Kapitel Neun
Die Sonne stand tief am Horizont. Eine kühle Brise zauste ihr schwarzes Haar, während schäumendes Salzwasser ihre bloßen Zehen benetzte; sie saß dicht am Rand des Wassers, die viel zu weite Baumwollhose bis zu den Knöcheln aufgerollt. Ohne hinzusehen wusste sie, dass hinter ihr, weiter oben am Strand, eine eingeschossige Hütte auf Stelzen stand; drinnen lagen einladend Tatamimatten auf dem Boden verstreut, und in einer Ecke befand sich ein aufgerolltes Futon.
Natürlich war nichts von alledem real, aber da sie keine Ahnung hatte, wo sie war, spielte dies keine große Rolle. Sie wusste nur, dass irgendetwas sie bedroht hatte, denn wenn sie versuchte, sich daran zu erinnern, wo sie sich aufgehalten hatte, ehe sie an diesen Strand gelangt war, spürte sie nur Beklommenheit und eine böse Vorahnung.
Aber ihr war klar, dass sie bis in alle Ewigkeit glücklich und zufrieden an diesem Strand sitzen und warten konnte.
Gelegentlich blickte sie an ihren Armen und Beinen hinab, ohne diese Gliedmaßen wiederzuerkennen. Das Bewusstsein, dass etwas fehlte – dass ein bedeutender Teil von ihr für immer verloren war –, bildete sich langsam in einem hinteren Winkel ihres Verstandes heraus, doch diese allmähliche Erkenntnis focht sie nicht an. Sie empfand weder Groll noch Reue oder Verbitterung.
Sie nahm lediglich wahr, dass etwas, das eigentlich da sein sollte, jetzt fehlte.
Nach einer geraumen Weile entsann sie sich an einen Stern, zornig und rot, der nach ihr griff, um sie zu verschlingen. Ihr fiel wieder ein, dass es von Maschinen nur so gewimmelt hatte, die das Universum ausgefüllt hatten wie eine Plage aus kleinen, schwarzen, metallischen Heuschrecken.
Und kurz darauf kehrte die Erinnerung an ihren eigenen Tod zurück.
Es konnten Stunden, Tage oder gar Jahre vergangen sein, als sie sich wieder an ihren Namen erinnerte: Dakota. Sie formte das Wort mit den Lippen, die Kiefer in einer unvertrauten Weise bewegend, als wollte sie ausprobieren, wie man die Vokale aussprach.
Als sie sich umdrehte, sah sie, dass neben der Hütte ein mit frischem Obst beladener Bambustisch stand, und in diesem Augenblick war ihr, als würde in ihrem Inneren ein Schalter umgelegt. Einen jähen Heißhunger verspürend, stand sie auf und lief dorthin. Nachdem sie sich satt gegessen hatte, kletterte sie in die Hütte hinein, entrollte das Futon und legte sich schlafen.
Sie träumte, sie wäre wieder ein kleines Mädchen. Die offene Tür der Hütte und der Streifen Strand, den sie einrahmte, verwandelten sich in ein hohes Fenster, das auf kopfsteingepflasterte Straßen hinausblickte, die von Häusern aus Stein und Stahl flankiert wurden. Sie lag da, während ihr Kopf auf dem Schoß der Mutter ruhte, und lauschte deren sanfter Stimme. Draußen stoben Schneeflocken von einem bleichen, beinahe weißen Himmel.
Als Dakota das nächste Mal die Augen aufschlug, befand sie sich an einem anderen Ort.
Sie kniete nackt auf einem felsigen Strand, der völlig anders war als der vorherige. Gesichter und Orte, die sie hätte kennen müssen, schwirrten durch ihren Geist wie Fetzen eines geschredderten Buchs, das ein Wirbelwind mitten in ihr Herz geschleudert hatte. Sie war unvollständig, ein unfertiges Puzzle, bei dem Stücke fehlten.
Die Luft schmeckte seltsam nach Kupfer, und als sie sich umwandte, gewahrte sie anstelle einer Strandhütte und eines Tisches nur furchterregende Klippen, auf deren Spitzen ein verfilztes Dickicht aus blaugrüner Vegetation wucherte. Über diesem Dschungel erhoben sich Gebäude wie vergoldete Grabsteine, und weiter im Binnenland waren die Gipfel ferner Berge zu sehen.
Sie schaute aufs Meer hinaus und entdeckte mehrere Kilometer von der Küste entfernt wuchtige Türme, die Minaretten gleich aus dem Ozean emporragten. Ihnen haftete etwas an, das in ihr die Überzeugung weckte, sie müssten sehr, sehr alt sein.
Am Ufer lag ein Schiff der Weisen, das aussah, als wäre es dort auf Strand gesetzt worden. Es ließ die nahen Klippen winzig erscheinen und ragte hoch über ihr auf; der bauchige Rumpf war nach oben abgewinkelt, wie wenn es auf seinen Antriebsdornen stünde. Wellen klatschten gegen die Wölbung des teils im Wasser untergetauchten Schiffsleibs.
In diesem Moment begriff Dakota: Die Schiffe der Weisen würden es niemals zulassen, dass sie starb.
Sie erhob sich und spähte den Strand entlang, während die Kälte ihre bloße Haut zum Prickeln brachte; angestrengt versuchte sie sich an das Gesicht ihrer Mutter zu erinnern. Es war vergebens; das Einzige, was ihr in den Sinn kam, war das Bild einer tief verschneiten Straße. Anscheinend reduzierten sich ihre Erinnerungen an ihr Leben auf Bellhaven auf dieses eine Fragment, und der Rest war für immer verschwunden.
