XV

Tags darauf schneite es wieder. Es war unmöglich, im Freien zu arbeiten, deshalb befahl Karrer Johann und Albin in der Arbeitshütte neben dem Stall das Werkzeug auf Vordermann zu bringen und einige verbogene Schlepphaken wieder gerade zu hämmern.

Johann setzte sich auf einen Schemel und übernahm die Schlepphaken, während Albin die Holzgriffe verschiedener Werkzeuge reparierte.

Nachdem sie eine Weile stumm vor sich hin gearbeitet hatten, machte Johann eine Pause und trank einen Schluck Wasser. Er stellte die eiserne Kanne voller Wasser wieder neben den Schemel, da fiel ihm auf, wie kunstvoll dieser verziert war. Und zwischen den Verzierungen sah er das geheimnisvolle Symbol …

Johann hatte Albin einmal darauf angesprochen und erfahren, dass es dieses Symbol immer gegeben hätte und niemand etwas Genaues darüber wisse.

Wieder eine dieser Ausflüchte, gegen die Johann anrannte, seit er im Dorf angekommen war. Andeutungen, Ausflüchte, Lügen.

Nur Geduld.

Johann begann wieder an den Schlepphaken zu hämmern. Die Arbeit war eintönig und nicht gerade eine Herausforderung, er ließ seinen Blick dabei durch die kleine Hütte schweifen, dann zur offenen Eingangstür, durch die einzelne Schneeflocken hereintanzten.

Auf einmal zeichnete sich eine Gestalt gegen das Schneetreiben ab. Elisabeth blickte herein. „Grüß euch Gott!“

„Grüß Gott“, sagte Albin, der nicht einmal von seiner Arbeit aufsah.

Johann wollte ebenfalls grüßen – und schlug sich mit dem Hammer kräftig auf den Daumen. Er unterdrückte den Schmerz und lächelte Elisabeth gequält an. „Grüß Gott, Elisabeth.“

Elisabeth schmunzelte ob Johanns Missgeschick. „Ich hab euch Brot und Äpfel mitgebracht. Braucht ihr sonst noch was?“

Albin grinste. „Einen Verband für unseren Meisterschmied vielleicht.“ Johann funkelte ihn an, Albin grinste nur noch mehr. „Geh, Johann. So ein starker Mann und haut sich gleich auf den Finger, nur weil ein Frauenzimmer hereinschaut.“

Jetzt lachten alle drei.

Dann wurde Albin wieder ernst, er sah an Elisabeth vorbei zur Tür. „Gehst wohl besser wieder, Elisabeth.“

Sie nickte. „In einer Stunde gibt’s Mittagessen.“ Dann verließ sie die Hütte.

Als sie draußen war, ließ Johann den Hammer fallen und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand. „Verflucht noch mal, tut das weh.“

Ungerührt biss Albin krachend in einen Apfel. „Mittagessen. Sehr gut, ich hab eh schon wieder Hunger.“

Am Nachmittag war das Schneetreiben wieder abgeklungen, und Johann, Albin und einige andere Knechte des Dorfes schaufelten die Wege frei. Johann packte tüchtig mit an, auch wenn sein Daumen, der mittlerweile blauschwarz angelaufen war, höllisch schmerzte.

Auf halbem Weg ins Dorf ließen sie die Arbeit ruhen und schmauchten sich Pfeifen an. Auch Johanns Lieblingsschnaps machte die Runde – der Krautinger.

Ignaz, einer der Knechte, sprach Johann an. „Der Albin hat erzählt, dass du ganz tüchtig bist mit dem Schmieden. Mein Bauer fragt, ob du ein paar Pfannen flicken könntest.“

Johann nickte. „Mach ich euch.“

Ignaz klopfte ihm auf die Schulter.

„Wenn du dann noch einen Daumen hast!“, feixte Albin.

Alle lachten. Johann nutzte den Moment der Vertrautheit und wandte sich an Ignaz. „Weiß man eigentlich schon, wer sich das Stanzerl geholt hat?“

Die Knechte warfen sich wissende Blicke zu, schwiegen aber.

„Macht nicht so ein Geheimnis aus allem“, bohrte Johann verärgert nach.

