Kapitel Dreizehn

Als Corso das Bewusstsein wiedererlangte, lag er im Krankenhaus in einem Privatzimmer. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, und das einzige Licht im Raum stammte von der funkelnden Skyline der Stadt Unity. In Richtung des Zentrums sah man das Senatsgebäude, eine mit kunstvollen Trägern umkränzte Kuppel, die von innen durch Scheinwerfer ausgeleuchtet wurde.

Über eine Wand neben der Tür liefen Landschaftsbilder; ein Video-Endlosband zeigte eine Küste unter einem grau bewölkten Himmel. Er nuschelte eine Reihe von Kommandos, bis er den richtigen Befehl herausfand, um das Video abzustellen, dann legte er den Kopf auf das Kissen zurück und genoss die plötzlich eingetretene Ruhe.

»Sie sind wieder wach, wie ich sehe.«

Verdutzt schnellte Corso in die Höhe. Breisch hatte die ganze Zeit über neben dem Bett auf einem Stuhl gesessen; in der Düsternis war er kaum zu sehen gewesen.

»Wie lange war ich weggetreten?«, würgte Corso hervor, ehe er den Kopf ermattet auf das Kissen zurückfallen ließ. Sein Mund und seine Kehle fühlten sich wund an und schmerzten.

Breisch erhob sich von seinem Stuhl und trat ans Bett heran. »Die Ohnmacht dauerte zwei Tage. Aber die Medizinmänner haben Sie wieder hingekriegt. Das war ein verdammt guter Kampf.«

»Ich hatte nicht geglaubt, dass ich überleben würde.«

»Sie haben auch nur knapp gesiegt. Doch im Gegensatz zu Jarret blieben Sie ruhig. Er war sich seiner Sache zu sicher, bildete sich ein, er hätte mit Ihnen leichtes Spiel.«

Jetzt kamen die Erinnerungen zurück, obwohl er das Gefühl hatte, dies alles sei vor einer Million Jahren passiert. »Ich entsinne mich wieder. Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich …«

»Schon gut«, schnitt Breisch ihm das Wort ab. »Ich glaube, Ihr Unterricht bei mir wäre ohnehin abgeschlossen gewesen. Ich wollte nur hier sein, wenn Sie aufwachen. Hier ist noch jemand, der darauf gewartet hat, Sie zu sehen, seit man Sie mit dem Hubschrauber hierherbrachte.«

Breisch ging zur Tür und öffnete sie.

»Warten Sie …«, setzte Corso an.

»Viel Glück, mein Sohn«, sagte Breisch. »Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu arbeiten.« Er trat durch die Tür und war fort.

Corso starrte die geschlossene Tür an und versuchte, sich aufrecht hinzusetzen. Die rechte Seite seiner Brust brannte immer noch wie Feuer, deshalb bewegte er sich mit äußerster Vorsicht. Er spürte, wie sich unter der Bettdecke etwas an seiner Brust regte, doch ehe er nachschauen konnte, ging die Tür wieder auf, und Dakota trat ins Zimmer.

»Für dich ist es sicher nicht gut, wenn du dich so viel bewegst«, meinte sie, ihn von oben bis unten musternd.

Corso erstarrte, dann ließ er sich wieder behutsam aufs Bett zurückgleiten. »Bevor ich dich da drüben entdeckte, dachte ich, du seist tot«, brummte er.

Dakota marschierte an seinem Bett vorbei und hockte sich auf die Kante der Fensterbank. Die Lichter der Stadt, die sie nun von hinten anstrahlten, gaben ihrer Haut einen hellen Bronzeton.

»Auf eine komische Art und Weise war ich es wirklich«, antwortete sie. »Und ich kann nicht mal mit Bestimmtheit sagen, ob ich es nicht immer noch bin.«

Mit der linken Hand zog er die Bettdecke herunter und sah zu seinem Entsetzen, dass etwas wie eine riesige Raupe mit halbdurchsichtigem Fleisch quer über seiner Brustverletzung lag. Er sah Blut – sein Blut –, das durch diesen Körper pulsierte, während ein Dutzend Beine sich in seine Haut bohrten und die Wundränder zusammenhielten.

»Die Wunder der modernen Biotechnologie«, kommentierte Dakota. »Mach dir keine Sorgen. Ein Arzt sagte mir, in ein paar Tagen, wenn die Wunde verheilt ist, stirbt das Ding und fällt einfach ab.«

Corso zog die Decke wieder hoch, durch und durch verstört von dem Anblick.

