Kapitel Fünfundzwanzig

Als Corso und Martinez den Wartungshangar erreichten, hatte Perez bereits eine undurchsichtige Plastikplane gefunden, um Olivarris Leiche damit zuzudecken. Schiller hatte zwischenzeitlich den Rückweg zur Brücke angetreten.

Corso zuckte zusammen, als Perez die Plane von Olivarris Kopf und Oberkörper wegzog, denn der hintere Teil des Schädels war zertrümmert. Getrocknetes Blut hatte sich um den Mund verkrustet, und die Nase war plattgedrückt.

Er ist kaum noch zu erkennen, dachte Corso.

Martinez beugte sich tief über den Toten und blickte dann zu Perez hinauf. »Wo genau haben Sie ihn gefunden?«

»Da drüben.« Mit dem Kinn deutete Perez auf eine Stelle, an der sich eine große Stahlplatte von der Wand gelöst hatte. »Wer immer ihm das angetan hat, klemmte ihn hinter dieses Wartungspaneel, doch dadurch wurde in einer der Kontrolleinrichtungen ein Alarm ausgelöst. Ich bekam den Schock meines Lebens, als ich die Tür aufmachte, um nachzuschauen, was los war.«

»Ich frage mich«, sinnierte Corso, »warum man ihn ausgerechnet hier versteckt hat. Warum hat man ihn nicht einfach in eine Luftschleuse geschleift und die Leiche nach draußen befördert? Dann hätten wir nie erfahren, was ihm zugestoßen ist.«

Martinez schüttelte den Kopf. »Das Risiko, von den Sensoren der Außenhülle erfasst zu werden, wäre viel zu groß. Sie besitzen ihre eigene Energieversorgung und Kontrollsysteme, und der oder die Täter wussten wahrscheinlich, dass sie bei dem Versuch, Olivarri in den Weltraum zu schleusen, entdeckt würden. Ehrlich gesagt, verdanken wir es nur einem Zufall, dass wir Olivarri überhaupt gefunden haben. Dieses Schiff ist so geräumig, dass es unter Umständen sehr lange hätte dauern können, ihn zu finden, wenn nicht diese Alarm losgegangen wäre.«

Perez blickte von Olivarris bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Zügen hoch. »Hören Sie, es ist natürlich reine Spekulation, aber wäre es denkbar, dass die Sabotage und der Ausfall so vieler Systeme nur dazu dienen sollten, diesen Mord zu vertuschen?«

Die drei Männer tauschten Blicke. »Derselbe Gedanke kam mir auch schon«, gestand Corso. »Die meisten Hauptsysteme sind wieder online. Zuerst glaubten wir, dieses Systemversagen käme einer Katastrophe gleich, aber letzten Endes war es nicht viel schlimmer als eine lästige Störung.«

»Mit anderen Worten, ein Ablenkungsmanöver?«, vergewisserte sich Martinez.

Corso starrte wieder auf den Toten hinunter und empfand eine Anwandlung von Groll, als wäre das Opfer irgendwie für diese neue Krise verantwortlich. Es fiel ihm schwer, diese zerschmetterten Überreste mit dem lebenden, atmenden Menschen Olivarri in Verbindung zu bringen.

Seufzend wandte sich Martinez an Perez. »Irgendeine Spur von der Tatwaffe?«

»Ich habe keine gefunden. Aber ich tippe auf einen Schraubenschlüssel oder etwas in der Art. Mit Hilfe von Diagnoseprogrammen können wir feststellen, wie die Tat vonstattenging, und die Fehlerquote dieser Programme ist ziemlich gering. Auf diese Weise können wir auch nach DNA oder anderen chemischen Spuren forschen … sofern der Täter welche hinterlassen hat.«

»Wir müssen sämtliche Quartiere durchsuchen«, entschied Martinez. »Den Laborkomplex, die Brücke, einfach jeden Ort, an dem Crewmitglieder sich aufhalten.«

»Wer immer Olivarri ermordet hat, wird doch bestimmt nicht so dumm sein, die Tatwaffe in seinem Quartier herumliegen zu lassen«, protestierte Corso.

