Kapitel Drei
DRINGLICHKEITSNACHRICHT Code ALPHA Sicherheitseinstufung 15
Verfasst vom BÜRO FÜR SICHERHEITSANGELEGENHEITEN @ OCEAN’S DEEP/DATUM: 2544:6:6 via Hubert Tach-Net-Phalanx.
Autorisiert von WILLIS, OLIVARRI, OUSPENSKY.
BERICHT-ÜBERSICHT VON:
Navigatoren GILLIES, SATIE, YUSEF, MAZZINI, YOSHI
Direkte Beobachtungen von künstlich induzierten Novae bis dato: 15
Sichtungen von Flottenverbänden der Emissäre: 13
Geschätzte Gefahrenstufe zur Zeit der Abfassung des Berichts: 7 (0-10)
Anmerkungen: Navigatoren GILLIES und YUSEF berichten über Kontakt mit den Emissären bei 0.91+0.78 Kiloparsec
2544:6:2+2544.5.29
Nach letztem Bericht Aufenthaltsort von Navigator SATIE unbekannt: als VERMISST geführt.
ZUSAMMENFASSENDE ANALYSE: Die Verbreitung von Flottenverbänden der Emissäre in der Region mit der Bezeichnung »Langer Krieg« deutet auf einen wahrscheinlichen Kontakt mit Kolonien in maximal 1.577x107 Sekunden hin
EMPFEHLUNGEN: 1: EHRENVOLLE ERWÄHNUNG von Navigator SATIE.
2: Erhöhung der Gefahrenstufe auf 8 (0-10).
ENDE DER DRINGLICHKEITSNACHRICHT
BÜRO FÜR SICHERHEITSANGELEGENHEITEN
Der Schlag kam völlig unerwartet, ein harter Haken, der Lucas Corso seitlich in die Rippen traf und ihn halb herumwirbelte. Er taumelte ein bisschen, ehe er die Balance wiederfand, sich hastig in die korrekte Verteidigungsstellung duckte und sich auf die nächste Attacke vorbereitete.
»Sie sind bereits tot!«, schnauzte Breisch, die Finger seiner freien Hand durchbiegend. In der anderen hielt er ein kurzes Schwert mit leicht gekrümmter, rasiermesserscharfer Klinge. »Angreifen, nicht abwehren!«
Corso roch sein eigenes Blut, vermischt mit Schweiß, wo Breisch ihm einen Schwerthieb quer über die Brust verpasst hatte. Er behielt seinen Atem unter Kontrolle und vollführte mit seinen Füßen und Armen eine Reihe von aufeinander abgestimmten Schlägen, um seinen Gegner durch den Trainingssaal zu treiben.
Bei jedem Ausfall schrie Corso aus Leibeskräften, brüllte seinen Zorn hinaus, während Breisch ihm auswich, beiseitesprang, abtauchte und sich durch Drehungen außer Reichweite brachte. Er sog tief die Luft ein, und mit seinen leicht gebeugten Knien nahm er fast eine Tänzerpose ein.
Breisch hatte Recht: Wäre dies ein ernsthafter Kampf gewesen, wäre er jetzt schon tot. Er leistete sich einen Patzer nach dem anderen, und der Grund dafür war nur allzu offensichtlich.
Dann erschien ein Alarmsignal in Form einer Raute aus sanft glühendem Licht, die von einem an der Decke montierten Mechanismus projiziert wurde. Breisch sah das Signal und ging sofort in eine entspannte Stellung über, die Beine durchgedrückt und die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Seine Haut war glitschig von Schweiß, und wenigstens wusste Corso, dass er es seinem Lehrer nicht allzu leichtgemacht hatte.
»Vorhin haben Sie wirklich einen schwerwiegenden Fehler begangen«, ermahnte Breisch ihn in ruhigem Ton. »Wir müssen daran arbeiten, dass Ihre Reaktionen schneller werden. Langsamkeit ist eine Schwäche, die sich jeder halbwegs anständige Kämpfer zunutze machen kann, Senator.«
»Ich weiß es zu schätzen, welche Mühe Sie sich mit mir geben, Mr. Breisch«, erwiderte Corso. Er griff nach seinem Hemd und wischte sich damit den Schweiß vom Hals und Gesicht. Breisch war einer der besten Ausbilder in der Freien Demokratischen Gemeinschaft, die Unterricht im tödlichen Nahkampf gaben. Es hatte eine Menge Geld gekostet, ihn zu überreden, Redstone zu verlassen und sein persönlicher Trainer zu werden.
»Hier auf Eugenia stellt die Schwerkraft wohl ein zusätzliches Problem dar«, fügte Breisch hinzu. »Vielleicht sollten wir uns mehr Strategien ausdenken, um mit unterschiedlich hohen Gravitationswerten klarzukommen. Besonders wenn Sie weiterhin so viel herumreisen.«
»Ich nehm’s zur Kenntnis«, entgegnete Corso. »Morgen früh machen wir genau da weiter, wo wir aufgehört haben.«
Breisch nickte und verließ den Raum. Corso nahm eine Dusche und wusch sich das Blut und den Schweiß ab. Mit einem Koagulans stillte er die Blutung, ehe er die Wunde verband.