»Du bist einfach verschwunden«, beklagte er sich. »Wir erhielten noch deine letzte Warnung, in der du uns mitteiltest, dass der Schwarm in deine Richtung steuert … und dann kam nichts mehr. Was zum Teufel war los mit dir, Dakota?«

»In dem Moment, in dem ich unachtsam wurde, griff der Schwarm mich an.« Sie zuckte die Achseln. »Ich dachte, ich würde ihn studieren, während er die ganze Zeit lang die Daten abzog, die ihr mir geschickt habt. Als dann der Angriff erfolgte, saß ich in der Falle. Ich musste die letzten Energiereserven meines Schiffs aufbrauchen, um euch diese Botschaft zukommen zu lassen.«

»Aber du bist doch entkommen. Du konntest fliehen, und jetzt bist du hier.«

»So simpel ist das nicht.«

Corso stöhnte und startete den nächsten Anlauf, um sich in eine sitzende Position zu hieven. In seinem Kopf hämmerte ein Schmerz. »Ich muss aufstehen.«

Sie sprang von dem Fensterbrett herunter, stellte sich ans Bett und drückte ihn sachte wieder zurück. »Nichts ist so wichtig, dass du dich augenblicklich darum kümmern müsstest.«

»Erzähl mir genau, was passiert ist. Was meintest du mit: So simpel ist das nicht?«

Sie rang sich ein scheues Lächeln ab. »Du erinnerst dich sicher, dass sich der Schwarm in der Nähe eines Roten Riesen versammelt hatte. Nun, der Planet explodierte und verwandelte sich in eine Nova. Anfangs glaubte ich, es sei bloß das natürliche Ende eines Sternenlebens, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass der Schwarm nachgeholfen hat.«

»Und ehe der Stern sich zu einer Nova aufblähte, konntest du dich mit einem Transluminalsprung in Sicherheit bringen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Dann … Das verstehe ich nicht.«

»Als ich mein Bewusstsein wiedererlangte, hatte ich den größten Teil des Rückflugs hinter mir. Ich war fast schon wieder zu Hause. Kurz bevor das Schiff zerstört wurde, hatte es mich auf eine Information reduziert und nutzte seine allerletzten Energiereserven, um diese Daten an ein anderes Schiff der Weisen zu transferieren, das nur wenige Tagesreisen weit von hier entfernt liegt.« Sie gönnte ihm den Hauch eines Lächelns. »Sie hatten mich neu erschaffen, nur hat es den Anschein, als sei etwas von mir während der Transmission verlorengegangen.«

In schockiertem Schweigen starrte Corso sie an, als sie mit ihrer Geschichte fortfuhr. »Ich kann spüren, dass eine ganze Menge fehlt. Manchmal will ich mich an etwas erinnern, und dann gibt es da nur ein winziges Bruchstück, ein Bild oder ein Gesicht oder etwas, das ich nicht einmal genau erkennen kann, aber das ist dann auch schon alles.« Sie wirkte plötzlich mutlos. »Es ist, als befände sich an der Stelle, wo früher ein großer Teil meines Lebens war, nur noch diese gähnende Leere.«

Corso suchte krampfhaft nach einer angemessenen Erwiderung. »Aber du bist doch hier, du lebst, nicht wahr? Zumindest …«

»Nein«, fiel sie ihm brüsk ins Wort. »Ich erinnere mich an meinen eigenen Tod, Lucas. Und ich weiß nicht, wie ich das verkraften soll.«

»Dakota, wenn eines dieser Schiffe der Weisen dich tatsächlich … wieder zum Leben erweckt hat, dann ist das … dann ist das einfach unfassbar! Du hast mehr Glück gehabt, als jeder andere Mensch vor dir!«

Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich bin nicht ich selbst. Mein wirkliches Ich ist gestorben.«

»Weißt du, manche Leute würden das für Wortklauberei halten.«

Sie fasste ihn scharf ins Auge. »Angenommen, jemand stellte eine exakte Kopie von dir her, und dieses Doppel würde dann versuchen, dich umzubringen. Wäre das in Ordnung, nur weil alle deine Gedanken, Emotionen und Erinnerungen, sogar dein Gefühl für deine Identität, in dieser Reproduktion enthalten sind? Wärest du – der wahre Lucas Corso, meine ich – dann weniger tot?«

Corso klappte den Mund auf, doch dann zögerte er. »Nein«, antwortete er ein wenig widerstrebend. »Nein, ich denke, ich wäre dann tatsächlich tot. Aber wenn ich wüsste, dass ich nicht mehr lange zu leben hätte, würde ich mich bestimmt besser fühlen, wenn ich sicher sein könnte, dass es mich in irgendeine Weise immer noch gibt.«

Dakota schlug einen schärferen Ton an. »Trotzdem wärst du tot, so oder so. Und die Kopie könnte das Original niemals ersetzen, wäre immer nur ein Abklatsch … darüber habe ich viel nachgedacht.«

Das merke ich, dachte Corso, aber er hielt den Mund.

