Kapitel Vierundzwanzig

Nur sieben Stunden später sprang die Mjollnir abermals, bevor sie mehrere Hundert Lichtjahre näher am Rand des Orionarms in den Normalraum zurückfiel. Vor ihnen lag die Zone des Langen Krieges, das zentrale Schlachtfeld, auf dem die Shoal seit fünfzehntausend Jahren ihren Konflikt mit den Emissären austrugen, und dahinter erstreckte sich der Perseusarm.

Nach dem Entwarnungssignal stieg Lamoureaux wieder von dem Interface-Sessel herunter und nickte Corso zu.

»Diese Sprünge gehen auf Dauer nicht gut, Lucas. Es sind zu viele in zu kurzer Zeit. Für so starke Belastungen ist die Mjollnir nicht ausgelegt.«

Corso sah ihn an. »Einwand zur Kenntnis genommen«, erwiderte er knapp und widmete sich dann wieder der Konsole, an der er saß.

Lamoureaux wollte eigentlich noch mehr sagen, doch dann besann er sich anders und verließ die Brücke; was hätte es für einen Sinn, Corso über Dinge aufzuklären, die dieser höchstwahrscheinlich schon wusste. Dieses Mal waren mehr als zwanzig Antriebsdorne ausgefallen. Neue wurden bereits produziert, doch wenn sie weiterhin so zahlreich versagten, musste das die Sprungkapazität der Mjollnir erheblich beeinträchtigen.

 

Ty hatte seine Arbeit unterbrochen, als der Sprungalarm ertönte, und ruhig das Entwarnungssignal abgewartet, das eine Minute später folgte. Er fürchtete sich vor dem nächsten Mal, wenn er wieder einer Reparatur-Crew zugeteilt wurde, der auch Olivarri angehörte. Nach ihrem Gespräch hatte er sich in seine Arbeit vergraben, noch mehr in die Tiefe gehende und zunehmend aggressive Scans des Mos Hadroch durchgeführt und versucht, sich eine Vorstellung von dessen innerem Aufbau zu verschaffen. Doch trotz all seiner Bemühungen stellte sich immer noch kein Erfolg ein; es war schlichtweg frustrierend.

Er dachte häufig an Nancy, träumte davon, sich in den straffen, muskulösen Kurven ihres Körpers zu verlieren. Der rationalere Teil von ihm hätte dann gern die dieser Affäre innewohnenden Risiken aufgelistet oder ihn daran erinnert, dass sie diese Liebschaft unmöglich fortsetzen konnten, sollten sie jemals nach Hause zurückkehren. Und immer wieder überraschte und verwirrte es ihn, dass er den Gedanken an ein Ende ihrer Beziehung unerträglich fand.

Er hockte immer noch da und grübelte, als eine halbe Stunde später die primären Steuer- und Lebenserhaltungssysteme der Mjollnir einen katastrophalen Ausfall erlebten und ein anderer, dringenderer Alarm ausgelöst wurde.

 

Dakota hatte sich eine Kabine außerhalb der Zentrifuge gesucht. Sie hatte zu viele Jahre in Schwerelosigkeit gelebt und gearbeitet, um bei Schwerkraft gut schlafen zu können. Als der Alarm losging, lag sie immer noch wach in ihrer Koje.

Mit einem Ruck setzte sie sich auf und loggte sich in den Datenraum ein, nur um festzustellen, dass erhebliche Teile davon offline gegangen waren. Es war, als hätte sie ein verlassenes Haus betreten und dann bemerkt, dass irgendwer oder irgendwas die meisten Türen verriegelt hatte.

Im nächsten Moment spürte sie, dass Lamoureaux ihr aus dem Inneren der Zentrifuge ein Ping schickte.

›Irgendwas Dramatisches ist passiert‹, teilte er ihr mit. ›Soweit ich es beurteilen kann, haben sich soeben fast alle physikalischen Systeme abgeschaltet. Lebenserhaltung, Fusionsreaktoren, Hangare und Fabrikatoren … keines dieser Systeme reagiert auch nur auf die einfachsten Anfragen.‹

Hat man schon eine Vermutung, was passiert ist?

