Kapitel Achtzehn

Nachdem sie die Nabe hinter sich gelassen hatten, legten sie häufig einen Halt ein, damit Corso die Plan-Projektionen studieren konnte, die über den wichtigen Kreuzungen schwebten. Lokale Mikrorelais-Systeme, die in die zentralen Datenspeicher der Fregatte integriert waren, zeigten Dakota exakt, wo sie sich bei jedem Schritt befanden; aber ein Blick auf Corsos grimmige Miene ließen sie zögern, ihn darauf hinzuweisen.

Ohne sich ein einziges Mal umzusehen, ging er vor ihr her, und sie fragte sich, ob ihn das gleiche übermächtige Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses überkam, das in dem Moment von ihr Besitz ergriffen hatte, als sie die Fregatte betrat. Es kam ihr vor, als seien sie wieder an Bord der Hyperion, nur dass sie dieses Mal diejenigen waren, die die Verantwortung trugen. Es war eine seltsame Empfindung, denn seitdem hatte sich viel verändert; doch die stärksten Verwandlungen waren wohl mit ihr und Corso passiert.

An einer Transportstation stiegen sie in einen Wagen und saßen minutenlang in unbehaglichem Schweigen da, bis Corso endlich das Wort ergriff. Mit gerötetem, zornigem Gesicht beugte er sich zu ihr vor.

»Warum hat es so lange gedauert, bis du plötzlich wie aus heiterem Himmel auftauchtest?«, wollte er wissen. »Hattest du dies alles geplant, bevor du nach Redstone zurückkamst?«

Sie räusperte sich, ehe sie antwortete. »Einiges schon«, gab sie zu.

»Aber du hieltest es nicht für notwendig, mich einzuweihen.«

»Natürlich nicht.«

»Und warum nicht, verdammt nochmal?«

»Weil … ich Angst hatte, du könntest mich behindern.«

Er wartete noch ein paar Sekunden, offenbar in der Annahme, sie würde weitersprechen. Doch als sie schwieg, schüttelte er nur angewidert den Kopf und vermied es, sie anzusehen, bis sie eine knappe Minute später ihr Ziel erreichten. Sie stiegen aus, und Corso übernahm abermals die Führung.

 

Die Krankenstation war moderner ausgestattet als das Lazarett, mit dem sich die Besatzung der Hyperion hatte begnügen müssen. Zwar war die Mjollnir auch schon etliche Jahrzehnte alt, doch man hatte sie gründlich nachgerüstet.

Durch den transparenten Deckel einer Med-Box blickte Dakota auf Lamoureaux. In einer anderen Med-Box in der Nähe lag ein distinguiert aussehender Mann in mittleren Jahren.

Sie vernahm ein leises Summen, und als sie sich umdrehte merkte sie, dass Corso den Untersuchungstisch aktiviert hatte. Der untere Rand kippte langsam in Richtung Boden, während ein Wust aus an der Decke montierten diagnostischen Geräten sich surrend und klickend entwirrte und über die Kopfstütze des Tisches senkte.

»Wer ist dieser Mann?«, erkundigte sich Dakota.

»Das ist Eduard Martinez, der die Expedition leitete, die zum Ziel hatte, den Mos Hadroch aufzuspüren. Auf den Tisch bitte, Dakota. Ich will dich ausführlich scannen.«

»Warum?«

»Weil wir es uns nicht leisten können, dass du so endest wie Ted Lamoureaux.«

»Um einen Transluminal-Sprung durchzuführen, bist du nicht unbedingt auf einen Maschinenkopf-Navigator angewiesen«, stellte sie fest. »Die Parameter könntest du ohne weiteres selbst eingeben.«

»Stimmt, trotzdem brauchen wir dich, damit du uns sagst, welche Richtung wir ansteuern. Und das kannst du nur, wenn du nicht in ein Koma fällst oder etwas noch Schlimmeres passiert.«

Dakota sah ein, dass er in diesem Punkt Recht hatte, kletterte auf den Untersuchungstisch und legte sich hin; die Finger krümmte sie um die dicken Handgriffe aus geformtem Plastik, die zu beiden Seiten des Tisches angebracht waren. Sie beobachtete, wie die Diagnosegeräte sich langsam über die gesamte Länge ihres Körpers bewegten, Aufnahmen von ihren inneren Organen machten und gleichzeitig ihr Nervensystem grafisch darstellten.

