XX

Die Dorfschenke war menschenleer. Nur Alois Buchmüller, Benedikt Riegler und Jakob Karrer saßen an einem Ecktisch, vor sich Zinnkrüge mit Bier und eine halbleere Flasche Schnaps, der gegen die bedrückende Stimmung aber nichts ausrichten konnte.

„Der Franz ist selber schuld. Der hat noch nie das Maul halten können“, ärgerte sich Karrer.

„Aber Recht hat er trotzdem gehabt. Die fressen und saufen uns noch arm. Dreimal reingespuckt hab ich in jedes einzelne Bier, das ich den Bayern hab rüberbringen müssen“, prahlte Buchmüller.

„Deshalb ziehen sie auch nicht früher ab.“ Riegler nahm einen Schluck Bier. „Wir können froh sein, dass sie unser Dorf nicht geschliffen haben. Ihr wisst, wie’s den heurigen Sommer an der Grenze zugegangen ist. Bei uns und bei denen.“

„Ja, ja, wir kennen die Geschichten, hast sie ja oft genug erzählt, dieses Jahr. Ich sag, wir halten uns ruhig und warten, bis sie weg sind“, schlug Buchmüller vor.

Karrer setzte ein heimtückisches Grinsen auf. „Am besten wär’, wenn wir die Bayern zu denen da oben raufschicken. Dann können sie sich gegenseitig abschlachten.“ Er lachte, Riegler stimmte mit ein.

„Wird aber nicht passieren, Jakob“, meinte Buchmüller und begann, seine Tonpfeife zu stopfen. „Übrigens, habt ihr schon das vom Johann gehört?“

„Was denn?“

„Dir erzählt wohl auch keiner mehr was“, stichelte Buchmüller. „Heut oben im Holz. Der Johann hat dem Albin das Leben gerettet. Hab mir doch von Anfang an gedacht, dass der ein aufrechter Bursch ist.“

Karrer stutzte einen Moment. „Ach das, ja, das haben sie mir erzählt, die beiden“, log er.

„Und Pfannenflicken kann der auch. Meine hat er wieder gut hinbekommen“, fügte Riegler hinzu.

Karrer fühlte Zorn in sich aufsteigen. Der Johann hat sich ja schon sehr gut eingelebt, dachte er und nahm einen großen Schluck aus der Schnapsflasche.

Die Nacht war hereingebrochen, begleitet von leichtem Schneetreiben.

Der Ofen strahlte eine behagliche Wärme aus, Elisabeth saß am Stubentisch und stopfte eine Weste. Johann stand beim Feuerhund und legte einige Späne Kienholz und Kranewitt nach, die sofort zu glosen begannen und gedämpftes Licht warfen. Ein süßlich-harziger Duft machte sich in der Stube breit.

Johann schloss die Augen und atmete tief ein. So sollte es auch einmal in seinem Zuhause riechen.

In einigen Jahren.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Elisabeth ihn anblickte. Schnell senkte sie ihren Blick und fuhr mit ihrer Handarbeit fort. Johann setzte sich ihr gegenüber und begann an einem Stück Holz zu schnitzen.

Sie teilten die Stille.

Plötzlich flog ein Holzspan in Elisabeths Gesicht, überrascht sah sie auf.

„Verzeiht, gnädige Frau“, scherzte Johann.

„Glaubst, dass du dir jetzt alles herausnehmen kannst, nur weil du mir Lesen und Schreiben beibringst?“

Nur Lesen und Schreiben?“

Elisabeth lächelte ihn verschmitzt an. „Schau an, da wird einer empfindlich.“

Johann fühlte sich von ihr vorgeführt, aber irgendwie gefiel ihm das.

„Was wird denn das, wenn’s fertig ist?“ Elisabeth deutete auf das Holz in Johanns Hand.