»Bericht«, sagte er in die leere Luft hinein, sobald er das Wasser abgestellt hatte.
In seinem rechten Ohr hörte er einen leisen Glockenton, und eine kultiviert klingende Frauenstimme begann: »Nisha hier, Senator Corso. Es gab schon wieder einen Sabotageversuch. Ein Robot-Frachttransporter wurde von seinem Kurs abgelenkt und flog geradewegs auf Eugenia zu. Die gute Nachricht ist, dass wir ihn abfangen konnten, ehe er auch nur in unsere Nähe gelangte.«
»Sind Sie sicher, dass es sich um Sabotage handelte? Nicht um irgendeinen Systemfehler?«
»Das Gehirn der Plattform war auf sehr intelligente Weise manipuliert worden, Senator. Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass eine bewusste Absicht dahintersteckte.«
Corso stöhnte innerlich und fing an, sich mit einem Handtuch trockenzurubbeln. Noch eine Krise, mit der er sich befassen musste. »Gibt’s sonst noch was?«
»Eine dringende Anfrage von Ted Lamoureaux, der sich sofort mit Ihnen treffen möchte. Was er zu sagen hat, sei nur für Ihre Ohren bestimmt, behauptet er.«
»Das Wichtigste zuerst.« Groll strömte wie eine heiße Woge durch seine Gedanken; es musste einen Weg geben, diesen Leuten begreiflich zu machen, dass er die ständigen Akte von Terrorismus nicht tolerieren würde. »Auf diesen jüngsten Vorfall müssen wir ostentativ reagieren, und zwar energisch und mit aller Härte. Hat man irgendeine Ahnung, wer für diese Sabotage verantwortlich ist?«
»Etwas Konkretes weiß man noch nicht, aber zur Stunde nehmen unsere Analytiker das Gehirn des Transporters auseinander.«
Manchmal fragte er sich, wer bloß die brillante Idee ausgeheckt haben konnte, ihm so viel Verantwortung zu übertragen, und dann erinnerte er sich vielleicht zum Millionsten Mal, dass er sich ja freiwillig für diesen Job gemeldet hatte. Frühere Ermittlungen, wer hinter den Anschlägen steckte, mit denen man versuchte, entweder ihn zu töten oder der Kolonie in Oceans’s Deep Schaden zuzufügen, waren leider stets im Sande verlaufen. Die Attentäter und Saboteure entpuppten sich entweder als Söldner, die keinen blassen Schimmer von ihren Auftraggebern hatten, oder man fand nur noch ihre Leichen, wenn es den Nachrichtendiensten des Konsortiums gelang, sie aufzuspüren.
»Wer könnte denn der Hauptverdächtige sein?«, hakte er nach. »Und ich rede hier von Regierungen, Nisha. Was glauben Sie, wem in dieser Woche am meisten daran gelegen ist, mich loszuwerden?«
»Ich tippe auf… Na ja, die Nachrichtendienste von Midgarth stehen ziemlich weit oben auf meiner Liste. Gerüchten zufolge haben sie sowohl mit Morgan’s World als auch mit Bohr geheime Gespräche geführt. Außerdem haben sie öffentlich ein Veto gegen unseren Wunsch eingelegt, an der nächsten Runde der Krisengespräche teilnehmen zu dürfen. Und dann kam noch heraus, dass ein paar ihrer letzten Kandidaten für die Navigatorausbildung enge Kontakte zu ihren jeweiligen Geheimdiensten unterhielten. Diese Beziehungen reichten bis in die innersten Strukturen. Natürlich haben wir diese Bewerber abgelehnt.«
»Wir saßen viel zu lange einfach nur so herum und haben uns von anderen Leuten als Zielscheibe benutzen lassen. Wo steckt Willis in diesem Moment?«, fragte Corso, sich auf seinen Sicherheitschef in Ocean’s Deep beziehend.
»Vermutlich schläft er gerade, Senator. Ich denke, Olivarri hat jetzt Dienst.« Olivarri war Willis’ Stellvertreter.
Corso gab einen Grunzlaut von sich und prüfte in einem Spiegel den Verband, um sicherzugehen, dass er nicht verrutschen konnte. Seine Arme und die Brust waren kreuz und quer mit dünnen Narben überzogen, wie in sein Fleisch geritzte Erinnerungen an Schmerzen und Tod.
Er begann sich anzuziehen. Zuerst ein kugelsicheres Hemd aus zusammengepressten Schichten von genetisch optimierter Spinnenseide, darüber ein formelles Oberhemd. Eine sorgfältig verborgene Pistole im Halfter kam als Nächstes an die Reihe, gefolgt von einer schmalen Klinge in der Ferse eines Stiefels. Mittlerweile trug er ständig Waffen mit sich herum, und in letzter Zeit verbrachte er viel Zeit in Gesellschaft von Männern wie Breisch, die ihm beibrachten, die unterschiedlichen Waffen, die an seinem Körper steckten, richtig zu handhaben.
