Kapitel Vierzehn

Lamoureaux war bereits da, als Corso ein paar Tage später am wenige Kilometer außerhalb von Unity gelegenen Raumhafen eintraf. Mit laut summenden Turbos wirbelte sein automatisches Taxi einen Sturm aus Sand und Kies auf, als es in der Nähe des Vehikels, mit dem Lamoureaux angekommen war, auf der geschwärzten Betonfläche aufsetzte.

Lamoureaux trug einen mit Fell gefütterten Parka, über Mund und Nase war eine billige Atemmaske geschnallt. Obwohl die Sonne noch tief am Horizont stand, verbreitete sie schon ein grelles Licht, das den gefrorenen Bodennebel wegbrannte.

»Ted«, grüßte Corso, als er aus dem Taxi stieg und auf den anderen Mann zuging. »Danke, dass Sie gekommen sind.«

Lamoureaux nickte unsicher. »Haben Sie heute Morgen die Nachrichten gehört?«

»Ja, allerdings. Eine ganz üble Sache.«

Das Konsortium war nun doch zur Tat geschritten und hatte die Forschungsstation, die den Technologiehort im Tierra-System überwachte, okkupiert. Militärkreuzer der Legislatur, ausgerüstet mit neu fabrizierten Transluminal-Antrieben, waren angerückt, und überall im System hatte man Vertreter der Friedensflotte verhaftet.

Lamoureaux nickte. »Vielleicht können Sie mir jetzt verraten, warum ich unter einem falschen Namen, ohne mein Schiff der Weisen, nach Redstone kommen sollte.«

»Ich entschuldige mich für die ganze Heimlichtuerei, aber es war nötig, glauben Sie mir. Ich musste sichergehen, dass keiner von Ihrem Aufenthalt hier Wind bekam.«

»Ich habe mir ein paar der örtlichen Nachrichtensendungen angeschaut. Leute mit Implantaten sind hier wirklich nicht gern gesehen, stimmt’s?«

»Stimmt. Im Allgemeinen hasst man sie wie die Pest.«

Lamoureaux hob eine Hand und befingerte seine Atemmaske. Corso sah, dass er sie nicht richtig aufgesetzt hatte, und ging zu ihm, um die Riemen ordentlich zu befestigen.

»Ich weiß nicht, wie zum Teufel Sie das schaffen, dauernd mit diesen Dingern herumzulaufen«, knurrte Lamoureaux. »Ich bin erst seit zwanzig Minuten draußen, und die Maske macht mich jetzt schon verrückt.«

»Ich bin damit groß geworden, niemals ohne Maske ins Freie zu gehen«, erwiderte Corso und trat wieder einen Schritt zurück. »Man gewöhnt sich dran, es wird einem zur zweiten Natur. Genauso gut könnte man darüber klagen, dass man den Atem anhalten muss, wenn man den Kopf unter Wasser hält. Nun, wie fühlt es sich jetzt an?«

»Schon besser«, gab Lamoureaux zu und berührte vorsichtig die Ränder der Maske, die sich in sein Gesicht drückten. »Obwohl ich das Ding immer noch lästig finde. Würden Sie mir jetzt bitte den Grund für dieses Täuschungsmanöver erklären?«

»Heute Vormittag soll im Senat ein außerordentlicher Antrag abgesegnet werden, der mich persönlich betrifft. Man will mich meines Amtes entheben und in Haft nehmen, weil ich durch mein Verhalten dem Staat großen Schaden zugefügt hätte.«

»Dann müssen wir Sie unverzüglich von hier wegschaffen. Das Beste wäre, Sie würden nach Ocean’s Deep zurückfliegen.«

»Nein.« Corso schüttelte den Kopf. »Dort wäre ich auch nicht sicher. Denken Sie doch mal nach: Die Beschlagnahmung des Technologiehorts, der Streit wegen der Mjollnir – das alles hängt miteinander zusammen. Jetzt kursieren Gerüchte, die Mjollnir würde den Orbit in wenigen Tagen wieder verlassen.«

»Aber das Schiff ist doch gerade erst angekommen«, wunderte sich Lamoureaux.