»Ich nehme an, dass es auf diesem Schiff keinen richtigen Arzt gibt, oder doch?«

Corso gab ihr keine Antwort; stattdessen begab er sich zu dem Pult und dem Stuhl, wo normalerweise eine Krankenschwester saß. Sich an der Stuhllehne festhaltend, prüfte er die Analysen, die die Computer der Krankenstation mittlerweile erstellt hatten.

»Okay, Dakota.« Er wandte sich ihr zu und sah sie an. »Ich finde, die Zeit ist reif für ein Gespräch. Was meintest du, als du sagtest, du hättest dein Schiff zerstört, um dich zu befreien?«

»Ich sagte dir bereits, dass ich noch nicht bereit bin …«

»Quatsch! Du willst nicht darüber reden, das ist der wahre Grund. Was du machst, ist mir weitestgehend egal, aber ich verlange eine Erklärung. Ich verdiene eine Erklärung.« Er nickte in Richtung der beiden belegten Med-Boxen. »Diese Männer wären jetzt nicht da drin, wenn sie nicht an das geglaubt hätten, was wir während der letzten paar Jahre zu erreichen versucht haben. Als wir diese Fregatte enterten, gab es Tote. Die meisten dieser Opfer waren keine schlechten Menschen, Dakota, sie taten nur ihre Pflicht, und dafür bezahlten sie mit ihrem Leben. Und jetzt komm du mir bitte nicht mit solchem Scheiß, du seist noch nicht bereit zu reden.«

Dakota merkte, dass ihre Augenwinkel feucht wurden, und sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. »Ich sagte dir, dass sich furchtbar viel verändert hat, nachdem die Weisen mich von den Toten wiederauferstehen ließen.«

»Was genau hat sich geändert.«

»Nun ja, jetzt bestimmt das Schiff der Weisen, wohin wir fliegen, und nicht mehr ich. Seit meiner Wiederbelebung habe ich nichts mehr zu sagen. Die Schiffe haben mich neu erschaffen, ich bin quasi ihr Erzeugnis, und das macht mich zu einem Bestandteil von ihnen. Aber ich bin ihnen immer noch nützlich, ob ich es will oder nicht.«

»Und du hast beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.«

»Du musst wissen, dass die Schiffe der Weisen unwiderruflich darauf programmiert sind, Technologiehorte zu entdecken und zu vernichten und das Wesen aufzuspüren, welches diese Schatztruhen herstellte. Dieses Wesen kennen wir unter der Bezeichnung ›Der Schöpfer‹, richtig?«

Corso nickte.

»Eine definitive Programmierung, Lucas. Das heißt, dass die Suche nach dem Schöpfer für die Schiffe der Weisen höchste Priorität hat; sie ist ihnen sogar noch wichtiger, als den Kommandos ihrer Navigatoren zu gehorchen.«

»Dann wurden die Schiffe auch von ihren ursprünglichen Navigatoren nicht wirklich kontrolliert?«

»Etwas komplizierter ist es schon. Die ersten Navigatoren wurden eigens für diese Aufgabe erschaffen, und deshalb verfolgten sie dasselbe obsessive Ziel wie ihre Schiffe – es konnte nie einen Interessenkonflikt geben. Aber sie wurden samt und sonders ausgelöscht, und als wir dann in Erscheinung traten, verbesserte sich die Situation nicht etwa, sondern unsere Anwesenheit stürzte die Schiffe der Weisen in einen Konflikt. Einerseits sind sie darauf programmiert, unsere Befehle auszuführen, doch ihre vorrangige Weisung lautet, jeden Technologiehort zu ermitteln und zu zerstören und letzten Endes den Schöpfer zu finden.«

»Und auf welche Weise können die Schiffe den Konflikt lösen?«

»Sie versuchen, ihre menschlichen Navigatoren zu verändern, sie in etwas umzuformen, das mit ihrer eigenen Mission kompatibler ist. Aber es klappt nicht. Ihre Bemühungen haben zur Folge, dass sie den Geist der Navigatoren völlig zerstören, sie gewissermaßen dement machen. Manche haben noch Glück und tragen lediglich einen Gehirnschaden davon, der zwar irreversibel ist, ihnen aber noch etwas von ihrem Verstand lässt.«

»Jesus und Buddha!«, ächzte Corso. »Sprichst du von der Taucherkrankheit?«

Es erklang ein leiser elektronischer Glockenton; die Diagnoseinstrumente zogen sich sirrend wieder zur Decke hoch und verstummten. Dakota setzte sich aufrecht hin und schlang die Hände um ihre Knie.

