33

Bones stand in nichts als einer locker sitzenden schwarzen Hose vor mir. Ich versuchte, meine Panik zu unterdrücken, aber wie ich mich auch abmühte, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen, der widerlich saure Geruch, der von mir ausging, verriet mich.

Bones drückte mir die Hände. Seine waren von seiner letzten Mahlzeit noch ganz warm. Im Vergleich dazu waren meine eisig.

»Hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre Gregor gestern vielleicht in den Flammen umgekommen«, stellte ich fest. Was ich jetzt sagen musste, gefiel mir gar nicht. »Warum hast du mich gebissen, als du mit mir weggeflogen bist? Hättest du mir nicht so viel Blut ausgesaugt, hättest du dir das heute vielleicht ersparen können.«

Bones stieß ein bitteres Lachen aus. »Durchaus, aber nicht so, wie du denkst. Du hast mich auch angesengt, als ich dich festgehalten habe, Kätzchen. Da konnte ich mich nur rösten lassen oder zubeißen und hoffen, dass der Blutverlust und die Kraft der Sonne die Flammen zum Verlöschen bringen würden, sonst hätte ich dich fallen lassen müssen. Jetzt noch Kritik an meiner Entscheidung?«

Ich hatte Bones auch versengt?

»Hoffentlich verschwindet diese Fähigkeit wieder«, sagte ich, und das meinte ich ernst.

Er zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Die Energie, die Vampire aus menschlichem Blut beziehen, hält nur ein paar Tage vor, dann müssen sie wieder Blut saugen, um Kraft zu tanken. So könnte es bei dir auch sein, und ich lege keinen Wert darauf, dass du Tepesch noch mal beißt, um deine pyrokinetischen Kräfte aufzufrischen.«

»Nie wieder«, versprach ich und schauderte bei dem Gedanken an die Schmerzen, die ich Bones zugefügt hatte. Wer wollte schon über solche Macht verfügten, wenn er sie nicht kontrollieren konnte und seinen Lieben damit schadete?

Ohne anzuklopfen trat Spade ein. »Es ist Zeit«, verkündete er. Seine Miene war kühl und undurchdringlich, obwohl ich wusste, dass er genauso aufgewühlt war wie ich.

Bones’ dunkelbraune Augen blickten in meine. Er schenkte mir ein Lächeln, das ich nicht hätte erwidern können, wenn mein Leben davon abgehangen hätte. Seine Energie strich über mich hinweg wie eine Liebkosung. Ich konnte fühlen, wie sie sanft meine Angst zurückdrängte, sich mit meinem Unterbewusstsein verflocht und die Verbindung zwischen uns noch enger werden ließ.

»Keine Bange, Süße«, flüsterte Bones. »Bald ist alles vorbei, und Gregor ist tot.«

Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, ob ich sprechen konnte. O Gott, hätte ich mit Bones tauschen können, hätte ich es getan. Auf der Stelle.

»Ich würde dich ja bitten hierzubleiben«, fuhr Bones fort, »aber du würdest dich ja doch weigern.«

Ich konnte mein Schnauben nicht unterdrücken. »Worauf du dich verlassen kannst, wie du immer so schön sagst.« Was auch geschah, ich konnte mich unmöglich irgendwo verkriechen, während Bones mit Gregor in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt war. »Aber um mich brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Konzentrier du dich auf Gregor. Ich komme schon klar.«

»Oh, Gregor wird meine ungeteilte Aufmerksamkeit haben, Kätzchen«, antwortete Bones grimmig. »Verlass dich drauf.«

Ich wollte Bones sagen, dass er das alles nicht tun musste, dass wir eine andere Lösung finden würden, aber mir war klar, dass meine Mühe vergeblich gewesen wäre. Bones wäre diesem Kampf niemals ausgewichen, nicht einmal wenn Gregor aus heiterem Himmel versprochen hätte, uns in Ruhe zu lassen und meine Mutter urplötzlich Gefallen an ihrem Dasein als Vampirin gefunden hätte. Gregor hatte Rodney ermordet. Bones legte sich nicht nur um meinetwillen mit ihm an.