„Ist halt passiert, da können wir jetzt auch nichts mehr ändern. Wenn der Winter erst vorbei ist, redet keiner mehr darüber, und du bist bestimmt schon über alle Berge“, meinte Ignaz ernst.

„Schaun wir einmal“, sagte Johann.

„Genau. Und jetzt machen wir weiter“, beendete Albin das Thema.

Als es dämmerte, waren die Wege frei. Johann und Albin gingen zum Essen in Karrers Haus. Alle, auch der Großvater, waren um den Stubentisch versammelt.

Elisabeth kam herein und brachte einen schweren Topf mit Suppe. Sie hatte sichtlich Mühe, den Topf zu halten, und beeilte sich, ihn zum Tisch zu tragen, bevor er ihr entglitt. Mit einer schnellen Bewegung stellte sie ihn in der Mitte des Tisches ab, dabei schwappte etwas Suppe über den Rand in Richtung ihres Vaters.

Der schnellte hoch und verpasste Elisabeth eine heftige Ohrfeige.

Es war totenstill in der Stube. Elisabeth schossen Tränen in die Augen.

Johann schlug mit der Hand auf den Tisch, Karrer sah ihn überrascht an.

„Was soll das?“, fauchte Johann ihn an.

Karrer wurde krebsrot im Gesicht, aber Elisabeth kam ihm zuvor. „Bitte, Vater. Nicht.“ Dann beugte sie sich zu Johann und blickte ihm tief in die Augen. „Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen, Knecht!“

Johann sah sie verständnislos an.

Karrer grinste hässlich. „Wenigstens eine hier am Tisch, die weiß, was sich gehört.“

Elisabeth schenkte ihrem Vater und ihrem Großvater mit zittrigen Händen die Suppe ein, ihre eigene Schüssel ließ sie leer.

„Ich hab keinen Hunger mehr“, sagte sie leise.

„Wie du meinst“, knurrte Karrer und begann gierig die Suppe zu löffeln.

Der Großvater sah ihm reglos zu, vor sich den gefüllten Teller. Karrer schien den Blick zu spüren, er hielt inne, sah auf: „Passt dir was nicht? Kannst es ruhig sagen“, meinte er abschätzig.

Was soll ich dir sagen?, dachte der alte Mann. Dass du ein tyrannisches Ungeheuer bist? Dass der einzige Grund, warum ich mir nicht wünsche, dass du nie geboren wärst, Elisabeth ist? Dass sie das einzig Gute ist, was du je in deinem Leben geschaffen hast?

Er senkte den Kopf und begann wortlos zu essen.

Karrer nickte verächtlich. Dann tauchte er den Löffel in die Suppe und aß mit Genuss weiter.

Das Brennholz lag klafterweise in einer Hütte neben dem Stall, die direkt mit dem darüber liegenden Stadl verbunden war. Im Stadl wurde das Brennholz geschlagen und durch eine Öffnung in die Holzhütte geworfen.

Der Verbrauch an Holz im Winter war enorm, obwohl nur Küche und Stube geheizt wurden. Die Kammern für Knechte und Mägde wurden nie geheizt, hier behalf man sich mit heißen Steinen, die man in Pfannen unter die Decke stellte, um sich aufzuwärmen. Nur der Herr des Hauses hatte ein besonderes Privileg: Sein Zimmer lag immer über der warmen Stube, in deren Decke eine verschließbare Luke eingelassen war. Der Bauer öffnete zur Schlafenszeit die Luke, und so sorgte die warme Luft aus der Stube für behagliche Wärme in seinem Zimmer.

Johann und Albin luden Holz in die geflochtenen Körbe. Der große Haufen mit den Scheiten war in den letzten Tagen zusehends kleiner geworden.

„Wird bald wieder so weit sein, dass wir ins Holz müssen“, sagte Albin.

Johann beachtete ihn nicht. Die Szene in der Stube ging ihm nicht aus dem Kopf.

Albin setzte sein unverkennbares Grinsen auf. „Ich nehm an, du denkst an die Elisabeth?“

Johann nickte. „Ich versteh nicht, was mit ihr da drin los war.“

„Du hast es noch immer nicht kapiert, was?“ Albin schüttelte den Kopf. „Sonst schaust mir ja nicht blöd aus, aber bei den Weibern, vor allem bei den wenigen, die was im Hirn haben, musst noch viel lernen.“ Albin gab ihm einen freundschaftlichen Schlag auf den Hinterkopf.