»Ein Teil von mir«, sprudelte Dakota hervor, »dachte, ich hätte mich nun meiner früheren Verantwortung entledigt. Jetzt könnte ich einfach wegfliegen und brauchte mich keinen Deut mehr um den Langen Krieg oder die Emissäre oder ähnliche Probleme zu kümmern. Diese Version meiner Persönlichkeit war nicht in Nova Arctis oder in Night’s End, egal, was meine Erinnerungen mir sagen mögen. Deshalb muss ich mich nicht mehr mit diesen Dingen beschäftigen.«

»Na schön«, erwiderte er. »Und warum kamst du dann trotzdem hierher?«

»Mir blieb keine andere Wahl.«

Er brauchte ein Weilchen, um diese Antwort zu verdauen. »Das begreife ich nicht.«

»Die Schiffe der Weisen sind alle fest darauf programmiert, dem Schöpfer Einhalt zu gebieten. Selbst wenn ich mich absetzen wollte, würde das Schiff, das mich von den Toten zurückgeholt hat, es niemals zulassen.«

»Aber du bist doch sein Navigator, natürlich kannst du …«

»Nein, ich kann nicht«, unterbrach sie ihn. »Jetzt nicht mehr.«

»Wie kommt das?«

Sie seufzte. »Lass es mich so ausdrücken: Seit meiner Wiederbelebung hat sich meine Beziehung zu den Schiffen der Weisen grundlegend gewandelt. Ich würde dir gern mehr erzählen, aber dazu ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.«

»Warum nicht?«

Während er sprach, zog sie ihre Jacke aus; darunter trug sie nur eine ärmellose Weste, die ihre nackten Schultern zeigte. »Weil ich im Augenblick nicht daran denken möchte.«

Corso schwieg und sah zu, wie sie die Weste über den Kopf streifte und achtlos auf den Boden warf. Sein Mund wurde sofort trocken, als er ihren glatten Bauch und die kleinen, festen Brüste betrachtete.

»Ich muss dich warnen, dass ich momentan nicht in der besten Verfassung bin«, krächzte er.

»Sag mir nur Bescheid, wenn es wehtut«, erwiderte sie, öffnete rasch die Reißverschlüsse ihrer Stiefel und kickte sie zur Seite. Als Nächstes entledigte sie sich ihrer Hose und der Unterwäsche.

In der Dunkelheit starrte Corso sie an; trotz seiner Verletzungen und der Medikamente reagierte sein Körper instinktiv, und widerstrebend dachte er daran, wie lange es her war, seit er das letzte Mal eine Frau geliebt hatte. Während der letzten Jahre war ihm vor lauter Arbeit für nichts mehr Zeit geblieben.

Sie schlug die Decke zurück und schwang sich rittlings auf ihn. Unwillkürlich streichelte Corso ihren straffen Bauch. Schnell schob sie ihn in sich hinein, dann umfasste sie mit beiden Händen die Seiten seines Brustkorbs, ohne ihn an der Stelle zu berühren, an der die raupenähnliche Kreatur seine Verletzung versorgte. Bald wiegte sie ihre Hüften in einer steten, rotierenden Bewegung vor und zurück, die ihm Schauer der Lust über den Rücken jagte.

Er fing an zuzustoßen und hob die Hüften von der Matratze, aber sie schüttelte den Kopf. »Nein. Bleib ganz still liegen.«

Während der nächsten Minuten beobachtete er sie, und es bereitete ihm großes Vergnügen mitzuerleben, wie sie begann, in kurzen, scharfen Zügen zu atmen, und den Kopf weit nach hinten legte, als sie sich dem Höhepunkt näherte. Seine Hände wanderten weiter nach oben und schlossen sich sanft über ihre kleinen Brüste. Ihr Körper fühlte sich so schmiegsam und samtig an, so vollkommen menschlich, dass er ihre Geschichte unmöglich glauben konnte. Wenn er sie anfasste, hatte er absolut das Gefühl, dass sie völlig real war.

