Kapitel Siebenundzwanzig

Elf Tage nach ihrem Abflug von Redstone machte sich Dakota auf den Weg zu einer der Luftschleusen-Buchten. Zu ihrer Überraschung traf sie dort Nancy Schiller an, zusammen mit Ted Lamoureaux.

Lamoureaux nickte ihr verhalten zu. Nancy hingegen bemühte sich nach Kräften, sie beide zu ignorieren.

»Ich dachte, Dan sei für diese Crew eingeteilt«, bemerkte Dakota vorsichtig. Da Schiller selbst für die Planung der Reparaturschichten verantwortlich war, hatte sie es bis jetzt so eingerichtet, dass sie noch kein einziges Mal einen gemeinsamen Einsatz mit Dakota hatte.

Nancy blickte nicht hoch, während sie das Autodiagnoseprogramm ihres Raumanzugs durchlaufen ließ. »Das war er ursprünglich auch, aber dann kam etwas dazwischen.«

»Wissen Sie, Ted und ich könnten diesen Job wahrscheinlich problemlos zu zweit erledigen«, schlug Dakota vor.

Endlich hob Nancy den Kopf und maß sie mit einem verächtlichen Blick. »Das glaube ich nicht«, schnauzte sie. »Und jetzt ziehen Sie sich den Anzug an, klar?«

Dakota schob sich zu einem der Gestelle und griff nach einem Anzug.

Was ist los mit Dan?, übermittelte sie Ted.

›Seit unserem letzten Sprung sind die Transmissionen der Emissäre stark angestiegen‹, erwiderte Lamoureaux. ›Für eine so einsame und leere Region ist das eine ganze Menge Tach-Net-Verkehr, und Martinez wollte ihn bei sich auf der Brücke haben, wenn sie versuchen, den Grund für diesen Anstieg herauszufinden.‹

Der Tach-Net-Verkehr der Emissäre hat sich erhöht, weil wir soeben direkt an der Zone des Langen Kriegs vorbeigesprungen und tief in der Lücke zwischen den Spiralarmen gelandet sind, erinnern Sie sich? Das bedeutet, dass sie ihre Signale den weiten Weg vom Perseusarm senden müssen, und wir schnappen bloß verirrte Langstrecken-Transmissionen auf. Daraus kann man nicht schließen, dass sich mehr Emissäre in unserer Nähe befinden.

Ihr letzter Sprung hatte vor vierzehn Stunden stattgefunden, wobei die Antriebsdorne nur mit etwa siebzigprozentiger Leistung liefen. Die Fregatte war nun fast dreieinhalbtausend Lichtjahre von zu Hause entfernt, und das Konsortium hatte sich auf einen kaum wahrnehmbaren verschwommenen Fleck aus Sternen reduziert, der irgendwo in der Richtung des galaktischen Zentrums lag.

›Ach ja, richtig. Daran hatte ich nicht gedacht.‹

Sehen Sie jetzt, warum Sie mich brauchen?, übermittelte Dakota ihm und steuerte den Spind neben seinem an. Hier in der Schwerelosigkeit veranstaltete er wieder einmal den üblichen Zirkus, als es darum ging, seinen Anzug anzulegen.

Lamoureaux lachte über ihr Mienenspiel, und Schiller wandte mit einem Ruck ihren Kopf, um sie beide anzustarren.

»Ich weiß, dass Sie sich unterhalten«, teilte sie ihnen mit. »Bilden Sie sich nicht ein, ich würde nichts merken.«

Dakota drehte sich zu ihr um. »Ist das für Sie ein Problem, Nancy?«

Ein paar Sekunden lang sah Nancy Schiller aus, als stünde sie kurz vor einem Wutausbruch, dann gab sie nur einen Laut des Abscheus von sich. »Machen Sie sich bereit«, knurrte sie. »Ich will den Job so schnell wie möglich hinter mich bringen.«

Sie wandte sich ab, und mehrere Sekunden lang starrte Dakota schweigend auf ihren Rücken. Dann fing sie an, sich auszuziehen und warf ihre Sachen in dem offenen Spind.

