|47|Das DNA-Wunder

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts führte die zunehmende Industrialisierung und Bildung von anonymen Großstädten zu neuen Herausforderungen bei der Verbrechensbekämpfung. Aber der wirtschaftliche und wissenschaftliche Aufschwung gab den Ermittlern auch neue wirkungsvolle Waffen an die Hand. Die wohl effektivste und erstaunlichste Waffe war ohne Zweifel die DNA-Analyse. 1984 erdachte Alec Jeffreys eine Methode, mit der man diese an vielen Stellen einzigartige Reihenfolge der »Buchstaben« im genetischen Code der DNA von zwei verschiedenen Zellproben vergleichen konnte. Da es ihm um biochemische Forschung ging, war er ziemlich verwundert, als knapp zwei Jahre nach der Entdeckung die Polizei der Grafschaft Leicestershire vor der Tür stand. Sie ermittelte wegen Sexualmorden an zwei jungen Mädchen. Die Gewalttaten hatten großes Aufsehen erregt und die Polizei stand unter enormem Erfolgsdruck. Sie hoffte nun, den Hauptverdächtigen mit einer DNA-Analyse überführen zu können. Zur Überraschung der Polizei bewies Jeffreys Analyse zunächst einmal, dass der Hauptverdächtige nicht der Mörder sein konnte. Wieder bei null angelangt, kamen die Ermittler schnell auf die Idee, alle männlichen Einwohner im Alter von 16 bis 34 Jahren einem Massentest zu unterziehen. Allen wurde Blut abgenommen und ihre |48|genetischen Informationen mit den Spuren an den Opfern verglichen. Obwohl sich der Täter zuerst dem Test erfolgreich entziehen konnte, wurde er später doch gefasst. Durch eine DNA-Analyse.

Auf diesem Gebiet gab es in der Folgezeit weitere kleine, aber für die Ermittlungsbehörden sensationelle Fortschritte. Die DNA konnte aus immer kleineren Geweberesten oder sogar ausgefallenen Haaren bestimmt werden, die nur wenige Moleküle enthielten. Schließlich fand man eine Methode, ein einzelnes DNA-Molekül durch Hinzugabe von Enzymen so weit zu vermehren, dass die Gewinnung einer für Identifizierungszwecke brauchbaren DNA-Menge möglich war. Täterspuren konnten also wachsen!

Auch in Deutschland wurde die DNA-Analyse umgehend angewandt. Im April 1998 wurde beim Bundeskriminalamt eine bundesweite DNA-Analyse-Datei eingerichtet. Sie enthält zum einen die genetischen Fingerabdrücke von Beschuldigten und Verurteilten, denen eine erhebliche Straftat zur Last gelegt wird. Zum anderen sammelt man dort auch Tatortspuren, bei denen man auf eine spätere Täteridentifizierung hofft. Womöglich wird der Täter ja bei einer weiteren Straftat erwischt und muss eine DNA-Probe abgeben.

Waren es im Gründungsjahr sechshundertfünfzig Datensätze, so war die Anzahl Ende 2010 bereits auf knapp 900 000 angewachsen. Im Durchschnitt kann jede dritte Spur erfolgreich zugeordnet werden.

Die DNA-Analyse hat also eine unglaubliche Erfolgsgeschichte in der Verbrechensbekämpfung. Unendlich lang ist die Liste der Aufklärungserfolge. Besonders spektakulär und in der Presse gerne breit dargestellt sind dabei die Fälle, |49|in denen der Täter noch nach Jahrzehnten überführt werden kann. So konnte beispielsweise der Sexualmord an einer dreizehnjährigen Schülerin aus Brandenburg fünfundzwanzig Jahre nach der Tat aufgeklärt werden. 2003 überführte die DNA-Analyse einer Spermaspur den Täter, er wurde zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.