Kapitel Neunundzwanzig

Nicht lange danach landeten sie. Die Yacht setzte auf einem Kissen aus Energiefeldern auf, nur wenige Kilometer vom Horteingang entfernt. Dakota zog den Standardoverall aus, den sie getragen hatte, und faltete ihn zu einem Bündel zusammen, ehe sie aus der Luke der Yacht nach unten sprang. Wieder einmal verließ sie sich darauf, dass ihr Iso-Anzug ihr ausreichend Schutz bot.

Beim Aufprall auf den Boden wirbelten ihre von dem schwarzen Film bedeckten Zehen eine Wolke aus Staub auf, ehe sie in der niedrigen Schwerkraft ein paar hüpfende Schritte machte. Als sie sich umblickte, sah sie, wie Nancy drunten ankam und sofort von eine anderen Staubwolke verschluckt wurde, die ihren Druckanzug mit einer grauen Schicht bedeckte.

Dakota schaute in die Runde. Granitbrocken erhoben sich in einem Meer aus Staub, das sich nach Norden hin ausdehnte und am Ringwall eines ungefähr zehn Kilometer weit entfernten Kraters endete. Im Westen und in der Richtung, in welcher der Hort lag, erstreckte sich eine gleichmäßige Abfolge von sanften Hügelkämmen und Tälern, wie in Stein gemeißelte Wellen. Über ihren Köpfen schien die Sonne immerhin so hell, dass sie das Licht der Sterne überstrahlte.

Als Letzter verließ der Händler die Yacht, gefolgt von den Spinnen. Auf eine unheimlich lebendig wirkende Art und Weise rutschten sie hintereinander über die Kante der Luke, sprangen nach unten und bogen ihre verlängerten Beine durch, während sie den Horizont scannten. In einer Umgebung mit Schwerkraft nahmen sie ein völlig anderes Aussehen an; zur Fortbewegung benutzten sie nun die meisten ihrer Gliedmaßen und hielten lediglich ein Paar in die Höhe, so dass sie eher sechsbeinigen mechanischen Krabben glichen als Spinnen.

Der Händler führte sie an; seine mit Salzwasser gefüllte Blase glitt einen nahe gelegenen Hang hinauf bis zur Spitze. Hinter ihm stapfte Dakota durch den Staub auf die Hügelkuppe.

›Ich wusste nicht, dass wir Gesellschaft haben würden‹, übermittelte er Dakota, als sie ihn eingeholt hatte.

Dakota warf einen Blick zurück auf Nancy, die gerade erst am Fuß des Hügels angelangt war. Ihr Druckanzug erschwerte ihr offensichtlich das Laufen.

Offiziell ist sie hier, um uns zu helfen. Inoffiziell stehe ich ganz oben auf ihrer Liste der Verdächtigen, die Olivarri ermordet haben könnten. Sie wartete einen Herzschlag ab. Nach Ihnen, natürlich.

Der Alien drehte sich in seiner Energiefeldblase, um Schiller gründlicher betrachten zu können, während sie sich den Hügel hinaufquälte. Die Spinnen wieselten an ihr vorbei auf die Spitze zu. ›Also ist sie hier, um uns zu überwachen.‹

Haben Sie Olivarri getötet, Händler?

Die Greiftentakel des Shoal-Mitglieds krümmten sich unter seinem ausladenden Bauch. ›Wie hätte ich wohl ein solches Verbrechen begehen können, da ich die Fregatte selbst ja nicht einmal betreten durfte? Vielleicht sollten sich Ihre Nachforschungen zuerst gegen die richten, die Ihnen die Schuld zuweisen. Ich bin mir sicher, dass Olivarri nicht der Einzige war, der Geheimnisse hütete.‹

Dakota runzelte die Stirn. Was für Geheimnisse?

›Ah.‹ Wieder krümmten sich die Tentakel, und Dakota drängte sich der Verdacht auf, der Händler mache sich über sie lustig. ›Wussten Sie nicht, dass Olivarri verdeckt für den Nachrichtendienst des Konsortiums arbeitete?‹

Vor lauter Verblüffung machte Dakota einen Schritt rückwärts. Was? Woher wissen Sie das?

