16

Seine Augen waren das Erste, was ich sah: graugrün und smaragdfarben leuchtend. Dann sein Gesicht, verschwommen aber erkennbar, Züge, die mit jedem Augenblick deutlicher wurden. Schließlich sein Körper, und ich spürte, dass er mich in den Armen hielt, so fest, als hätte ich ihn nie verlassen. In den bruchstückhaften Augenblicken, in denen ich das Bewusstsein wiedererlangte, kam es mir auch vor, als wäre es nicht geschehen.

»Gregor«, hauchte ich, benommen von der Flut der Erinnerungen.

»Ja, chérie«, flüsterte er. »Wir sind wieder zusammen.«

Seine Lippen legten sich auf meine. Erleichterung überkam mich, und ich schlang die Arme um ihn, erwiderte seinen Kuss. Noch während er mich fester an sich drückte und ich schaudernd an die letzten schrecklichen Augenblicke dachte, in denen Gregor kurz vor dem Tod gestanden hatte, erinnerte ich mich an mein übriges Leben.

Bones.

Meine Gefühle für Gregor waren wie weggefegt. Die Erinnerungen an ihn hatten zwar bis zu meinem Herzen vordringen können, aber das war schon von Bones besetzt.

Ich entzog mich Gregors Kuss, indem ich mich abwandte. »Nein.«

Sein ganzer Körper erstarrte. »Nein?«

Ich versetzte ihm einen entschlossenen Stoß gegen die Schulter. »Nein.«

Er zog die Brauen zusammen, die Narbe dehnte sich drohend, und die nächsten Worte stieß er als ungläubiges Bellen aus.

»Du weist mich zurück

Instinktiv fuhr ich auf seine zornige Reaktion hin zusammen. Gregor wertete das als Zeichen der Kapitulation und drückte mich wieder in die Kissen. Ich hatte mich aufgesetzt, als die Reise in die Vergangenheit begonnen hatte, aber irgendwann hatte er die Bettdecke von mir gestreift und sich ganz lässig auf mich gelegt.

Er wollte gerade wieder anfangen, mich zu küssen, da stach ich zu. Ich mochte ihn vielleicht, aber so weit würde ich nicht gehen. Dummerweise hatte Gregor vergessen, dass ich noch das Messer hatte.

»Ich werde dir jetzt mal was sagen, das dir in den letzten paar hundert Jahren vielleicht entgangen ist: Nein bedeutet Nein. Ich schlage vor, du verhältst dich jetzt ganz ruhig, Gregor.«

Das Silbermesser – wie ich jetzt wusste, dasselbe, das er bei unserer Hochzeitszeremonie benutzt hatte – steckte in seinem Rücken. Meine Hand hielt den verzierten Griff fester als jede Waffe zuvor. Ich würde Bones keinesfalls mit Gregor betrügen, selbst wenn ich irgendwo tief in mir noch Gefühle für ihn hegte.

Das Messer hatte Gregors Herz nicht durchbohrt, war aber dicht dran. Er spürte es offensichtlich, denn er erstarrte.

»Ma femme, warum tust du mir das an?«, wandte er sich jetzt in sehr viel sanfterem Tonfall an mich. »Wenn du wirklich nicht den Akt mit mir vollziehen willst, werde ich dich natürlich nicht zwingen.«

»Natürlich?«, schnaubte ich. »Hast du etwa geglaubt, ich würde mich nur an bestimmte Dinge erinnern? Das Messer bleibt, wo es ist.«

»Du warst in deiner Unschuld unnötig ängstlich, jeder Mann hätte so gehandelt«, stammelte er.

»Schwachsinn. Du hast nicht wie jeder Mann gehandelt. Du hast getan, was du wolltest, wie immer. Ich will dir nicht wehtun, Gregor, aber ich vertraue dir nicht genug, um das Messer herauszuziehen, also kommen wir zu unserem Deal. Ich habe mich an alles erinnert, genau wie du es wolltest … und jetzt will ich gehen.«

Gregor machte ein schockiertes Gesicht. »Zurück zu diesem Mordgesellen?«, fauchte er. »Du willst wieder zu Bones, diesem Schurken, der dich zu dieser … dieser Gevatterin Tod gemacht hat?«

Er spie mir den Namen entgegen, als wäre er die schlimmste aller Beleidigungen. Nicht im Mindesten beleidigt lachte ich auf.

