XXVI

Die Dorfschenke war nur spärlich besucht. Eine Gruppe Bauern saß am Tisch in der Mitte, unter ihnen Franz Karrer, Benedikt Riegler und Alois Buchmüller. Sie hatten schon einige Stunden getrunken, mehrere Bierkrüge und Schnapsgläser standen vor ihnen. Ihre Augen waren gerötet vom Alkohol und dem Rauch, der die Luft zu ersetzen schien. Und vom Hass auf die drei Soldaten, die etwas abseits saßen, jeder einen Becher Branntwein vor sich.

Franz Karrer warf den Soldaten einen finsteren Blick zu und wandte sich dann an Riegler. „Jetzt sind die schon seit Tagen da. Das Gesindel.“ Er spuckte auf den Boden.

„Wem sagst das? Aber was soll ich tun? Aus dem Dorf werfen, mit bloßen Händen?“ Riegler sah auf das verstümmelte Ohr von Franz und tippte diesem auf die Brust. „Siehst eh, was mit denen geschieht, die aufmucken.“ Er nahm einen großen Schluck Bier und rülpste laut. „Und das war noch harmlos.“

„Aber am Heiligen Abend sollten s’ weg sein“, stieß Franz hervor. „Wir brauchen gar nicht feiern, wenn die dann noch da sind.“

„Viel gibt’s so und so nicht zu feiern diesmal“, sagte Josias Welter. „Z’erst die Sache mit der Kuh, dann die Soldaten … Ich würd sagen, wir warten mit den Vorbereitungen auf den Christtag, bis die Bayern sich aus dem Dorf geschlichen haben. Sonst gehen die gar nicht mehr, wenn sie spitzkriegen, dass wir die Festtage feiern.“

„Genau“, bekräftigte Benedikt Riegler. „Keine geschmückten Häuser, keine Zweige, keine Lieder, und ja nichts Besonderes zum Essen auffahren. Dann hauen die schon von selbst ab, das Gesindel. Sind ja noch ein paar Tag hin.“

„Wirt, bring uns drei Bier!“, bestellte einer der Soldaten mit schwerer Zunge.

„Sofort!“, rief Buchmüller, sprang auf und ging zur Schank. Die anderen sahen ihm teilnahmslos nach, Franz hatte einen verächtlichen Zug um den Mund. „Feiglinge. Alle miteinander“, dachte er und nahm noch einen Schluck Bier.

Alois Buchmüller schenkte die drei Krüge ein und stellte sie auf ein dickes Holzbrett. Er wusste genau, was die anderen von ihm hielten, aber es war ihm gleichgültig. Er hatte Familie und musste eben durchkommen. Die Bayern zahlten zwar keinen Gulden, aber sie soffen auch nicht übermäßig, und ihr Kommandant sorgte dafür, dass sie jeweils nur kurz in der Schenke blieben. Und das war allemal besser, als wenn sie ihm die Gaststube zusammenhauen würden.

Als Buchmüller sah, dass ihn keiner beobachtete, spuckte er noch schnell in jeden der drei Bierkrüge, dann hob er das Holzbrett und trug die Krüge feist grinsend zu den Soldaten.

„Bitt’schön. Lasst es euch schmecken!“

„So, wie einem euer Gesöff halt schmecken kann. Wenn du Bier brauen lernen willst, musst nach Bayern kommen, Fettsack“, sagte einer der Soldaten patzig.

„Müsst es ja nicht saufen. Aber vielleicht kann ich euch ja später mit unserem Hausschnaps entschädigen?“, entgegnete Buchmüller süffisant. Bayerisches Bier, pah! Aber es schien nicht ratsam, sich mit dem Burschen anzulegen, der gesprochen hatte, das brutale, wettergegerbte Gesicht versprach keine Gnade. Und dazu der breite Nacken, und –

Alois Buchmüller stutzte. Er sah genauer hin, aber er täuschte sich nicht. Das konnte doch nicht wahr sein! Hier, im Dorf, in seiner Schenke, bei Tageslicht!

„Na dann, wie gesagt – Gesundheit“, stammelte Buchmüller und ging langsamen Schrittes zu dem Tisch mit den anderen Bauern.

Die Soldaten sahen ihm desinteressiert nach.

„Dem hast es aber gegeben, Hans“, sagte einer der Soldaten grinsend.

„Alles Duckmäuser. Die Sorte kenn ich zur Genüge. Prost zusammen!“ Die Männer hoben die Krüge.

„Benedikt! Benedikt!“ Buchmüller setzte sich schwer atmend an den Tisch.