›Noch nicht, aber ich bin schon wieder unterwegs zur Brücke. Als ich ging, war Lucas noch dort, vielleicht weiß er etwas.‹

Sie erschrak nicht wenig, als plötzlich die Lampen flackerten und erloschen. Ein paar Sekunden später ging die Notbeleuchtung an und tauchte die Kabine in ein blutrotes Licht. Aus den externen Sensorbänken tröpfelten einige Daten ein; außerhalb des Schiffs fand nichts Ungewöhnliches statt, also wurden sie wenigstens nicht von außen angegriffen.

Wenn wir die Lebenserhaltung nicht wieder online bekommen, stecken wir verdammt tief in der Scheiße, Ted. Das sieht mir verdächtig aus nach …

›Sabotage. Ich weiß. Aber ziehen Sie noch keine voreiligen Schlüsse. So was bewerkstelligt man nicht, indem man hier und da ein paar Drähte vertauscht. Solche Systeme einzeln hintereinander abzuschalten, ist eine Sache. Aber alle gleichzeitig ausfallen lassen? Das erfordert ein erhebliches Können.‹

Dakota zog sich zur Tür ihrer Kabine und drückte die Handfläche gegen das Zugangsfeld. Nichts tat sich. Mit der flachen Hand hämmerte sie dagegen, bis ihr einfiel, dass es einen manuellen Entriegelungsmechanismus gab, der hinter einer seitlichen Vertäfelung lag.

Sie entfernte die Tafel und zerrte an dem dahinter angebrachten Hebel. Etwas klickte geräuschvoll, und die Tür schob sich einen Spalt breit auf; durch die Ritze sah man ein schmales Stück des dahinterliegenden, rot beleuchteten Korridors. Mit den Fingern beider Hände zerrte Dakota so lange an der Kante der Tür, bis sie endlich unter protestierendem Jaulen ganz aufglitt.

Schnurstracks steuerte sie auf die Brücke zu. Am schnellsten gelangte man dorthin, wenn man an der nächsten Transportstation, die eine Minute Fußmarsch entfernt lag, in einen Wagen stieg, doch sämtliche Vehikel waren gleichfalls außer Betrieb. Dakota spähte durch ein Wagenfenster und sah, dass an dessen Armaturenbrett rote Warnlichter sporadisch blinkten. Sie machte kehrt und hastete zu einem Korridor, der direkt zur Nabe führte.

 

Nachdem zweifelsfrei feststand, dass die Mjollnir plötzlich einen katastrophalen Systemabsturz erlitten hatte, war Corso einerseits nicht sonderlich überrascht, und sein erster Gedanke galt dem Händler.

Seit Dakota das Shoal-Mitglied an Bord gebracht hatte, hatte Corso dafür gesorgt, dass seine Yacht ständig diskret beobachtet wurde. Obwohl die internen Überwachungssysteme der Fregatte so programmiert waren, dass sie den Haupthangar ständig kontrollierten, ging Corso kein Risiko ein. Willis und Schiller begaben sich häufig in den Hangar, um das Schiff des Händlers persönlich in Augenschein zu nehmen. Corso konnte nicht genau sagen, wonach sie suchen sollten, aber er wollte dem Alien zu verstehen geben, dass er unter konstanter Bewachung stand.

Er schaltete den Alarm ab, und die eintretende Stille legte sich wie eine schwere, erstickende Decke über die Brücke. Als Nächstes betätigte er eine Konsole, um einen minuziös detaillierten Plan der Mjollnir über Kopf zu projizieren. Über das ganze Schiff verteilt flackerten rote Punkte und zeigten die erschreckend zahlreichen Systemversagen an.