Mencheres erschien in der Tür, hinter ihm Ian. Da standen die beiden Vampire, der eine dunkelhaarig und exotisch, der andere mit rotbraunem Haar und klassisch gutem Aussehen. Beide waren an Bones’ Erschaffung beteiligt gewesen; Mencheres hatte Ian zum Vampir gemacht, und der hatte Bones verwandelt. So viele Ereignisse waren diesem Augenblick vorausgegangen.

Bones beugte sich vor und küsste mich, indem er seine Lippen nur ganz sacht über meine gleiten ließ. Als er den Kopf hob, fuhr ich ihm mit den Fingern über das Kinn und kämpfte gegen den Drang an, ihn zu packen und nie wieder loszulassen.

Der scharfe Geruch meiner Verzweiflung umgab mich. Bones legte mir die Hände auf die Schultern und drückte leicht zu.

»Das ist nicht das erste Mal, dass ich dem Tod gegenüberstehe, Kätzchen, und es wird auch nicht mein letztes Mal sein, dafür sorge ich schon. Ich lebe ein gefährliches Leben, aber so bin ich nun mal. Und du auch, und das wäre sogar so, wenn wir uns nie begegnet wären.«

Ich wusste, was er mir damit sagen wollte. Wenn ich sterbe, ist es nicht deine Schuld. Ja, es stimmte. Bones und ich hätten selbst dann ein gefährliches Leben geführt, wenn wir uns nie über den Weg gelaufen wären, aber im Grunde war es doch meine Schuld, wenn er heute umkam.

»Ich liebe dich.«

Mehr konnte ich im Augenblick nicht sagen. Alles andere hätte ihn nur aufgewühlt, und er brauchte all seine Konzentration, um Gregor schlagen zu können.

»Ich weiß«, flüsterte er. »Und ich liebe dich. Für immer.«

Und dann hatte er sich auch schon umgedreht und war zur Tür hinausgegangen.

 

Das Duell sollte auf der Wiese hinter Mencheres’ Haus stattfinden. Groß genug war sie jedenfalls. Hohe Bäume säumten das hektargroße Stück Land. Auf einer Fläche von der Größe eines Baseballfeldes war das Gras abgetragen worden, dort sollten Gregor und Bones sich gegenübertreten. Ich wusste nicht, wozu so viel Platz nötig war, aber es war ja auch das erste Mal, dass ich so etwas erlebte.

Gregor war schon da. Er stand neben seinem blonden Diener Lucius. Dass Lucius noch am Leben war, überraschte mich. Ich hatte geglaubt, er wäre unter den Vampiren gewesen, die Bones, Spade und Rodney im Haus umgebracht hatten. Ich fragte mich, warum Lucius gestern nicht bei Gregor gewesen war, der doch sonst dauernd in Begleitung seines Dieners auftauchte. Aber im Augenblick hatte ich wirklich größere Sorgen.

Gregor und Lucius waren nicht die einzigen Neuankömmlinge. So ein Duell war offenbar ein gesellschaftliches Großereignis. Mehrere mir unbekannte Meistervampire waren gekommen. Dazu, wie Mencheres mich informierte, Gregors Verbündete und noch einige Sippenmitglieder von Bones sowie vier Vampire, die mir als Gesetzeshüter vorgestellt wurden.

Eine der vier, eine große blonde Vampirin, knisterte nur so vor Energie, dass mir ganz mulmig wurde. Sie sah zwar nicht älter aus als achtzehn, ihrer Machtaura nach zu schließen, war sie aber bestimmt fünftausend Jahre alt, und auch ihre drei unparteiischen Kollegen waren Mega-Meister. Bones, Spade und ich hatten gegen das Gesetz verstoßen, indem wir meine Mutter befreit hatten. Rodney natürlich auch, aber der hatte sich jeglichem untoten Richterspruch entzogen. Vielleicht erwarteten uns andere aber noch Strafen.

Meine Mutter war natürlich auch anwesend. Ich hatte geglaubt, sie würde Gregor meiden, aber sie stand am äußersten Rand der Wiese und beobachtete ihn mit Augen, die glühten wie Straßenlaternen. Jeder in einem Umkreis von zehn Metern konnte den Zorn und den Hass riechen, die von ihr ausgingen. Ich wollte mir nicht vorstellen, was meine Mutter während ihrer Zeit bei Gregor alles durchgemacht hatte. Es machte mich so wütend, dass ich schon befürchtete, meine Hände würden wieder Funken schlagen.