Auf irgendeine Weise war das, was offenbar ihr Wesen ausmachte, der elementare Kern ihrer Identität, über die Lichtjahre hinweg befördert worden, um sie neu entstehen zu lassen. Ihre Erinnerungen an einen Strand und eine Hütte waren Bestandteil dieses Wiederherstellungsprozesses gewesen, als die Schiffe der Weisen begannen, ihr zerstörtes Gedächtnis zu rekonstruieren. Im Grunde war so etwas gar nicht möglich; das Resultat hätte ein tumbes, torkelndes Frankenstein-Monster sein müssen, ein schauriger, nur halb lebendiger Organismus. Und dennoch war den Schiffen dieses Experiment geglückt, denn immerhin gab es sie wieder.
Rings um sich her vernahm sie flüsternde Stimmen, als hätten der Strand oder die Wellen oder der Sand selbst plötzlich ein Bewusstsein entwickelt. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass die Stimmen über ihre Implantate mit ihr sprachen.
Wir mussten uns mit dem begnügen, was wir finden konnten, wisperten sie.
Sie erkannte, dass sie mit den Geistern des Schiffs der Weisen kommunizierte. Allerdings war es nicht dasselbe Schiff, das sie zum Schöpfer gebracht hatte; das hatte sich in ultraheißen Staub verwandelt und war zusammen mit der ursprünglichen Dakota über den ganzen Kosmos verteilt worden.
»Aber ihr habt es nicht getan, um mir zu helfen«, stöhnte sie. »Ihr brachtet mich zurück, weil ihr wollt, dass ich euch zum Mos Hadroch führe.«
Es war zwingend notwendig, wisperten die Geister. Wir wollen dir helfen, Dakota. Du brauchst niemals zu sterben. Jedenfalls wirst du nie wirklich tot sein. Jetzt nicht mehr. Wir haben dich wieder instand gesetzt – soweit es uns möglich war.
Am liebsten wäre sie ins Wasser hinausgewatet, um sich in die Tiefe sinken zu lassen, sobald sie keinen festen Boden mehr unter den Füßen spürte, doch schon bald merkte sie, dass sie weder die Kraft noch den Willen dazu aufbrachte. Und sie wusste, selbst wenn es ihr gelingen sollte, sich selbst zu ertränken, würde das Schiff sie einfach wiederbeleben.
Ganz in ihrer Nähe lag ein Bündel, das auf den ersten Blick aussah, als bestünde es aus Lumpen. Doch als Dakota hinging, fand sie haargenau die Kleidungsstücke, die sie vor ein paar Jahren bei ihrem Aufbruch von Ocean’s Deep getragen hatte. Sie hob sie auf und dachte, dass sie nun wenigstens nicht erfrieren würde, sollten die Temperaturen nachts hier stark absinken. Im Augenblick war es zwar überaus warm, aber vielleicht musste sie sich auf Extremwerte gefasst machen.
Während sie sich anzog, blickte sie zu dem runden Bauch des Schiffs hoch und stellte sich vor, wie es sie hier an diesem Strand geboren hatte, zuerst sie, danach die Kleider ausgestoßen und über sie gewacht hatte, bis sie zum ersten Mal die Augen aufschlug.
Sie zog sich die Jacke über die Schultern. »Wieso bin ich hier?«, fragte sie in die leere Luft hinein.
Es gab eine Botschaft, raunten die Stimmen als Antwort. Sie benutzte Shoal-Protokolle und war nach Ocean’s Deep ausgerichtet. Außer dir vermag niemand sie zu entschlüsseln.
Sie übermittelten ihr die Nachricht: Ein Strom aus codierten Daten, denen eine Chiffriertechnik zugrunde lag, die von den Shoal und den Weisen gemeinsam entwickelt wurde, bevor eine Rasse an der anderen Völkermord verübte.
Die Mitteilung stammte von dem Fäkalienhändler und sie betraf den Mos Hadroch. Der-mit-tierischen-Fäkalien-Handelt wollte sich mit ihr treffen, am Strand dieser Welt, wo das mattgraue Wasser gegen Bruchstücke von Schiefer plätscherte.
Woraus bestehe ich?, fragte sich Dakota mit einem Anflug von Panik. Sie fasste nach unten und kniff mit Daumen und Zeigefinger in ihren Unterarm. Es fühlte sich an wie ein gewöhnlicher Muskel aus Fleisch und Blut, aber wenn sie von Grund auf neu geschaffen worden war, woher wollte sie dann mit Sicherheit wissen, wie normales, nicht umstrukturiertes menschliches Gewebe sich anfühlen musste? Ihr Wissen um derlei Dinge war vielleicht gleichfalls verändert worden. Schließlich war sie nicht einmal real, sondern lediglich ein Konstrukt aus den Erinnerungen einer Toten, die wieder zum Leben erweckt und mit der Illusion von Eigenständigkeit ausgestattet worden war.
Nein, das stimmt nicht. Du lebst, widersprachen die Stimmen im Sternenschiff.
»Seid still!«, schrie sie, die Hände zu Fäusten ballend. »Ich habe nicht darum gebeten, von den Toten auferstehen zu dürfen!«
Sie trat näher an die Wellen heran, bückte sich und schöpfte mit der hohlen Hand ein bisschen Wasser. Da sie sich auf einmal experimentierfreudig fühlte, aktivierte sie mental ihren Iso-Anzug, und zu ihrer Verblüffung überzog er sofort ihren Körper.