›Das darf ich Ihnen leider nicht verraten. Ich habe meine Quellen.‹

Wenn Sie mich belügen …

›Ersparen Sie mir Ihre leeren Drohungen, Dakota.‹

Der Händler setzte sich wieder in Bewegung, wobei seine Blase sich den Konturen des Bodens anpasste, als er den Hügel auf der anderen Seite hinunterschwebte. Dakota rührte sich nicht von der Stelle, starrte über die Höhenzüge und dachte nach.

Wer an Bord spielte sonst noch eine Doppelrolle?, fragte sie sich. Von den meisten Besatzungsmitgliedern wusste sie so gut wie nichts; besonders Perez, Driscoll und Nancy Schiller waren für sie unbeschriebene Blätter. Ehe sie auf die Mjollnir kam, hatte sie diese Leute gar nicht gekannt. Corso hatte jeden Einzelnen auf Herz und Nieren geprüft, doch wenn der Händler tatsächlich die Wahrheit sprach und Olivarri ein Agent gewesen war – nun, dann musste man mit allem rechnen.

Wer konnte noch jemand anders sein als die Person, für die er sich ausgab?

Endlich schloss Nancy zu ihr auf, die Spinnen im Gefolge; ihr Helmvisier hatte sich im gleißenden Licht der Sonne beinahe bis zur Undurchsichtigkeit polarisiert.

Dakota folgte dem Händler auf dessen Spur, und bald ließ sie wieder Nancy und die Spinnen hinter sich zurück. Vom Kamm des nächsten Hügels aus konnte sie eine niedrige Kuppel sehen, die sich auf die weite, flache Ebene duckte, die den mehrere Hundert Meter entfernten Eingang zum Hort umgab. Die graue Farbe der Kuppel ließ sie beinahe mit der Landschaft verschmelzen, und über die ganze Ebene verteilt fanden sich Ruinen anderer Gebäude.

Als sie den Blick in die nähere Umgebung richtete, sah sie den Händler, der vor ihr dahinpreschte, und sie trabte ins Tal hinunter, um den Alien auf halber Höhe des nächsten Hügels einzuholen.

Diese Kuppel. Wollen wir dorthin?

›Ganz gewiss.‹ Der Händler vollführte eine Wende in seiner Blase und blickte zu Nancy zurück, die sich immer noch den Abhang des hinter ihnen liegenden Hügels hinunterkämpfte. ›Anscheinend kann unsere Gefährtin nicht mit uns Schritt halten. Vielleicht sollten wir uns einen Jux machen, uns verstecken und abwarten, wie sie reagiert?‹

Dakota ging nicht auf die Bemerkung ein, während sie Nancy beobachtete, die sich mühsam zu ihnen vorarbeitete.

Sie machen das nicht richtig, teilte Dakota ihr mit. Sie müssen auf den Zehenspitzen rennen, als wollten Sie hüpfen.

›Ich komme zurecht.‹

Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, wenn wir Sie zurücklassen.

Nancy fluchte, dann stieß sie sich mit beiden Füßen vom Boden ab. In einem flachen Bogen segelte sie hinunter und landete auf Händen und Knien. Dakota sah zu, wie sie sich hochrappelte und es von neuem versuchte. Dieses Mal sah es aus, als würde sie im Zeitlupentempo nach vorn stolpern, aber beim Heruntergleiten konnte sie sich ausbalancieren.

Ich wundere mich, dass Sie sich so schwertun. Bei den Hüllenreparaturen haben Sie sich sehr geschickt angestellt.

›Na ja, das ist auch was anderes‹, erwiderte Nancy.

Inwiefern?

›Es ist halt anders, okay? Ich bin gleich da.‹

Dakota folgte dem Händler hügelabwärts, mit langen, flachen, federnden Schritten. Trotz ihrer schlechten Stimmung und der schockierenden Enthüllung des Händlers, ganz zu schweigen von Nancys scheinbar grenzenloser Feindseligkeit, begann ein Teil von ihr tatsächlich, die Exkursion zu genießen. Sie kam rasch voran, und ein-, zweimal drehte sie sich nach Schiller um, die gewaltige Staubfahnen hinter sich herzog.

Von der nächsten Hügelkuppe aus konnte sie die Kuppel deutlicher erkennen; vor ihr lag nur noch die Ebene, die sich bis zu der abgrundtiefen Grube erstreckte, in die der Hort eingebettet war. Jetzt bemerkte sie, dass sich zwischen den verfallenen Gebäuden etwas befand, das aussah wie die Überreste eines gigantischen Raumschiffs; es war in mehrere Teile zerborsten und halb unter dem Staub begraben.