»Das wissen wir nicht, oder?«, entgegnete Martinez. »Hat jemand eine Ahnung, wer von uns der Letzte war, der Olivarri lebend gesehen hat?«

»Er war mit Nancy und Nathan draußen bei Reparaturarbeiten«, erwiderte Perez. »Aber das war vor dem Systemausfall.«

Corso fiel ein, dass Olivarri viel Zeit damit verbracht hatte, entlegene Teile des Schiffs aufzusuchen, um verschiedene Lebenserhaltungs- und Wartungssysteme in Bereichen zu checken, in denen die automatische Überwachung oftmals zu wünschen übrigließ. Für jemand, der ihm nach dem Leben trachtete, musste es zahlreiche Gelegenheiten gegeben haben, ihm nachzuspüren und ihn zu töten.

Martinez warf Perez einen Blick zu. »Dan, ich würde gern mit Lucas einen Moment allein sprechen.«

Perez sah die beiden Männer misstrauisch an, dann verließ er den Hangar und ging hinaus in einen angrenzenden Korridor. Mit grimmiger Miene wandte sich Martinez an Corso.

»Ich befand mich noch in der Krankenstation, als dieses Shoal-Mitglied an Bord kam«, begann er in hitzigem Ton. »Seitdem höre ich mir Ihre Argumente an, weshalb die Anwesenheit dieses Aliens erforderlich ist, aber ich gewinne nicht den Eindruck, dass Sie die Situation auch nur annähernd so fest im Griff haben, wie Sie offenbar glauben. Merrick tauchte erst auf, als wir bereits an Bord waren, obwohl wir sie lange vor dem Start auf der Brücke gebraucht hätten. Mir kommt es so vor, dass es sie keinen Deut interessiert, was irgendwer auf diesem Schiff sagt oder denkt. Und jetzt liegt hier ein Toter, was bedeutet, dass wir einen Killer an Bord haben. Kurz gesagt, ich setze nicht sonderlich viel Vertrauen in Ihre Führungsqualitäten.«

Corso merkte, wie sich seine Kiefermuskeln verspannten. »Ich hatte Ihnen doch erklärt, warum die Dinge so sind, wie sie sind.«

»Und trotzdem stelle ich mir immer wieder die Frage, wer diese Expedition wirklich anführt: Sie oder Dakota?« Martinez wölbte leicht die Augenbrauen. »Oder ist vielleicht der Händler die maßgebliche Person, die in Wahrheit das Kommando hat?«

»Meinen Sie, Sie hätten alles besser gemacht?«

Martinez seufzte. »Wenn sich das hier erst mal rumspricht, wird sich jeder fragen, ob er vielleicht das nächste Opfer ist. Ihre Aufgabe besteht jetzt darin, den Leuten das Gefühl zu vermitteln, dass Sie Herr der Lage sind, alles wunderbar im Griff haben. Denn Ihretwegen sind wir überhaupt hier. Und wenn Sie glaubten, Sie hätten einen schweren Stand, dann wird Ihr Job sich jetzt noch viel härter gestalten. Sie sind sich doch darüber im Klaren, dass Dakota bei jedem hier ganz oben auf der schwarzen Liste steht, wenn die Leute anfangen nach jemandem zu suchen, dem sie die Schuld an Olivarris Tod in die Schuhe schieben können? Vorausgesetzt«, fügte er hinzu, »sie hat ihn nicht selbst umgebracht.«

Corsos Schultern sackten nach vorn. »Also gut«, gab er nach, »was schlagen Sie vor?«

»Sprechen Sie mit Dakota – und auch mit Lamoureaux. Finden Sie heraus, ob ihre Geschichten übereinstimmen, und wenn ja, dann setzen wir unsere Suche nach der Person fort, die tatsächlich den Mord und die Sabotage begangen hat.«

»Okay. Als Erstes rede ich mit Dakota.«

»Wir werden uns beide mit ihr unterhalten.«

»Nein.« Corso schüttelte vehement den Kopf. »Ich rede allein mit ihr. Die anderen können wir dann gemeinsam befragen.«

Martinez fixierte ihn mit einem Blick, bei dem Corso sich fragte, ob er dieses Mal zu viel von ihm verlangte.

