Zwei

Spade klappte sein Handy zu und dachte über das Gespräch nach, das er gerade geführt hatte. Denise MacGregor. Er hatte nicht erwartet, je wieder etwas von ihr zu hören. Nun glaubte sie, ihr Cousin wäre von einer Art Werhund getötet worden … nur gab es keine Werhunde oder sonstigen Wertiere.

Vielleicht fand sich ja eine andere Erklärung. Denise hatte gesagt, sie wäre dem Angreifer mit Pfefferspray und Silbernitrat zu Leibe gerückt. Möglicherweise hatte sie ihn einfach nur verfehlt, möglicherweise aber auch nicht. War ihr Cousin von einem Vampir umgebracht worden, konnte der Denise glauben gemacht haben, er hätte sich in einen Hund verwandelt und wäre durch Silberspray nicht in die Flucht zu schlagen gewesen. Menschliche Erinnerungen ließen sich leicht manipulieren. In diesem Fall würde sich der Mörder aber sicher auch fragen, woher sie das mit dem Silber gewusst hatte, sodass er womöglich zu dem Schluss kam, er müsste mehr als falschen Zauber einsetzen, um sicherzustellen, dass Denise den Mund hielt. Das Risiko wollte Spade nicht eingehen.

Er warf seinem Bett einen sehnsüchtigen Blick zu. Die verheerende Lethargie, die mit dem Sonnenaufgang einherging, hatte er schon vor langer Zeit überwunden, was aber nicht bedeutete, dass er sich jetzt auf die Fahrt nach Texas freute. Na ja. So konnte er wenigstens dafür sorgen, dass Crispin und Cat nicht überstürzt aus Neuseeland aufbrechen mussten, um sich einer Sache anzunehmen, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur um den trauer- und stressbedingten emotionalen Zusammenbruch einer Sterblichen handelte.

Er dachte daran, wie Denise ihn nach ihrem letzten Treffen angesehen hatte. Ihre Kleidung war blutbespritzt gewesen, ihr Gesicht so elfenbeinblass wie Spades eigenes, und in ihren haselnussbraunen Augen hatte eine Mischung aus Angst und Abscheu gestanden.

Warum musstest du ihn umbringen?, hatte sie geflüstert.

Wegen ihrer Pläne, war Spades Antwort gewesen. Solche Menschen haben kein Recht weiterzuleben.

Sie hatte das nicht verstanden. Spade schon. Nur zu gut. Menschen zeigten Kriminellen gegenüber vielleicht mehr Nachsicht als Vampire, aber Spade war nicht so dumm, einem, und sei es auch nur potenziellen Vergewaltiger gegenüber, naive Milde walten zu lassen.

Auch was Denise zu ihm gesagt hatte, als er sie später vor ihrem Haus abgesetzt hatte, wusste er noch. Ich habe die Gewalt in eurer Welt so satt. Er hatte diesen Ausdruck schon auf vielen menschlichen Gesichtern gesehen, den müden Tonfall in ihrer Stimme gehört. Wäre Crispin durch die jüngsten Ereignisse nicht so beschäftigt gewesen, hätte er Cat erklärt, dass es das Barmherzigste wäre, Denises gesamte Erinnerung an Untote zu löschen. Vielleicht würde Spade das sogar selbst tun, falls Denise übergeschnappt war. Barmherzigkeit hin oder her, sollte Denise tatsächlich den Verstand verloren haben, wäre damit auch gleich eine potenzielle Gefahr gebannt.

Spade packte Kleidung für ein paar Tage ein und ging in die Garage hinunter. Am Steuer seines Porsche setzte er sich eine dunkle Sonnenbrille auf und öffnete per Fernbedienung das Garagentor. Die verdammte Sonne war schon aufgegangen. Er warf dem Himmelskörper einen hasserfüllten Blick zu und fuhr in die Dämmerung hinaus. Menschen. Sie waren zwar lecker, sonst aber meist eine Last.

 

Denise konnte kaum atmen. Sengender Schmerz schoss ihr von der Brust ausgehend in den Arm und den ganzen Körper. Sie sah Fünkchen stieben. Ich sterbe …

»Warum hast du mich mit Silbernitrat besprüht?«, hörte sie eine muntere Stimme fragen.

