XIX

Als Johann und Albin auf das Dorf zusteuerten, ging die Sonne bereits unter und hüllte die kleine Dorfkirche in warmes Orange. Die Schatten der Grabsteine reichten bis an den Waldrand und verbanden sich mit der Finsternis dahinter.

Es war kälter geworden. Johann und Albin ließen den Schlitten auslaufen, solange es ging, die letzten Meter zu dem kleinen Sammelplatz südlich des Dorfplatzes mussten sie ihn jedoch ziehen.

Als sie näher kamen, beschlich Johann das Gefühl, dass etwas nicht stimmte: die anderen Langschlitten standen voll beladen auf dem kleinen Platz, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Dafür drangen Stimmen vom Dorfplatz. Johann und Albin ließen den Schlitten stehen und gingen schnell dorthin.

Die Stimmen wurdenlauter. „Das klingt ja bayerisch –“, sagte Johann abschätzig.

„Herr im Himmel, hoffentlich nicht!“, stieß Albin hervor und lief voraus. Johann hetzte hinterher, kurz vor der Ecke des letzten Hauses packte er Albin am Kragen und riss ihn zurück.

„Verflucht, halt dich zurück, du weißt ja nicht, was da los ist!“

Albin nickte, er wirkte wie ein Kind, das man bei etwas Dummem ertappt hatte. „Hast Recht, tut mir leid.“

Johann lugte um die Ecke. Das ganze Dorf hatte sich im Kreis versammelt, aus der Mitte schallte der Disput. Was genau vor sich ging, war nicht zu erkennen. Johann drehte sich zu Albin um. „Komm, wir haben eh keine andere Wahl.“

Johann ging langsam auf den Kreis zu, Albin folgte ihm.

Die Dorfbewohner beachteten sie nicht. Johann zwängte sich durch die Menge hindurch, als plötzlich eine Hand hervorstieß und ihn am Arm packte. Es war Elisabeth, sichtlich erleichtert, ihn zu sehen. Sophie stand neben ihr und beobachtete das Geschehen neugierig.

„Wo wart ihr denn so lang?“, zischte Elisabeth.

„Was ist denn hier los?“, wollte Johann wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen.

„Bayerische Soldaten. Die sind plötzlich aufgetaucht.“

Johann nickte, dann drängte er sich nach vorne. Schließlich hatte er den inneren Kreis erreicht und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen:

In der Kreismitte stand Benedikt Riegler einem Mann gegenüber, der offenbar der Kommandant eines Trupps von gut fünfzehn Soldaten war. Die Männer machten einen abgekämpften und müden Eindruck. Einem fehlte sogar ein Arm, andere saßen bandagiert neben ihren Kameraden, ihre Verbände waren schmutzig und durchgeblutet. Unter ihren abgetragenen Umhängen trugen sie zerschlissene blaue Waffenröcke und breite Gürtel mit Pulverbeuteln und Gerät. Ihre übers Knie reichenden Stiefel waren durchgetreten, die Gamaschen abgewetzt.

Einige hatten zerfledderte, dreieckig aufgeschlagene Hüte auf, wie sie sonst nur die Kavallerie trug. Die Mündungen der wenigen Vorderlader waren verrußt, die Pfannen geschlossen und ohne Lunte.

Der Kommandant, Johann schätzte ihn auf vierzig Lenze, hatte seine Hand am Säbel und schien bereit, jederzeit davon Gebrauch zu machen. Seine Stirn wies einige tiefe Schmisse auf, an seiner rechten Hand klaffte die grob zusammengenähte Kerbe eines wuchtigen Hiebes, der ihn auch den kleinen Finger gekostet hatte. Sein von Kampf und Hunger gezeichnetes Gesicht wirkte wenig kompromissbereit.

„Was Ihr verlangt, ist unmöglich! Wir haben im Winter gerade mal genug Vorräte für uns selbst!“, ereiferte sich Riegler. „Da können wir keine zusätzlichen Mäuler stopfen.“

„Das war keine Frage, Bauer“, knurrte ihn der Kommandant an. „Aber ich kann dich auch was fragen: Womit macht man Feuer?“

Riegler blickte irritiert in die Runde, die anderen Dorfbewohner sahen ihn verunsichert an.