Corso streifte Lamoureaux’ Med-Box mit einem flüchtigen Blick, dann sah er Dakota schockiert an. »Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass die Schiffe der Weisen unsere Navigatoren in etwas Nichtmenschliches verwandeln wollen?«

»Der Händler sagte mir einmal, er würde mich nicht länger als einen Menschen betrachten. Damals glaubte ich ihm nicht so recht, aber jetzt verstehe ich viel besser, was er damit meinte.«

Sie sah Corso an, dass er diese Enthüllung immer noch nicht verdaut hatte. »Aber es funktioniert nicht, oder?« Mit dem Kinn deutete er auf Lamoureaux.

»Nein, sie haben mit ihren Bemühungen keinen Erfolg«, bekräftigte sie, »jedenfalls klappt es bei den meisten von uns nicht. Aber ich kann auch nicht mit absoluter Gewissheit behaupten, dass es ihnen noch kein einziges Mal gelungen ist, andere Maschinenköpfe in das Abbild ihrer ursprünglichen Navigatoren zu verwandeln. Vielleicht finden wir es erst heraus, wenn irgendwas passiert.«

»Was zum Beispiel?«

»Ich denke, ihr höchstes Ziel wird vermutlich sein, den Technologiehort in Tierra zu zerstören.«

Sie merkte, wie es in Corso arbeitete. »Tatsächlich?«

»Denk daran, dass ihre vordringlichste Mission, abgesehen von der Suche nach dem Schöpfer, darin besteht, jeden aufgespürten Technologiehort zu vernichten. Ohne Ausnahme.«

»Aber die Schiffe der Weisen besitzen keine Waffen«, hielt er entgegen. »Wie könnten sie …?«

Sie lächelte, als Corso von selbst auf die offensichtliche Antwort kam. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Indem sie den jeweiligen Stern zerstören, um den der Technologiehort kreist, natürlich«, erwiderte sie schließlich und stieß sich von dem Untersuchungstisch ab.

»Wir müssen eine Warnung durchgeben«, krächzte er.

»Sicher, das könntest du tun«, stimmte sie zu und trat an den Monitor, um die Details ihrer Diagnose zu prüfen; sie bemerkte die dunklen Flecken in ihrem Schädel, die den Sitz ihrer Implantate anzeigten. »Trotzdem solltest du es dir noch einmal gut überlegen, Lucas. Ich habe die Nachricht gehört, dass die Streitkräfte des Konsortiums anrücken und den Tierra-Hort mit Gewalt in Besitz nehmen wollen. Niemand wird auf dich hören, wenn du etwas sagst. Aber sollte der schlimmste Fall eintreten, dass wir das komplette Tierra-System verlieren, dann können wir uns damit trösten, dass es da draußen noch mehr Technologiehorte gibt und wir immer noch auf andere Schiffe zurückgreifen können, um sie zu finden.«

Sie beobachtete ihn, wie er sich ihre Worte durch den Kopf gehen ließ. Er würde so oder so versuchen, die Leute zu warnen, daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel, denn er konnte nun mal nicht aus seiner Haut; er war eben ein Mann, der sich immer wieder aussichtslosen Unterfangen verschrieb.

»Du hast also dein Schiff zerstört …?«

»Weil ich ihm nicht mehr trauen konnte.«

Wie vom Donner gerührt stierte Corso sie an.

Abermals hörten sie einen Glockenton, und das Diagnose-Display blitzte ein paarmal auf.

»Was steht da?«, fragte sie.