»Also gut.« Martinez zeigte mit dem Kinn auf Olivarris Leiche. »Vorläufig werde ich mich nach Ihnen richten, aber nur vorläufig, wohlgemerkt. Beweisen Sie mir, dass Sie hier der Boss sind.«

»Danke, Eduard. Zurzeit muss Dakota mit Ted zusammenarbeiten, um den Rest des Datenraums wieder online zu schalten, aber sobald sie damit fertig sind, führe ich mit ihr ein Gespräch.«

Martinez schüttelte bedächtig den Kopf. »Sie brauchen sich nicht bei mir zu bedanken. Finden Sie nur heraus, was sich hier abspielt, bevor wir alle so enden wie Olivarri.«

 

»Ist das dein Ernst?« Dakota schaute gekränkt drein. »Du glaubst wirklich, ich hätte was mit Olivarris Tod zu tun?«

Corso lehnte sich gegen ein Schott und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Sie befanden sich wieder im Besprechungszimmer in der Zentrifuge. Dakota ließ sich in ihrem Sessel nach hinten sinken; ihre Augen waren von zu viel Stress und zu wenig Schlaf rot und verquollen. Sie alle hatten lange und hart gearbeitet, um auch das letzte der Systeme online zu bekommen.

Seit man Olivarri vor knapp zwölf Stunden tot aufgefunden hatte, herrschte an Bord eine gespannte Stimmung, und weite Teile der Fregatte waren zu Sperrzonen erklärt worden. Die Leute verrichteten ihre Arbeit oder unterhielten sich bei den Mahlzeiten in einer der Kantinen miteinander, aber es fiel auf, wie alle ständig über die Schultern blickten und sich gegenseitig mit argwöhnischen Blicken musterten. Auch Corso war von der allgemeinen Nervosität betroffen, dem zermürbenden Gefühl, nirgendwo sicher zu sein.

»Du weißt, dass ich dich fragen muss, denn außer dir und Ted verfügt keiner über diesen High-Level-Zugang, den man braucht, um so eine Aktion durchzuziehen.«

Sie strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Es ist schön zu wissen, dass du außer mir noch einen anderen Verdächtigen im Visier hast.«

»Jesus und Buddha, Dakota, ich konnte Martinez nur mit knapper Not davon überzeugen, dass es besser ist, wenn ich mit dir allein spreche. Eigentlich sollte diese Unterredung in seinem Beisein stattfinden.«

»Aber du wolltest ihn nicht dabeihaben? Was soll er deiner Ansicht nach denn nicht hören?«

»Zuerst einmal finde ich, dass er nicht alles zu wissen braucht, was in Nova Arctis passiert ist. Es ist allgemein bekannt, dass die Uchidaner in Port Gabriel dich über deine Implantate steuerten. Aber wenn er erfährt, wie der Händler dich ein zweites Mal manipuliert hat, würde er dich einsperren oder durch die nächste Luftschleuse rausschmeißen. Ich könnte es vermutlich nicht verhindern, und was aus dem Mos Hadroch wird, wäre ihm unter diesen Umständen scheißegal.«

»Deinen Worten entnehme ich, dass du glaubst, ich würde schon wieder fremdgesteuert.«

Corso spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. »Ich wäre ein Idiot, wenn ich diese Möglichkeit ausschließen würde.«

Sie stand auf, lehnte sich gegen den Tisch und sah ihn mit einem schrägen Blick an; die Hände hielt sie wie abwehrend über der Brust verschränkt. »Dann lass dir von mir sagen, dass ich diese Möglichkeit ausschließe. Und um deine nächste Frage vorwegzunehmen: Mit Olivarri habe ich kaum ein Wort gesprochen, bis auf das eine Mal, als wir draußen auf der Außenhülle waren und zusammen mit Dan Reparaturen durchführten.«