Als Dakota zum Rand der Ebene hinunterjoggte, vergegenwärtigte sie sich, dass die Kuppel viel größer war, als es aus der Ferne den Anschein gehabt hatte. Der Durchmesser betrug mindestens hundert Meter, die Höhe lediglich zwanzig. Wahrscheinlich hatte man sie so konstruiert, dass sie den wie auch immer gearteten Kräften widerstand, die die umliegenden Gebäude zerstört hatten.

Mittlerweile hatte der Händler einen großen Vorsprung gewonnen, und als sie zu einem Spurt über den ebenen Boden ansetzte, sah sie, wie er durch einen seitlichen Eingang in die Kuppel hineinschlüpfte. Das Funkeln seiner Energiefeldblase beleuchtete schwach das Innere des dahinter befindlichen Ganges.

Bald erreichte auch sie den Einlass und betrat die Kuppel. Der relativ kleine Innenraum ließ darauf schließen, wie dick die Wände sein mussten.

Dichte Staubschleier schälten sich langsam aus der Düsternis, als sich die Filter über ihren Augen an das trübe Licht anpassten. Sie sah hüfthohe Gestelle, die sich in ordentlichen Reihen von einer Wand zur anderen zogen, dazwischen verliefen breite Gänge. In den Gestellen lagerten ohne ersichtliches System identische, flache glatte Scheiben, und bei genauerem Hinsehen stellte es sich heraus, dass weniger als ein Drittel der Regale mit ihnen gefüllt waren.

Sind wir wegen dieses Zeugs hierhergekommen?

Der Händler lenkte seine Blase einen Seitengang entlang und ließ seine riesigen Augen von links nach rechts kreisen. ›Das hier sind modulare Energiefeldgeneratoren, konzipiert für Kampfsituationen. Vermutlich wurde diese Kolonie ausgelöscht, ehe man sie zum Einsatz bringen konnte.‹

Als Dakota sich umdrehte, sah sie die Spinnen, die sich nun durch den Eingang fädelten und mit grellen Lichtstrahlen die Düsternis durchschnitten. Bald darauf folgte ihnen Nancy.

›Ich möchte etwas fragen‹, sendete Nancy. ›Was sind das für Ruinen da draußen? Wieso wurden die Gebäude zerstört? Ich sah etwas, das wie die Trümmer eines Raumschiffs wirkte.‹

Im Kampf um diesen Technologiehort schlachteten die Meridianer sich gegenseitig ab, antwortete Dakota. Aber das liegt schon sehr, sehr lange zurück.

Anfangs sah Nancy nur zu, als Dakota anfing, die diskusförmigen Feldgeneratoren aus ihren Fächern zu zerren und sie auf den Boden zu werfen, damit die Spinnen sie einsammelten. Dann half sie, zog die Scheiben heraus und legte sie dort ab, wo die Spinnen sie leicht erreichen konnten. Derweil schwebte der Händler einfach nur in seiner Blase; allerdings gab es nicht viel, was er hätte tun können, außer sie zu beobachten.

›Da gibt es noch etwas, worüber ich mir Gedanken mache‹, begann Nancy, nachdem sie ein paar Minuten lang gearbeitet hatten. ›Sagten Sie nicht, Sie hätten hier noch mehr von diesen … Drohnen entdeckt? Von der Art, mit denen Sie damals die Korvetten angriffen?‹

Was ist damit?

›Wie viele befinden sich hier?‹

Ein paar Dutzend, gab Dakota zurück. Warum fragen Sie?

›Ich sah die Playbacks und konnte mich mit eigenen Augen überzeugen, wie die anderen Drohnen, die Sie fanden, die Korvetten vernichteten. Kommt es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass die Meridianer derart mächtige Waffen einfach hier herumliegen ließen? Ergäbe es nicht mehr Sinn, wenn sie sie aus einem ganz bestimmten Grund hier deponierten?‹

Warum sind Sie plötzlich so versessen darauf, mir Ihre Meinung mitzuteilen?

Nancy hörte auf zu arbeiten und blickte Dakota an. ›Ich stelle nur fest, dass hier offenbar ein Kampf stattgefunden hat. Würden Sie mir in diesem Punkt zustimmen?‹

Aber das ist schon eine Ewigkeit her, Nancy.