Der Ausdruck höchster Konzentration auf ihrem Gesicht weckte in ihm Erinnerungen an andere Zeiten, die er mit Dakota verbracht hatte. Zuerst fielen ihm die Ereignisse an Bord der Hyperion ein, dann die Vorkommnisse in einem Bandati-Turm auf einer fernen Welt, die längst ausgelöscht war. Abermals fragte er sich, was an ihrer Geschichte dran sein mochte; war sie tatsächlich auf irgendeine Weise neu erschaffen worden, wiedergeboren aus dem Fleisch eines dieser fremdartigen Sternenschiffe …

Die Vorstellung verpasste ihm einen Dämpfer.

Er spürte, wie seine Lust sehr schnell abflaute, doch ein paar Sekunden später drückten Dakotas Hände schmerzhaft zu, ehe sie die Stirn auf seine Brust sinken ließ.

Nach einer Minute hob sie den Kopf und sah ihn fragend an.

»Es wird an den Medikamenten liegen«, murmelte er verlegen.

Sie musterte ihn mit abschätzendem Blick, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie ihm glauben konnte. Ohne ein Wort stemmte sie sich hoch, glitt von ihm herunter und schmiegte sich eng an seine Seite. Ihre Haut verströmte eine Hitze wie ein Brennofen.

»Falls du das von Anfang an geplant hattest, warst du hoffentlich so diskret, das Personal zu bitten, nicht plötzlich ins Zimmer zu platzen«, brummte er.

»Ich glaube nicht, dass wir gestört werden.« Mit einem Finger fuhr sie seine Kinnlinie entlang. »Wer ist eigentlich dieser Breisch?«

»Er brachte mir das Kämpfen bei.«

Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und blickte auf ihn hinunter. »Was ist nur aus dir geworden, Lucas? Ich habe mir den ganzen Kampf angesehen, und du hast diesen Kerl kaltblütig getötet. Es war … brutal. Ich dachte, du würdest solche Sachen ablehnen.«

Corso zuckte die Achseln. »Wie es scheint, ist das die einzige Möglichkeit, mir hier Gehör zu verschaffen. Eine Menge Leute wünschen mir den Tod, und der Rest nimmt mich nicht ernst, wenn ich ihre Spielchen nicht mitmache.«

»Aber deshalb musst du doch nicht gleich …«

»Oh doch!«, gab er vehement zurück. »Seit deinem Abflug hat sich die Situation hier gewaltig verschärft, Dakota. Die Flotte hat einen Großteil ihrer Macht eingebüßt, wir haben unsere Schlagkraft verloren. Und die Freistaatler sind nicht die Einzigen, die uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit unterminieren.«

»Es stand dir doch zu, gegen unkooperative Welten Sanktionen zu verhängen.«

»Das schon, doch mir fehlte die moralische Autorität, und die jeweiligen Regierungen wussten das. Die Einzigen, die von den Sanktionen getroffen wurden, waren Flüchtlinge, die man einfach auf Welten abgeladen hatte, denen nicht einmal die Ressourcen zur Verfügung standen, um mit diesem Problem fertigzuwerden. Zu viele sind gestorben, Dakota. Wir mussten nachgeben, besonders als einige Navigatoren ausscherten.«

»Aber wir entschieden uns doch nur für Navigatoren, die wir für absolut vertrauenswürdig hielten«, versetzte sie gereizt.

»Es sind aber nur soundso viele Maschinenköpfe der alten Schule verfügbar, deshalb mussten wir notgedrungen auf Navigator-Kandidaten zurückgreifen, deren Hintergrund wir nicht immer prüfen konnten. Und wem letzten Endes ihre Loyalität galt, ließ sich kaum feststellen. Die meisten Navigatoren der ersten Stunde, wie Lamoureaux zum Beispiel, standen auf unserer Seite, doch zwei Drittel dieser Leute sind ausgebrannt, und das aus Gründen, die wir nicht verstehen. Wie es aussieht, sind wir nur mit viel Mühe und Not imstande, wenigstens die Verkehrsrouten aufrechtzuerhalten, die das Konsortium zusammenhalten.«