»In deinem Gehirn gibt es Gewebeveränderungen«, klärte Corso sie auf. »Die Krankenstation glaubt, du hättest einen schweren epileptischen Anfall erlitten, ein Grand Mal.« Er tippte mit dem Finger auf den Schirm, und noch mehr Informationen erschienen. »Es ist das Gleiche wie bei Ted«, bemerkte er.

»Ich fühle mich gut. Und ganz gleich, welche Veränderungen die Weisen in meinem oder Teds Gehirn vorgenommen haben, deine Krankenstation ist nicht darauf programmiert, sie zu erkennen, geschweige denn zu interpretieren.«

»Wie auch immer, diese Veränderungen sind da.«

»Wird Ted wieder gesund werden?«

Corso zuckte die Achseln. »Das wissen wir erst, wenn die Med-Box mit ihm fertig ist. Wie geht es dir … psychisch?«, Neugierig sah er sie an.

»Worauf willst du hinaus?«

»Ich weiß, dass du …« Er rang um das richtige Wort. »Na ja, dass du an deinem Schiff gehangen hast. Eine Art Beziehung mit ihm eingingst.«

»Ich komme damit klar«, versetzte sie brüsk. »Und ich werde ganz bestimmt nicht noch einmal durchdrehen.« Sie nickte in Richtung der Tür. »Sagtest du nicht, wir sollten uns ansehen, wofür wir uns so ins Zeug gelegt haben? Na, dann mal los!«

 

Ty Whitecloud hob den Kopf, als er hörte, wie sich die Luftschleuse des Labors in Bewegung setzte, und ihm fiel ein, dass er immer noch keine Ahnung hatte, ob der Plan des Senators, die Fregatte zu kapern, geglückt war. Er saß an der Hauptkonsole des Labors, und jählings verspannten sich seine Rückenmuskeln.

Endlich öffnete sich mit einem Seufzen die innere Schleusentür, und Senator Corso betrat das Labor in Begleitung einer Frau; Ty war sich sicher, dass er ihr noch nie zuvor begegnet war, und trotzdem kam sie ihm bekannt vor. Doch einen Moment später wusste er, wen er vor sich hatte: Dakota Merrick, die ihm aus den Nachrichtenarchiven vertraut war.

Sie hatte große, dunkle Augen und schien kaum zu blinzeln. Das Haar stand in spitzen Büscheln von ihrem Kopf ab und vermittelte den Eindruck, als bekäme sie nicht genug Schlaf. Obwohl sie halbverhungert aussah, wirkte sie attraktiv. Er fragte sich, ob sie sich schon bei ihrer Ankunft an Bord der Fregatte aufgehalten hatte oder erst später zu ihnen gestoßen war.

»Dakota, das ist Nathan Driscoll«, stellte Corso vor und fixierte Ty mit einem eigentümlich starren Blick, als lege er eine besondere Betonung auf Tys nom de guerre oder Alias. Bis jetzt hatte Corso nur mit Ty gesprochen, wenn es absolut umungänglich war, und bei diesen Gelegenheiten ließ der Senator ihn seine Antipathie deutlich spüren. »Nathans Forschungsergebnisse haben uns zu dem Mos Hadroch geführt. Ohne seine Hilfe wären wir nie so weit gekommen.«

Ty nickte Dakota wortlos zu und legte die Hände so auf seinen Schoß, dass der Ring, den ihm der Konsortium-Agent aufgezwungen hatte und den er an der rechten Hand trug, von der linken Hand verdeckt wurde.

Wieder hörte er dieses hell klingende, statische Geräusch, doch die Tonhöhe steigerte sich rasch, und bald konnte er es nicht mehr wahrnehmen. Im selben Moment sah er, wie Merrick zusammenzuckte und die Finger einer Hand gegen ihre Schläfe presste.

Sie hat es auch gehört, vergegenwärtigte er sich. Ein Blick auf den Senator bestätigte ihm, dass dieser von Merricks Nöten nichts bemerkte.

»Ich denke, es wird höchste Zeit, dass wir uns das Ding, das uns veranlasst hat, diese Reise zu unternehmen, endlich einmal ansehen«, äußerte Corso. »Mr. Driscoll?«

Ty nickte und erhob sich von seinem Sessel. »Hier entlang«, forderte er seine Besucher auf.

 

Sie durchquerten einen anderen Raum, dann erreichten sie die Isolationskammer, die die Überreste des Atn enthielt.