Die Schiffe hatten mehr geleistet, als nur ihren Leib zu rekonstruieren; sie besaß immer noch ihren Iso-Anzug und ihre Implantate.
Dein Schiff berechnete den präzisen Aggregatzustand und die nichtwillkürlichen Überlagerungen jedes einzelnen Partikels innerhalb deines Körpers. Dazu sammelte es die verbleibenden Fragmente deines Geistes ein, die überall in seinen neuralen Speicherbänken verteilt waren, erklärten die Stimmen. Und bei der folgenden Transmission …
»Ich sagte, ihr sollt still sein!«
Das Flüstern verstummte.
Im Ozean bildeten sich Turbulenzen, eine Art Tauchboot durchstieß die Wasserfläche und hielt wenige Meter vor dem Strand an. Die Außenhülle war bedeckt von winzigen, sich wellenden Bändern, die aussahen wie Flagellen und es vermutlich antrieben. An der Oberseite öffnete sich eine Luke.
Er wartet auf dich, hörte Dakota die Stimmen wispern.
Ein letztes Mal starrte sie mit einer Mischung aus Unbehagen und Abscheu zum Sternenschiff empor, dann watete sie zum Tauchboot hinaus.
Kaum war sie hineingeklettert, da begannen die Zilien das Wasser zu peitschen. Nachdem sich die Luke über ihr geschlossen hatte, blickte sie durch die getönten, transparenten Wände des Bootes, das kurz darauf unter die Oberfläche des Ozeans sank.
Sie merkte, dass sich noch etwas verändert hatte. Obwohl sie die Stimmen der virtuellen Wesenheiten, die das Schiff der Weisen bevölkerten, immer noch hören konnte, war dieses tiefe, beinahe instinktive Verständnis, die fast totale Symbiose, die sie mit den Wesen verband, nicht mehr da.
Die ursprünglichen Navigatoren waren für ihre Aufgabe geboren worden, klärten die Stimmen des Sternenschiffs sie auf. Sie wurden künstlich kreiert, gentechnisch manipuliert, damit sie ihren Geist mit dem des Schiffs beinahe vom ersten Moment ihrer Existenz an verschmelzen konnten. Andere Schiffe der Weisen schufen die physische Struktur deines Kortex neu, aber es war nur eine vorläufige Maßnahme, ein Provisorium, und die möglichen Auswirkungen ließen sich anhand von Modellen nicht präzise ermitteln. Wir …
Dakota ignorierte die Stimmen und kniff die Augen fest zu, bis in ihrem Kopf endlich wieder Stille einkehrte.
Als sie die Augen dann aufmachte, durchstießen Strahlen aus einem grellen, hellgelben Licht das Wasser; sie gingen von einem Dutzend Stellen der Bootshülle aus und beleuchteten Ruinen auf dem Meeresboden.
Das Boot wich einem gigantischen, mit Pflanzen überwucherten Gebilde aus, das mehrere Kilometer lang sein musste. Zuerst hielt sie es für einen umgestürzten Turm, doch als die Scheinwerfer sich an den Gondeln und den Rippen zur Hitzeverteilung festfraßen, erkannte sie, dass es sich um ein Raumschiff handelte, das vor unendlicher langer Zeit in diesen Ozean gestürzt war.
Allmählich entzog sich der Meeresgrund ihren Blicken, und das Boot fädelte sich zwischen riesigen Säulen hindurch. Dakota nahm an, es müssten die Türme sein, die sie vom Strand aus gesehen hatte. Zum Schluss steuerte das Tauchboot geradewegs auf eine dieser Säulen zu und schwamm durch eine ovale Öffnung an der Seite, die in einen mindestens hundert Meter breiten Schacht führte. In diesem Schacht stieg das Boot wieder nach oben und erreicht schon bald eine mit Luft gefüllte Kaverne.
Zischend ging die Luke auf. Dakota steckte den Kopf hindurch und sah, dass das Boot nun in einem ausgedehnten Graben dümpelte, der sich zwischen der Außenwand des Turms und einer enormen, kreisrunden Plattform befand, die eine aus der Mitte des Turms emporragende Säule umgab. Mehrere Meter unter der Wasseroberfläche gab es Fenster aus einem kristallinen Material, die einen Blick in den wogenden Ozean gewährten.
Die Plattform selbst war breit genug, um eine Transluminal-Yacht der Shoal zu tragen, die auf einem Kissen aus Energiefeldern schwebte. Daneben wartete, wie Dakota gewusst hatte, Der-mit-tierischen-Fäkalien-Handelt, sicher geborgen in einer von Kraftfeldern erzeugten Sphäre voller Wasser.
Dakota stemmte sich aus der Luke und sprang auf die Plattform hinunter, die aussah und sich anfühlte wie Glas, als sie sich bückte und mit den Fingern darüber strich. Der Händler driftete näher heran, und sie sah, wie seine Greiftentakel sich unter seinem ausladenden Bauch wanden und krümmten.
Als er sprach, schien der vertraute Klang seiner synthetisierten Stimme diese trostlose Unterwasserkaverne auszufüllen.
»Wieder einmal entbiete ich Ihnen meine wohlklingendsten Grüße«, hob er an. »Haben Sie Ihre Reise zum Schöpfer genossen? Und sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!«
»Sie …« Mühsam räusperte sie sich, grub die Fingernägel in ihre Handflächen und setzte von neuem an. »Sie können mich mal, Händler«, würgte sie schließlich hervor und betastete nervös ihren Hals.