Martinez betrat die Brücke; er sah erschöpft aus und war dabei, sich ein Jackett überzustreifen. »Was zum Teufel ist gerade passiert?«, fragte er und ging zu Corso.

»Sehen Sie selbst.« Mit einem Wink deutete Corso auf die Konsole.

Martinez beugte sich über die gläserne Oberfläche und prüfte eilig die Daten, die Corso soeben aufgerufen hatte. Vor Verblüffung weiteten sich seine Augen, und dann spähte er nach oben, wo über ihren Köpfen die Pläne der Fregatte schwebten.

»Ich habe nie dergleichen gesehen«, murmelte Martinez und nahm dann den erst kürzlich verlassenen Interface-Sessel ins Visier.

»Sie fragen sich, ob ein Maschinenkopf so was bewirken konnte?«, riet Corso.

»Wäre das denn möglich?«

»Sie selbst sagten mir, diese neu eingeführte Sicherheitsmaßnahme würde es praktisch ausschließen, dass jemand mit Implantaten heimlich die Kontrolle übernimmt, ohne direkt in den Interface-Sessel eingeloggt zu sein. Und falls Ted oder Dakota für den Systemausfall verantwortlich sind, würde der jeweils andere davon wissen.«

»Prinzipiell ist das richtig«, gab Martinez zu. »Aber das neue System wurde nie ernsthaft getestet, und als die jüngsten Modifikationen vorgenommen wurden, war ich nicht zugegen. Weiß man, wo Merrick und Lamoureaux sich zur Zeit aufhalten?«

Corso seufzte. »Im Augenblick kann ich Ihnen von keinem der Crew den derzeitigen Aufenthaltsort nennen, Commander.«

»Aber Ihnen ist doch klar, dass die beiden trotz allem die Hauptverdächtigen sind, oder?«

Corso nickte gereizt. »Vergessen Sie nicht, wie stark wir die Mjollnir beansprucht haben. Wir wissen nicht, welche Probleme dadurch entstanden sind. Zuerst diese Expedition, um den Mos Hadroch zu suchen … und eine gute Woche später ging es schon wieder los. Wir unternehmen längere und zeitlich näher beieinanderliegende Sprünge, als man es je einem anderen von Menschen konstruierten Schiff zugemutet hat. Wir sind doch jetzt schon dabei, das Schiff quasi rund um die Uhr zu reparieren.«

»Daran liegt es nicht!«, schnappte Martinez. »Hierbei handelt es sich um vorsätzliche Sabotage!«

»Was macht Sie so sicher?«

»Um Gottes willen, Lucas.« Der Commander wies mit dem Kinn auf die Überkopf-Darstellung. »Jedes Subsystem wurde einzeln manipuliert. Das erfordert eine bewusste Anstrengung. Haben Sie schon die Überwachungs-Aufzeichnungen geprüft?«

Corsos Mund klappte auf, und er hielt kurz inne. »Nein, noch nicht.«

Martinez beugte sich über die Konsole, und Corso sah zu, wie er massenhaft Daten aufrief, während er unentwegt vor sich hin murmelte.

»Das hier sollten Sie sich ansehen«, forderte er Corso auf und rückte zur Seite. Corso betrachtete die Daten und erkannte, dass es sich um eine Reihe von Logs handelte.

»Die visuellen Aufzeichnungen der letzten zwölf Stunden«, erklärte Martinez. »Samt und sonders gelöscht. Um einen solchen Trick durchzuziehen, benötigt man einen High-Level-Zugriff  – und diesen Zugang auf höchster Ebene verschafft einem nur ein Interface-Sessel.«

Corso starrte auf die Daten. »Ehe Sie anfangen, das Team zu beschuldigen, sollten Sie an den Passagier im Hangar denken. Außerdem hätten wir da noch den Mos Hadroch, der Störungen verursachen könnte.«

Martinez runzelte die Stirn. »Der Händler sitzt in seinem eigenen Schiff fest. Von dort aus kann er doch bestimmt nicht Sabotageakte diesen Ausmaßes durchführen, oder?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Corso. »Aber ich habe genauso wenig Ahnung, ob Ted oder Dakota dazu imstande wären.«