„Ach, das weiß ich selbst noch nicht. Jedes Holz hat eigentlich schon seine vorbestimmte Form, man muss sie nur finden.“ Johann betrachtete das Stück genau. „Schaut aber aus wie – ein Gesicht. Vielleicht ein Gaukler? Oder eine Narrenfratze? Oder –“ Johann blickte Elisabeth in die Augen. „– einer von denen da oben?“

Elisabeths Lächeln verschwand. „Woher …?“, stammelte sie.

„Woher ich das Ammenmärchen kenn?“

„Ammenmärchen?“ Elisabeth legte empört die Weste weg. „Ammenmärchen? Du hast ja keine Ahnung. Du bist nicht von hier.“

„Eben. Ich bin schon viel herumgekommen. Und hab viel gesehen. Aber nichts, was dem nahe kommt, was ich heut gehört hab.“

„Was willst du damit sagen? Dass wir hier alle Narren sind?“

„Geh, Elisabeth. Ich mein ja nur, dass sich das alles unglaublich anhört.“

„Und warum glaubst du, dass hier keiner darüber spricht?“

Johann zuckte mit den Schultern. „Habt ihr überhaupt schon mal einen von denen gesehen?“

Elisabeth sah ihn erschrocken an und bekreuzigte sich. „In Gott’s Namen, noch nicht.“

„Und woher weißt du dann, dass das alles stimmt?“, bohrte Johann nach.

„Ich weiß es halt.“ Elisabeth verschränkte die Arme. „Ich muss nicht alles hinterfragen.“

Johann blickte ihr in die Augen und verstand – Unwissenheit war manchmal ein verlockendes Kissen. Er drückte ihre Hand.

Das Licht der Ölfunzel ging langsam aus, das glühende Holz im Ofen tauchte den Raum in rötliches Licht. In diesem Zwielicht wirkte Elisabeth für Johann noch schöner als sonst. Er genoss die Magie dieses Augenblicks, als Elisabeth auf einmal ihre Hände zurückzog.

Der Augenblick war vorbei.

Johann stand auf und wollte gerade die Ölfunzel wieder anzünden, als ihn Elisabeth am Arm griff.

„Johann? Warum willst das eigentlich alles wissen?“

Sie sahen sich in die Augen. Elisabeths Atem begann sich zu beschleunigen, die Spannung zwischen den beiden stieg von Herzschlag zu Herzschlag. Johann beugte sich zaghaft zu Elisabeth, sie neigte leicht den Kopf und schloss die Augen.

Plötzlich riss jemand die Tür auf, Johann und Elisabeth erschraken. Es war Albin, er stand mit einem breiten Grinsen vor ihnen. „Nicht, dass ich euch stören will …“, ätzte er, „Aber dein Herr Vater kommt grad vom Buchmüller, Elisabeth. Ich würd euch raten, ein bisschen auseinanderzurücken.“ Er machte eine Pause. „Und bemüht euch wenigstens, nicht gar so ertappt auszusehen. Ihr schaut aus wie Kinder, die man beim Naschen erwischt.“ Albin drehte sich um und verließ die Stube, sie hörten ihn die Treppe hinaufgehen.

Elisabeth blickte zu Boden.

Johann ging zur Stubentür, drehte sich dann noch einmal um. „Schlaf gut, Elisabeth.“ Er verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Elisabeth sah ihm nach.

Du auch, Johann.

Johann wollte gerade die Stufen zu seiner Kammer hinaufsteigen, als ihn jemand festhielt und herumriss. Jakob Karrer stand vor ihm, er roch nach Rauch und Schnaps.

Karrer blickte Johann grimmig in die Augen. „Hab das mit dem Albin heut gehört. Die anderen halten dich ja für einen ordentlichen Burschen.“

Johann entspannte sich, als Karrer ihn plötzlich an der Kehle packte und gegen die Wand drückte. „Aber wenn ich herausfind, dass du bei meiner Elisabeth auch so fleißig bist, wirst dir wünschen, du wärst damals vor meinem Haus verreckt“, flüsterte Karrer.

„Ich hab nichts Unrechtes gemacht …“

„Und so soll’s auch bleiben, mein Bursche.“ Karrer ließ Johann los und ging in die Stube. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.