»Ich gratuliere Ihnen, dass Sie diese Begegnung überlebt haben, Dakota. Das gelingt nur wenigen.«
Sie starrte den Alien an und spürte wieder einmal, wie der altbekannte Zorn in ihr hochkochte. Es war einfacher, den Gefühlen der alten Dakota – der richtigen Dakota, wie ein verräterischer Teil ihres Geistes sie hartnäckig bezeichnete – freien Lauf zu lassen.
»Jawohl, Händler, ich habe überlebt und Ihre Nachricht erhalten. Und jetzt verraten Sie mir, wieso Sie so viel über die Entdeckung wissen, die ich da draußen machte.«
»Das Konsortium ist ein offenes Buch für jemand, der über die entsprechenden Mittel verfügt, seine geheimsten Transmissionen zu entschlüsseln.«
»Das reicht mir nicht als Antwort. Ich stand ausschließlich mit anderen Maschinenkopf-Navigatoren in Kontakt.«
»Die Shoal hätten nicht den Tod der ursprünglichen Navigatoren der Weisen herbeiführen können, ohne Zugriff auf deren Kommunikations-Verkehr zu haben, und diese Fähigkeit besitzen wir immer noch. Seien Sie jedoch versichert, dass die Koordinaten, die Sie von dem Schöpfer erhielten, mein ganz persönliches Geheimnis bleiben. Nicht einmal die Shoal-Hegemonie weiß über die Expedition Bescheid.«
»Was für eine Expedition?«
»Die Expedition, mit der Ihr Freund Lucas Corso vor kurzem in Richtung der Koordinaten aufbrach. Natürlich geht es darum, den Mos Hadroch zu finden.«
Sie nickte stumm; in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wie viel Zeit vergangen war, seit der Rote Riese sich zu einer Nova entwickelt hatte. Es konnten Tage, Wochen oder ein noch viel größerer Zeitraum verstrichen sein.
»Mir ist schleierhaft, was genau Sie wollen, Händler, aber es gibt tausend Gründe, weshalb ich Ihnen gar nicht zuhören sollte.«
»Und dennoch sind Sie hier.«
Aber ich bin nicht freiwillig gekommen, verdammt nochmal. »Das letzte Mal begegneten wir uns auf Morgan’s World. Damals war Ihnen der Mos Hadroch bereits ein Begriff, nicht wahr?«
»In diesem Anklagepunkt bekenne ich mich schuldig«, erwiderte der Händler geschmeidig.
»Sie hätten mich darüber aufklären können, um mir diese weite Reise zum Schwarm zu ersparen.«
»Aber zu der Zeit kannte ich kaum mehr als den Namen, Dakota. Sie entdeckten mehr als ich, obwohl ich ebenfalls vor einer halben Ewigkeit den Schwarm aufsuchte. Es gelang Ihnen sogar, die mögliche Position des Mos Hadroch herauszubekommen.«
Dakotas Hände zuckten vor kaum verhohlener Wut. »Wenn ich könnte, würde ich Sie umbringen, Händler. Ich würde …«
Ihr Herz hämmerte, und sie fühlte, wie sie kurz vor einer Panikattacke stand. Viel zu viel drang mit einem Mal auf sie ein.
Sie sackte auf dem glatten, schwarzen Glasboden zusammen und hörte, wie das Wasser gegen den Rand der Plattform klatschte. »Warum treffen wir uns ausgerechnet hier?«, fragte sie nach einem flüchtigen Blick in die Runde. »Ich meine, was ist das für ein Ort?«
»Diese Welt?«, Langsam drehte sich der Händler in seiner Wasserblase im Kreis, während er von einer Seite zur anderen schaute. »Ihre Bewohner haben sie längst verlassen, aber darauf sind Sie sicher selbst schon gekommen. Es gab einmal eine Zeit, da reiste die Zivilisation, die diese Türme baute, zwischen den Sternen umher. Ihr Imperium reichte Tausende von Lichtjahren weit. Der Name dieses Volkes lautet frei übersetzt ›Meridianer‹.«
»Und was wurde aus dieser Rasse?«
Die Greiftentakel des Händlers krümmten sich unter seinem Bauch. »Sie fanden erst einen Technologiehort des Schöpfers, als es bereits viel zu spät war, ihre Kultur schon unrettbar dem Niedergang anheimfiel und das Volk sich aufspaltete. Zuvor jedoch erforschten sie erfolgreich das Geheimnis eines außerordentlich langen Lebens und reisten in Schiffen durch das All, die mit Unterlichtgeschwindigkeit zwischen den Sternen einherkrochen. Eine Seitenlinie dieser Spezies wurde aquatisch, während die übrigen aus Gründen, die uns nicht bekannt sind, Luftatmer blieben. Diese Türme symbolisieren glücklichere Zeiten, als die beiden Linien noch relativ friedlich miteinander lebten, doch leider kam es letzten Endes zu einem Bruch. Die Meridianer waren nicht in der Lage, Sterne derart wirkungsvoll zu zerstören wie Sie oder ich es können, aber sie verfügten durchaus über das Potenzial, Welten zu erschüttern. Wäre die Entwicklung so verlaufen, dass es zwischen ihnen und der Shoal-Hegemonie zu einer Konfrontation gekommen wäre, hätten wir vor einer gewaltigen Herausforderung gestanden.«
»Hängt der Grund, weshalb Sie diesen Ort für unser Treffen auswählten, in irgendeiner Weise damit zusammen?«
»Die Meridianer ließen Waffen von ungeheurer Stärke zurück. Und diese Waffen werden wir brauchen, Miss Merrick, wenn wir unsere Exkursion antreten.«
Dakota starrte den Alien an. »Exkursion?«
»Zuerst, meine liebe Dakota, möchte ich Ihnen die ganze Geschichte über den Ursprung des Mos Hadroch erzählen, soweit sie bekannt ist. Angeblich wurde er von einer Spezies geschaffen, die als Vorläufer der Weisen gilt. Dieses Volk erlebte, wie mehrere seiner Welten in den ersten Jahrhunderten jenes Nova-Kriegs zerstört wurden, der die Große Magellansche Wolke in Flammen aufgehen ließ. Die mittlerweile ausgestorbene Rasse entwickelte den Mos Hadroch als ein Instrument, um die Gefahren, welche den Technologiehorten des Schöpfers innewohnen, eindämmen zu können. Doch ehe der Mos Hadroch zum Einsatz kam, wurde das Volk vernichtet. Der Mos Hadroch selbst verschwand für immer, und weil man nicht beweisen konnte, das er jemals existierte, hielt man ihn schließlich für ein Phantom, eine Legende, die allein durch das Vergehen der Zeit an Glaubwürdigkeit gewann.«
Hinter dem Händler gewahrte Dakota dunkle Umrisse mit breiten, ausgezackten Flossen, die gemächlich am Turm vorbeidrifteten; biolumineszierende Algen ließen ihre Haut in verschlungenen Mustern aus Grün- und Gelbtönen glühen.