Während der letzten zwei Jahre, seit Dakotas Fortgehen, hatte sein Brustkorb an Umfang zugenommen, und jedes überflüssige Fett war aus seinem Gesicht gewichen, was ihm ein viel kantigeres Aussehen verlieh. Durch das monatelange Üben mit den Waffen und das Nahkampftraining waren seine Hände schwielig geworden. An der Innenseite seines linken Arms verlief eine lange, dunkelbraune Narbe, die von einer Verbrennung stammte; sie zeugte von einem Zweikampf, auf den er sich vor knapp einem Jahr eingelassen hatte.
»Also gut, Nisha, wir werden Folgendes tun«, sagte er, während er sein Jackett anzog. »Sag Leo, er soll Willis wecken. Ich möchte, dass die beiden in Ocean’s Deep jeden Midgarth-Repräsentanten der Flotte aufstöbern und diese Leute hierherbringen. Von mir aus können sie es Schutzhaft nennen, aber sorgen Sie auf irgendeine Weise dafür, dass zumindest ein paar von denen in aller Form verhaftet und wegen des Verdachts der Spionage angeklagt werden.«
»Mir ist nicht bekannt, dass wir genügend Hinweise haben, um derartige Festnahmen zu legitimieren, Senator.«
»Das spielt keine Rolle. Veranlassen Sie es trotzdem. Wenn es ihnen nicht passt, dann können sie an Bord des nächsten Schiffs gehen, das in Richtung ihrer Heimat fliegt.« Er dachte einen Moment lang nach. »Selbst wenn wir überhaupt keine Verdachtsmomente finden, sollen sie trotzdem eingesperrt bleiben. Mal sehen, ob wir nicht mal zur Abwechslung ein wenig in der Scheiße rühren können.«
»Darüber werden diese Leute nicht sehr glücklich sein, Sir.«
Die Untertreibung des Jahrhunderts, dachte Corso, aber er erwiderte: »Die können mich mal. Ich will auch, dass sämtliche Vermögenswerte ihrer Repräsentanten, finanzieller und anderer Art, eingefroren und zum Gegenstand sofortiger Ermittlungen gemacht werden. Nachdem vollendete Tatsachen geschaffen worden sind, soll das Büro eine generelle Presseerklärung abgeben, ohne jedoch allzu sehr ins Detail zu gehen. Aber an der Formulierung muss zu erkennen sein, dass wir die Absicht haben, uns zu wehren. Selbst wenn Midgarth nicht in diese Terrorakte verwickelt ist, wirkt das auf die anderen vielleicht abschreckend, wenn sie Angst bekommen, auch bei ihnen könnten Köpfe rollen.«
»Ja, Senator.« Der Glockenton erklang wieder und zeigte an, dass die Verbindung gekappt war.
Corso holte tief Atem und zog ein kleines Fläschchen aus der Jacketttasche. Er schüttelte zwei Pillen heraus und schluckte sie trocken herunter. Wie viele Stunden schlief er des nachts überhaupt noch? Vier, oder vielleicht fünf?
Die Tabletten halfen ihm, wach zu bleiben, aber er war sich darüber im Klaren, dass er die Sache übertrieb.
Corso verließ das Sportstudio und traf im Foyer des Gebäudes das halbe Dutzend schwer bewaffneter Männer und Frauen, die für seine persönliche Sicherheit zuständig waren. Von dort aus gelangte man nach einem kurzen Fußmarsch durch ein nicht überdachtes Einkaufszentrum zu einem Kuppelbau, in dem Eugenias Regierungsbüros untergebracht waren. Seine Leibwächter nahmen ihn in die Mitte, die Waffen steckten diskret in irgendwelchen Taschen in ihrer Bekleidung oder griffbereit an der Innenseite von Jacketts. Winzige Sicherheitsapparaturen surrten wie mechanische Insekten rings um sie her durch die Luft und scannten die Umgebung nach potenziellen Gefahren, die sich dem normalen menschlichen Auge entzogen.
Eugenia war ursprünglich ein Asteroid gewesen, der, wie so viele der größeren Weltraumkörper, die sich nach dem Erstkontakt mit den Shoal im Sol-System verteilt hatten, mit Hilfe der Shoal-Technologie umgeformt worden war. In den Kern des Asteroiden hatte man eine Maschine zur Schwerkrafterzeugung platziert, während die ihn komplett einhüllenden Energiefelder eine Atmosphäre mit normalen Druckverhältnissen festhielten und Schutz vor tödlicher Weltraumstrahlung boten. Fusionslampen, die an Masten hingen, welche die Energiefelder durchstießen wie Nadeln eine Seifenblase, strahlten Hitze und Licht auf die unter ihnen liegende winzige Welt ab.
Es war die erste mit einem Antrieb ausgerüstete Welt, auf die Corso jemals einen Fuß gesetzt hatte, und er wusste nicht recht, ob ihm diese Erfahrung behagte. Jedes Mal, wenn er einen Blick auf den unglaublich nahen Horizont warf, drehte sich ihm der Magen um.
