|41|Kriminaloberkommissar Konrad

Kriminaloberkommissar Konrad knipste die Lampe auf seinem Schreibtisch an und seufzte. Draußen brach bereits die Dämmerung herein. Seine Frau und sein dreijähriger Sohn Lukas würden keinen Freudensalto hinlegen, wenn er wieder so spät nach Hause kam. Häufig sah er seinen Sohn abends nur kurz eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen. Seit er ins Raubdezernat gewechselt war, gab es zu Hause ständig Streit. Seine Frau konnte nicht verstehen, warum er bei gleicher Besoldung in ein Dezernat wechselte, wo derart viel zu tun war. Zudem wurden die Überstunden nicht bezahlt und abbummeln ging eigentlich nicht. Doch Konrad fühlte sich geehrt, als man ihm die Stelle anbot. Er wusste, dass man ihn ausgesucht hatte, weil er bei seinen Ermittlungen Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit an den Tag legte. Tugenden, die im Raubdezernat gefragt waren. Er hatte hier gewisse Freiheiten, trug aber auch eine entsprechende Verantwortung. Früher stand das Raubdezernat bei vielen Kollegen hoch im Kurs. Das hatte jedoch nachgelassen. Aufgrund der schwierigen Haushaltslage verfügte das Dezernat nicht über die erforderlichen Stellen, und es war mit Fällen zugeschüttet. Es fiel hier für den einzelnen Ermittler viel Arbeit an und das meiste waren wirklich massive Straftaten.

Schwere Raubüberfälle gehören in Berlin fast zur Tagesordnung. |42|Wenn überhaupt, gibt es dazu eine kleine Meldung auf den hinteren Seiten der Regionalzeitungen. Das Interesse der Berliner Zeitungsleser hält sich in Grenzen. Man ist längst »abgehärtet«. Anders sieht es aus, wenn bei einem Raubüberfall Tote zu beklagen sind. Die Zuständigkeit liegt dann allerdings bei der Mordkommission, die schon vom Personalschlüssel her über ganz andere Möglichkeiten verfügt. Konrad wusste aber, dass auch Raubüberfälle schwere und bleibende Schäden hinterlassen und dass manche Opfer dabei innerlich ein Stück weit sterben. Viele können sich nach dem Überfall nicht mehr frei in der anonymen Öffentlichkeit bewegen. Sie fühlen sich nur noch zu Hause sicher, beim Kontakt mit anderen Menschen plagen sie oft Angstgefühle. Das führt zu Abschottung und Vereinsamung.

Es war klar, dass das Raubdezernat schwere Raubüberfälle nicht verhindern konnte. Doch Konrad ärgerte es, dass sich so wenige dieser Taten aufklären ließen. Jedes Mal, wenn er eine Ermittlungsakte zuklappte und zur Staatsanwaltschaft zwecks Einstellung zurücksandte, fühlte er sich irgendwie schuldig. So wie jetzt, bei diesem Raubüberfall auf den kleinen Laden von Erika und Werner L. Kopfschüttelnd ging er nochmals die Akte durch. Keine brauchbaren Täterbeschreibungen und keine verwertbaren Spuren am Tatort. Sie hatten die Mieter der Nachbarhäuser abgeklappert, in den umliegenden Geschäften Zettel ausgehängt und eine kleine Belohnung ausgelobt. Sogar eine Anzeige hatten sie im Lokalteil zweier Berliner Zeitungen geschaltet. Neue Ermittlungsansätze gab es dadurch nicht. Selbst in den Masken wurden keine ausreichenden Spuren für eine Überprüfung gefunden. Er hatte nichts! Irgendwie roch die Sache nach Serientätern. Tatort und Verhalten der Opfer waren vorher |43|ausgekundschaftet worden. Bei Anfängern hätte der Widerstand der Ladenbesitzer zu mehr erkennbarer Nervosität und Fehlhandlungen geführt. Die Täter waren vielleicht nicht eiskalt, aber schon ganz schön abgebrüht. Sie hielten sich an ihren Plan, in dem auch Fluchtrouten festgelegt waren. Diese Erkenntnisse nutzten ihm jedoch nicht viel. Es gab zu viele Raubüberfälle, die ähnlich abliefen. Er unterschrieb seinen Abschlussbericht und klappte die Akte zu. Der Fall war erledigt. Jetzt konnte nur noch ein Wunder helfen, aber das hier war ja kein Kriminalroman.