»Nichtsdestotrotz weiß ich aus verlässlicher Quelle, dass die Mjollnir zum Sol-System aufbricht. Das dürfen wir nicht zulassen.«

»Und was gedenken Sie zu unternehmen?«

»Wir entern das Schiff und übernehmen die Kontrolle, ehe es abfliegen kann.«

Lamoureaux blickte ihm forschend ins Gesicht. »Das ist Ihr voller Ernst, nicht wahr? Dann frage ich mich nur, wieso sie sich überhaupt mit Jarret duelliert haben. Was war dann der Sinn und Zweck des Kampfes?«

»Ich war so einfältig zu glauben, dass die Leute, die hinter ihm stehen, sich an ihre eigenen Regeln halten würden. Aber sie hatten darauf gesetzt, dass ich derjenige sein würde, der tot vom Platz getragen wird, und das hätte alle ihre Probleme mit einem Schlag gelöst.«

Lamoureaux fröstelte. »Sie haben mir noch nicht gesagt, wohin wir mit der Mjollnir fliegen werden.«

»Hatten Sie gewusst, dass Dakota noch am Leben ist?«

Lamoureaux nickte knapp. »Doch, ja, jetzt, wo Sie es zur Sprache bringen, kann ich es ja zugeben. Ich hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden war, bis sie vor ein paar Tagen mit mir Kontakt aufnahm, mich jedoch bat, niemandem davon zu erzählen. Ich wusste nicht mal, ob sie sich noch mit jemand anders in Verbindung gesetzt hatte.«

»Vor kurzem stattete sie mir eines Nachts einen Besuch ab und eröffnete mir, sie wolle den Mos Hadroch in das Territorium der Emissäre bringen, zu einem der Technologiehorte. Sie behauptet, es sei die einzige Möglichkeit, ihn zu aktivieren.«

»Wir sollen mit der Mjollnir in das Territorium der Emissäre eindringen? Das ist glatter Wahnsinn!«

Corso lächelte grimmig unter seiner Maske. »Falls Sie einen besseren Vorschlag haben, kann ich es gar nicht abwarten, ihn zu hören. Ich selbst denke unentwegt über Alternativen nach, doch vorausgesetzt, Dakota ist nicht verrückt oder erfindet Märchen, fällt mir kein anderer Weg ein.«

»Vielleicht wäre alles viel einfacher, wenn sie tatsächlich nicht ganz bei Trost wäre.«

»Sie besteht darauf, sie sei da draußen gestorben, als sie den Schöpfer aufspürte«, erzählte Corso. »Der hätte sie und ihr Schiff vernichtet, doch irgendwie gelang es dem Schiff, ihren Geist zu retten und in ein anderes Schiff, das näher an der Heimat lag, zu transferieren. Von Ihnen möchte ich gern wissen, ob Sie so etwas auch nur entfernt für möglich halten.«

»Scheiße!« Lamoureaux stampfte ein paarmal mit den Füßen auf dem vereisten Beton auf und grub die behandschuhten Hände tiefer in den Taschen seines silberfarbenen Parkas. Eine Weile starrte er in die Ferne, wo einige Kilometer weiter zwei Rapid-Orbit-Frachter auf der Betonpiste parkten; man konnte deutlich sehen, wie aus den Hauptgondeln Dampf entwich.

»Also gut«, antwortete er schließlich. »Sie machen sich Sorgen, sie könnte an derselben Krankheit leiden, die schon eine Menge anderer Maschinenköpfe aus der Bahn geworfen hat. Meiner Meinung nach ist Dakota nicht verrückter als die übrigen Betroffenen, und keiner von denen weist auch nur die geringsten Symptome von Wahnvorstellungen auf. Außerdem gibt es in den Schiffen der Weisen … Abgründe, die man jemandem, der selbst keine Erfahrung mit diesen Phänomenen gesammelt hat, nicht einmal ansatzweise erklären kann. Als die Weisen von der Bildfläche verschwanden, hatten sie schon fast den Status von Göttern erreicht, Senator, deshalb denke ich, dass man ihnen so ziemlich alles zutrauen kann.«

Er blickte an Corso vorbei und kaute auf der Innenseite seiner Wange.