»Aber Sie selbst hielten den Mos Hadroch immerhin für so real, dass Sie sich veranlasst fühlten, zum Schwarm des Schöpfers zu reisen«, wandte Dakota ein.
»Ehe Sie aufbrachen, erzählte ich Ihnen von meiner Expedition zum Schöpfer. Obwohl sie im Grunde mit einer Katastrophe endete, war sie nicht gänzlich umsonst. Ich erhielt die Gewissheit, dass der Mos Hadroch für den Schwarm von überragender Bedeutung ist. Nachdem der Schöpfer meine Flotte attackierte, verharrte ich jahrzehntelang in einer temporalen Stase, bis ein Rettungsteam mich inmitten einer Trümmerwolke treibend fand. Der einzige Lohn für all meine Anstrengungen war die Erkenntnis, dass es irgendwo da draußen eine Waffe gibt, mit der man eventuell die Nova-Kriege verhindern kann, welche die Schwärme mit Hilfe ihrer Technologiehorte auslösen sollen, denn exakt darauf sind sie programmiert. Leider ließ sich die Position des Mos Hadroch nicht ermitteln – bis jetzt.«
»Es muss doch einen Grund geben, warum wir hier miteinander reden und Sie nicht längst aufgebrochen sind, um sich dieses Mos Hadroch zu bemächtigen.«
»Ganz genau, Miss Merrick! Und durch diese simple Feststellung beweisen Sie, wie intelligent Sie sind!« Der Alien schob sich ein wenig näher an sie heran. »Sehen Sie, es kommt nicht nur darauf an, eine Waffe zu besitzen – man muss auch wissen, wie man auf den Abzug drückt.«
Dakota legte den Kopf schräg. »Das verstehe ich nicht.«
»Dann verraten Sie mir bitte, wie man den Mos Hadroch aktiviert und einsetzt.«
Dakota starrte ihn verdutzt an. »Bevor wir das verdammte Ding, was immer es auch sein mag, tatsächlich gefunden haben, kann ich nicht einmal raten.«
»So ist es«, bekräftigte der Händler. »Wir suchen nach etwas, von dem Sie außer der Bezeichnung nicht das Geringste wissen. Sie kennen die Koordinaten der Fundstelle, und Ihre eigenen Leute haben herausbekommen, dass zwischen der Rasse, die den Mos Hadroch konstruierte, und einem isolierten Zweig der Atn irgendeine Verbindung besteht. Aber Sie besitzen keine Vorstellung von der Größe oder dem Aussehen dieses Mos Hadroch, Sie sind sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt aus Materie besteht.«
»Aber wenn Sie selbst auch nicht mehr herausfanden als den Namen, sind Sie doch nicht besser informiert als wir.«
Jetzt kringelten sich die Tentakel des Händlers in einer Art und Weise, die Dakota vorkam wie Schadenfreude. »Im Gegenteil, die Anleitung, wie man den Mos Hadroch bedient, ist mir schon seit langem zugänglich. Ich erwarb dieses Wissen vor geraumer Zeit, während einer Reise zu den Magellanschen Wolken. Ein überaus trostloser Ort, ein Sternenfriedhof, könnte man sagen. Es gibt dort Leben, wenn auch nur spärlich, dahinvegetierend zwischen den Ruinen toter Imperien, deren Nachkommen kaum ermessen können, welche Dimensionen diese Reiche einstmals besaßen. Welch eine Ironie, dass die Waffe, die zu finden ich ungeheure Entfernungen zurücklegte, letzten Endes ganz in unserer Nähe steckt.«
»Vorhin erwähnten Sie eine ›Exkursion‹. Wohin soll diese Reise gehen?«
»Nun, mitten hinein in das Imperium der Emissäre natürlich. Um den Mos Hadroch für den Zweck einzusetzen, für den er konstruiert wurde, müssen wir in den Technologiehort des Schöpfers eindringen, aus dem die Emissäre sich bedient haben, um ihr derzeitiges technologisches Niveau zu erreichen.«
Das muss wieder einer seiner Tricks sein, entschied sie. »Sie machen wohl Witze, verdammt nochmal!«
»Es mutet in der Tat komisch an, nicht wahr? Entschuldigen Sie, dass ich mich bezüglich der Methode, wie der Mos Hadroch aktiviert werden kann, in Schweigen hülle, aber wir befinden uns in einer Situation, in der wir voneinander profitieren können. Bitte glauben Sie mir, Dakota, wenn ich Ihnen sage, dass der Mos Hadroch in einen ganz bestimmten Technologiehort gebracht werden muss, ehe es überhaupt möglich ist, ihn seiner Bestimmung zuzuführen. Er muss sozusagen gewisse Schwachpunkte in der Konstruktion der Horte ausnutzen, um seine volle Wirksamkeit zu entfalten.«
Hinter dem Turm sank die Sonne dem Horizont entgegen. Vom Sitzen auf der Plattform fühlte sich Dakotas Hinterteil taub an, und sie hatte Schmerzen. »Das klingt genauso blödsinnig, Händler«, entgegnete sie unverblümt.