»Bones hat mich zu gar nichts gemacht. Als wir uns kennenlernten, hatte ich schon sechzehn Vampire auf dem Gewissen. Bones hat mich nur besser ausgebildet, und seine Hure war ich auch nie. In dieser Beziehung bist du viel schlimmer als ich; mit wie vielen Weibern bist du denn schon ins Bett gestiegen?«

Er warf mir einen empörten Blick zu. »Ich bin ein Mann. Das ist ein Unterschied.«

»Noch ein Grund, warum das mit uns beiden nie funktioniert hätte, Bones hin oder her«, murmelte ich. »Ruf Lucius, sag ihm, dass er herkommen soll. Es würde mir zwar eine Menge Ärger ersparen, aber ich will dich nicht umbringen, Gregor. Wenn du allerdings irgendwelche Mätzchen machst, werde ich das Notwendige tun, und wir wissen beide, was das ist.«

Ich hätte Gregor umbringen sollen, als das Messer in seinem Rücken steckte. Meine Erinnerungen bestätigten, dass er mich angelogen, manipuliert und in die Ehefalle gelockt hatte. Außerdem stellte er eine Bedrohung für Bones und mich dar, weil er Zurückweisungen nicht akzeptierte. Aber erstens konnte ich Gregor schlecht umbringen, weil ich in meiner Verfassung nicht gegen seine Leute angekommen wäre – Gregor hatte bestimmt nicht nur Lucius bei sich. Zweitens hatten wir ein Abkommen getroffen, in dem ein Mord an ihm nicht vorgesehen war.

Und drittens konnte das, was von der verliebten Sechzehnjährigen in mir noch übrig war, den Gedanken, Gregor zu töten, nicht ertragen, auch wenn die erwachsene Frau, die ich war, sehr wohl wusste, dass er es nicht besser verdient hatte. Was jedoch nicht bedeutete, dass ich ihm gleich das Messer aus dem Rücken zog. Sollte Gregor versuchen, ein falsches Spiel zu spielen, würde ich nicht davor zurückschrecken, ihm den Todesstoß zu versetzen.

Gregor funkelte mich an. Ich zuckte nicht mit der Wimper. Das war nicht die Catherine, die er kannte. Ich war Cat, und mich hatte er noch nicht kennengelernt.

»Lucius«, brüllte er schließlich. »Komm sofort her!«

Ein paar Augenblicke später ging die Tür auf. Lucius blieb wie angewurzelt stehen, als er Gregor nackt mit einem Messer im Rücken auf mir liegen sah.

»Herr?«, begann er. »Was …?«

»Hör gut zu, Lucius.« Ich wandte den Blick nicht von Gregor ab; den anderen Vampir sah ich nur aus dem Augenwinkel. »Du suchst dir jetzt ein Telefon mit Freisprechfunktion und bringst es hierher. Sofort. Wenn du irgendwelche Mätzchen machst, bist du der Nächste, der stirbt, mein Alter. Kapiert? «

»Monsieur?«

»Tu es«, befahl Gregor aalglatt. Er hatte seine Fassung wiedergewonnen. »Schließlich habe ich meiner Frau ein Versprechen gegeben.«

Ich kräuselte die Lippen, als er die beiden Worte betonte, aber über dieses Thema würden wir uns ein andermal unterhalten.

»Schön zu wissen, dass du Wort halten willst. Mit ein bisschen Glück bist du das Messer in ein paar Stunden los.«

»Stunden?« Ungläubig runzelte er die Stirn.

»Du sagtest, wir sind in Österreich«, antwortete ich nachdenklich. »Wenn er sich bereit erklärt herzukommen, wird er ein paar Stunden brauchen. Sobald er da ist, entferne ich das Messer.«

»Du willst Bones anrufen?« Bei der Frage trat ein Leuchten in Gregors Augen, das mich daran erinnerte, wie gefährlich er war. Hättest du wohl gern. Wäre ja auch die perfekte Falle.

»Im Traum«, sagte ich. »Aber nein. Ich meinte jemand anderen. «

 

Vlad Tepesch verkniff sich sein Lachen nicht, als er ins Zimmer kam. Es schüttelte ihn so, dass er sich kurz am Türrahmen abstützen musste.