»So schlimm ist das?«

»Nachdem du fortgingst, pendelte ich zwischen Ocean’s Deep und Redstone hin und her. Ich versuchte zu verhindern, dass hier nach dem Coup alles auseinanderfiel. Anfangs behandelte man mich wie einen heimgekehrten Helden, aber ich merkte schon bald, dass ich mir ungewollt eine Menge Feinde gemacht hatte. Diese Leute standen buchstäblich Schlange, um mich zu einem Zweikampf zu fordern. Ich lernte kämpfen, weil ich keinen anderen Ausweg aus diesem Dilemma wusste, ohne auch noch das letzte bisschen Einfluss zu verlieren. Ich wollte meinen Gegnern beweisen, dass ich auf ihre Bedingungen eingehen und sie dann auch noch besiegen konnte. Doch die Situation spitzte sich immer mehr zu, anstatt besser zu werden.«

»Aber jetzt wissen wir, dass es den Moss Hadroch tatsächlich gibt.« Wieder zog sie die Kontur seiner Wange mit dem Finger nach. »Du hast ihn gefunden und hierhergebracht, nicht wahr? Bist du jetzt davon überzeugt, dass ich Recht hatte?« Ihre Miene war angespannt, und in ihren glänzenden Augen erkannte er eine Spur von Gier.

»Nein, das Fundstück befindet sich immer noch weggesperrt an Bord des Schiffs, auf dem es nach Redstone befördert wurde. Deshalb fand der Kampf ja statt. Jarret wollte die Kontrolle über das Schiff und diese spezielle Fracht übernehmen.«

Auf ihrem Gesicht wechselten sich Schock und Ärger miteinander ab, als sie entgegnete: »Dann hat sich hier seit meinem Fortgehen wohl nicht viel verändert, oder?«

»Leider nein.«

»Also gut. Und was genau wissen wir über diesen Mos Hadroch?«

»Im Grunde gar nichts. Es steht nicht einmal fest, dass wir ihn wirklich gefunden haben. Wir entdeckten lediglich einen toten Atn, versteckt in einem verborgenen Tunnel innerhalb einer aufgegebenen Zweigwelt. Und …«

Um ein Haar hätte er sich verplappert und Whiteclouds richtigen Namen ausgesprochen. Die Beruhigungsmittel machten es ihm schwer, klar zu denken.

»Möglicherweise befindet sich das, wonach wir suchen, im Innern des Atn«, fuhr er hastig fort. »Doch kaum hatten wir dessen Leiche an Bord der Mjollnir gehievt, wurde sie auf Anweisung des Senats weggesperrt. Die Legislatur handelte heimlich einen Deal aus, um die sterblichen Überreste dieser Kreatur nach Sol bringen zu lassen, sowie ein paar wichtige Reparaturarbeiten am Schiff beendet sind.«

Dakota starrte ihn offenen Mundes an. »Ich … ich habe nichts davon gewusst«, hauchte sie schließlich. »Wir können diesen Fund nicht Leuten überlassen, die nicht wissen, womit sie es zu tun haben. Nicht, wenn ihr wirklich den Mos Hadroch geborgen habt.«

Er blickte an ihr vorbei zum Fenster. Das erste Licht der Morgendämmerung rötete den Horizont. »Jarrets Tod bedeutet, dass ich wegen der Mjollnir nicht mehr herausgefordert werden kann, aber im Senat sitzen Leute, die vermutlich vor nichts zurückschrecken, um zu verhindern, dass wir Driscolls Fund in die Hände kriegen.«

Dakota stemmte sich wieder auf einen Ellenbogen hoch und fixierte ihn mit entschlossener Miene. »In diesem Fall müssen wir uns an Bord des Schiffs begeben, ehe diese Leute aktiv werden. Wir müssen den Mos Hadroch an einen anderen Ort schaffen.«

»Und wohin?«

»Tief ins Zentrum des Territoriums der Emissäre«, erwiderte sie. »Weit, weit weg.«

»Zu den Emissären willst du ihn bringen?« Corso klappte die Kinnlade herunter. »Du machst Witze!«

»Wir müssen einen Technologiehort ansteuern, der quasi im Herzen ihres Imperiums liegt. Dieser Hort hat bestimmte, einzigartige Schwachstellen, und der Mos Hadroch ist darauf geeicht, diese verwundbaren Punkte auszunutzen. Aber wir sind nicht wehrlos. Uns stehen Hunderte von hochwirksamen Waffen zur Verfügung, Kriegsgeräte, die von Aliens konstruiert wurden. Wenn es auf eine Konfrontation hinausläuft, womit ich fest rechne, haben wir eine reelle Chance, am Leben zu bleiben.«

»Wenn ich dich fragen würde, wo du diese ›Waffen‹ aufgetrieben hast … bekäme ich dann eine Antwort?«

Sie lächelte matt. »Jetzt noch nicht.«

Stöhnend schickte er sich an, aus dem Bett zu steigen.