»Und der Händler könnte deine Implantate nicht infiltriert haben, ohne dass es dir bewusst wurde?«

»Was der Händler mir damals antat, kam einer Vergewaltigung gleich. Doch ehe er mir seinen Willen aufzwingen konnte, musste er körperlich in meine Nähe gelangen. Ich würde es merken, wenn er etwas in der Art noch einmal versuchte, und das weiß er ganz genau.«

»Aber du sagtest doch, du seist ihm persönlich begegnet, als er dir die Kontrolle über die Meridianischen Waffen gab.«

»Das stimmt«, bestätigte sie. »Allerdings fand weder ein direkter noch ein indirekter Körperkontakt statt. Auf gar keinen Fall hat er mir irgendetwas Gegenständliches überreicht.«

»Aber es gehört doch nicht immer die Berührung eines konkreten Objekts dazu, um eine Gedankenkontrolle zu bewirken, oder?«

»Nein, doch dieses Mal hätte ich es gewusst. Jede Form von Beeinflussung wäre dem Schiff der Weisen aufgefallen, und es hätte mich informiert.«

»Schon möglich … nur existiert dein Schiff leider nicht mehr.«

»Du hast Recht, aber …« Sie zögerte. »Ich kann deine Bedenken verstehen. Doch wenn ich manipuliert worden wäre, hätte Ted Bescheid gewusst.«

»Na schön.« Corso stemmte sich von der Wand ab und trat näher an sie heran. »Kannst du dir ein Motiv vorstellen, warum jemand Olivarri ermordet hat? Könnte vielleicht sogar der Händler einen Grund haben, seinen Tod zu wollen?«

»Mir fällt beim besten Willen nichts ein«, gab sie zu. »Hast du schon mit dem Händler gesprochen?«

»Allerdings. Er behauptet, nichts zu wissen. Und selbst wenn er lügt, was könnten wir unternehmen?«

Ihm als Erstes seine Yacht wegnehmen. Dakota hatte nicht vor, Corso oder jemand anderem zu verraten, was Moss ihr in Derinkuyu gegeben hatte. Mehr als einmal war sie versucht gewesen, sich behutsam in das Schiff des Shoal-Mitglieds einzuschmuggeln, hatte dann aber aus Angst, ihr Eindringen könnte entdeckt werden, darauf verzichtet.

»Den anderen an Bord kann ich keine Vorschläge unterbreiten«, erwiderte sie. »Mir gegenüber … bleiben sie auf Distanz.«

»Tatsächlich?«

Verstimmt sah sie ihn an. »Komm schon, Lucas, natürlich werde ich hier von allen gemieden. Ich bin ein Maschinenkopf und, was noch schlimmer ist, von mir hat jeder schon einmal gehört. Mich machen sie für fast alles verantwortlich, was seit Nova Arctis in ihrem Leben schiefgelaufen ist, stimmt’s? Ich meine, wer außer mir und Ted besitzt hier schon ein Implantat?«

Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über Corsos Gesicht, als hätte er sich plötzlich an etwas erinnert.

»Was ist?« Dakota fasste ihn prüfend ins Auge.

»Ach, nichts«, erwiderte Corso eine Spur zu schnell. »Sieh mal, es ist wahr, dass die anderen jedes Mal, wenn sie dich sehen, unwillkürlich an den Port-Gabriel-Zwischenfall denken müssen. Und deshalb ist es umso wichtiger, ihnen zu beweisen, dass du nicht schon wieder fremdgesteuert wirst.«

»Und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen?«, fragte sie in provozierendem Ton und presste dann die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen.

»Weißt du noch, wie ich die Routinen, die der Händler dir in Nova Arctis in den Kopf pflanzte, aufgespürt und zerstört habe? Nun, die Krankenstation müsste ebenfalls dazu in der Lage sein, und ein Tiefenscan deiner Implantate müsste zeigen, ob an ihnen herumgepfuscht wurde oder nicht.«

Dakota setzte eine störrische Miene auf, aber Corso entging nicht, dass sich in ihren Augenwinkeln ein bisschen Feuchtigkeit sammelte.