»Es steht Ihnen frei, an meinen Worten zu zweifeln, und genauso gut bleibt es Ihnen unbenommen, von hier wegzufliegen und jede weitere Begegnung mit mir abzulehnen.«
Die Yacht des Händlers übermittelte ihr ein Ping mit der Bitte, Daten an sie weiterleiten zu dürfen. Sie akzeptierte das Datenpaket, doch zuvor filterte sie es gründlich, um sicherzugehen, dass sie nach dem Erhalt keine bösen Überraschungen erleben würde.
Nachdem sie die Informationen studiert hatte, starrte sie den Alien verblüfft an. »Ist das Ihr Ernst? Der Mos Hadroch ist tatsächlich zu so etwas imstande?«
»Beeindruckend, nicht wahr?«
»Sofern es stimmt. Sehen Sie, was Sie mir verschweigen, bereitet mir Kopfzerbrechen. Nur um der Diskussion willen lassen Sie uns einmal annehmen, wir erbeuten dieses … dieses Ding und fliegen damit in das Territorium der Emissäre. Ich habe einen ihrer Godkiller in Aktion gesehen, und ich kann mir problemlos vorstellen, dass sie uns auslöschen, ehe wir auch nur in die Nähe eines ihrer Technologiehorte gelangen, selbst wenn wir mit einer ganzen Armada anrückten.«
»Ich wies bereits auf die Notwendigkeit hin, uns zu bewaffnen. Die Meridianer waren Meister der Kriegskunst, und jede x-beliebige ihrer Waffen könnte eine ganze Flotte von Raumschiffen ersetzen, welche von Menschen gebaut wurden.«
Dakota rappelte sich wieder auf die Füße. »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was für Sie persönlich dabei herausspringt.«
»Nun, mir liegt daran, den Nova-Krieg zu beenden, der für uns alle eine Gefahr darstellt. Genügt das nicht?«
»Diesen Krieg haben Sie angezettelt, Händler. Und den jüngsten Informationen zufolge werden die Shoal ihn verlieren.«
»Die Hegemonie strebt danach, den Frieden wiederherzustellen, den wir mehrere Zehntausend Jahre lang aufrechterhalten konnten, und es ist meine Absicht, diese Bemühungen zu unterstützen.«
»Aber warum wenden Sie sich an mich, Händler? Wieso versuchen Sie, mich für dieses Vorhaben zu gewinnen? Wenn Sie Zugriff auf ein dermaßen zerstörerisches Waffenpotenzial haben, könnten Sie diesen Coup doch ganz allein durchziehen.«
»Ich brauche Sie, weil die Implantate, zu denen die Weisen Ihnen verholfen haben, ideal geeignet sind, um die Waffen zu aktivieren. Außerdem haben Sie bewiesen, wie erstaunlich anpassungsfähig … ich wage sogar zu sagen, wie überraschend gefühllos Sie in der Hitze eines Gefechts reagieren. Ihre Haltung rief in mir ein Gefühl der Bewunderung hervor, das ich normalerweise niemals für ein Mitglied einer so degenerierten und selbstzerstörerischen Spezies wie der Ihren empfinden könnte. Mit einer entsprechend ausgerüsteten Expedition dürfte es uns gelingen, in das Herz des Imperiums der Emissäre hineinzustoßen und es für immer zum Stillstand zu bringen.«
Dakota schüttelte den Kopf. »Jetzt sage ich Ihnen, wie wir vorgehen werden, Händler. Sie verschaffen mir Zugriff auf alle Waffen, die die Meridianer hier zurückließen. Dann fliege ich heim, um dort zu helfen, wo immer man mich braucht. Später, falls mir gar keine andere Lösung einfällt, wende ich mich wieder an Sie. Vielleicht. Aber ich kann Ihnen bereits jetzt versichern, dass niemand an einer Expedition zu einem so weit entfernten Ort teilnehmen wird, wenn der Verdacht besteht, dass Sie involviert sind.«
»Nichtsdestotrotz können Sie ohne mein Wissen, wie der Mos Hadroch zu bedienen ist, mit diesem Objekt nichts anfangen. Ich fürchte, dies bringt Sie in eine ausweglose Situation.«
»Das bleibt abzuwarten«, versetzte Dakota kühl.
Der Händler schwieg eine Weile, während seine Tentakel sich zu Knoten verschlangen. »Da wäre noch eine Angelegenheit, über die wir uns unterhalten sollten«, äußerte er schließlich.