In diesem Moment erschien Lamoureaux auf der Brücke; er sah ziemlich abgehetzt aus. »Sobald ich den Alarm hörte, machte ich mich hierher auf den Weg. Was ist los?«

Corso ignorierte den Ausdruck auf Martinez’ Gesicht, als er sich zu dem Maschinenkopf umwandte. »Das wissen wir noch nicht. Ich hatte gehofft, Sie könnten uns Klarheit verschaffen.«

Lamoureaux schüttelte den Kopf. »Der größte Teil des Datenraums ist offline. Dakota würde Ihnen das Gleiche sagen.«

»Wo ist sie?«, erkundigte sich Martinez.

»Unterwegs hierher.«

»Sie können sich also miteinander unterhalten, selbst wenn die Sendernetze an Bord ausgeschaltet sind?«

»Ja, sicher.« Lamoureaux nickte. »Die Maschinenkopf-Hardware erzeugt ihre eigenen spontanen Netzwerke, wenn die Leute mit den entsprechenden Implantaten nur nahe genug beieinander sind.«

»Könnten Sie sich mit Hilfe Ihrer Implantate auch in irgendwelche anderen Netzwerke einklinken?«, fragte Corso.

Lamoureaux dachte kurz nach. »Meinen Sie, ich sollte versuchen, auf diese Weise ein paar der Low-Level-Komms umzuleiten? Nun, vielleicht geht das ja. Die Primärsysteme sind ausgeschaltet, aber die sekundären und die Back-up-Systeme scheinen sich von selbst neu zu starten.«

»Fangen Sie an«, erwiderte Corso.

Lamoureaux rannte zum Interface-Sessel.

»Also gut«, erklärte Martinez, gerade als Schiller und Perez auf die Brücke kamen. »Noch wissen wir nicht, ob dieser Systemausfall auf eine feindliche Aktion zurückzuführen ist, aber solange in diesem Punkt Unklarheit herrscht, müssen wir von Sabotage ausgehen. Zuerst stellen wir fest, an welchem Ort sich jedes Crewmitglied befindet, und dann beginnen wir nachzuforschen, wie es zu diesem Desaster kommen konnte.«

»Was ist, wenn wir die Leute nicht orten können?«

»Dann gehen wir sie suchen«, bestimmte Martinez.

 

Zwanzig Minuten nach Verstummen des Alarms erreichte Dakota die Nabe; Nancy Schiller und Dan Perez warteten bereits dort. Beide waren mit Impulsgewehren bewaffnet.

»Jetzt bleiben nur noch Driscoll und Olivarri übrig«, wandte sich Schiller an Perez, als Dakota näher kam.

»Haben Sie eine Ahnung, was passiert ist?«, fragte Dakota, während sie sich an einem Griff an der Wand festhielt.

»Bevor nicht das Gegenteil bewiesen ist, vermuten wir, dass Sabotage dahintersteckt«, antwortete Perez. »Wir halten die Augen offen.«

»Wonach suchen Sie?«

»Eine dritte Partei kann nicht ausgeschlossen werden«, knurrte Schiller, ihr Gewehr tätschelnd. »An Bord gibt es massenhaft Verstecke, in die ein Saboteur sich verkriechen könnte. Das bedeutet, dass wir uns gegen Überraschungen wappnen müssen.«

»Driscoll und Olivarri haben sich noch nicht gemeldet?«

Perez schüttelte den Kopf. »Bis jetzt haben wir noch nichts von ihnen gehört.«

»Nun, Sie vergessen den Händler. Ich gehe nochmal zum Heck runter und kontrolliere, ob er immer noch da ist, wo er sein sollte.« Sie wandte sich um.