»Einverstanden«, erwiderte sie und stand auf. »Wenn es denn unbedingt sein muss. Aber du musst Ted dazu bringen, dass er sich auch checken lässt.«

»Ich habe bereits mit ihm gesprochen«, erwiderte Corso und straffte die Schultern. »Wir treffen uns mit ihm in der Krankenstation.«

 

Vor dem Eingang zur Krankenstation wartete Ted auf sie. Er wirkte verstört.

»Werft mal einen Blick rein«, sagte er zur Begrüßung. »Ich habe die Brücke schon alarmiert.«

Dakota und Corso betraten die Station und sahen sofort, dass die Diagnoseausrüstung total verwüstet war. Jedes Gerät über dem Untersuchungstisch war geschwärzt und wies Brandspuren auf.

Lamoureaux folgte ihnen. »Vor ungefähr zwanzig Minuten kam ich hier an. Bis auf die Med-Boxen wurde alles verbrannt.«

Während Dakota den Schaden betrachtete, fühlte sie sich plötzlich wie betäubt. Das Labyrinth aus Buchten und Korridoren, in dem sich die Krankenstation befand, war ein Teil des Schiffs, den sie auf ihrer Suche nach Olivarri ausgelassen hatten.

Lamoureaux drängte sich an ihnen vorbei, hielt sich am Rand des Untersuchungstisches fest und zog sich nahe heran. Er fasste nach oben, hebelte eine Platte auf, die sich an der Seite einer Diagnoseeinheit befand und entblößte die schwarz verschmorten Schaltkreise.

Dakota dachte, der einfachste Weg, die Diagnosegeräte zu zerstören, wäre die Anwendung eines Plasmaschneiders, den man in der Hand halten konnte; ein Werkzeug dieser Art konnte man auf einem Schiff wie der Mjollnir überall finden.

»Der Commander sagte mir, ich sollte so schnell wie möglich hierher … verdammte Scheiße!«

Dakota drehte sich um und sah, wie Nancy Schiller in der Tür auftauchte. Die Sicherheitschefin starrte auf den ruinierten Scanner, dann wanderte ihr Blick zu Dakota; die Knöchel ihrer Hand, mit der sie das Plasmagewehr hielt, das sie seit dem Systemausfall kaum abgelegt hatte, verfärbten sich weiß.

»Wir können doch neue Diagnosegeräte herstellen, oder?«, fragte Corso.

Lamoureaux stieß sich wieder von dem Tisch ab. »Das weiß ich nicht. Es wird eine Weile dauern, den Rest der Fabrikatoren wieder online zu schalten und auf volle Kapazität hochzufahren, und durch das Produzieren der Ersatz-Antriebsdorne belasten wir sie ohnehin schon bis an ihre Grenzen. Ganzkörper-Scanner wie diese hier stellen selbst für unsere Bordfabrikatoren eine ziemliche Herausforderung dar. Es ist nicht das Gleiche, als würde man Geschützdrohnen oder Spinnen-Mechs zusammenschustern.«

Corso gab Nancy einen Wink, sie solle ihm nach draußen in den Korridor folgen; dort fingen sie an, sich leise zu unterhalten.

Lamoureaux berührte Dakotas Ellenbogen, und sie rückte näher an ihn heran.

»Was hier passiert ist, wird die Situation für uns beide nicht leichter machen.« Er hielt die Stimme gesenkt, damit sie nicht belauscht werden konnten. »Man wird uns unterstellen, einer von uns wäre dafür verantwortlich, denn jetzt kann man uns nicht mehr scannen.«

»Fassen Sie das jetzt nicht falsch auf, Ted, aber Sie hatten die Kontrolle über das Schiff, als die Systeme abstürzten. Und Sie waren auch der Erste, der sich in der Krankenstation einfand.«

»Bis jetzt hielt ich mich die ganze Zeit über auf der Brücke auf, außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Verwüstung während des Systemausfalls stattfand.«

»Na schön«, erwiderte sie. »Haben Sie den Eindruck, dass jemand versucht, uns was anzuhängen?«

»Wenn ja, dann leistet derjenige, der das inszeniert, ganze Arbeit … nicht, dass wir vor diesem Schlamassel hier besonders beliebt gewesen wären.« Während er sprach, blickte er vielsagend auf Nancy.