„Mit … Holz?“

„Richtig! Und woraus sind eure Häuser?“

„Holz –“ Benedikt Riegler war kleinlaut geworden.

„Siehst du!“

Einige Soldaten setzten ein breites Grinsen auf.

„Und das wollen wir doch nicht, oder?“, sagte der Kommandant wie zu einem kleinen Kind.

Riegler schüttelte den Kopf.

Johann musterte die Soldaten genauer. Sie machten alles andere als einen kampfbereiten Eindruck. Auch die Pfannen ihrer Gewehre waren ohne Zündkraut und Lunte, es würde Minuten dauern, bis sie einsatzbereit waren. Alle Indizien sprachen also gegen einen Angriff auf das Dorf. Was sich hier abspielte, war mehr ein Einschüchterungsversuch, wenn auch ein gelungener. Trotzdem hätten die Dorfbewohner im Falle eines Kampfes keine Chance, und so hielt Johann den Mund.

Der Kommandant wurde lauter. „Ihr Bauern habt einen klugen Dorfvorsteher! Hört gut zu: Meine Männer brauchen die Rast. Ich gebe euch aber mein Wort, dass ihr nichts von uns zu befürchten habt, wenn ihr euch uns gegenüber rechtens verhaltet. Und wir werden nicht länger bleiben als nötig! Wir haben nämlich genug von euch und eurem gottverdammten Land!“

Riegler seufzte. „Was verlangt ihr?“

„Eine trockene Unterkunft und genug zu essen.“

„Ach, und sonst nichts?“, spottete Franz Karrer, der in der ersten Reihe der Dorfbewohner stand.

Der Kommandant wendete langsam den Kopf in seine Richtung.

Erregtes Murmeln machte sich unter den Dörflern breit, und Franz Karrer wurden schlagartig die Konsequenzen seiner leichtfertigen Worte bewusst.

Zu spät.

Der Kommandant machte einen Schritt auf Karrer zu, zog blitzschnell seinen Säbel und hielt ihn Karrer ans rechte Ohr. Dem wurden die Knie weich.

„Du hast ein großes Maul, Bauer, und das mag ich nicht!“ Mit einem schnellen Schmiss durchtrennte der Kommandant Karrer das halbe Ohr. Dieser schrie auf und drückte die Hand auf die Wunde, Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch und tropfte in den Schnee. Alle wichen erschrocken von ihm ab, einige der Frauen begannen zu weinen.

„Und jetzt scher dich zu deinesgleichen, bevor ich’s mir anders überleg!“, herrschte der Kommandant den Verwundeten an.

Kajetan Bichter drängte sich zwischen die beiden. „Lasst ab, wir stehen hier alle unter Gottes Gnade. Und so etwas nützt doch niemandem.“

„Sieh an, ein Pfaffe. Ihr predigt doch immer nur gegen Gewalt, wenn sie nicht Eurem Zwecke dient.“

„Unter Gottes Herde –“

„Genug gefrömmelt!“, unterbrach ihn der Kommandant scharf.

Bichter verstummte.

„Ihr sollt bekommen, wonach Ihr verlangt“, warf Riegler beschwichtigend ein und wagte kaum, dem Soldatenführer in die Augen zu blicken.

„Gut, dann mach uns ein Haus leer.“ Der Kommandant deutete mit dem Säbel auf Franz Karrer. „Seines.“ Er ließ den Säbel in die Scheide zurückgleiten, wandte sich wieder Riegler zu. „Außerdem muss sich jemand um unsere Verwundeten kümmern. Ich höre?“

Niemand sagte ein Wort, der Dorfvorsteher starrte zu Boden. Der Kommandant wurde ungeduldig. „Was ist jetzt – wähl irgendeinen aus, sonst tu ich’s.“

Benedikt Riegler sah auf und blickte hilflos zu den Dorfbewohnern. „Wer –“

„Ich mach’s schon!“ Sophie trat aus der Menge hervor, die anderen sahen sie erstaunt an. Der Kommandant musterte sie kurz, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Da schau her – ein Weibsbild mit Mumm. Du lässt mir meine Soldaten aber eh in Ruh?“

„Die erwehren sich schon“, spottete Sophie.