Ty tippte ein paar Sequenzen in ein Terminal neben einer Scheibe aus Polykarbonat-Panzerglas ein, hinter der der tote Alien zu sehen war. Im nächsten Moment glitt ein Robotarm aus einer Vertiefung in der Decke und drehte sich mal hierhin, mal dorthin, während er sich nach unten ausstreckte. Jeder der weit abgespreizten Maschinenfinger endete an der Spitze mit einer anderen Art von Sonde oder Instrument. Wenige Zoll über dem Panzer des Atn kam die Hand zum Stehen.

Ty holte tief Luft und starrte durch das Glas auf den Körper des Alien. Darauf habe ich lange gewartet, dachte er, während er langsam wieder ausatmete.

Hurtig gab er noch ein paar Befehle in das Terminal ein, woraufhin sich die obere rechte Ecke des Fensters verdunkelte und ein Bild des Atn zeigte, als blicke man direkt von oben darauf. Ein Weilchen später wurde dieses Bild ersetzt durch eine Reihe verschwommener grauer Linien, die sich ständig bewegten und veränderten.

Ty deutete auf die monochromen Bilder. »Das stammt von einem Multisystem-Scan, den ich gerade noch an dem Ding durchführen konnte, ehe sie mir den Zutritt zum Labor verweigerten«, erläuterte er. »Röntgenaufnahmen, Myonen-Untersuchungen, das komplette Programm. Sehen Sie sich das mal an.« Er zeigte auf einen schwarzen Schatten im Bildmittelpunkt. »Irgendetwas steckt im Panzer des Atn, entzieht sich aber der Beobachtung, egal, womit ich es bombardiere.«

»Und das ist der Mos Hadroch?«, hakte Corso nach.

»Nun ja, jedenfalls hoffe ich das«, erwiderte Ty.

Merrick runzelte die Stirn und ließ sich ganz offenkundig durch irgendetwas ablenken. »Das ist tatsächlich der Mos Hadroch«, stellte sie fest. »Von dem Moment an, als wir das Labor betraten, hat er mich gescannt.«

Die beiden Männer glotzten sie an.

»Es ist mein voller Ernst«, beharrte sie. Ihr Blick verschwamm kurz, und Ty befürchtete schon, sie könnte ohnmächtig werden. »Ich glaube, er versucht, sich Informationen über den Schwarm zu beschaffen.«

»Vielleicht war es doch keine so gute Idee, dich hierherzubringen«, meinte Corso und bewegte sich auf sie zu.

Sie hob eine Hand. »Warte, Lucas.«

»Was will der Mos Hadroch wissen?«, erkundigte sich Ty fasziniert.

Sie trat dicht an eine Wand und drückte eine Hand gegen das Schott. »Welches Ziel der Schwarm verfolgt«, antwortete sie. »Den Sinn und Zweck seines Daseins.«

»Und das weißt du?«, fragte Corso, Ty zuvorkommend.

»Na klar.« Sie zuckte die Achseln. »Es gibt Millionen dieser Schwärme, über das gesamte Universum verteilt, und trotz der ungeheuren Entfernungen stehen alle via Tach-Komm miteinander in Verbindung. Die Schwärme wollen die der Realität zugrundeliegende Struktur verändern.«

Corso lachte verblüfft. »Komm schon, das ist doch lächerlich. Wer käme auf die Idee …«

»Das ist durchaus nicht lächerlich«, fiel Ty ihm ins Wort. »Nicht, wenn es sich um Wheeler-Korsh-Maschinen handelt.«

Corso schüttelte den Kopf. »Wheeler was?«

»Gemeint ist eine hypothetische Technologie, welche die elementaren Eigenschaften des Weltraums auf der niedrigst möglichen Ebene manipuliert, wo Materie und Information nicht zu unterscheiden sind«, erklärte Ty, während er wieder in die Isolationskammer hineinspähte. Er machte sich an dem Terminal zu schaffen, und ein paar winzige Schneidewerkzeuge schwenkten nach unten, bis sie fast den Panzer berührten. Wheeler-Korsh-Maschinen? Unmöglich. »Und wenn Materie lediglich ein Ausdruck von Information ist«, fuhr er fort, »dann lässt sich letzten Endes das Universum selbst programmieren; es ist nichts anderes als ein unendlich komplexes Rechensystem. Subatomare Teilchen sind im Grunde nicht substanzieller als eine Ansammlung von Daten, die Drehung, Winkel des Impulses und Position bestimmen … etwas in dieser Art. Manche würden sagen, dies bedeutet, dass es keinen Tod gäbe, nur Wiederholungen eines Programms, welches mit Anbeginn der Zeit gestartet war.«

»Das klingt ja beinahe wie eine Religion«, fand Dakota.