»Wissen Sie«, erklärte Dakota, »gleich bei der ersten Gelegenheit, nachdem ich an Bord kam, ging ich hierher und scannte mich selbst. Nur um sicherzugehen. Ich bin jedenfalls sauber.«

Lamouraux’ Mundwinkel zuckten ein wenig. »Ich tat das Gleiche. Und ich bin auch clean. Haben Sie den anderen davon erzählt?«

»Meinen Sie, das würde uns jemand glauben? Ohne dass wir handfeste Beweise für diese Scans hätten?«

Sie rückten voneinander ab, als Schiller und Corso in die Krankenstation zurückkamen.

»Commander Martinez ist auf dem Weg hierher«, verkündete Nancy, wobei sie Lamoureaux und Dakota immer noch wütend anfunkelte. »Keiner rührt sich vom Fleck, bis er hier ist. Verstanden?«

 

Die wenigen Minuten, die bis zu Martinez’ Eintreffen vergingen, gehörten mit zu den unbehaglichsten, die Dakota jemals erdulden musste.

Über ihre Implantate hätte sie sich mit Lamoureaux unterhalten können, aber ihr schwante, dass Nancy sich nur noch mehr in ihre Paranoia hineinsteigern würde, wenn sie erriet, was vor sich ging. Deshalb verharrten sie in Schweigen und vermieden es tunlichst, Nancy direkt anzusehen, während Corso Datendateien im Terminal der Krankenstation checkte.

Als Martinez eintraf, musterte er die zerstörten Geräte mit einem Ausdruck der Resignation. »Tja, wie es aussieht, wird hier so schnell niemand mehr gescannt werden«, murmelte er.

»Vielleicht hat einer von denen das gerade deshalb getan«, erklärte Nancy und starrte Dakota in die Augen. »Das vermuten wir doch alle, oder?«

Dakota bemühte sich, ihrem Blick standzuhalten. »Genauso gut wäre es möglich, dass Sie alles kaputt gemacht haben, Nancy, um uns die Geschichte dann in die Schuhe zu schieben. Jeder weiß doch, dass Sie mit mir und Ted ein Problem haben.«

»Ach, kommen Sie«, schnappte Nancy, ihre Waffe fester an sich drückend. »Zu so einer Tat ist nur jemand fähig, der Angst hat, diese Geräte könnten etwas Verfängliches über ihn enthüllen.«

»Verdammt nochmal, halten Sie den Mund, Nancy!«, knurrte Martinez. »Diese Verdächtigungen aus der hohlen Hand heraus will ich nicht mehr hören!«,

Nancy verstummte, behielt jedoch ihre finstere Miene bei.

»Lucas«, fuhr Martinez fort, »wie lange würde es dauern, ein paar neue Diagnosegeräte zu fabrizieren?«

»Das können wir gar nicht«, antwortete Corso müde. »Ich habe gerade die Datenbanken der Fabrikatoren gecheckt. Die Konstruktionspläne der Krankenstation wurden samt und sonders gelöscht.«

Abermals fixierte Nancy Dakota, als hätte sie gerade etwas besonders Belastendes über sie erfahren. »Na also«, murmelte sie und verließ den Raum.

Alarmiert blickte Corso ihr hinterher. »Eduard …«

»Machen Sie sich ihretwegen keine Sorgen«, unterbrach Martinez ihn ruhig. »Sie wird keine Dummheit begehen. Sie hat nur Angst … wie wir alle.«

Menschen, die Angst haben, können gefährlich sein, hätte Dakota beinahe kommentiert, aber sie besann sich anders.