„Meine Magd hat keine Zeit, eure Männer zu pflegen.“ Jakob Karrer war vorgetreten und spuckte aus. „Sucht euch eine andere.“

Benedikt Riegler rollte mit den Augen. „Jakob, ich bitt dich –“

„Nein! Nicht die Sophie“, sagte Karrer grimmig. Er deutete Sophie mit der Hand, zu ihm zu kommen, aber diese zögerte.

„Bauer – du kannst deiner Magd natürlich verbieten, was du willst“, sagte der Kommandant ruhig und ging einen Schritt näher zu Karrer hin. Der stutzte, blieb aber stehen. „In dem Fall –“, die Stimme des Kommandanten wurde leiser, „wirst allerdings du dich um meine Männer kümmern. Verstanden?“

Karrer blickte den Kommandanten scharf an. Dieser erwiderte ungerührt den Blick.

Stille herrschte am Platz.

„Gut, so viel Arbeit ist’s ja nicht. Das wird sie schon schaffen“, sagte Jakob Karrer schließlich merklich leiser und machte einen Schritt zurück. „Aber sie kommt nur, wenn sie unbedingt gebraucht wird.“

„Natürlich, Bauer, natürlich. Du kriegst deine Magd schon wieder – und das unbeschadet, darauf geb ich dir mein Wort.“ Der Kommandant wandte sich an seine Männer. „Wir beziehen Quartier!“

Ein alter Soldat – wohl der Adjutant – trat vor die Männer. „Zugleich!“ Die Soldaten bemühten sich, stramm zu stehen und einen geordneten Eindruck zu machen.

„Marsch!“

Die Soldaten rückten ab, die Versammlung löste sich langsam auf. Elisabeth stürzte auf Franz Karrer zu. „Onkel Franz!“

„Geht schon, Liserl, ist halb so wild“, beschwichtigte er sie und hielt sich das verletzte Ohr.

Jetzt trat Jakob Karrer zu seinem Bruder. „Du weißt wohl auch nicht, wann es besser ist, das Maul zu halten, was?“, schnauzte er ihn an.

„Na, du weißt ja nicht, was ich ihn noch alles heißen wollt“, Franz würdigte seinen Bruder keines Blickes, dann drehte er sich zu Sophie um. „Kommst gleich mit?“

Sie nickte. „Ist vielleicht am besten. Dann kann ich euch gleich sagen, was die Soldaten brauchen.“

„Sophie – warum tust denn das?“, fragte Elisabeth leise.

Sophie zuckte mit den Achseln. „Einer muss es ja machen. Außerdem –“ sie blickte kurz zu Johann, dann wieder zu Elisabeth „ist es ganz gut, hie und da wegzukommen. Das lenkt einen ab.“ Jakob Karrer, der ihre Worte gehört hatte, stieg die Zornesröte ins Gesicht, aber er sagte nichts.

„Bin nicht lang fort“, Sophie lächelte Elisabeth und Johann zu, dann gingen sie und Franz los.

„Brauchst nicht glauben, dass du bei mir unterkommst!“, rief Jakob Karrer seinem Bruder hinterher.

„Aber Vater –“

„Schluss damit. Ist bald Brotzeit“, maßregelte er Elisabeth. „Wir gehen.“ Er stapfte grimmig in die Richtung seines Hauses, Elisabeth folgte ihm.

Albin trat zu Johann. „Das wird noch böse enden.“

„Mal den Teufel nicht an die Wand, Albin. Wenn die das Dorf schleifen wollten, hätten sie das längst getan. Das war nur ein Säbelrasseln, mehr nicht. Wenn die wieder bei Kräften sind, werden sie schneller wieder weg sein, als du glaubst.“

„Gottlose Knechte sind sie allemal.“ Albin spuckte den abziehenden Soldaten nach, dann folgte er Karrer und Elisabeth.

Es wurde still auf dem Dorfplatz. Alle hatten den Platz verlassen, nur Johann und Kajetan Bichter waren zurückgeblieben. Der Pfarrer sah Johann an, schien etwas sagen zu wollen – aber dann sackten seine Schultern ein, er drehte sich um und stapfte auf seine Kirche zu.

Johann blickte Bichter nach, der jetzt die Tür der Kirche öffnete. Ein seltsamer Mensch, dachte er. Der Pfarrer wirkte unglücklich und getrieben, von einer großen Last gedrückt, aber den anderen im Dorf fiel das nicht auf. Oder es war ihnen egal.