»Also dafür hat sich die Reise wirklich gelohnt«, kicherte er, ein rosiges Glitzern im Auge. »Wie geht’s denn so, Gregor? Weißt wohl nicht mehr, was sich gehört, hm? Hätte ich gewusst, dass du so in der Patsche sitzt, hätte ich mir vielleicht … noch etwas länger Zeit gelassen.«

Ich hatte ein Laken zwischen uns gezwängt und Gregor dazu das Becken anheben lassen. Der Rest von ihm hatte allerdings an Ort und Stelle bleiben müssen, damit das Messer nicht verrutschte. So reckte Gregor also das Hinterteil in die Luft, während sein Gesicht nach wie vor dicht über meinem schwebte. Ich wollte nicht, dass es lustig aussah. Ich war bloß praktisch veranlagt.

»Danke, dass du gekommen bist, Vlad. Mein Arm schläft allmählich ein.«

Ich hatte Vlad erst im letzten Jahr während dieses schrecklichen Krieges kennengelernt, aber er war vertrauenswürdig. Er hatte mir sogar das Leben gerettet, und obwohl ich ihn länger nicht gesehen hatte, war ich zu Recht der Meinung gewesen, dass er kommen würde, wenn ich ihn darum bat. Mir war auch kein anderer Vampir in Europa eingefallen, der so stark und gefürchtet war, dass Gregor sich kein falsches Spiel mit ihm erlauben würde. Draculas blutrünstiges Image war immerhin nicht nur während seiner Zeit als berüchtigter Wallachenfürst entstanden.

»Okay, Gregor, ich ziehe jetzt schön langsam das Messer raus. Wenn ich fertig bin, steigst du von mir runter. Keine Tricks.«

Gregor warf einen Blick in Richtung Vlad, der ihn mordlüstern angrinste. Dann nickte er.

Ich seufzte erleichtert und fing an, ihm das Messer aus dem Rücken zu ziehen. Als das Silber entfernt war, stieg Gregor aus dem Bett. Einen Augenblick lang stand er über mir. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er noch immer nicht glauben konnte, was gerade geschehen war.

»Ich lasse dich gehen, weil ich es dir versprochen habe, aber du bist nach wie vor an mich gebunden, Catherine. Du hast noch ein paar Tage, um deine Angelegenheiten zu regeln, aber dann musst du zu mir zurückkommen.«

»Klamotten«, drängte ich Vlad, ohne auf Gregor einzugehen. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was ich gegen meine Verbindung mit Gregor unternehmen sollte. Es war offensichtlich, dass er nicht aufgeben würde, nur weil ich, meinen wiedererlangten Erinnerungen zum Trotz, Bones noch immer den Vorzug gab. Glaubte Gregor allen Ernstes, ich würde innerhalb weniger Tage zur Besinnung kommen und zu ihm zurückkehren? Gott, der kannte mich wirklich schlecht.

»Jetzt hat sich der Ausflug in doppelter Hinsicht gelohnt«, bemerkte Vlad, während er mir ein langes Kleid reichte.

Ich setzte mich auf und zog es über. Vlad sabberte mich zwar nicht an, aber er war eben auch nur ein Mann. »Meine Brust hast du ja schon gesehen, der Rest dürfte dir also kaum die Schamesröte ins Gesicht treiben.«

»Wann hat er deine Brüste gesehen?«, zischte Gregor.

»Als eine Horde Zombies mir einen Großteil meines Arms und den BH abgekaut hatte«, blaffte ich.

Gregor ließ ein Schnauben hören. »Dorthin willst du zurück? So willst du leben? Denk nach, Catherine!«

»Hat sie es dir noch nicht gesagt?«, gurrte Vlad. »Sie will nicht mit diesem Namen angesprochen werden.«

Ich blieb neben Vlad in der Tür stehen. »Tschüss, Gregor. Belästige mich nicht weiter, weder persönlich noch in meinen Träumen.«

Etwas in Gregors Zügen verhärtete sich. Es besagte sehr deutlich, dass diese Angelegenheit noch nicht vorbei und Gregor nach wie vor hinter mir her war. Warum?, fragte ich mich. Konnte er nur aus gekränktem Stolz nicht akzeptieren, dass ich ihm einen anderen vorzog?

Vlad lächelte und rieb sich die Hände. Der Funkenregen, der dadurch entstand, war eine eindeutige Warnung.

»Du willst uns doch nicht etwa aufhalten, oder?«, fragte er mit sanfter Stimme.

Vlad konnte Leute durch bloße Berührung zu Asche verbrennen, selbst einen so mächtigen Vampir wie Gregor. Die meisten Leute hüteten sich also davor, Dracula zum Zündeln zu veranlassen.