 

Martinez erklärte die Krankenstation zur Sperrzone, und mit Schillers Hilfe versiegelte er den Raum. An der Tür befestigten sie Sensoren, die einen Alarm auslösen würden, sollte jemand versuchen, unerlaubt einzudringen. Corso und Lamoureaux machten sich gemeinsam auf den Rückweg zur Brücke.

Sobald sie sich außer Hörweite befanden, hielt Lamoureaux Corso fest.

»Wir müssen uns über Whitecloud unterhalten«, begann er in drängendem Ton.

Corso nickte und rieb mit der Hand seinen Nasenrücken. »Ich denke, ich weiß, was Sie sagen wollen. Er ist der einzige andere an Bord, der ebenfalls ein Implantat hat. Vielleicht kann er auch fremdgesteuert werden.«

Lamoureaux nickte. »Die Implantat-Technologie der Uchidaner unterscheidet sich nicht wesentlich von den Geräten, die in meinem Kopf stecken.«

»Aber funktioniert die Uchidanische Technologie nicht viel eingeschränkter?«

»Doch, die Funktionen sind sogar sehr begrenzt«, bestätigte Lamoureaux. »Keine lokalen Umweltdaten, man kann sich ausschließlich mit Maschinen vernetzen, die über einen bestimmten Transceiver verfügen, und selbst dann geht es auch nur auf eine ganz primitive Weise. Ich könnte direkt neben ihm stehen und wäre nicht imstande zu sagen, ob er ein Implantat in seinem Gehirn hat, aber das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass er gegen eine Manipulation von außen immun ist. Ich meine, ich weiß nicht, ob er manipulierbar ist, doch völlig ausschließen sollte man diese Möglichkeit auch nicht.«

»Sie werden zugeben müssen«, meinte Corso, »dass es nicht einer gewissen Ironie entbehren würde, sollte sich herausstellen, dass er tatsächlich von außen gesteuert wird.«

»Inwiefern?«

»Na ja, er trägt zumindest eine Teilschuld an dem, was damals in Port Gabriel passierte. Deshalb wäre es eine Art ausgleichende Gerechtigkeit des Schicksals, finden Sie nicht auch?«

»Vielleicht.« Ein Lächeln zupfte an Lamoureaux’ Mundwinkeln. »Ich gebe zu, auf diesen Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen.«

Corso nickte in die Richtung, in die sie sich bewegt hatten. »Wir sollten jetzt auf die Brücke zurückgehen«, schlug er vor und stieß sich von dem Schott ab, gegen das sie sich gelehnt hatten.

»Lucas, warten Sie. Ich wollte nicht nur über Whitecloud mit Ihnen reden.«

Corso packte einen Haltegriff, ehe er zu weit abdriftete. »Worüber noch?«

»Es geht um Olivarri. Als wir noch in Ocean’s Deep waren, fragten mich einige Ihrer Mitarbeiter nach ihm aus.«

»Was wollten sie denn wissen?«

»Ob ich gesehen hätte, mit wem er sich alles unterhielt.«

Corso runzelte die Stirn. »Ray Willis war Olivarris Boss. Er hätte mich informiert, wenn etwas nicht stimmte.«

»Ich hatte das Gefühl, dass sie sich nur vortasteten, als gäbe es lediglich den Hauch eines Verdachtes. Jedenfalls drückte sich Nisha so aus.«

»Und warum erzählen Sie mir das erst jetzt?«

»Es ist noch nicht zu spät, um ein Signal nach Ocean’s Deep zu schicken. Ich weiß nicht, was mit Nisha oder Yugo passiert ist, seit die Legislatur das Ruder übernahm, aber womöglich ist einer von ihnen noch in der Lage, ein paar gründliche Recherchen über ihn durchzuführen.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob das vernünftig wäre«, zweifelte Corso. »Ein Signal so weit zu schicken, kostet eine Menge Energie.«

»Sicher«, stimmte Lamoureaux zu. »Andererseits finden wir vielleicht heraus, warum er ermordet wurde.«