Bones war mir aus dem Weg gegangen, seit er vor zwanzig Minuten das Zimmer verlassen hatte. Ich wusste, warum; er wollte seinen Kopf von allem freimachen, was nichts mit dem bevorstehenden Kampf zu tun hatte. Irgendwie blockte er sogar die Verbindung zwischen uns ab, die ich spürte, seit ich zur Vampirin geworden war. Jetzt kam nichts mehr von ihm bei mir an. Es war, als wäre eine Wand an die Stelle getreten, wo sonst sein Wesen sich an meinem Unterbewusstsein rieb. Ich fühlte mich unvollständig, als hätte ich einen Körperteil verloren. So oft schon hatte Bones mir von der Verbindung zwischen Vampiren und ihren Erschaffern erzählt. Aber erst jetzt, wo diese Verbindung gekappt war, begriff ich, wie tief sie wirklich ging.

Bones unterhielt sich am Rand des Kampfplatzes mit Spade. Ich konnte nicht hören, was sie sagten; entweder waren die Hintergrundgeräusche zu laut oder er sprach zu leise.

Das Mondlicht glitzerte auf Bones’ bleicher, schöner Haut, und sein dunkles Haar schien unter den Alabasterstrahlen zu leuchten. Ich konnte gar nicht aufhören, ihn anzusehen, während meine Nervosität immer größer wurde, je näher das Duell rückte. Bones darf heute Nacht nicht sterben. Er darf es einfach nicht. Das Schicksal konnte doch wohl nicht so grausam sein, Gregor nach all den schrecklichen Dingen, die er getan hatte, den Sieg zu schenken, oder? Hoffentlich nicht.

Jenseits der Fläche aus kalter roter Erde sah ich einen vertrauten dunklen Schopf zwischen den wartenden Zuschauern. Vlad.

Er sah mich an, ging aber dann weiter in die entgegengesetzte Richtung davon. Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch, als Bones ihn zu sich winkte und die beiden Gesetzeshüter beiseitetraten, um ihn durchzulassen. Vlads Haar verdeckte sein Gesicht, als er sich vorbeugte und Bones zuhörte. Spades verschlossene Miene gab nichts preis, und hören konnte ich auch nichts. Frustriert konnte ich nur zusehen, wie Vlad ebenfalls unhörbar antwortete und Bones daraufhin kurz nickte. Dann entfernte sich Vlad, diesmal kam er auf mich zu.

»Was hat er gesagt?«, waren die ersten Worte, die ich an ihn richtete, als er bei mir angekommen war.

Vlad zuckte mit den Schultern. »Was man eben so sagt.«

Mich überlief es eiskalt. Wie ich Bones kannte, hatte er Vlad gebeten, sich um mich zu kümmern, falls Gregor ihn umbrachte. Er konnte Vlad zwar nicht ausstehen, aber so etwas wäre typisch für ihn. Ließ er nur Vorsicht walten, oder war ihm klar, dass er gegen Gregor keine Chance hatte? Gott, hatte Bones sich auf dieses Duell in dem Wissen eingelassen, dass er es nicht überleben würde, und trotzdem nicht klein beigeben wollen?

Ich wollte schon zu Bones rennen und ihn bitten, alles abzublasen, da trat die blonde Gesetzeshüterin auf den Kampfplatz. »Das Duell beginnt jetzt. Wie vereinbart endet es erst mit dem Tod eines der Kontrahenten. Wer sich einmischt, hat sein Leben verwirkt.«

Mencheres packte meine Hand. »Es ist zu spät, um es abzublasen«, sagte er mit sanfter Stimme, als ahnte er, was ich vorgehabt hatte. »Wenn du dich jetzt einmischst, stirbst du.«

Aus Gewohnheit schluckte ich, aber mein Mund war staubtrocken. Vlad legte mir die Hand auf die Schulter, als Bones, gefolgt von Spade, den Kampfplatz betrat. Gregor und Lucius taten es ihnen nach. Ich begriff nicht, was das sollte, bis Spade und Lucius ihrem Freund beziehungsweise Meister jeweils ein Messer übergaben und sich dann an den Rand des unregelmäßigen Runds zurückzogen. Sekundanten, dachte ich. Lucius und Spade hatten jeder nur drei Messer bei sich gehabt, und jetzt hatten sie eins weggegeben. Es würde keine neuen Waffen geben, wenn die alten aufgebraucht waren.