»Das muss ich nicht«, antwortete Gregor mit einem Blick in meine Richtung. »Ich werde dir den wahren Bones zeigen. Dann wirst du mich um Vergebung anflehen.«

»Tschüss«, wiederholte ich. Mehr konnte ich zu diesem Thema nicht sagen.

Flankiert von Vlads vier Wachleuten verließen wir das große Anwesen. Niemand versuchte uns aufzuhalten. Haben die solche Angst vor dir?, fragte ich Vlad auf telepatischem Weg. Oder führt Gregor etwas im Schilde?

Wie Bones und Mencheres konnte auch Vlad Gedanken lesen. »Ja und nein«, antwortete er, sein dunkelbraunes Haar schwang bei jedem seiner ausladenden Schritte. »Gregor ist in einer schwachen Position. Er braucht neue Ghule.«

»Was?«

Diesmal hatte ich laut gesprochen. Vlad schenkte mir ein sardonisches Lächeln.

»Du hast Bones zum Äußersten getrieben. Es war klug von dir, ihn nicht herkommen zu lassen. Er wäre komplett ausgeflippt, wenn er Gregor nackt auf dir liegend vorgefunden hätte. Wie es aussieht, wird Bones auch so schon die Folgen seines Handelns zu spüren bekommen.«

»Am Telefon hast du mir gesagt, mit Bones wäre alles in Ordnung. Du hättest mit Spade gesprochen, und allen ginge es gut!«, platzte es aus mir heraus.

Vlad bedeutete mir, an Bord des wartenden Motorflugzeugs zu gehen; seine Männer taten es uns nach. Wir rollten über eine Wiese zu unserer Startposition. Gregors Anwesen war ziemlich abgelegen.

»Soweit ich aus dem Gespräch mit Spade weiß, hat Bones dich während des Angriffs weggesperrt, oder?«, fragte er mich und fuhr auf mein Nicken hin fort. »Irgendwann hat Gregor dich dann angerufen und dir angeboten, den Angriff abzublasen, wenn du zu ihm kommst, nicht wahr?«

Ich nickte wieder. »Cat, das war alles nur ein Trick. Bones’ Leute waren zahlenmäßig nicht unterlegen, und mir ist völlig schleierhaft, warum du das nicht wusstest. Bones hatte über hundert der abgebrühtesten untoten Söldner unter dem Haus versteckt, die nur darauf warteten, dass Gregors Leute frech wurden und ihren Angriff starteten. Als du bei Gregor ankamst, hatte Bones den Kampf bereits gewonnen.«

Ich war wie betäubt. Seid ihr komplett? Oder treiben sich hier noch mehr Leute rum?, hatte ich gefragt. Und dann die Antwort meiner Mutter, die man gleich wieder zum Schweigen gebracht hatte: Oh, noch eine ganze Menge.

»Scheiße«, flüsterte ich.

Eine Weile sagten wir beide nichts, dann zog Vlad sein Handy hervor.

»Ich hab sie«, verkündete er. »Ihr geht’s gut, und wir sind in der Luft.«

»Hast du Bones dran?« Mir drehte es vor Aufregung den Magen um. Er wird stinksauer auf mich sein.

»Ich spreche mit Spade«, antwortete Vlad, die Hand auf die Sprechmuschel gelegt. Dann: »Ja … Ich weiß … Nein, der Treibstoff ist ausreichend … Sie will mit Bones sprechen … hmhm, ziemlich. In drei Stunden sind wir da.«

Er legte auf, und ich sah ihn aus großen Augen an. »Ist er nicht da?«

Vlad klappte sein Handy zu und steckte es in die Manteltasche zurück. Er warf mir einen spöttischen Blick zu.

»Spade meinte, es wäre keine gute Idee, dich mit ihm sprechen zu lassen. Er wird wahrscheinlich die nächsten drei Stunden alle Hände voll damit zu tun haben, Bones zu beruhigen. «

»Er ist echt wütend, ich weiß, aber es sah aus, als würden sie alle getötet werden. Was hätte ich denn tun sollen?«

»Ihr habt beide eure Entscheidungen getroffen«, bemerkte Vlad. »Geschehen ist geschehen. Bones hat mich mit seiner Taktik wirklich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass er so clever ist, aber in den letzten Jahren hat er sich wirklich gemausert.«

»Wie das?« Ich hatte ein ungutes Gefühl, wenn ich an die unvermeidliche Konfrontation mit Bones dachte.