›Sicher, und trotzdem … Warum ließ man die Waffen an diesem Ort zurück? Um etwas zu beschützen? Um vielleicht auf etwas zu warten? Es muss doch einen plausiblen Grund dafür geben.‹

Dakota schickte ihr einen wütenden Blick herüber. Es herrschte Krieg. Scheiße passiert nun mal.

›Ich bin nur nicht sonderlich erpicht darauf, ohne gründliche Nachforschungen einfach hier herumzuspazieren‹, versetzte Nancy. ›Außerdem haben wir es ganz offensichtlich mit einer verdammt hoch entwickelten Technologie zu tun. Ich möchte nur sicher sein, dass uns keine unangenehme Überraschung bevorsteht, wenn wir im Müll irgendeines toten Aliens wühlen.‹

Dakota nahm einen der Feldgeneratoren in die Hand, inspizierte ihn eine Weile und dachte nach.

Händler, als ich Sie auf dieser anderen Welt traf, hatten die Drohnen, die Sie mir gaben, dort irgendetwas … bewacht?

›Ich habe keinen blassen Schimmer, Dakota. Vielleicht war das früher einmal der Fall, doch wenn ja, dann ist das, was sie schützen sollten, längst verschwunden.‹

Sie sagten, zu einigen Sonden, die Sie in den Hort hinunterschickten, sei der Kontakt abgebrochen. Haben Sie eine Ahnung, warum?

Die Tentakel des Händlers blieben mindestens eine halbe Minute lang regungslos. ›Vielleicht sollte ich der Sache weiter nachgehen‹, antwortete er.

Die Scheiben waren viel schwerer, als sie aussahen, und Dakotas Implantate hatten schwache Anfragen von ihnen aufgefangen, die sie dank der Meridianischen Kommandostrukturen, die der Händler ihr überlassen hatte, verstehen konnte. Nachdem sie sich eine Vorstellung von ihrem inneren Aufbau verschafft hatte, gab sie diese Daten an Lamoureaux auf der Mjollnir weiter.

Ted, sehen Sie sich das mal an. Was halten Sie davon?

Seine Antwort erhielt sie kaum einen Moment später. ›Halten Sie mich für einen Experten auf dem Gebiet der Energiefeld-Technologie? Die interessante Frage ist doch nur, wie schwer oder einfach diese Dinger sich in unsere bestehenden Verteidungssysteme integrieren lassen. Ist das überhaupt möglich? ‹

Der Händler glaubt, dass es geht. Und das Interface scheint recht unkompliziert zu sein, deshalb dürfte es kein großes Problem darstellen, eine Schnittstelle mit den Abwehrspeichern der Mjollnir einzurichten.

›Okay, ich werde mit Ray darüber sprechen. Leo wäre der richtige Mann für so was gewesen, aber jetzt ist er tot, und der nächstbeste Experte dürfte Nancy sein, fürchte ich. Haben Sie sie schon gefragt?‹

Bleiben Sie dran. Zuerst werde ich versuchen, so ein Ding selbst zu aktivieren.

Dakota schleppte das Gerät zu einer freien Fläche zwischen zwei Regalreihen und löste es aus, indem sie auf einen seitlich angebrachten Knopf drückte. Im nächsten Moment umgab sie ein Energiefeld, das vor Licht sprühte und knisterte.

Die Wirkung war so erschreckend, dass Dakota den Generator um ein Haare fallen gelassen hätte. Das Feld war wesentlich greller – und deshalb auch kräftiger – als alles, was sie bisher kannte. Anfangs war es eine Sphäre mit einem Durchmesser von etwa vier Metern, in dessen Mitte sie sich selbst befand, doch dann begann es zu schrumpfen, zuerst langsam, aber mit einer sich schnell steigernden Geschwindigkeit. Hastig schaltete sie es ab, bevor es sich noch weiter verengen und sie zerquetschen konnte.

›Seien Sie vorsichtig‹, warnte der Händler sie, der unweit des Kuppeleingangs in seiner Blase schwebte. ›Diese Generatoren sind viel stärker als die Geräte, an die Sie gewöhnt sind.‹

›Was ist passiert?‹, erkundigte sich Lamoureaux.

Zwei Gänge weiter stand Nancy; durch das Helmvisier konnte Dakota sehen, dass ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.

Ich denke, man kann uneingeschränkt sagen, dass diese Dinger gut funktionieren, antwortete sie.