Derweil sah Lamoureaux höflich in eine andere Richtung, und nachdem es ihm endlich geglückt war, sich in den Raumanzug zu zwängen, checkte er dessen Sicherheit. Als Dakota völlig nackt war, tappte sie barfuß zum Eingang der Luftschleuse.

Nancys Gesicht lief rot an. »Wofür halten Sie sich eigentlich …«

Ihre Kinnlade sackte herunter, als der schwarze Film von Dakotas Iso-Anzug aus seinen verdeckten Poren quoll und ihre gesamte Haut schnell mit einer dicken Schicht überzog, die sie vor dem Vakuum und der Strahlung außerhalb der Hülle schützen konnte. Dakota schluckte, als dieselbe schwarze Welle ihren Rachen hinunterfloss, sich in ihrer Lunge ausbreitete und diese stilllegte, weil deren Funktion vorläufig von winzigen Energie-Einheiten innerhalb ihrer Wirbelsäule übernommen wurde.

Sie wartete, bis der schwarze Sirup über ihren Augen zu einer teilweisen Transparenz verblasste, dann machte sie sie auf und blinzelte Nancy an. »Ach, jemand muss Ihnen doch schon davon erzählt haben«, bemerkte sie lächelnd.

Nancy glotzte sie entsetzt und fasziniert zugleich an. »Doch, ja, aber … hören Sie, Sie müssen einen Anzug anziehen.«

»Sie braucht keinen«, mischte sich Lamoureaux ein. »Dieser Film übernimmt die Funktionen eines Raumanzugs, zumindest so lange, wie wir uns draußen aufhalten werden.«

Schillers Blick flackerte zwischen Dakota und Lamoureaux hin und her. »Was … ?«, stammelte sie.

»Das ist das Geschenk eines alten Freundes«, erklärte Dakota mit einem Wink auf die Luftschleuse. »Höchste Zeit, dass wir anfangen, finden Sie nicht auch?«

 

Dakota und Ted hatten nun den Punkt erreicht, an dem sie sich beinahe automatisch bei der Aufsicht über die Primärsysteme des Schiffs abwechselten; einer hielt ein wachsames Auge auf die Mjollnir, während der andere schlief. Als sie sich aus der Luftschleuse auf das Deck hievten, übernahm Lamoureaux die Hauptkontrolle.

Es gab viel zu tun, und Nancy arbeitete allein; mit ihnen hielt sie nur ein Minimum an Kommunikation aufrecht. Im Verlauf der nächsten Stunden überwachten Dakota und Lamoureaux das Entfernen von fast einem Dutzend toter oder ramponierter Antriebsdorne, was für eine einzige Schicht einen Rekord darstellte. Die Fabrikatoren waren mit der Produktion von Ersatzdornen so stark ausgelastet, dass man auf die Idee kam, sie sollten Kopien von sich selbst herstellen, um die Gesamtproduktion zu erhöhen. Doch der Gedanke musste erst einmal auf Eis gelegt werden, nachdem klarwurde, dass bestimmte wesentliche Ressourcen für die Konstruktion einfach nicht zur Verfügung standen.

 

›Vermissen Sie es manchmal?‹

Dakota warf einen Blick auf Lamoureaux, der in seinem Raumanzug steckte, und wusste sofort, dass er auf die Schiffe der Weisen anspielte und das intensive Gefühl einer Zusammengehörigkeit, die alle menschlichen Navigatoren, die geeignet waren, diese Schiffe zu steuern, mit ihnen verband.

Ein Dutzend Spinnen-Mechniker schwebte in der Nähe, einen defekten Antriebsdorn fest im Griff. Dakota hatte gerade in Richtung Heck geschaut, hinter dem sich das gewaltige Band aus Sternen entfaltete, in dem ihre Heimat lag.