Dabei war Eugenia eine der größten mit einem Antrieb versehenen Welten im Main Belt und besaß einen Durchmesser von etwas über zweihundert Kilometern. Anfangs war der Asteroid größer gewesen, doch seine ursprünglich ungleichmäßige, an eine Kartoffel erinnernde Form war alles andere als ideal, deshalb hatte man Sprengungen vorgenommen und ihm eine annähernd kugelförmige Gestalt gegeben. Er durfte sogar Petit-Prince behalten, einen seiner zwei kleinen Monde. Eine eiserne Skulptur von Saint-Exupérys Kleinem Prinzen stand ungefähr in der Mitte des Einkaufszentrums, den Blick nach oben auf einen Punkt gerichtet, an dem sein Namensvetter alle fünf Tage vorbeizog.
Aber schon bald würde der Asteroid von seinen Monden für immer getrennt werden. Dann musste der Kleine Prinz allein durchs All reisen.
Yugo Stankovic, einer von Corsos Assistenten, wartete im Foyer des Regierungsgebäudes auf ihn.
»Also, Yugo, Nisha hat mich schon in groben Zügen darüber informiert, was los ist. Gibt es noch etwas, das ich wissen müsste?« , fragte Corso, als Stankovic neben ihm hertrottete. Der Sicherheitstrupp schlug einen anderen Weg ein, während Corso und sein Assistent auf eine Reihe von Aufzügen zusteuerten.
»Was sie Ihnen erzählt hat, weiß sie von mir. Es ist uns gelungen, die Frachtplattform per Fernsteuerung ohne irgendeinen weiteren Zwischenfall zu deaktivieren, aber es war äußerst knapp.«
»Wie schlimm hätte es denn werden können?«
»Hätten wir nicht rechtzeitig eingegriffen, wäre das wohl unser Ende gewesen. Die Nachrichtendienste des Konsortiums setzen alles daran, um zu verhindern, dass irgendwas davon zu den Medien durchsickert, und vor ungefähr fünf Minuten übernahm Eugenias Premierminister den Vorsitz über eine Krisensitzung.« Stankovic lächelte und zuckte mit den Schultern. »Wir wurden natürlich nicht dazu eingeladen.«
Ein Aufzug kam, und sie traten hinein. »Wer ist für die Ermittlungen zuständig?«
»Lieutenant Nazarro von unserer eigenen Sicherheitsbehörde arbeitet zusammen mit den örtlichen Sicherheitschefs in einer separaten Konferenz an der Aufklärung dieses Vorfalls. Binnen einer Stunde müsste er mir einen ersten Bericht zukommen lassen.«
Corso krümmte die Finger und wünschte sich, er hätte es mit einem greifbareren Feind zu tun. All das vorsichtige Herummanövrieren der letzten paar Jahre führte zu nichts. Wer immer diese Sabotageakte in Auftrag gab, blieb beharrlich im Dunkeln, und Corso gelangte immer mehr zu der Überzeugung, dass nur die Regierungen, die am hartnäckigsten danach strebten, die Macht über die Friedensbehörde an sich zu reißen, imstande waren, ihre Spuren derart gründlich zu verwischen. Die meisten dieser Administrationen betrachteten ihn, Corso, als das einzige Hindernis, das ihnen den Zugriff auf die Sterne verwehrte.
Zischend öffneten sich die Aufzugtüren, und sie gelangten in eine Büro-Suite. Ted Lamoureaux war schon da und lümmelte auf einer Couch.
»Ted«, sagte Corso, ging zu ihm und gab ihm die Hand, nachdem der andere Mann zur Begrüßung aufgestanden war. »Schön, Sie zu sehen. Wir unterhalten uns da drüben.«
Der Sternenschiff-Navigator war ein schmächtiger, unscheinbarer Bursche in den Dreißigern, auf dessen Gesicht ein Ausdruck ständiger Besorgnis lag. Er war auch – so wie Dakota Merrick und jeder andere Navigator des Konsortiums, der die Befähigung besaß, ein Schiff der Weisen zu steuern – ein Maschinenkopf; in seinem Schädel steckte eine das Bewusstsein verändernde Technologie, die es ihm auf eine einzigartige Weise erlaubte, sich mit den Sternenschiffen zu vernetzen, die Dakota nach Ocean’s Deep hatte kommen lassen.
Lamoreaux folgte ihnen in ein Büro mit einem breiten Panoramafenster. Dahinter sah man Hunderte von neu installierten Antriebsdornen, die in gleichmäßigen Abständen über Eugenias Oberfläche verteilt waren. Sie waren erst kürzlich installiert worden und zeugten davon, dass der Asteroid allmählich in ein vollwertiges Sternenschiff verwandelt wurde. Jeder dieser Dornen war mehrere Hundert Meter hoch und besaß eine elegante Krümmung, so dass Eugenia aus der Ferne betrachtet aussah wie ein kolossales, im Weltraum lebendes Bakterium mit einer Umhüllung aus metallischen Flimmerhärchen.