Ich musste wieder schlucken.

Nun verließ auch die Gesetzeshüterin den Kampfplatz. Allein Gregor und Bones standen sich jetzt noch darauf gegenüber. Nur drei Meter trennten sie voneinander. Ihre Augen leuchteten grün, die Fänge hatten sie ausgefahren, Macht entströmte ihnen, bis die Atmosphäre sich drückend und wie elektrisch aufgeladen anfühlte. Meine Anspannung war so groß, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste zerspringen, als die Gesetzeshüterin »Fangt an« sagte.

Fliegend stoben Bones und Gregor aufeinander zu und prallten etwa einen Meter über dem Boden aufeinander. Einen Augenblick lang konnte ich in dem wilden Gewirbel aus bleichen Körpern nicht erkennen, wer wer war, weil Gregor ebenfalls kein Hemd trug. Dann trennten sie sich wieder, beide mit verheilenden, rot klaffenden Schnittwunden am Körper.

Trotz meiner Wut auf ihn ergriff ich Mencheres’ Hand und spürte, wie er meine ebenfalls drückte. Aus dem Augenwinkel sah ich Annette, die mit bleichem Gesicht bei Ian stand. Auch Ians Miene war verkniffen. Wieder bekam ich es mit der Angst zu tun. Glaubten sie, Bones würde sterben? Hatten alle außer mir das gewusst?

Wieder gingen Gregor und Bones wie wild aufeinander los. Diesmal konnte ich sehen, wie Silber in Fleisch eindrang, im Mondlicht blitzte, bevor es rot wieder zum Vorschein kam, während sie sich gegenseitig attackierten. Von beiden hörte man allerdings keinen Laut. Auch von den Zuschauern nicht. Die Stille war schwerer zu ertragen als Geschrei.

Bones rollte sich weg, als Gregor auf sein Herz zielte. Ein Stück entfernt rappelte er sich dreckverschmiert wieder auf. Und da warf er auch schon sein Messer, das sich bis zum Heft in Gregors Brust bohrte – doch Gregor hatte bereits sein eigenes Messer in Bones rechtes Auge versenkt.

Ich unterdrückte meinen Aufschrei, aus Angst, das kleinste Geräusch könnte eine tödliche Ablenkung für Bones darstellen. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog er sich das Messer aus der Augenhöhle und wehrte Gregor ab, der sich ebenfalls das Messer aus der Brust gezogen hatte und nun mit unglaublicher Geschwindigkeit auf Bones zustürzte. Wäre ich keine Vampirin gewesen, hätte ich beim Anblick der klebrigen roten Masse an Bones’ Messer laut geschrien. Bones aber kämpfte unablässig weiter, während sein fehlendes Auge langsam nachwuchs.

Gregor täuschte einen Hieb mit der Linken an und duckte sich dann so schnell unter Bones durch, dass ich erst merkte, was er getan hatte, als Bones sich vor Schmerzen krümmte. Gregors Messer steckte weit oben in seinem Rücken. Gregor bellte Lucius einen Befehl zu, fing das Silbermesser auf, das sein Diener ihm zuwarf und ging dann auf Bones los, der noch versuchte, sich das Messer aus dem Rücken zu ziehen. Wobei er unmöglich gleichzeitig Gregors neuerliche Attacke abwehren konnte.

Gregor bewegte sich immer schneller, plötzlich schien er mit vier statt mit zwei Armen auf Bones einzustechen, fügte ihm immer neue Wunden zu, während der versuchte, seine Brust vor der blitzenden Silberklinge zu schützen. Gregor hat sich bis jetzt zurückgehalten, dachte ich, während Entsetzen und Panik in mir aufstiegen. Er war sogar noch schneller, als es zuerst den Anschein gehabt hatte.