Die Kirchentür fiel krachend zu.

Johann war allein. Er blickte über die Kirche und den Friedhof, über die Wälder und Berge der rötlich untergehenden Sonne entgegen – dann kehrte sein Blick wieder zu dem dunklen Fleck zu seinen Füßen zurück. Er starrte die Blutstropfen an, die eine kleine Lache am hart getretenen Boden gebildet hatten.

Ihm war, als würde der Boden selbst bluten.

Tief in seinem Inneren spürte Johann, dass Albin Recht hatte. Die Sache würde böse enden, egal, von welcher Seite die Gefahr drohte. Aber was konnte er machen?

Nichts.

Alles.

Johann verließ mit langsamen Schritten den Dorfplatz.

Franz Karrer eilte in seinem Haus herum, unschlüssig, was er mitnehmen sollte. Die Soldaten waren bereits untergebracht. Wer nicht ernsthaft verwundet war, hockte in der beheizten Stube, die anderen lagen in den oberen Kammern.

Sophie, die mit Franz Karrer gekommen war, wollte nach oben zu den Verwundeten, aber ein Pflock von Mann stand am Fuße der Treppe und bewachte den Treppenaufgang. Sophie baute sich vor ihm auf, in der Erwartung, er würde sie bemerken und Platz machen. Als er keine Anstalten machte, riss ihr der Geduldsfaden.

„Lasst mich vorbei oder sollen sich eure Verwundeten selbst pflegen?“, schnauzte sie ihn an.

Der Soldat blickte überrascht zu ihr hinunter und machte einen Schritt zur Seite. „Hab dich nicht gesehen …“

Sophie stieg trotzig die steilen Stufen zum Söller hinauf. „Dummer Hund“, schimpfte sie leise. Oben lugte sie in die erste Kammer: Zwei Soldaten lagen ermattet im Bett, der eine hatte seinen rechten Arm und den rechten Oberschenkel straff bandagiert, dem anderen war der halbe Kopf eingewickelt worden, der Verband über der linken Schläfe war dunkelrot verkrustet.

Sophie ging in die nächste Kammer, wo ein Soldat am Boden saß und sich gerade stöhnend seine zerfledderten Stiefel von den wunden Füßen schälte. Das Fleisch seiner Zehen war pechschwarz, Sophie wusste, dass man ihm den Fuß absägen müsse. Der Kamerad des Soldaten lag neben ihm, bleich und völlig verschwitzt, er hatte wahrscheinlich hohes Fieber, vielleicht sogar Wundbrand.

In der letzten Kammer riss sich ein Soldat gerade die letzten schmutzigen Stofffetzen von seinem Armstumpf und betrachtete entgeistert die Stelle, an der bis vor kurzem seine linke Hand gewesen war. Das Fleisch an den Rändern der Wunde war schwarz verfärbt, der Gesichtsausdruck des Soldaten machte deutlich, dass er nur zu genau wusste, was ihm blühte: Man würde ihm das tote Gewebe stückweise abschneiden, bevor es sich ausbreiten und den gesamten Körper vergiften konnte.

Sophie überlegte kurz, ob sie die richtige Entscheidunggetroffen hatte, besann sich dann aber darauf, dass Barmherzigkeit und Nächstenliebe vor niemandem Halt machen dürfen, auch nicht vor den Bayern. Sie wusste, was sie zu tun hatte, fasste sich ein Herz und überschlug im Kopf, was sie benötigte. Dann eilte sie zur Treppe.

Ein Schrei aus der ersten Kammer ließ sie über die oberste Stufe stolpern. Sie stürzte die halbe Treppe hinunter, versuchte vergeblich, das Geländer zu fassen. Da fing sie jemand auf. Verdattert sah Sophie, dass es der Soldat war, den sie vorhin angeschnauzt hatte. Er lächelte sie an.

„Du bist mir ja eine ganz Stürmische, was?“

Sie blickte ihn ungläubig an.

„Gefällt mir! Ich bin der Gottfried!“, sagte er mit tiefer Stimme und stellte sie wieder auf die Füße.