»Sprechen Sie.«
»Sie setzten Hugh Moss auf meine Fährte. Selbst jetzt noch verfolgt er mich. Mir steht kein anderes Transluminal-Schiff zur Verfügung, und seine Besessenheit, mich zu töten, hat keineswegs nachgelassen. Er stellt ein ernstes Hindernis für unseren Erfolg dar. Und sollte es ihm gelingen, mich zu ermorden, wäre der Weg zu einem Frieden für immer zerstört.«
»Nicht, wenn Sie mir alles erzählen, was Sie wissen«, erwiderte sie lächelnd. »Wenn Ihnen ein Friedensschluss tatsächlich wichtiger ist, als Ihre eigene Haut zu retten, würden Sie mich umgehend informieren.«
»Wie gut Sie mich doch kennen, Miss Merrick.« Seine Tentakel geißelten wütend das Wasser unter seinem Bauch. »Aber dadurch ändert sich rein gar nichts. Sie sind auf mich angewiesen, und wir beide werden gemeinsam eine sehr, sehr weite Reise antreten. Doch so lange Hugh Moss am Leben ist, wird er danach trachten, mich umzubringen.«
»Und was geht mich das an, verdammt nochmal?«
»Mich erreichte die Nachricht, dass er sich gegenwärtig auf Derinkuyu aufhält, einer Welt der Skeliten unweit der Grenze zum Konsortium.«
»Nein.« Sie wandte sich ab und marschierte zum Tauchboot zurück. »Ich werde Ihnen nicht helfen, Händler. Nicht nach all den Verbrechen, die Sie begangen haben. Ich finde schon einen anderen Weg.«
»Miss Merrick«, rief der Händler ihr hinterher, »vielleicht bilden Sie sich ein, Sie hätten eine Wahl, aber dem ist nicht so. Schließlich gibt es einen Grund dafür, dass Ihr Schiff sich dazu entschied, Sie hierher zu mir zu bringen. Oder wollen Sie lügen und mir weismachen, dass Sie sich aus eigenem Entschluss an diesem Ort einfanden?«
Sie zögerte. Woher weiß er das alles?
Sie blieb stehen und drehte sich um. »Ich habe tatsächlich eine Wahl, Händler. Und ich bin zu der Entscheidung gelangt, dass ich Ihnen nicht trauen kann.«
»Hören Sie auf die Geister, die sich an Bord Ihres Schiffs befinden. Hören Sie sich an, was sie Ihnen zu sagen haben. Diese Wesen verstehen die Situation viel besser als Sie.«
»Was?«
»Die Schiffe der Weisen haben ein Hauptziel, Dakota, welches darin besteht, den Schöpfer zu finden und ihn zu vernichten. Sollte er sich als unzerstörbar erweisen, müssen sie ihn neutralisieren oder seine Technologiehorte unwirksam machen, und für exakt diese Aufgabe wurde der Hos Madroch konzipiert. Wenn Sie sich gegen diese oberste Weisung sperren, wird das Schiff, das Sie benutzen, Ihren Befehlen nicht länger gehorchen.«
Sie ging wieder einen Schritt auf ihn zu. »Ich glaube Ihnen nicht. Sie lügen.«
»Dann fragen Sie die Geister doch selbst. Mal sehen, was sie Ihnen mitteilen.«
Dakota beleckte ihre plötzlich trockenen Lippen. »Blödsinn.«
Doch einen Moment später wusste sie, dass es stimmte. Sie taumelte vor Schock, als die Stimmen der Weisen die Behauptung des Händlers bestätigten.
»Das begreife ich nicht«, stammelte sie. »Woher zum Teufel haben Sie gewusst, was sie denken?«
»Als ich das erste Mal versuchte, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, waren Sie dazu gar nicht imstande. Aber Ihr Schiff antwortete mir, und ich legte ihm meine Bedingungen dar. Ich demonstrierte, dass das Wissen, über das ich verfüge, viel zu wertvoll ist, um es durch das mörderische Wirken eines Hugh Moss verlustig gehen zu lassen. Und deshalb, Miss Merrick, bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als mich zu beschützen.«
Abermals ballte sie die Fäuste und bemühte sich zu durchschauen, was gerade passierte. »Ich fliege mein Schiff zu jedem beliebigen Ort, zu dem ich will, verdammt nochmal!«, brüllte sie.
»Natürlich, Dakota«, pflichtete der Händler ihr bei. »Außer wenn das Ziel seiner primären Bestimmung widerspricht. Wenn Sie gleich in Ihr Schiff zurückkehren, haben Sie die totale Kontrolle über die Waffensysteme der Meridianer – als Geste des guten Willens meinerseits. Ich denke, mit der Zeit werden Sie einsehen, dass Ihr Schiff überaus klug gehandelt hat.«
Dakota fühlte sich verraten, und ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. »Das können Sie nicht machen!«, schäumte sie.
»Ich habe überhaupt nichts unternommen, Miss Merrick, außer Ihnen ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, damit Sie das von Ihnen angestrebte Ziel auch erreichen. Wir sehen uns wieder – und zwar schon bald.«
»Ich lasse es nicht zu, dass Sie mir das antun!«, kreischte sie, aber der Händler hatte sich bereits umgewandt. Sie hechtete nach vorn und griff nach dem Energiefeld, das den Alien umgab. Doch als sie es berührte, erhielt sie einen Schlag und wurde zurückgeschleudert; sie brach auf der Plattform zusammen und starrte dem Shoal-Mitglied hinterher, das im Schutz seiner Kraftfeldblase zu einer Luke in seiner Yacht emporschwebte.
Sie schrie vor Wut, trommelte mit den Handflächen auf die Plattform ein und fing schließlich aus lauter Frust und Verzweiflung an zu weinen. Ihren Geist ausdehnend, versuchte sie, die Kontrolle über das Schiff der Weisen zu erlangen, das immer noch auf dem felsigen Strand wartete; aber all ihre Anstrengungen endeten damit, dass eine Woge aus Schmerzen sie durchströmte und sie sich jammernd zusammenkrümmte.