»Nein!«, rief Schiller und zielte mit ihrem Gewehr auf Dakota. »Sie bleiben hier, wo wir Sie sehen können.«

»Okay.« Langsam drehte Dakota sich wieder um. »Wenn Sie es wünschen.«

Mit einer Hand drückte Perez Schillers Gewehrlauf nach unten. »Nancy, zuerst müssen wir wissen, was hier vorgeht, ehe wir übereilte Schlüsse ziehen, okay?«

Schillers Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas erwidern, doch dann gab sie nach; sie senkte ihr Gewehr und murmelte ein paar Flüche.

»Sehen Sie, im Augenblick versuchen wir nur festzustellen, wo sich jedes einzelne Mitglied der Crew aufhält«, erklärte Perez. »Die meisten Komm-Einheiten funktionieren nicht, deshalb haben wir hier Stellung bezogen und warten ab, wer alles zurückkommt, vorausgesetzt, die Leute sind so schlau, sich auf die Brücke zu begeben. Falls Olivarri und Driscoll nicht auftauchen, machen wir uns auf die Suche nach ihnen.«

»Vielleicht sollten Sie dafür die Spinnen-Mechs einsetzen«, schlug Dakota vor, »besonders wenn Sie annehmen, es könnten sich Saboteure an Bord befinden. Die Spinnen funktionieren unabhängig von den Kontrollsystemen der Mjollnir, deshalb sind sie von dem generellen Ausfall vermutlich nicht betroffen. Außerdem können sie sich viel schneller durch das Schiff bewegen als irgendein Mensch, und wir erhalten viel früher Nachricht, sollten sie auf etwas Relevantes stoßen. Ich könnte sogar zwei Dutzend von ihnen ohne fremde Hilfe gleichzeitig steuern. Das würde Ihnen Zeit und Mühe ersparen, und …«

»Gott verdammt, nein!«, schrie Schiller, die sich offenbar in einen Wutausbruch hineinsteigerte. »Woher sollen wir wissen, ob sie nicht diejenige ist, die diesen ganzen Mist inszeniert hat?«, Mit dem Finger zeigte sie auf Dakota. »Vielleicht wäre es das Beste, wir sperren sie und Lamoureaux ein, bis wir herausgefunden haben, was für eine Scheiße hier passiert ist. Dann brauchen wir wenigstens nicht zu befürchten, dass einer von den beiden weitere Sabotageakte begeht.«

»Sie reden totalen Blödsinn!«, brauste Dakota auf, die nun ebenfalls die Beherrschung verlor. »Es kotzt mich an, wie Sie jeden Menschen, der ein Implantat hat, für eine Art Teufel halten, der nur darauf aus ist …«

»Still jetzt, alle beide!«, schnauzte Perez. »Wenn dieses dämliche Gezänk so weitergeht, haben wir es gar nicht verdient, dass diese Mission Erfolg hat! Wir haben es dann nicht mal verdient zu überleben. Entweder wir arbeiten Hand in Hand, oder wir kapitulieren jetzt gleich. Herumstehen und sich gegenseitig Anschuldigungen an den Kopf werfen, löst kein Problem.« Er sah Dakota an. »Ihre Idee ist gut, Miss Merrick, aber ich werde Sie begleiten.«

 

Ty geriet in Panik, als er zuerst niemand über die Komm-Systeme erreichen konnte und dann obendrein glaubte, er sei im Labor gefangen, als die Türen nicht aufgingen. Doch schon bald entdeckte er den Notfallhebel und trat hinaus in den Korridor.

Als der Alarm endlich verstummte, klingelten seine Ohren noch eine Weile in der jäh einsetzenden Stille. Vorsichtig driftete er durch das Schiff, ziemlich entnervt durch die unheimliche rote Notbeleuchtung, die der Fregatte eine eigenartige, bedrohliche Atmosphäre verlieh.

Er arbeitete sich weiter vor, bis er ein Deck mit Hydrokulturen erreichte; hier war die Luft schwülwarm und übersättigt mit den Ausdünstungen der Pflanzen. An dieser Stelle gab es auch eine Transportstation, doch als er sich in einen der bereitstehenden Wagen setzte, merkte er, dass der auf seine Eingaben nicht reagierte.