»Erstens hat er Söldner eingesetzt«, antwortete Vlad mit sardonischem Grinsen. »Sehr findig von ihm, aber die meisten von ihnen kannte er wohl noch aus seiner Zeit als Auftragskiller. Hätte er über hundert seiner stärksten Sippenmitglieder zusammengetrommelt, hätte Gregor die Falle gewittert. Aber Profikiller, die niemandem Rechenschaft schuldig sind? Wem fällt es schon auf, wenn die zuhauf verschwinden?«

»Bones war immer schon clever«, murmelte ich. »Seine Intelligenz lag nur unter einem Haufen Miezen begraben.«

Vlad lachte und wurde dann ernst. »Mag sein, aber jetzt zeigt er sich ganz von der harten Seite. Als du verschwunden warst, hat er jede Stunde einen von Gregors Ghulen geköpft und geschworen, sie würden alle dran glauben müssen, wenn er dich nicht zurückbekommt.«

»Was

Ich fuhr im Sitz hoch. Zugegeben, die Untoten hielten sich bei Auseinandersetzungen sonst auch nicht gerade an die Genfer Konvention, aber was den Umgang mit Kriegsgefangenen betraf, vertraten sie eine recht konsequente Haltung. Sie wurden in Geiselhaft genommen und später freigekauft. Oh, wenn es darum ging, Informationen aus ihnen herauszubekommen, entfaltete man auch durchaus Kreativität. Da man Untoten bis auf ein mentales Trauma keine bleibenden Schäden zufügen konnte, war das eben so. Aber nun hatte Bones seine Gefangenen kaltblütig abgeschlachtet? Ich war schockiert.

Vlad nicht. Er wirkte fast neugierig. »Wie gesagt, du hast ihn zum Äußersten getrieben, weshalb Gregor dich auch anstandslos hat gehen lassen. Andernfalls hätte er das nächste Mal Probleme bekommen, Leute zu finden, die für ihn kämpfen wollen. Aber genug davon. Du siehst nicht gut aus.«

Ich ließ ein bitteres Lachen hören. »Findest du? Mein Mann kann nicht ans Telefon kommen, weil er mit Köpfeabschlagen beschäftigt ist, und es kommt noch besser! Eigentlich ist er gar nicht mein …«

»Sprich es nicht aus«, fiel Vlad mir ins Wort. Sein Gesichtsausdruck wurde todernst.

»Es zu wissen, ist eine Sache, es laut auszusprechen, eine andere. Gregor will immer noch, dass du es öffentlich zugibst. Gönne ihm nicht diesen Sieg.«

»Wie stehst du zu der ganzen Angelegenheit?«, erkundigte ich mich ruhig.

Ich brachte ihn mehr als nur in Verlegenheit, aber ich konnte nicht anders. Ich wusste, dass Vlad mir offen und ehrlich seine Meinung sagen würde, egal wie sie ausfiel.

Er musterte mich. Vlad Tepesch war nicht im klassischen Sinne gut aussehend wie manche der Sahneschnitten, die in Filmen den Dracula gespielt hatten. Sein Gesicht war oval; die Lippen schmal, die Augen tiefliegend, die Stirn etwas breiter, und er trug einen kurzen Bart. Außerdem war er hager und gut einen Meter achtzig groß. Kein Schauspieler allerdings hatte Vlads Ausstrahlung. Was ihm an gutem Aussehen fehlte, machte er durch seine geradezu magnetische Anziehungskraft wieder wett.

Irgendwann ergriff er meine Hand. Seine eigenen Hände waren narbenübersät und als Quelle seiner pyrokinetischen Fähigkeiten gefährlicher als seine Reißzähne, doch Vlad jagte mir keine Angst ein. Das hätte zwar anders sein sollen, aber es war nicht so.

»Wie ich dir bereits gesagt habe, fühle ich mich dir verbunden. Es ist keine Liebe, keine erotische Anziehung, und ich würde mein Leben nicht für dich opfern, aber wenn du mich brauchst und ich dir helfen kann, so wie heute, bin ich für dich da. Egal auf welcher Seite du stehst.«

Ich drückte ihm die Hand und ließ sie dann los. »Danke.«

Er lehnte sich bequem im Sitz zurück. »Keine Ursache.«