»Haben Sie sonst noch was auf dem Herzen?«

Lamoureaux sah ihm direkt in die Augen. »Ich muss Ihnen sagen, Senator, dass interstellare Piraterie ziemlich weit oben auf der Liste meiner Berufswünsche stand, als ich zwölf Jahre alt war, aber jetzt habe ich gewaltige Skrupel.«

Corso grinste. »Habe ich Sie gebeten mitzukommen?«

Lamoureaux lachte; durch seine Atemmaske klang das Geräusch seltsam gedämpft. »Ich wüsste nicht, was Sie sonst von mir erwarten. Mein Schiff der Weisen liegt immer noch in Ocean’s Deep, andernfalls wäre es mir vielleicht möglich, die Kontrolle über die Mjollnir zu erlangen.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber das könnte Dakota auch.«

»Nein, eben nicht – und auch Sie würden es nicht schaffen. Die Mjollnir ist mit manuellen Kontrollen ausgestattet, um exakt diese Eventualität auszuschließen.«

»Was?« Lamoureaux schaute verblüfft drein. »Aber verfügen die Freistaatler jetzt nicht über ihre eigenen Maschinenköpfe?«

»Ja, notgedrungen. Aber im Grunde trauen sie denen auch nicht.«

Überall im Konsortium hatte man Schiffe in aller Eile modifiziert, um zu verhindern, dass sie von feindlichen Maschinenköpfen übernommen wurden, die mit den Schiffen der Weisen verbunden waren. Während der wenigen Sekunden, die ein normaler menschlicher Pilot brauchte, um auf eine Kaperung durch Maschinenköpfe zu reagieren, konnte eine Menge Schaden angerichtet werden, doch hatte er erst einmal den Schalter bedient, war der Angriff augenblicklich abgeblockt.

»Nun, das macht alles noch ein bisschen komplizierter, denke ich. Aber wenn Dakota auch an Ihrer Expedition teilnimmt, brauchen Sie mich doch nicht, oder?«

»Im Gegenteil«, versetzte Corso. »Ich brauche Sie, damit Sie mir helfen, Dakota im Auge zu behalten, und weil ich auf Leute angewiesen bin, denen ich vertrauen kann. Wie lautet Ihre Antwort?«

Lamoureaux scharrte mit einem Stiefel auf dem Betonboden, ehe er die Schultern hängen ließ, als gäbe er sich geschlagen. »Was soll ich denn sonst tun, Senator? Mit den anderen herumsitzen und auf die Ankunft der Emissäre warten? Mir bleibt doch gar keine andere Wahl, als Sie zu begleiten.«

Corso grinste und legte eine Hand auf Lamoureaux’ Schulter. »Ich weiß nicht einmal, ob wir Waffen einsetzen müssen, aber ich rechne damit.«

»Sind wir für so was gerüstet?«

Corso nickte. »Wenn wir die Mjollnir entern, treffen wir nur auf eine Rumpfbesatzung, und die wird höchstwahrscheinlich keinen ernsthaften Widerstand leisten. Von Ihnen erwarten wir natürlich nicht, dass Sie eine Pistole oder etwas in der Art dabei haben; Sie folgen uns erst dann an Bord, wenn wir sicher sind, dass keinerlei Risiko mehr besteht.«

»Wer kommt sonst noch mit?«

»Ich hoffe, der übliche Kommandant der Mjollnir, ein Mann namens Martinez, und ein paar Angehörige seines leitenden Stabs. Ohne ihn hätte die letzte Expedition vermutlich gar nicht stattgefunden. Zurzeit steht er unter Hausarrest, aber ich bin bereits dabei, ihn und die anderen aufzustöbern. Whitecloud ist spurlos verschwunden. Sollten wir ihn finden, macht er ebenfalls mit.

Leo Olivarri und Ray Willis müssten demnächst hier eintreffen. Wenn ich ihnen meine Pläne dargelegt habe, begleiten sie uns hoffentlich ebenfalls.«

Lamoureaux schüttelte den Kopf, und Corso konnte sehen, wie er hinter seine Maske breit grinste. »Ist Ihnen überhaupt klar, wie verrückt das alles klingt?«

So wie er es sagte, konnte Corso es beinahe als Kompliment auffassen.

»Wir entern die Fregatte in knapp einer Woche, wenn die letzten Wartungsarbeiten und Diagnosechecks im Gange sind. Die Sicherheitsvorkehrungen werden lasch sein, und das erhöht unsere Chancen.«

»Und wenn alles schiefgeht? Angenommen, ich höre nichts mehr von Ihnen, oder Sie werden zwischenzeitlich verhaftet oder umgebracht, was dann?«

»Dann suchen Sie nach einer Möglichkeit, Redstone und dieses System schleunigst zu verlassen. Einen besseren Rat kann ich Ihnen nicht geben. Aber bis es dazu kommt, falls diese Situation überhaupt eintritt, liegt noch jede Menge Arbeit vor uns.«