Corso ließ sich auf eine Couch sacken. »Was auch immer Sie mit mir besprechen wollten, muss ein paar Minuten warten. Zuerst will ich wissen, warum Eugenias neuer Transluminal-Antrieb noch nicht eingetroffen ist.«
»Das steht alles in meinem Bericht.«
»Ja, ich weiß. Aber tun Sie mir bitte den Gefallen und setzen Sie mich ins Bild, Ted.«
Lamoureaux zuckte die Achseln, streifte einen Ring von einem Finger und legte ihn auf den Teller einer eingeschalteten Imager-Einheit, die nahe dem Fenster stand. Er tippte auf die Kontrollfelder der Maschine, und über dem Teller erschien das Bild eines langsam rotierenden, atmosphärelosen Zwergplaneten. Vor knapp über einem Jahr hatte man dort einen Technologieschatzhort des Schöpfers gefunden, auf Iota Horologii – im Tierra-System, wie der geläufige Name lautete. Weitere Bilder tauchten auf, Schnittdarstellungen, welche die Lage des Horts zeigten; er befand sich in einem etliche Kilometer tiefen Schacht, der in die Kruste des Planeten hineingebohrt worden war und von dem Tausende von schmalen Gängen wie Nadeln abzweigten.
Corso wusste, dass einer dieser Tunnel eine Maschine enthielt, die man als Antriebsschmiede bezeichnete, eine durch Schablonen gesteuerte Anlage, die neue Transluminal-Triebwerke für das überlichtschnelle Reisen herstellte.
Das Tierra-System war kurze Zeit die Heimat einer Uchidaner-Kolonie gewesen, ehe die Shoal-Hegemonie es ohne Erklärung zurückforderte. Die entwurzelten Kolonisten evakuierte man in ihre neue Heimstatt nach Redstone, eine verhängnisvolle Entscheidung, die zu einem fast ständigen Krieg zwischen den Uchidanern und der Kolonie der Freistaatler führte, die sich dort längst etabliert hatte.
Erst vor kurzem war herausgekommen, dass die Shoal seit sehr, sehr langer Zeit bewusst das Wissen über diese Schatzhorte geheim gehalten hatten. Als sie dann diesen speziellen Hort entdeckten, der am äußersten Rand des Tierra-Systems in einem entlegenen Orbit kreiste, hatten sie ihre Verträge mit den Uchidanern aufgekündigt.
Nun jedoch waren auch die Shoal verschwunden; man hatte den Hort schnell wieder aufgespürt und unter die Kontrolle der Friedensbehörde gestellt. Seitdem lag Corso im Clinch mit der Konsortium-Legislatur; er benötigte dringend die Ressourcen und das Personal, um diesen Schatzhort zu bergen und nutzbar zu machen, aber er sah sich gezwungen, immer mehr Zugeständnisse einzugehen, um diese Mittel zu erhalten.
»Dieser Datenring enthält komplett die neuesten Forschungsergebnisse«, erläuterte Lamoureaux. »Es kann bis zu mehreren Wochen dauern, um einen einzigen Transluminal-Antrieb zu produzieren, und sobald einer fertig ist, drohen uns die Regierungen von einem halben Dutzend verschiedener Kolonien, die alle ihre eigenen Zeitpläne und Programme verfolgen, mit einem Embargo oder noch Schlimmerem, wenn wir ihnen diesen Antrieb nicht überlassen. Im Augenblick sind die meisten Antriebe für Schiffe bestimmt, die überall im Konsortium Hilfsmissionen durchführen sollen, aber wir haben nicht die geringste Garantie, dass sie letztendlich auch dafür benutzt werden. Deshalb und noch aus hundert weiteren Gründen gibt es so viele Verzögerungen; das erklärt auch, warum Eugenia so lange auf seinen Antrieb warten muss. Und dabei haben wir noch nicht einmal berücksichtigt, dass immer mehr unserer Maschinenkopf-Piloten an einem Nerven-Burn-out leiden. In den vergangenen sechs Monaten mussten wir fast ein Drittel der Navigatoren, die am längsten ihren Dienst versehen, von ihren Aufgaben entbinden.«
»›Nerven-Burn-out‹? Nennt man das jetzt so?«
»Ja. Man spricht auch von der Taucherkrankheit, aber die Neurologen bevorzugen diesen Begriff. Hauptsächlich sind die Piloten betroffen, die die Schiffe der Weisen schon sehr lange steuern.«
»So wie Sie.«
»Bis jetzt geht es mir noch gut, aber das ist vielleicht nur eine Frage der Zeit.«
»Und man hat immer noch keine Ahnung, was der Auslöser dafür ist?«
»Nee.«
Corso lehnte sich zurück und starrte die Zimmerdecke an; auf einmal fühlte er sich trotz der Pillen noch erschöpfter. »Anders ausgedrückt, sind wir noch beschissener dran als zuvor.«
Lamoureaux spreizte die Finger. »Sehen Sie … ich sag’s nur ungern, aber wenn die Dinge so weiterlaufen, verlieren wir bald mehr Navigatoren, als wir ersetzen können. Dann bleibt uns vielleicht gar nichts anderes übrig, als nachzugeben und zumindest ein paar Forderungen der Legislatur zu erfüllen.«
»Zum Beispiel?«
»Wir müssten die Regeln bezüglich der Einstellung neuer Navigatoren lockern. Der Legislatur und den Regierungen, die sie vertritt, ein Mitspracherecht bei der Auswahl und dem Training einräumen.«
»Dann hätte die Friedensbehörde keine Funktion mehr. Und keine Autorität.«
Lamoureaux’ Miene blieb betont unverbindlich.
