|187|Der Rettungsring des Peter Z.

Die beiden Zeugen warteten vor der Tür. Es war der voraussichtlich letzte Verhandlungstag in dem Vergewaltigungsprozess. Die Richterin wollte nun den ersten Zeugen hereinrufen und zu den Geschehnissen in dem Auto befragen. Das ging mir jedoch ein bisschen schnell. Schließlich nahm ich an, dass es sich um eine verabredete Geschichte handelte, die keinen realen Hintergrund hatte. Ein komplexes Geschehen abzusprechen ist ziemlich schwierig. Sobald man Einzelheiten abfragt, merkt man schnell, wer von einem tatsächlichen Erlebnis mit allen möglichen Details, Emotionen oder auch Komplikationen berichtet, und wer anfängt zu rudern (weil es nur ein grobes Übereinkommen über den Kern der Geschichte gibt). Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Generell kann man es jedoch durchaus als vielschichtiges und schwieriges Unterfangen ansehen, unter Strafandrohung vor Gericht Falschangaben zu machen. Die Erfahrung zeigt, dass dies von Zeugen, die zur Lüge entschlossen sind, oft unterschätzt wird.

Ich wollte nun erst mal vom Angeklagten genau wissen, wie sich alles abgespielt haben sollte. Er gab an, in einer Nacht im Februar auf der Heimfahrt von der Diskothek die beiden Zeugen und Nina R. ein Stück mitgenommen zu haben. Er habe dann angehalten, um die beiden Zeugen aussteigen zu lassen (natürlich unter einer Laterne, damit alles |188|Folgende gut zu sehen war). Kaum seien die beiden draußen gewesen, habe sich Nina R. schon »über ihn hergemacht«. Er habe dann noch mal nach rechts über die Schulter zurückgeblickt und gesehen, dass die Zeugen ungefähr zwei Meter hinter dem Fahrzeug auf dem Bürgersteig stehengeblieben waren und zum Auto blickten. Da sei der Kopf von Nina R. schon in seinem Schoß gewesen. Die Zeugen seien dann entgegen der Fahrtrichtung weggegangen. Auf meine Frage, wie denn die Zeugen aus diesem Winkel etwas wahrgenommen haben wollten, meinte er, dass es durchaus möglich sei, durch die Heckscheibe und zwischen den Autositzen hindurch etwas vom vorderen Innenraum zu sehen. Ich fragte ihn, ob der Motor lief und die Scheinwerfer eingeschaltet waren. Der Angeklagte überlegte und meinte, er wisse es nicht mehr.

Mehrfach unterbrach der Verteidiger meine Fragen und meinte, dass es hier ja wie in Kuba zugehe. Der Staatsanwalt frage den Angeklagten in aller Ausführlichkeit aus, während er bei der Belastungszeugin darauf verzichtet habe. Ich antwortete, dass ich meine Fragen immer dann stellen würde, wenn ich auch tatsächlich welche hätte.

Schließlich wurde der erste Zeuge hereingerufen. Er war wegen kleinerer Drogendelikte vorbestraft. Aufgrund von Geldproblemen und ständigen Zwangsvollstreckungen hatte er kein eigenes Konto mehr. Auf Nachfrage gab er an, dass er das Konto von Peter Z. mitbenutzen dürfe und dieser sein Geld treuhänderisch verwalte. In der Sache bestätigte er, dass er Nina R. in einer eindeutig auf Oralverkehr hindeutenden Position mit dem Angeklagten beobachtet habe. Er könne sich noch klar an die hellblonden Haare von Nina R. im Schoß des Angeklagten erinnern. Schließlich habe er mit |189|dem anderen Zeugen direkt vor der vorderen Seitenscheibe des Fahrzeuges gestanden. Er wisse nicht mehr, ob der Motor lief oder die Scheinwerfer brannten. Er sei dann mit dem anderen Zeugen in Fahrtrichtung des parkenden Autos weggegangen. An der nächsten Kreuzung habe er sich von dem anderen getrennt.

Schön wäre es, wenn ich jetzt berichten könnte, wie ich dem Zeugen die Version des Angeklagten vorhielt und der Zeuge unter der Last der Widersprüche zusammenbrach und die Absprache zähneknirschend zugab. Die Widersprüche, die darin bestanden, dass die Zeugin Nina R. zu diesem Zeitpunkt nachweislich braune Haare hatte und der Angeklagte Standort und Weg der Zeugen ganz anders beschrieben hatte. Ein solches »Umfallen« der Zeugen passiert jedoch eher bei entsprechenden Sendungen im Fernsehen als im wirklichen Gerichtsalltag. Ich hielt dem Zeugen zwar die Widersprüche vor, aber sofort mischte sich der Verteidiger ein und erklärte, dass der Zeuge doch gesagt habe, was er noch wisse. Mehr könne man nicht verlangen. Der Zwischenruf wurde von der Richterin natürlich untersagt. Der Zeuge hatte dadurch jedoch schon wieder etwas Zeit zum Nachdenken. Außerdem hatte der Verteidiger nun eine Antwortmöglichkeit vorgegeben. Der Zeuge druckste etwas herum und meinte schließlich, dass er sich nicht weiter erinnern könne. Damit wurde die Zeugenvernehmung beendet.

Sodann wurde der zweite Zeuge hereingerufen. Auch er bestätigte, dass er Nina R. in dieser eindeutigen Position beobachtet hätte. Er habe mit dem anderen Zeugen schräg durch das hintere Seitenfenster geschaut. Auf Nachfrage erklärte er, dass er die Zeugin gut gesehen habe. Trotz der |190|dunklen Haare, denn die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs sei eingeschaltet gewesen. Er habe sich dann von dem anderen Zeugen verabschiedet. Er sei in Fahrtrichtung und sein Bekannter entgegengesetzt davongegangen.

Auch ihn konfrontierte ich mit der Version des Angeklagten und der des anderen Zeugen. Sofort mischte der Verteidiger sich wieder ein und wurde abermals von der Richterin ermahnt. Der Zeuge gab dann an, sich nicht mehr genau erinnern zu können. Ich erklärte ihm, dass sich das gerade aber anders angehört hatte. Schließlich erklärte er, dass es eigentlich doch so gewesen sei, wie er bekundet hatte. Weitere Nachfragen brachten nichts Neues zu Tage. Schließlich wurde der Zeuge entlassen.

Da die Beweisaufnahme doch einige Zeit in Anspruch genommen hatte, wurde für die Abschlussplädoyers und die Urteilsverkündung nach Beratung ein weiterer Sitzungstag vereinbart.