Ty erstarrte einen Moment lang, als ihm klarwurde, wie nahe er daran war, den Uchidanismus zu beschreiben. »Natürlich handelt es sich um reine Spekulation«, wiegelte er ab. Er drehte sich zu Dakota um und zwang sich zu einem Lächeln. »Es sei denn, man findet tatsächlich eine Wheeler-Korsh-Maschine, dann hätte man den konkreten Beweis.«

»Trotzdem hört es sich ziemlich weit hergeholt an«, bemerkte Corso mit finsterer Miene.

Ty beachtete ihn nicht. »Wie haben Sie das alles herausgefunden?« , fragte er Dakota.

»Als ich mich aufmachte, um den Schwarm zu erforschen, zapfte ich sein kollektives Bewusstsein an«, gab sie zurück. »Dabei erfuhr ich auch von der Existenz des Mos Hadroch.«

»Moment mal«, warf Ty ein. »Sie sagten, diese Schwärme verständigen sich untereinander mittels Tach-Kommunikation. Aber wenn sie sich im ganzen Universum ausgebreitet haben, woher beziehen sie dann die Energie, um Signale so weit zu übertragen? Dafür brauchte man Energiemengen in schier astronomischer Größe.«

»Ich konnte beobachten, wie sie die Energie einer Nova nutzten, nur um ein Signal an einen Schwarm zu übermitteln, der sich in einer anderen Galaxie aufhält.«

Beide Männer starrten sie eine Weile schweigend an.

»Mittlerweile sollte ich mich daran gewöhnt haben, dass du mir Sachen erzählst, die meinen Horizont total übersteigen«, knurrte der Senator schließlich, ehe er sich wieder an Ty wandte. »Mr. Driscoll, ich denke, wir sollten dieses Ding jetzt aufschneiden und einen Blick hineinwerfen. Was meinen Sie?«

Ty nickte und machte sich an die Arbeit. Winzige Präzisions-Plasmadüsen fingen an, sich zügig und effizient in den Panzer des Atn hineinzufräsen. Mehrgliedrige Greifer fassten nach unten, um Teile des Gehäuses festzuhalten, während die Düsen das Metall durchtrennten.

Die inneren biologischen Komponenten des Atn waren längst zu Staub zerfallen, doch Ty nahm sich vor, die Überreste des Gehirns zu analysieren, sowie er Zeit und Gelegenheit dazu bekam. Es bestand immerhin die Chance, dass nützliche Daten überdauert hatten und sich noch retten ließen.

Nachdem ein hinreichend großes Loch in die Schale geschnitten war, trat Ty von dem Terminal zurück, und der Eingang zur Isolationskammer glitt auf. »Dann wollen wir uns das mal anschauen«, meinte er und trat durch die Tür.

Zu dritt zwängten sie sich in den engen Raum, in dem es nach verbranntem Staub und erhitztem Metall roch. Die Abneigung, mit der der Senator ihn früher behandelt hatte, schien sich in so etwas wie widerwilligen Respekt verwandelt zu haben. Es war Merrick, die Ty Rätsel aufgab; in den Nachrichtenarchiven wurde sie beschuldigt, Morde und Diebstähle begangen zu haben. Auf Ty wirkte sie wie jemand, der sich sehr bemühte, seine Emotionen unter Kontrolle zu haben, aber sie kam ihm keineswegs wie die kaltblütige Killerin vor, als die man sie manchmal darstellte.