Sophie richtete sich schnell ihre Haare und sah ihn immer noch trotzig an. „Sophie.“

„Was brauchst denn?“, wollte er wissen.

Ihr Trotz wich einem Lächeln. „Einen Kübel mit heißem Wasser, viele Fetzen, am besten eine Tuchent, ein Messer und – eine Säge. Und ein paar kräftige Burschen.“

„Ich allein reich dir wohl nicht, was?“

„Werden wir noch sehen, Gottfried, werden wir noch sehen“, gab sie keck zurück.

Gottfried nickte und ging weg, um die Dinge zu organisieren, nach denen Sophie verlangt hatte.

Kein schlechter Kerl, schmunzelte Sophie, gar kein so schlechter Kerl.

In der Stube verströmte der glühend heiße Ofen behagliche Wärme. Durch die kleinen Fenster fiel das letzte Licht des Tages. Albin und Johann lehnten an der geschlossenen Tür, Elisabeth legte geräuchertes Fleisch, Würste und Brotlaibe in einen groben Leinensack.

Jakob Karrer beobachtete den Vorgang widerwillig. „Diese verdammten Soldaten haben uns gerade noch gefehlt.“

„Alles Plünderer und Mordgesellen!“, ereiferte sich Albin.

Johann schwieg.

„Albin, du bringst mir den Sack zu dem Gesindel. Fang aber keinen Streit an, hörst?“

„Lass nur, ich mach das schon“, bot sich Johann an.

„Meinetwegen“, stimmte Karrer zu, „aber für dich gilt das Gleiche! Und nachher ladet ihr den Schlitten ab und schlichtet die Blochen, verstanden?“

Johann packte den Sack und verließ die Stube.

Johann näherte sich dem Wachposten vor dem Haus. Franz Karrer kam ihm entgegen, gerahmte Heiligenbilder und eine kleine hölzerne Dose in den Händen. Sein Ohr hatte aufgehört zu bluten.

„Das war alles, was ich hab mitnehmen können. Den Rest werden sie mir wohl hinmachen, die Hunde.“

„Wo kommst du jetzt unter?“, wollte Johann wissen.

„Der Alois hat im Söller noch Platz, hat er mir angeboten.“

„Wird schon werden. Alles Gute.“

„Ist recht, Johann, dir auch.“

Johann näherte sich dem Wachposten, der ihn müde ansah. „Ich bring was zu essen, vom Jakob Karrer.“

Die Wache ließ ihn passieren.

Die Luft in der Stube war zum Schneiden mit Pfeifenrauch gefüllt, der sich mit dem Geruch von Ruß und Schweiß zu einem beißenden Gestank vermischte. Tonsplitter waren über den Fußboden verstreut, einige Soldaten saßen dicht gedrängt um den Tisch und löffelten Mus, andere schliefen zusammengerollt in der Ecke.

Die Stimmung war gedrückt.

„Noch mehr zum Essen.“ Johann stellte den Sack in eine Ecke, in der bereits mehrere Holzsteigen mit Brotlaiben, Würsten, Speck und Schnaps waren. Die Soldaten nahmen kaum Notiz von ihm.

„Ist ja noch ein weiter Weg bis nach Bayern“, sagte Johann beiläufig.

„Was geht dich das an, Knecht?“ Ein alter Kämpfer mit hochrotem Kopf blickte ihn scharf an. Es war der Adjutant, der die Männer auf dem Platz befehligt hatte. Einige Schmisse zierten sein Gesicht, einer davon hatte seine linke Augenbraue und den Wangenansatz gespalten.

Johann kannte diese Sorte Soldat, die schon alles gesehen und erlebt hatte und innerlich leer und müde war. Und auf den letzten Stoß wartete.

„Hab mich nur gefragt, wie ihr in dieses abgelegene Tal geraten seid. Immerhin sind die Bayern für ihre genauen Karten bekannt.“

Der Alte setzte ein Grinsen auf. „Da hast schon Recht, wir haben’s uns nicht ausgesucht. Nach der Schlacht um Innsbruck wollten wir wieder über die Grenze zurück, aber wir sind von Tyroler Sturmscharen in die Zange genommen worden. Die Schweine haben uns langsam aufgerieben.“ Er spuckte seinen Kautabak auf den Boden. „Über zweihundert Mann waren wir in Innsbruck noch, kannst du dir das vorstellen, Knecht? Zweihundert!“

Plötzlich hörten sie markerschütternde Schmerzensschreie vom Söller her, die aber bald verstummten. Betretenes Schweigen herrschte in der Stube, einige der Soldaten bekreuzigten sich.