»Yugo«, wandte sich Corso an seinen Assistenten. »Wie denken Sie darüber?«
»Darf ich ganz offen meine Meinung sagen?«
Corso nickte.
»Ich glaube, Ted hat Recht. Wenn wir jetzt nicht zu größeren Zugeständnissen bereit sind, könnte die Legislatur uns unterstellen, wir seien unvernünftig und wollten sie lediglich blockieren. Das lieferte ihnen genau den Vorwand, den sie brauchen, um sich den Technologiehort im Tierra-System unter den Nagel zu reißen. Im Zuteilungsabkommen ist festgelegt, dass ein gewisser Anteil an fertigen Transluminal-Antrieben an sie geht. Und falls sie sich dazu entschließen, einen Militärschlag gegen uns zu führen, verfügen sie über die notwendigen Mittel und Ressourcen, um in Aktion zu treten.«
»Ganz zu schweigen davon«, setzte Lamoureaux noch eins drauf, »dass viele Schiffe nachgerüstet werden, um es Maschinenköpfen zu erschweren, sie aus der Ferne zu kontrollieren. Das bedeutet, dass wir womöglich nicht in der Lage sind, sie zu stoppen, selbst nicht mit der Unterstützung der Schiffe der Weisen. Es sei denn, wir drohen damit, ihre Sonnen zum Explodieren zu bringen.«
»Das finde ich gar nicht komisch«, murmelte Corso. Es lag auf der Hand, dass er sich persönlich ins Zeug legen musste, damit Eugenia seinen Antrieb schnellstmöglich bekam. »Nun zu der Sache, wegen der Sie mich aufgesucht haben. Ich hoffe wirklich, es handelt sich um gute Nachrichten.«
»Wir erhielten eine Botschaft von Dakota Merrick.«
Corso musste sich beherrschen, um sich seine Verblüffung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. »Wann hat sie sich das letzte Mal gemeldet? Liegt das nicht schon über ein Jahr zurück? Ich habe mich schon gefragt …« Ob sie überhaupt noch am Leben ist, hätte er beinahe hinzugefügt.
»Sie hat den Schöpfer getroffen«, fuhr Lamoureaux fort. »Vor ein paar Stunden fingen wir einen gezielten Datenstoß auf. Laut ihrem Bericht handelt es sich bei dem Schöpfer um einen Schwarm aus im Weltraum treibenden Maschinen, deren Anzahl ungeheuer groß ist. Die Informationen, die sie bis jetzt gesammelt hat, deuten auf eine homogene Intelligenz hin, obwohl deren individuelle Bestandteile offenbar über etliche Lichtjahre verstreut sind.«
Abermals streckte Lamoureaux die Hand nach dem Imager aus, und der Tierra-Hort wurde ersetzt durch etwas, das eher einer von einem Psychopathen fabrizierten metallenen Skulptur glich als einem Raumschiff.
Es sieht irgendwie böse aus, schoss es Corso durch den Kopf, obwohl er wusste, wie unsinnig es war, einem dermaßen fremdartigen Objekt menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
»Der Schwarm verfügt über Daten, die sich auf etwas beziehen, was ›Mos Hadroch‹ genannt wird und offenkundig als eine ernsthafte Bedrohung betrachtet wird«, erklärte Lamoureaux. »Den Aufzeichnungen der Weisen zufolge ist dieser Mos Hadroch eine Art Waffe von wahrhaft phänomenaler Kraft, aber bis jetzt gab es nie einen Beweis für ihre reale Existenz.«
Corso starrte auf das Bild, das die Schwarmkomponente wiedergab. »Und das hier bedeutet, dass es diesen Mos Hadroch wirklich gibt?«
»Dakota kam mit ihren Nachforschungen nicht weiter und bat uns um Hilfe. Wir sollen versuchen, irgendeine Verbindung mit etwas, das uns bekannt ist, zu finden. Und nun stellen Sie sich vor, wie überrascht wir waren, als uns das tatsächlich gelang. Schauen Sie sich das hier an.«
Die Schwarmkomponente wurde ersetzt durch das Abbild eines buckelig aussehenden Asteroiden. »Was Sie jetzt sehen, ist eine Zweigwelt der Atn«, fuhr Lamoureaux fort. »Diese Welten findet man an den Rändern vieler Systeme im Konsortium-Raum.«
»Darüber weiß ich ein bisschen Bescheid«, bemerkte Corso. »Ich studierte einige ihrer Maschinensprachen. Die Atn reisen mit Unterlichtgeschwindigkeit überallhin.«
»Und im Allgemeinen bleiben sie in den entferntesten Regionen eines Systems. Wenn das, was Dakota entdeckt hat, aussagekräftig ist, dann schwirren in den Tiefen des interstellaren Raums weit mehr von diesen Zweigwelten herum, als wir uns hätten träumen lassen.«
Neben dem ausgehöhlten Asteroiden tauchte nun die Darstellung eines Atn auf. Ein großer, rechteckiger, mit seltsamen Schriftzeichen bedeckter Metallkörper saß auf vier Stummelbeinen. Jeder dieser Stempel endete in dicken, gespreizten Metallklauen, die sich in den Boden gruben, während ein Wust aus mechanischen Greifarmen aus einem Schlitz gleich unter dem ziegelsteinförmigen Kopf herausragte.