Johann sah ihn fragend an.

„Die hat dich doch da drinnen beschützt, du Depp!“

Auf einmal verstand Johann. Die dauernde Ablehnung, ihre Kühle, all dies hatte sie nur getan, um ihrem Vater keine Munition gegen ihn zu geben.

Wer erst gar nicht ans Feuer herankommt, kann sich auch nie die Finger verbrennen.

Elisabeth empfand etwas für ihn.

Johann überlegte kurz, dann setzte er sich hin und nahm einen kleinen Beutel aus der Innentasche seiner Joppe. Er öffnete ihn und zog ein Stück grobfasriges Papier und einen dünnen Kohlestift heraus. Schnell begann er einige Worte auf das Papier zu schreiben, hielt inne und schrieb dann noch ein paar Worte.

Albin beobachtete ihn, sagte aber nichts.

Johann faltete das Papier und steckte es zusammen mit dem Beutel wieder ein. Sie schulterten die Holzkörbe und verließen die Hütte.

Als Johann und Albin das Haus durch die Hintertür betraten, kniete Elisabeth vor der Kuchltür. Auf ihrer Wange waren noch die Spuren der Ohrfeige zu sehen. Albin ging mit seinem Korb in die Stube, Johann stellte seinen ab und wartete, dass er in die Kuchl konnte.

Elisabeth hob die Türschwelle hoch, nahm ein Heiligenbild heraus und legte es sorgfältig zur Seite. „Zum Schutz gegen alles Böse“, erklärte sie Johann, als sie sein verwundertes Gesicht sah. Sie nahm ein anderes Bild – eine kolorierte Radierung, die Jesus zeigte, wie er einem Pestkranken die heilende Hand auflegt – und bettete es sorgfältig in die Öffnung.

„Halten die Bilder das Böse vom Haus fern oder im Haus fest?“, fragte Johann ironisch.

Elisabeth schloss die Schwelle, stand auf und blickte Johann an. „Man kann’s sich eben nicht aussuchen.“ Sie drehte sich um und ging in die Kuchl. Johann folgte ihr mit seinem Holzkorb.

Drinnen stapelte Johann das Holz unter die Sitzbänke. Elisabeth stellte sich an den Herd und zog den Teig für das Schmalzgebackene, das es am nächsten Tag geben sollte.

Als Johann fertig war, schulterte er den Korb wieder. Er zögerte einen Augenblick, dann zog er das Stück Papier aus seiner Tasche, ging zu Elisabeth und gab es ihr wortlos.

„Johann, mach weiter. Der Karrer kommt grad aus dem Stall!“ Albin stand an der Tür und schaute Johann und Elisabeth an.

Elisabeth nahm schnell das Blatt und faltete es auf. Sie nickte unsicher, dann steckte sie das Papier in ihre Schürze und bearbeitete wieder den Teig.

Johann hörte, wie die Hintertür polternd aufging, er blickt Elisabeth verwundert an, dann folgte er Albin aus der Kuchl. Draußen begegnete ihnen Karrer. „Seid ihr immer noch nicht im Stall, ihr faules Gesindel?“

Nach einigen Fuhren Mist machten Johann und Albin eine Pause. Sie rauchten eine Pfeife neben dem großen Misthaufen hinter dem Stall. Sterne blitzten am abendlichen Himmel, Ruhe herrschte im Dorf.

„Was war denn das, vorhin in der Kuchl?“, fragte Albin Johann nach einer Weile.

„Hab ihr nur was geschrieben“, antwortete dieser kurz angebunden.

Albin lachte und schüttelte den Kopf. „Die Elisabeth kann doch nicht lesen. Die wenigsten können das, bei uns nur der Pfarrer und ich glaub auch der Riegler.“

Johann überlegte kurz. „Wollte sie’s nie lernen?“

Albin winkte ab. „Der Karrer hält das nicht für wichtig.“ Er machte eine kurze Pause, dann fügte er gleichmütig hinzu: „Und ich auch nicht so.“

Er klopfte seine Pfeife an der Holzwand aus und ging in den Stall zurück.