Also musste er auf die harte Tour die Brücke erreichen.

Er machte kehrt und lavierte sich durch einen breiten Gang, bis ihm eine massive Drucktür den Weg versperrte, die sich geschlossen haben musste, nachdem der Alarm aufgehört hatte. Bestürzt starrte er darauf und fragte sich, ob das Schiff in manchen Bereichen Atmosphäre verloren hatte. Er fuhrwerkte an den Notfallhebeln herum, doch dieses Mal funktionierten sie nicht.

Wieder kehrte er um und probierte eine andere Route aus. Erneut landete er vor einer Drucktür, aber zu seiner maßlosen Erleichterung ließ diese sich mit Hilfe des Notschalters öffnen.

Auf dem Weg zur Zentrifuge gelangte er an drei weitere solcher Türen, und dann gewahrte er mehrere grelle Lichtpunkte, die sich ihm von oben näherten. Er wartete, bis sie dichter an ihn herankamen und sich zum Schluss als ein halbes Dutzend Spinnen-Mechs entpuppten, die sich durch kleine Ausstöße von Gas vorwärtsbewegten.

»Hey! Driscoll! Sind Sie das?«

Ty erkannte Dan Perez, der kurz hinter den Spinnen durch den Korridor kam, begleitet von Dakota Merrick. Er rückte zur Seite und ließ die Spinnen vorbei. Zwei dieser Roboter bogen in einen Seitengang ab, während die übrigen die Richtung beibehielten und das Deck mit den Hydrokulturen ansteuerten.

»Wo waren Sie, als der Alarm losging?«, fragte Dakota, als sie und Perez vor ihm anhielten.

»Im Laborkomplex. Ich hatte Schwierigkeiten, mich daraus zu befreien.«

»Und der Mos Hadroch? Befindet er sich immer noch dort?«

Die Frage überraschte ihn. Aus irgendeinem Grund war ihm gar nicht der Gedanke gekommen, das Artefakt könnte in Gefahr sein. »Dem ist nichts passiert«, antwortete er. »Aber wer sollte ihn schon stehlen wollen?«

Ein merkwürdiger Ausdruck erschien auf Dakotas Gesicht. »Einer von uns sollte ins Labor zurückgehen und dortbleiben, um die Dinge im Auge zu behalten.«

»In diesem Fall kann ich selbst gleich umkehren«, erbot sich Ty.

Perez nickte. »Gute Idee. Wir mussten uns nur vergewissern, dass keinem etwas zugestoßen ist. Über die Komm-Systeme kann man zur Zeit ja niemanden erreichen. Die anderen sind oben auf der Brücke und versuchen herauszufinden, was hier überhaupt los war. Ich gebe Ihnen zwei Spinnen mit, nur für alle Fälle.«

»Womit rechnen Sie denn?«

»Nun ja, durch die Sensorsysteme der Spinnen können wir Sie beobachten«, erklärte Perez. »Solange wir im Dunkeln tappen, was sich hier zugetragen hat, sollte man für alles gerüstet sein.«

»Okay, geben Sie mir die Spinnen ruhig mit. Für mich ist das kein Problem«, entgegnete Ty.

»Noch etwas«, warf Dakota ein. »Von Olivarri haben wir weder etwas gehört noch gesehen. Haben Sie eine Ahnung, wo er stecken könnte?«

Ty schüttelte den Kopf. »Nein, das letzte Mal sah ich ihn …« Als er zu mir kam und mir erzählte, dass er uns alle ausspioniert. »… während unserer gemeinsamen Schicht.«

Perez tauschte mit Dakota einen Blick. »Dann werden wir wohl weiter nach ihm suchen müssen.«

»Klar. Passen Sie auf, Nathan. Da wir über die Spinnen Kontakt halten können, geben Sie uns bitte sofort Bescheid, wenn Sie etwas sehen oder hören. Vor allen Dingen, wenn Sie Olivarri begegnen.«

 

Ein paar Stunden später schleppte sich Dakota auf die Brücke zurück und ließ sich auf eine Couch fallen. Corso und Martinez gingen zu ihr, während Willis im Hintergrund blieb und damit beschäftigt war, die bereits kontrollierten Zonen der Fregatte auf eine Karte zu übertragen.