„Na, was hast denn? Haben dir die verfluchten Bayern schöne Augen gemacht, oder –“

„Der Mittlere und der Linke haben sie.“

Riegler blickte ihn verständnislos an. „Sie?“

„Die Gottesgeißel!“ flüsterte Buchmüller leise und bekreuzigte sich.

Alle am Tisch verstummten.

„Bist dir sicher?“, fragte Riegler.

„Ich hab’s ja grad selber gesehen. Am Hals –“ Buchmüller konnte nicht weitersprechen, deutete stattdessen mit den Fingern an seinem Hals die Verästelungen nach.

Die anderen sahen ihn erschrocken an. Plötzlich knallte Franz die Faust auf den Tisch. „Na dann …“ Er stand auf.

„Franz, wart!“, rief Riegler und wollte ihn festhalten. Aber der schüttelte seine Hand ab, ging zum Tisch und baute sich vor den Soldaten auf.

„Schau, schau, wen haben wir denn da?“, sagte der Soldat mit dem brutalen Gesicht. „Was willst denn, Bäuerlein?“

Seine Kameraden lachten.

„Mach den Hals frei!“, sagte Franz Karrer ruhig.

Das Lachen erstarb, der Soldat sprang auf und stieß Franz brutal zu Boden. „Was fällt dir ein, du Hund? Wie redest denn mit mir?“ Seine Kameraden standen ebenfalls auf und musterten unruhig die Bauern, die an ihren Tisch kamen.

Riegler und Josias Welter halfen Franz auf.

Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, dann fielen sie über die Soldaten her.

Diese waren völlig überrascht und in der Minderzahl. Trotzdem wehrten sie sich heftig, und ihre Kampferfahrung wog ihre zahlenmäßige Unterlegenheit auf. Fäuste flogen, der Kampf wogte unentschlossen hin und her, bis –

Bis Franz Karrer seinen Feitel zog und ihn dem Soldaten mit dem brutalen Gesicht in die Brust rammte.

Der Soldat spuckte Blut. Er blickte überrascht auf das Messer in seiner Brust, dann auf Franz, und schließlich wieder auf das Messer. Langsam packte er den Griff und zog sich den Feitel mit einem Ruck aus der Brust. Ein Blutschwall pulsierte so heftig aus der Wunde, dass es aussah, als würde der Soldat leer gepumpt.

Der Soldat drückte Franz den Feitel in die Hand, dann kippte er gurgelnd nach hinten um. Als er am Boden aufschlug, war er bereits tot.

Eine dunkle Lache breitete sich unter ihm aus und wurde schnell größer.

Für einen kurzen Moment schien die Zeit in der Schenke stillzustehen. Die Soldaten starrten auf ihren toten Kameraden, dann auf die Bauern. Die Bauern starrten ebenso auf die Leiche, dann auf Franz, der von seiner Tat genauso überrascht war wie alle anderen.

Dann löste sich die Erstarrung, und die Soldaten versuchten an den Bauern vorbei aus der Schenke zu fliehen. Einem gelang es, der andere wurde von Riegler und Welter festgehalten.

„Ihr verfluchten Mörder! Wir werden euch alle aufknüpfen!“, schrie der Soldat außer sich vor Zorn.

„Halt dein Maul!“, entgegnete Franz, „ihr solltet uns dankbar sein. Schau her!“ Er kniete sich zu dem Toten hin und fetzte ihm den Rock vom Oberkörper. Als der Soldat den nackten Oberkörper seines Kameraden sah, verstummte er entsetzt.

Die anderen wirkten gefasster, aber der Anblick schockierte auch sie: Tiefe, schwarze Verästelungen hatten sich schlangengleich über die gesamte Brust ausgebreitet.

Dem Soldaten schien es, als würden sie pulsieren. „Das ist Teufelswerk!“, schrie er, „Ihr habt ihn verhext!“

Aber sie beachteten ihn nicht. „Der Herrgott steh’ uns bei!“, flüsterte Buchmüller und bekreuzigte sich.

„Hol den Pfarrer!“, befahl Riegler Josias Welter. Der nickte und rannte aus der Schenke.

Wenige Augenblicke später stürmte ein Trupp Soldaten die Schenke, unter ihnen der alte Albrecht.

Die Bauern hoben die Hände.

Albrecht kniete sich bei der Leiche des Soldaten nieder. Er schloss ihm die Augen, verharrte kurz, dann stand er auf. Er musterte Karrer, Riegler und die anderen eiskalt, dann gab er mit ruhiger Stimme den Befehl.

„Raus mit dem Gesindel! Auf den Dorfplatz!“