|111|Sinan hängt am Zaun

An diesem Morgen war trübes Wetter und es nieselte leicht. Wie die letzten Male fuhr Sinan wieder mit den beiden Gerichtswachtmeistern. Der Transporter hielt im Innenhof des Gerichts. Sie stiegen aus und gingen auf das Gerichtsgebäude zu. Seine Begleiter hielten sich links und rechts von ihm, vielleicht zwanzig Zentimeter zurückversetzt. Sie unterhielten sich über Fußball, und einer der beiden lachte gerade. Sinan trug Handschellen, die seine Hände vor dem Körper und nicht hinter dem Rücken zusammenhielten. Die Füße waren frei. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen! Schon nachts in der Zelle hatte er nicht schlafen können und war den Fluchtversuch in Gedanken immer wieder durchgegangen. Sein Puls beschleunigte sich merklich. Die folgenden Geschehnisse nahm er wie in Zeitlupe wahr. Er beugte den Oberkörper etwas und schnellte dann gegen einen der Wachtmeister. Der fiel überrumpelt hin. Schon rannte Sinan auf den ersten Zaun zu, der brusthoch war. Es waren nur ein paar Schritte. Der andere Wachtmeister war völlig überrascht und reagierte erst nach zwei oder drei Sekunden. Darauf hatte Sinan spekuliert. Als er aufgeregte Schreie und Schritte hinter sich hörte, sprang er schon an dem Zaun hoch und kippte seinen Oberkörper hinüber. Auf der anderen Seite fiel er mit dem Oberschenkel auf einen spitzen Stein, was schmerzte. Hastig richtete |112|er sich halb auf und wollte zum Außenzaun losrennen, als er auf dem feuchten Rasen ausrutschte und erneut stürzte. Als er wieder hochkam und losrannte, hörte er hinter sich die Metallfelder des Zauns klappern und kurz darauf ein Plumpsen. Sie waren dicht hinter ihm, vielleicht fünf Meter, als er sich aus vollem Lauf an den Außenzaun warf. Wie durch dichten Nebel hörte er im Hintergrund eine Sirene aufheulen. Es war schwierig, mit den Schuhen an dem engmaschigen Zaun Halt zu finden. Er schaffte es aber, sich bis in Brusthöhe an der Oberkante des Zauns hochzuziehen. Er wollte gerade umgreifen, als er merkte, dass ihn jemand an den Beinen festhielt. Fast reflexartig trat er nach hinten und merkte beim zweiten Mal einen Widerstand. Dann war er wieder frei, rutschte aber im selben Moment den Zaun wieder runter. Sofort sprang er wieder hoch und versuchte sich nach oben zu ziehen. Allerdings schwanden ihm allmählich die Kräfte. Alles kam ihm jetzt unendlich langsam und mühsam vor, als würde er am Boden festkleben. Dieses Gefühl der Panik dauerte aber nur ein bis zwei Sekunden, dann hatten sie ihn. Es waren nun schon drei Wachtmeister und er mit Handschellen. Sinan gab auf.