Kommt drauf an, was Sie meinen, erwiderte sie und bewegte sich zu einer Luftschleuse, die just in diesem Moment weitere Spinnen-Mechaniker ausspuckte; die Roboter beförderten einen Ersatz-Antriebsdorn aus dem Schiffsinneren heraus.

›Dieses Gefühl, einfach nur bei ihnen zu sein … manchmal gelingt es mir beinahe, nicht mehr daran zu denken, aber es fällt mir schwer, Dakota, sogar verdammt schwer.‹

Ich weiß. Sie spürte das tiefe Bedauern, das ihn überwältigte, denn diese Verbundenheit war etwas, das er nie wieder erleben würde. Aber mir scheint, dass Sie noch etwas anderes bedrückt, Ted.

›Was geschieht, wenn wir nach Hause kommen, Dakota? Was werden Sie dann unternehmen?‹

Sie beobachtete, wie die Spinnen, die ihrer direkten Kontrolle unterlagen, den neuen Antriebsdorn nach und nach auf die magnetischen Kupplungsklammern herabsenkten.

Das weiß ich noch nicht, Ted. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich Mühe, weiter zu denken als bis zu dem Ziel, auf das wir zusteuern. Und sogar wenn wir Erfolg haben, glaube ich nicht, dass es in der Heimat noch einen Platz für mich gibt. Vielleicht kann man mit keinem von uns Navigatoren noch etwas anfangen.

›Wollen Sie damit sagen, dass wir bereits überflüssig sind? Verdammte Scheiße.‹

Dakota lächelte nur unter der zähflüssigen, öligen Haut ihres Iso-Anzugs.

Der nächste Sprung der Fregatte würde sie an ihren vorletzten Bestimmungsort bringen, wo die zusätzlichen Schutzschild-Technologien lagerten, mit denen der Händler sie versorgen wollte. Corso hatte mit dem Shoal-Mitglied bereits ausgehandelt, seine Yacht für den Ausflug hinunter zu dem Depot zu benutzen. Mit ihren beträchtlich weiterentwickelten Antriebssystemen und Dämpfungsfeldern war das Schiff des Händlers wesentlich schneller und sicherer als jedes andere Fluggerät, das in den Hangars der Mjollnir zu finden war.

Dakota hatte es abgelehnt, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen, aber sie war diejenige, die den Bergungstrip mit dem Händler unternehmen musste – und das hieß, dass sie ihn wieder persönlich treffen würde, ob sie wollte oder nicht.

 

Am Ende der Schicht ging Dakota zur Luftschleuse zurück und betrachtete prüfend die Außenhülle; sie sah die Lücken, wo Antriebsdorne entfernt und noch nicht wieder ersetzt worden waren. Nancy hatte sich auffällig beeilt, vor ihr und Ted durch die Luftschleuse wieder an Bord zu kommen.

Was kann ich tun, damit sie mich endlich in Frieden lässt?, fragte sie Ted, als sie sich dann selbst ins Innere der Fregatte schleusen ließen.

Lamoureaux aktivierte den Öffnungsmechanismus der Luftschleuse, und ein grünes Licht blinkte auf. ›Vielleicht ist sie gar nicht so übel, wie Sie denken‹, antwortete er.

Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Er sah sie an, während sie drauf warteten, dass die Luke aufglitt. ›Bei den Freistaatlern führen die meisten Frauen ein ziemlich eingegrenztes Leben, Dakota. Ihre Aufgaben beschränken sich meist auf die einer Mutter, Lehrerin oder Hure. Sie muss unglaublich gekämpft haben, um auf einem Schiff wie der Mjollnir in die Position der Sicherheitschefin aufzusteigen. Und sie verlor den Job, als Martinez in Ungnade fiel. Kein Wunder, dass sie sauer ist … das wären Sie auch an ihrer Stelle, oder?‹

Dakota suchte nach einer Antwort, aber sie fand keine.