Bones wurde zurückgedrängt, das Heft des ersten Messers ragte noch zwischen seinen Schulterblättern hervor, während Gregor ihn immer heftiger bedrängte. Das Einzige, was man hörte, war das Schlagen von Silber auf Silber, und die entsetzlichen Geräusche, die entstanden, wenn Fleisch und Knochen zertrennt wurden … bis jenes langsame, dumpfe Pochen in meiner Brust wieder einsetzte.

Mencheres drückte meine Hand so fest, dass es schon schmerzhaft war, aber ich konnte mein Herz nicht vom Schlagen abhalten. Jeder neue Stoß oder Hieb, jeder neue glitzernde karmesinrote Spritzer, schien das Tempo in meiner Brust zu steigern. Gemurmel erhob sich in der Menge, größtenteils von den Neulingen, während mein Herz immer regelmäßiger und lauter schlug.

Gregor warf mir einen Blick zu … und Bones stürzte sich auf ihn, rammte seinen Schädel gegen Gregors Kinn, stieß Gregor das Messer in die Brust und riss es brutal nach oben, dass es ihm die Rippen durchtrennte. Gregor heulte auf, wich aber schnell genug zurück, um verhindern zu können, dass Bones ihm die Brust noch weiter aufschlitzte. Er zog Bones die Füße weg und stürzte sich auf ihn, ohne sich darum zu kümmern, dass ihm das Messer dadurch noch tiefer in den Brustkorb eindrang.

Ich begriff nicht, warum er das tat, bis ich Bones keuchen hörte und sein schmerzverzerrtes Gesicht sah. Das Messer in seinem Rücken. Das Gewicht der beiden Männer zusammen hatte es ihm durch den gesamten Körper getrieben, die Silberspitze schaute ihm aus der Brust, gefährlich nah am Herzen. Als Bones sich aufbäumte, Gregor abwarf und dann herumwirbelte, um Gregors nächsten Angriff abzuwehren, sah ich, dass das Heft des Messers ganz in seinen Rücken eingedrungen war. Jetzt kann er es sich nicht mehr herausziehen, dachte ich, während das Trommeln in meiner Brust immer stärker wurde. Wie sollte Bones Gregor schlagen können, wenn ihn das Silber von innen verbrannte? Wenn jeder Stoß und jeder Schlag die Klinge näher an sein Herz rücken ließen?

Aber Bones kämpfte mit einer Schnelligkeit und Leidenschaft weiter, die so gar nicht zu seinem Zustand passen wollten. Er drängte Gregor zurück, brachte ihn mit einer blitzschnellen Bewegung ins Stolpern, zerfetzte ihm mit einem waagerechten Hieb die Augen, als der versuchte, sein Herz zu schützen. Und dann ließ er auch schon wieder von Gregor ab, wich dem Messer aus, das Gregor ihm in den Rücken stoßen wollte, und trat ihm Sand ins Gesicht, um ihn vollends blind zu machen. Als Gregor den Arm hob, um sich zu schützen, versetzte Bones ihm einen so brutalen Hieb, dass die Gliedmaße abgetrennt zu Boden fiel.

Ich riss mich von Mencheres los und verschränkte die Hände, inständig betend, dass Gregor erledigt wäre. Doch der wich dem Messer aus, das Bones auf ihn herabsausen ließ, machte einen Luftsprung und rief Lucius zu, er solle ihm das dritte und letzte Messer zuwerfen. Gregors Augen waren offenbar so weit geheilt, dass er das blitzende Silber am Nachthimmel erkennen konnte, als Lucius ihm das Messer in so hohem Bogen zuwarf, dass er sich strecken musste, um es zu fassen zu bekommen.

Bones prallte mitten im Sprung mit ihm zusammen. Das Messer, das er Gregor in die Brust hatte stoßen wollen, bohrte sich in Gregors Magen, als Gregor ihn mit einem Schlag nach unten abwehrte. Bones riss sein Messer seitwärts, besudelte sich mit roter Pampe. Die beiden stürzten, Bones drehte sich so, dass er mit den Füßen aufkam, Gregor ging wie ein nasser Sack zu Boden, mit den Händen seine klaffende Bauchwunde bedeckend.

Als Bones auf Gregor losging und der Traumräuber keine Verteidigungsversuche unternahm, spürte ich kurz ein triumphales Hochgefühl in mir aufkommen. Aber noch während Bones’ Messer sich auf Gregors ungeschützten Rücken herabsenkte, auf die Stelle, an der sein Herz sein musste, sah ich Gregors Faust vorschnellen, das Messer, das sie hielt, bohrte sich Bones tief in den Magen.

