muss. Ich denke, Sie werden sich jetzt sehr einsam fühlen.«
Sie ließ den Sessel los und driftete zum Fenster; plötzlich litt sie an Atemnot. Vage nahm sie ihr Spiegelbild wahr, das wie ein Geist über dem Hangar zu schweben schien, und sie kämpfte gegen den übermächtigen Wunsch an, die Drohnen wieder zu aktivieren, dieses Mal, um das Schiff des Händlers in seinem Hängegerüst zu verbrennen.
»Einsamer, als Sie es sich überhaupt vorstellen können«, entgegnete sie und ging.