Der Alte nahm einen tiefen Schluck aus seinem Lederbeutel und verzog ob der Schärfe des Gesöffs das Gesicht. Johann versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, auch wenn er innerlich mit dem armen Teufel da oben litt. Wahrscheinlich hatten sie ihm irgendein Körperteil abgesägt, dachte er, ein furchtbares Schauspiel, dem Johann nur zu oft hatte beiwohnen müssen.

Andererseits: Lieber hand- als leblos, hatte einer seiner Kameraden einmal gescherzt, bevor er selbst an der Reihe war. Die Amputation hatte er dann überlebt, nicht aber den anschließenden Wundbrand.

Johann riss sich aus seinen Gedanken. „Und auf dem Weg zur Grenze ist dann der Winter eingebrochen …“, hakte er nach.

„Ja, der hat uns den Rest gegeben. Viele haben wir unterwegs zurücklassen müssen. Zu viele. Aber was kümmert’s dich?“ Der Alte schnupfte kurz. „Und jetzt verschwind!“

Johann erkannte, dass er nicht mehr erfahren würde.

Geduld. Sonst will am Ende noch einer von denen etwas über deine Vergangenheit wissen.

Und das wollte Johann auf keinen Fall. Er verließ die Stube.

Der alte Kämpfer blickte ihm nach …

„Verdammt neugierig, der Knecht“, raunzte ein Soldat, der in der Ecke der Stubenbank lungerte. Seine Kopfbinde war vor Dreck fast schwarz.

„Wenn das ein Knecht ist, dann fress ich einen Besen, das sag ich dir. Der war mal einer von uns, das spür ich“, gab der Alte als Antwort.

„Ein Bayer?“

„Mensch, du bist so blöd wie dein Verband dreckig ist, Joseph. Ein Soldat, mein ich.“ Der Alte biss kräftig von einer geräucherten Wurst ab und kaute sie genüsslich mit offenem Mund.

„Und du hast die Weisheit mit’m Löffel g’fressen, was?“, gab Joseph eingeschnappt zurück.

„Das wär dann zumindest ein Löffel mehr als du“, sagte der Alte grinsend.

Bevor Joseph antworten konnte, schwang die Stubentür auf und der Kommandant kam herein. Der Alte wollte aufspringen, aber der Kommandant machte eine abwehrende Handbewegung. „Schon recht, Albrecht.“ Er blickte auf seine abgekämpften Soldaten, nahm dann wohlwollend die Wärme und das Essen zur Kenntnis.

„Da können wir’s aushalten, was?“, schallte es aus einer Ecke.

Der Kommandant nickte und wandte sich an den alten Kämpfer. „Sind alle untergebracht, Albrecht?“

„Jawohl!“, gab der Alte scharf zurück und schluckte die Wurst hinunter. „Die Verwundeten haben wir oben in die Stuben gelegt.“

„Ich weiß, ich war grad oben“, antwortete der Kommandant und fuhr nach einer kurzen Pause fort. „Er hat’s überlebt.“

Albrecht sah ihn fragend an.

„Der Friedrich. Wir mussten ihm –“

Albrecht nickte, er verstand. „Die Bauern haben auch schon was zum Essen gebracht“, lenkte er ab.

„Haben sie Schwierigkeiten gemacht?“

Der Alte schüttelte den Kopf. „Lammfromm, das feige Pack.“

„Dann hoffen wir, dass das auch so bleibt. Wenn einer aufmuckt, will ich sofort eine Meldung. Das mein ich auch auf unsere Leut bezogen. Schärf denen noch mal ein, dass die mir auch ja die Weiber in Ruh lassen, verstanden?“

„Jawohl.“

Der Kommandant klopfte seinem Adjutanten auf die Schulter. „Gut, Albrecht, gut. Wir wollen doch irgendwann wieder heim, was?“

Dann griff er sich ein Stück Speck und einen Brotscherz und setzte sich zu seinen Leuten.