Schmerz erfüllte mein Unterbewusstsein, als die Mauer, die Bones zwischen uns errichtet hatte, einstürzte und seine Gefühle zu mir durchbrachen. Ich spürte die Qualen, die das Silber in Rücken und Bauch ihm bereiteten. Wobei die Bauchwunde viel heißer brannte, sodass selbst ich mir instinktiv den Bauch hielt. Wenn das nur ein Teil dessen war, was Bones spürte, dann musste sich der Schmerz für ihn wie kochende Säure anfühlen.

Das Messer in Bones’ Hand schlingerte und rutschte über Gregors Rücken, statt sich in das Herz seines Gegners zu bohren. Entsetzt beobachtete ich, wie Bones rückwärtstaumelte und mit der Hand nach dem Messer griff, das ihm noch im Bauch steckte. Er zog es aus der Wunde, während Gregor aufstand, sein Arm und die Bauchverletzung, die ihm zuvor so zugesetzt hatte, waren verheilt. Bones wich mit unsicheren Schritten immer weiter zurück. Ich konnte meinen Aufschrei nicht unterdrücken, als Gregor Bones das Messer aus der Hand riss, und ihm einen so heftigen Fußtritt versetzte, dass er stürzte und auf dem Rücken liegen blieb.

Die Wut und der Schmerz, die mich dann überkamen, waren so tief mit meinen Emotionen verwoben, dass ich nicht wusste, ob sie von mir oder von Bones kamen. Obwohl ihm das Silbermesser nicht mehr im Bauch steckte, ließen seine Schmerzen nicht nach. Ich spürte, wie sie mit lähmender Intensität immer stärker wurden, in Wellen über mich hereinbrachen, bis nur der Arm, den Vlad mir um die Schultern gelegt hatte, mich noch aufrecht hielt.

Da stimmte etwas nicht. Die Schmerzen sollten nicht schlimmer werden; das Silber war draußen. Warum konnte er sich nicht bewegen? Steh auf, brüllte ich innerlich. Steh auf!

Bumm. Bumm. Mein Herz donnerte in meiner Brust, als Gregor sich mit vollem Körpereinsatz auf den unbewaffneten Bones stürzte. Vage hörte ich Annette schluchzen, spürte, wie Vlads Hand meine Schulter fester packte, aber alles außer den beiden Gestalten auf dem kalten Erdboden schien in den Hintergrund zu treten.

Wie in Zeitlupe sah ich Gregor das Messer heben. Wie er sich mit den Knien auf Bones Arme fallen ließ, ihn niederhielt, während Bones versuchte, ihn abzuwerfen. Beobachtete, wie das Messer sich auf Bones’ blutverschmierte Brust herabsenkte. Spürte Bones’ Verzweiflung, bitter wie Gift. Sah Gregors leuchtenden Smaragdblick durch die Menge schweifen, bis er mich gefunden hatte. Und dann lächelte Gregor.

Es war das gleiche Lächeln, mit dem er mich nach Rodneys Ermordung bedacht hatte. Befriedigt. Triumphierend. Mitleidlos. Gregors Klinge berührte Bones’ Brust, grub sich ihm in die Haut, und sein Lächeln wurde breiter.

Alles um mich herum wurde rot, und ein einziger Gedanke ergriff von meinem Körper Besitz. Nein.

Flammen erfassten Gregor so schnell, dass sie ihn eingehüllt hatten, bevor sich sein Lächeln verflüchtigen konnte. Ein Augenblick blieb mir Zeit, um zurückzulächeln … und dann barst Gregors Schädel. Seine Hände umklammerten noch das Heft des Messers in Bones’ Brust, aber dann kippte sein Körper zur Seite. Wo einst sein Kopf gewesen war, gab es jetzt nur noch Flammen.

Neben mir stieß Vlad einen entsetzten Fluch aus. Und da erst wurde mir bewusst, dass aller Augen auf mich gerichtet und meine Hände in blaues Feuer gehüllt waren.

»Sie muss sterben«, verkündete die Gesetzeshüterin.