Nachdem die Schmerzen abgeflaut waren, kletterte sie wieder in das Tauchboot hinein und ließ sich an den Strand zurückbringen. Sie blickte in die Tiefen des Ozeans, ohne tatsächlich etwas wahrzunehmen; dann kauerte sie sich auf den Boden, das Gesicht gegen die angewinkelten Knie gelegt, und hielt sich mit den Händen die Augen zu.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass alles, was das Shoal-Mitglied behauptet hatte, vermutlich der Wahrheit entsprach. Allerdings war der Händler auch ein Meister der Manipulation; was er ihr verschwiegen hatte, konnte sich letzten Endes als genauso wichtig erweisen.
Zweihundert Meter vom Strand entfernt durchstieß das Tauchboot die Wellen. Ein dunkles Grollen veranlasste sie, zu den Türmen zurückzublicken; sie sah gerade noch, wie die Yacht des Händlers aus dem Wasser schnellte und rasant an Höhe gewann. Im nächsten Moment spürte sie, wie die Kommandostrukturen für die Waffensysteme der Meridianer plötzlich in ihren Implantaten landeten. Es war ein Gefühl, als wären ihr auf einen Schlag mehrere Hundert zusätzliche Gliedmaßen gewachsen.
Die Luke des Tauchboots klappte auf, als es den Strand erreichte. Vorsichtig hievte sie sich nach draußen, derweil ihr Gehirn eine scheinbar überwältigende Datenflut assimilierte. Sie watete durch die flache Brandung, bis sie von neuem im Schatten des Sternenschiffs stand.
Sie sank auf die groben Schiefertrümmer, schloss die Augen und probierte die Kommandostrukturen aus. Beinahe unverzüglich krachte es in dem dichten Dschungel hinter den Klippen, und als sie die Augen wider aufriss, bekam sie mit, wie ein Dutzend silberne Kugeln jählings über der Steilküste in die Luft schossen, während Klumpen aus Fels, Erdreich und zerfetztem Laub von ihren glatten Außenhüllen abrutschten. Tiefer landeinwärts sausten weitere dieser silbrigen Sphären gen Himmel, noch mehr Geröll mitreißend und verstreuend, um dann in einer Höhe von einigen hundert Metern in einen Schwebezustand überzugehen.
Sie richtete den Blick auf das Meer und beobachtete, dass eine noch viel größere Anzahl dieser Sphären aus dem Wasser emporschossen.
Minutenlang saß sie untätig da, während ihr Schiff die komplexen Subroutinen sowie den neuronalen Aufbau der KI, welche der Kommandostruktur innewohnte, analysierte. Danach spielte sie ein Weilchen herum, ließ die Waffen abwechselnd im Sturzflug niedersausen und hochpreschen wie Bälle, die ein bis in den Himmel hineinreichender Jongleur durch die Luft pfeffert. Eine Sphäre rauschte mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit nach oben, und das ihr nachfolgende Gebrüll scheuchte kleine, geflügelte Kreaturen, die zu sonderbar aussahen, um als Vögel bezeichnet zu werden, in riesigen Scharen von ihren Hochsitzen.
Wenn es nach mir ginge, würde ich einfach für immer auf und davon fliegen und nie wieder zurückkommen, dachte Dakota bei sich. Anstatt sich abzuschwächen, war ihr Groll nur noch stärker gewachsen, und trotz der ungeheuren Zerstörungskraft, die sich unter den ebenmäßigen Hüllen der Meridianischen Drohnen verbarg, fühlte sie sich machtlos.
Das konturlose Äußere der Drohnen entpuppte sich als eine Form von Energiefeld-Technologie, die einem nur schwer verständlichen, extrem verwickelten Alptraum aus verzerrtem Raum und fremdartiger Materie zur Tarnung diente. Binnen eines Augenblicks beschleunigte sie ein Dutzend dieser Kugeln auf Überschallgeschwindigkeit, worauf eine Reihe gewaltiger Donnerschläge über die Küste rollte. Nach oben spähend gewahrte sie grelle Lichtblitze aus dem niedrigen Orbit, als die Drohnen in einer beeindruckenden Zurschaustellung ihrer gebündelten Kraft Urenergien entfesselten.
Der Händler musste befürchtet haben, sie könnte die Waffen gegen ihn einsetzen. Um ihn nicht zu enttäuschen, lenkte Dakota die Waffen nach einem vorprogrammierten Angriffsplan, bis sie den Turm belagerten, aus dem sie erst kürzlich zurückgekehrt war. Wellen aus Plasmaenergie krachten eine nach der anderen gegen den Turm, brachten ihn zum Glühen und zerstörten ihn. Eine große Wolke aus überhitztem Dampf und Trümmern jagte in die Höhe, und ein grummelndes Beben breitete sich durch das Grundgestein unter dem Strand aus.
Aber der Händler war längst verschwunden, teilten die Schiffsgeister ihr schon bald mit. Trotzdem fühlte sie sich nach diesem Ausbruch von Gewalt besser.
Eine geraume Weile rührte sie sich nicht vom Fleck und beobachtete, wie die Sonne hinter den Türmen tiefer sank. Erst dann begab sie sich wieder zu dem wartenden Sternenschiff.
Es wurde Zeit, nach Hause zurückzukehren. Doch ob es ihr passte oder nicht, zuerst musste sie Hugh Moss einen Besuch abstatten.