»Sie sind schon erstaunliche Kreaturen, diese Atn«, meinte Ty und streifte sich ein Paar Isolierhandschuhe über. Die Ränder des Lochs, das die Plasmadüsen in den Panzer geschnitten hatten, glühten immer noch schwach von der gespeicherten Hitze. »Es gibt überzeugende Hinweise darauf, dass sie älter sind als jede andere Spezies, die wir bis jetzt kannten. Vielleicht sogar noch älter als Ihre Weisen, Miss Merrick«, fügte er hinzu. »Und wenn wir irgendwann einmal von der galaktischen Bühne abtreten, werden sie immer noch da sein und durch die leeren Ruinen unserer Städte wandern.«

»Ich habe mich schon gefragt, ob das der Grund ist, weshalb man ihnen den Mos Hadroch überhaupt anvertraute«, entgegnete Dakota und sah zu, wie Ty sich vor dem Panzer in die Hocke setzte. »Die für sie gültigen Zeitspannen sprengen unser Vorstellungsvermögen.«

»Ich finde, anstatt zu philosophieren, sollten wir jetzt lieber hiermit weitermachen«, mischte sich Corso leicht verärgert ein.

»Sie haben Recht«, stimmte Ty zu. Er fasste in eine Tasche und zog eine schmale Stablampe heraus.

Als er in die Öffnung hineinleuchtete, bestätigte sich sein Verdacht, dass diese Kreatur gründlich ausgeschlachtet worden war. Das Licht huschte über eine glatte Fläche, und er schob die Hand durch die schartigen Ränder des Lochs, um sie zu berühren. Zu seiner Überraschung fühlte sich diese Fläche ein wenig warm an. Kurz entschlossen steckte er den Griff der Lampe in den Mund, damit er beide Hände frei hatte, und langte tief in die Höhlung hinein.

Das in dem Panzer eingebettete Objekt besaß ungefähr die Form eines Kegels, wobei die stumpfe Spitze auf ihn zeigte. An der Basis des Kegels waren seitlich zwei Stangen angebracht, wie Griffe, die nach vorn wiesen und ihm zumindest etwas boten, wonach er greifen konnte.

Ty schloss die Hände fest um die Stangen und hob den Gegenstand aus der Öffnung. Corso übernahm einen Handgriff, und gemeinsam stellten sie das Ding auf dem Boden ab. Es war von einer blass kobaltblauen Farbe und schien in einem schwach irisierenden Glanz zu glühen. Dieser Vorrichtung haftete etwas so entschieden Fremdes an, eine Andersartigkeit, für die es keine Beschreibung gab, dass Ty vor Furcht und Aufregung erschauerte.

Alarmiert betrachtete Corso das Objekt. »Es ist doch nicht radioaktiv, oder?«

»Die Instrumente zeigen jedenfalls keine Strahlung an«, erwiderte Ty. »Wenn es radioaktiv wäre, hätten wir es längst gemerkt, noch bevor wir es an Bord brachten. Ich habe keine Ahnung, was dieses Glühen verursacht.«

Plötzlich vernahm Ty ein Geräusch, wie Flüstern vermischt mit statischem Rauschen; es drang in seine Gedanken ein und steigerte sich abermals zu einem hohen Pfeifton, ehe es abklang. Hastig warf er Dakota einen Blick zu, sah, wie sie zusammenzuckte und eine Hand über ihre Augen legte.

»Ich kann ihn schon wieder hören«, murmelte sie. »Den Mos Hadroch, meine ich. Ich glaube, gerade ist irgendwas passiert.«

Corso hob eine Hand und berührte den Komm-Knopf in seinem Ohr.

»Okay, Dan«, sagte er kurz darauf. »Danke für die Nachricht.«

Er wandte sich den anderen zu. »Perez meldet, dass die Hälfte der primären Datenspeicher sich soeben spontan neu gebootet hätte – ganz von selbst und ohne Erklärung. Es wäre möglich, dass sich noch jemand auf der Fregatte versteckt und versucht, uns zu sabotieren, ehe wir aus diesem System herausspringen können.«

Dakota schüttelte den Kopf. »Nein, das ist der Mos Hadroch. Dessen bin ich mir sicher.«

»Aber was zum Teufel macht dieses Ding jetzt?«, brüllte Corso.

»Ich glaube«, erwiderte sie zögernd, »er will einfach nur wissen, wer wir sind.«