»Ich hatte Zeit, über die Sache nachzudenken«, begann Dakota. »Auf der Mjollnir gibt es ungefähr ein Dutzend Schwachstellen, die besonders für Sabotage anfällig sind. Diese neuralgischen Punkte verteilen sich über das gesamte Schiff. Ich habe mir diese Stellen mit eigenen Augen und zusätzlich durch die Sensoren der Spinnen angesehen und festgestellt, dass jeder der kritischen Punkte einzeln attackiert wurde.«

»Ted sagte so ziemlich das Gleiche«, bemerkte Corso, der sich an eine Konsole gesetzt hatte und den Stuhl so drehte, dass er Dakota ansehen konnte. Martinez stand neben ihm und musterte sie, als sei sie etwas, das man in einer Petrischale züchtete. Seit er von dem Händler erfahren hatte, war sein Verhalten Corso gegenüber eindeutig gespannt. »Es handelt sich also definitiv um Sabotage?«

Sie nickte und versuchte, ihre Müdigkeit wegzublinzeln. »Meiner Meinung nach hat jemand viel Zeit darauf verwandt, dieses Ding durchzuziehen. Der Datenraum hat sich so weit erholt, dass ich in den Hauptspeichern Software-Routinen aufspüren konnte, die ich bis jetzt noch nicht einmal ansatzweise zu erklären vermag. Vielleicht handelt es sich um Viren, möglicherweise ist es auch etwas völlig anderes. Ich tippe auf Viren, doch sie wurden mittlerweile vernichtet oder isoliert.«

»Und das war der Grund für diesen Systemabsturz?«

Dakota zuckte die Achseln. »Ich denke schon.«

Martinez verschränkte die Arme und blickte von einem zum anderen. »Und von Olivarri immer noch keine Spur?«

»Nein.« Dakota schüttelte den Kopf. »Die Spinnen sind nach wie vor dabei, das gesamte Schiff zu durchsuchen, aber die Fregatte ist ja sehr groß. Es könnte Wochen dauern, um in jeden einzelnen Winkel zu spähen.«

»Na schön, was macht der Händler?«, erkundigte sich Corso.

»Lass uns für einen Moment vergessen, dass keiner von uns ihm auch nur im mindesten traut. Aber mir fällt beim besten Willen nicht ein, wie er so etwas hätte zustande bringen können.«

»Es wäre nicht das erste Mal, dass er Tricks auf Lager hat, mit denen keiner gerechnet hatte«, beharrte Corso. »Er ist erwiesenermaßen ein Lügner, und wir beide wissen, dass Maschinenköpfe wie du anfällig sind für …«

Dakota setzte sich aufrecht hin und funkelte ihn wütend an. »Weißt du, ich bin es verdammt leid, behandelt zu werden, als wäre ich eine Bombe, die jeden Augenblick losgehen könnte. Warum fragst du nicht …«

Ein lauter Piepton ertönte, und sie brach mitten im Satz ab.

»Das ist Dan auf der Notfrequenz«, erklärte Willis, an eine angrenzende Konsole tretend. »Ich leite ihn um auf den Schirm.«

Auf einem Monitor neben der Couch erschien Dan Perez’ Gesicht. Dicht hinter ihm sah man Nancy Schiller in einem rot beleuchteten Korridor schweben.

»Es geht um Olivarri«, keuchte Perez. »Wir haben ihn gerade gefunden, unten in der Nähe eines Fusions-Wartungshangars. Er ist tot.«