»Ist das nicht unvernünftig?«, meinte Dakota.

»Verdammt nochmal, ich liege hier seit … seit zwei Tagen, glaube ich.« Er verzog gequält das Gesicht, als er die Füße auf den Boden stellte. »Wer weiß, was in der Zeit alles passiert ist.«

Nackt tappte er zu einem Schrank und brummte zufrieden, als er darin seine ordentlich gebügelte Kleidung fand.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen begann er sich anzuziehen. Ihm war anzusehen, dass er immer noch starke Schmerzen hatte. »Jetzt sage ich dir, was ich denke, Dakota. Ich schickte eine Fregatte, die zufällig auch noch einen der wenigen Vermögenswerte darstellt, die die Freistaatler besitzen, nur auf dein Wort hin an einen verflucht entlegenen Ort. Der Zweikampf, den ich gerade nur mit Müh und Not überlebt habe, war eine direkte Konsequenz dieser Entscheidung. Und jetzt faselst du davon, in das Zentrum einer extrem aggressiven, feindseligen, aber uns technologisch weit überlegenen Zivilisation zu fliegen und etwas anzugreifen, das wahrscheinlich zu ihren wichtigsten Ressourcen gehört. Lass mich ehrlich sein: Das klingt nach glattem Selbstmord.«

»Ich weiß selbst, wie sich das anhört, aber es ist die einzige Möglichkeit, um den Mos Hadroch dazu zu bringen, dass er seine beabsichtigte Funktion ausübt.«

»Und was genau soll man sich darunter vorstellen?«, hakte er nach und trat näher an sie heran. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, sprachst du von ›gewissen Schwachstellen‹, von ›verwundbaren Punkten‹.«

In diesem Moment sah Dakota selbst so klein, zerbrechlich und verwundbar aus, wie er sie noch nie erlebt hatte. »Das ist schwer zu erklären.«

»Ich habe kürzlich einen Mann getötet und das Leben der Crew unseres Flaggschiffs auf Spiel gesetzt, weil ich sie auf eine Expedition durch die halbe Galaxis schickte, um dieses Ding aufzustöbern, und mehr hast du mir nicht zu sagen?«

»Erlaube mir, dass ich dir die Fakten ins Gedächtnis zurückrufe«, erwiderte sie trotzig. »Die Emissäre sind bereits hierher unterwegs. Der Schwarm befindet sich noch irgendwo da draußen und sucht nach dem Mos Hadroch. Vorerst musst du mir einfach vertrauen, denn ich bin auch noch nicht am Ende aller Weisheit angelangt, sondern immer noch dabei, je nach Stand der Dinge Lösungen zu erarbeiten.«

»Vorausgesetzt, wir haben tatsächlich den Mos Hadroch geborgen und nicht nur den Leichnam eines Aliens«, hielt er entgegen.

Sie schwieg, während er sein Hemd zuknöpfte. Ein paar Sekunden lang schloss er die Augen und dachte angestrengt nach, ehe er sich wieder an sie wandte.

»Wer weiß sonst noch, dass du hier auf Redstone bist?«

»Außer dir und Ted Lamoureaux weiß es keiner.«

»Gut. Und das soll auch so bleiben.«

»Warum willst du ein Geheimnis daraus machen?«

»Je länger ich überlege, umso stärker wächst meine Überzeugung, dass uns noch einiges bevorsteht. Es könnte verflucht gefährlich werden. Wenn meine Feinde auch nur ahnen, dass du dich hier aufhältst, könnten sie es als Beweis auffassen, dass ich einen Angriff auf die Fregatte plane.«

Sie rutschte vom Bett herunter und ging auf ihn zu. »Und? Hast du so was in der Art vor?«

»Lass es mich so ausdrücken: Ich hatte bereits Alternativpläne ausgetüftelt, für den Fall, dass nicht alles so laufen würde, wie ich es mir wünschte.«

»Und wann gedenkst du diese Pläne in die Tat umzusetzen?«

Corso blickte auf die spiralenförmig gewundenen Träger, die das Senatsgebäude einrahmten, ehe er antwortete: »So bald wie möglich.«