»Da die Atn Teile der Galaxie aufsuchen können, die uns bis vor kurzem noch verschlossen blieben, bestand immer die Chance, etwas von ihnen zu lernen«, nahm Lamoureaux den Faden wieder auf. »Deshalb haben wir sie ausführlich studiert, seit wir mit ihnen in Kontakt traten.«
Corso nickte. »Und?«
»Zu unserer maßlosen Verblüffung fanden wir Hinweise auf einen Mos Hadroch in ein paar Forschungsberichten, die erst vor zirka zwanzig Jahren von einem Experten geschrieben wurden, mit dem man sich immer noch in Verbindung setzen kann. Der Begriff taucht im Zusammenhang mit einem ganz bestimmten Zweig der Atn auf, der den Namen ›Eclipse-over-Moon‹ trägt.«
»Und was wissen wir darüber?«
»So gut wie gar nichts. Der Begriff wird nur ein einziges Mal verwendet, wobei nicht klarwird, worauf er sich überhaupt bezieht. Das Ganze ist reichlich verworren. Aber der Mann, der diese Berichte schrieb, weiß mehr über diese spezielle Atn-Familie als jeder andere lebende Mensch.«
Corso nickte inbrünstig. »Dann müssen wir ihn suchen.«
Auf Lamoureaux’ Gesicht lag ein Ausdruck, als versuche er sich zu entscheiden, ob er Corso etwas mitteilen sollte oder lieber nicht. »Ich bin bereits dabei und … hätte gern Ihre Erlaubnis, ihn so bald wie möglich nach Ocean’s Deep holen zu dürfen.«
»Erlaubnis erteilt. Wie heißt der Mann?«
»Ty Whitecloud, Senator.«
Einen Moment lang saß Corso wie erstarrt da, dann stand er langsam auf. »Nein«, sagte er bloß und wandte sich zur Tür.
»Senator, es gibt niemanden, der sich so gut mit den Atn auskennt wie er.«
»Vielleicht haben Sie mir vorhin nicht richtig zugehört, Ted. Ich sagte Nein. Es gibt noch andere Leute, die …«
»Mit dem größten Respekt, Senator, aber das stimmt nicht«, mischte sich Stankovic ein. »Das ist ein sehr exklusives Feld.«
»Die Maschinensprache der Atn ist mir nicht völlig fremd, Yugo. Ich habe sogar ein paar von Whiteclouds Veröffentlichungen gelesen. Aber es gibt noch mehr Forscher, die wir zurate ziehen können.« Er überlegte kurz. »Auf Anhieb fallen mir Anton Laroque und Sophie Sprau ein. Die beiden sind führend auf diesem Gebiet.«
Lamoureaux schüttelte den Kopf. »Auf die Idee kamen wir auch schon und haben uns erkundigt. Laroque hielt sich in Night’s End auf, als das System zerstört wurde. Sprau ist sehr alt, befindet sich auf der Erde und hängt an Lebenserhaltungssystemen. Man rechnet damit, dass sie höchstens noch ein paar Wochen zu leben hat. Damit bleibt als Einziger Whitecloud übrig.«
»Er ist ein Kriegsverbrecher!«, schrie Corso.
»Sir?«, Stankovic blickte verdutzt drein.
Dann erinnerte sich Corso, dass Stankovic von Derinkuyu kam, das ziemlich weit von Redstone entfernt lag. »Whitecloud ist Uchidaner«, erklärte er. »Zumindest hat er für sie gearbeitet. Es gab mal eine Zeit, da gehörte er zu ihren brillantesten Wissenschaftlern. Entsinnen Sie sich an den Port-Gabriel-Zwischenfall?«
Stankovic blickte zur Seite, während er sein Gedächtnis nach Medienberichten zu durchforsten schien, die nunmehr Jahre zurücklagen. »Nur ganz vage, muss ich zugeben.«
»Die Uchidaner entdeckten einen Weg, die Gedanken der Maschinenköpfe zu steuern, die als Teil einer Friedenstruppe des Konsortiums nach Redstone entsandt wurden. Schließlich unterscheiden sich die Uchidanischen Schädelimplantate nicht grundlegend von denen der Maschinenköpfe. Sie fanden eine Schwachstelle in der Konstruktion und beuteten sie aus. Das Ergebnis war ein Massaker, bei dem eine große Anzahl von Zivilisten ums Leben kam.«
»Und Whitecloud war daran beteiligt?«
»Ja, das war er«, warf Lamoureaux ein, »aber bei diesem Forschungsprojekt war er bloß ein kleines Licht. Und was die praktische Anwendung betraf, so kann man ihm überhaupt keinen Vorwurf machen. Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu treffen.«
»Das entbindet ihn noch lange nicht von der Verantwortung …« Corso schnippte mit den Fingern. »Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Vor Jahren entkam Whitecloud aus der Haft. Und jetzt wissen Sie, wo er steckt?«
Lamoureaux nickte. »In Ascension kamen ihm Agenten der Legislatur auf die Schliche; das liegt nun ein paar Wochen zurück. Derzeit wird er dort in einem Kasernengefängnis festgehalten. Wie es sich herausstellte, hatte er sich eine falsche Identität zugelegt und sich auf diese Weise versteckt. Möglicherweise können wir ihn aus Ascension herausholen, aber wir müssen uns beeilen.«
Corso betrachtete ihn mit gequälter Miene. »Ted … wenn an die Öffentlichkeit gelangt, dass wir Kriegsverbrecher anheuern, haben wir bis in alle Ewigkeit die Chance verspielt, uns jemals mit der Legislatur zu einigen.«
»Tja, dann stehen wir vor einem kaum zu lösenden Problem, Senator«, meinte Lamoureaux. »Denn falls Dakota auf etwas Relevantes gestoßen ist, kommen wir ohne Whitecloud gar nicht aus.«
Corso blickte zur Tür und liebäugelte einen Moment lang mit der Vorstellung, einfach wegzugehen und Lamoureaux’ Vorschlag zu ignorieren. Doch gleichzeitig erkannte er – und das nicht zum ersten Mal –, dass ihm gar keine andere Wahl blieb, als seine innersten Überzeugungen und Wertvorstellungen, die er sein Leben lang hochgehalten hatte, zumindest zu einem gewissen Teil zu opfern. Nach den letzten zwei Jahren hatte er sich schon fast daran gewöhnt, faule Kompromisse einzugehen.
Seufzend setzte er sich wieder hin. »Sie sind doch selbst ein Maschinenkopf, Ted. Wie können Sie so etwas überhaupt nur in Betracht ziehen?«
»Weil man manchmal mit den Karten leben muss, die einem das Schicksal austeilt, Senator. Ich habe gute Freunde, die nie wieder ein Wort mit mir sprechen würden, wenn sie wüssten, was ich hier empfehle. Gäbe es einen anderen Weg, würde ich den wählen, das dürfen Sie mir ruhig glauben. Aber Whitecloud war bei weitem nicht der Schlimmste von denen.«
»Und das ist das beste fachliche Urteil, das Sie abzugeben haben?«
»In der Tat, aber wir müssen rasch handeln. Die meisten Streitkräfte der Emissäre sind immer noch Kiloparsec entfernt, aber man hat schon Scouts beobachtet, die die Flotten der Shoal viel näher an deren Heimatsektor angriffen. Ich möchte mich nach Ascension begeben und die Angelegenheit selbst erledigen, wenn Sie es mir gestatten.«
»Na schön, wenn es nicht anders geht, dann bin ich einverstanden«, erwiderte Corso und hatte dabei das Gefühl, als täte sich in seinem Inneren eine große Leere auf. »Geben Sie Willis Bescheid, dass er sich dort mit Ihnen treffen soll. Vorläufig kann Olivarri sich um die Belange in Ocean’s Deep kümmern. Aber Sie sind sich doch völlig darüber im Klaren«, betonte er, »was passiert, wenn irgendetwas davon nach außen dringt …«
»Das wird niemals geschehen.«
Kurz darauf verabschiedete sich Lamoureaux, und Corso merkte, dass die Fusionskuppeln draußen trüber wurden, um den Abend einzuleiten. Nach und nach kam das geisterhafte Band der Milchstraße immer deutlicher zum Vorschein.
Irgendwo da draußen, entlang der Grenzen des Langen Kriegs, eines gewaltigen Gebietes, das den äußeren Rand des Orionarms umfasste, wurden ganze Sternsysteme zerstört. Es gab Berichte über Flotten von schier unvorstellbarer Größe, und das ließ den Gedanken, Dakota oder jemand anders könnte den Gang der Dinge beeinflussen, wie eine aussichtslose Verblendung erscheinen. Aber sie mussten es wenigstens versuchen.
»Falls es nicht klappt«, flüsterte Corso so leise, dass Stankovic sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen, »dann bleibt uns nichts anderes mehr übrig, als zu retten, was noch zu retten ist.«
»Senator?«
Corso starrte durch das Fenster, an den matter werdenden Fusionskugeln vorbei, und stellte sich das von den fernen Novae abstrahlende Licht als ein feuriges Krebsgeschwür vor. »Wenn wir keinen Ausweg aus diesem Schlamassel finden, müssen wir Schiffe so weit wie möglich wegschicken und in einem anderen Teil der Galaxis, wo der Krieg sie nicht einholen kann, neue Kolonien gründen. Auf diese Weise retten wir wenigstens ein paar von ihnen.«
Er stand auf und ging zur Tür. »Lassen Sie eine Dringlichkeitsmeldung an Dakota abschicken. Ted soll auch darüber Bescheid wissen. Teilen Sie ihr mit, was wir herausgefunden haben, und sorgen Sie dafür, dass Sie über sämtliche neu gewonnenen Erkenntnisse auf dem Laufenden gehalten wird.«
Lamoureaux zögerte. »Und was ist mit Whitecloud? Erwähnen wir seinen Namen?«
»Während des Massakers war Dakota in Port Gabriel. Ich denke, wir sollten ihn lieber weglassen, finden Sie nicht auch?«