Die Hand, die auf ihrem Gesicht gelegen hatte, verschwand, und Denise konnte ein paarmal tief und schmerzhaft Atem holen. Das Brennen in ihrer Brust ließ ein wenig nach, und sie konnte wieder klar genug sehen, um zu erkennen, dass sie sich noch immer in ihrem Hausflur befand. Denise wollte den Mann wegstoßen, der sie festhielt, aber sie war zu schwach; nicht einmal die Hände konnte sie heben. Hätte der Fremde den Griff um ihre Taille gelockert, wäre sie zu Boden gegangen.

»Antworte.« Wieder verlieh wütender Schmerz seinem Befehl Nachdruck.

Denise schaffte es zu sprechen, obwohl das Engegefühl in ihrer Brust ihr das Atmen schwer machte. »Ich dachte, du wärst … ein Vampir.«

Der Fremde lachte. »Falsch. Und auch beleidigend, aber interessant. Was weißt du über Vampire?«

Ihre Pistole lag knapp zwei Meter entfernt auf dem Tisch. Denise ließ sich in den Armen des Fremden zusammensacken, hoffte, er würde sie loslassen. Vielleicht könnte sie dann ihre Pistole erreichen.

»Antworte«, befahl der Fremde erneut, wobei er sie mit einem Ruck zu sich umdrehte. Seine Augen glommen rot, aber abgesehen davon – und dem Geruch, der von ihm ausging, als hätte er gerade irgendetwas in Brand gesteckt – sah er aus wie ein Collegestudent. Sein Haar war von hellerem Braun als das ihre und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Mit seiner weiten Jeans und dem Batik-T-Shirt hätte man ihn für einen Junghippie halten können.

Aber er war kein Mensch. Rote Augen. Er war kein Ghul und auch kein Vampir, aber was dann?

»Ich weiß, dass es Vampire gibt«, keuchte Denise, der das Atmen jetzt, als der rasende Schmerz in ihrer Brust sich zu einem Pochen abgeschwächt hatte, ein wenig leichter fiel.

»Jeder Gruftie kann sich Silberspray an den Schlüsselbund hängen und an Vampire glauben«, stellte der Mann geringschätzig fest. »Du musst dir schon was Besseres einfallen lassen.«

Erneut wurden seine Worte von einer Schmerzattacke untermalt, die Denise fast vornüberkippen ließ. Als sie unter Qualen wieder sehen konnte, lächelte der Mann. Denise stellte sich vor, dass das Gesicht dieses Monsters das Letzte gewesen war, was ihre drei Verwandten vor ihrem Tod gesehen hatten, und richtete sich vor Zorn etwas gerader auf.

»Vampire stammen von Kain ab, den Gott dazu verdammt hat, für alle Ewigkeit Blut zu trinken, um ihn an den Mord zu erinnern, den er an seinem Bruder Abel begangen hat. Sie sind immun gegen Kreuze, Holzpflöcke und Sonnenlicht. Töten kann man sie nur, indem man ihnen das Herz mit Silber durchbohrt oder ihnen den Kopf abschlägt. Ghule kann man nur durch Enthauptung töten. Reicht das?«, knurrte sie.

Er lachte, als würde er sich über irgendetwas freuen, und ließ Denise los. Wie erwartet ging sie zu Boden, ließ sich aber nach vorn fallen, sodass sie dem Tisch mit der Pistole schon etwas näher war.

»Sehr gut. Gehörst du jemandem?«

»Nein«, antwortete Denise, die wusste, dass Menschen als »Leibeigene« des Vampirs betrachtet wurden, der sie sich als Nahrungsquelle hielt. Wie Fertiggerichte mit Schlagadern.

»Aha.« Die Augen des Fremden leuchteten. »Also eher ein Arrangement der romantischen Art?«

»Nein, zur Hölle noch mal«, fauchte Denise, während sie weiter auf den Tisch zukroch, und dabei so tat, als wollte sie nur ihren aufklaffenden Bademantel zusammenraffen. Darunter war sie nackt, aber um die Wahrung ihres Schamgefühls ging es ihr nicht. Sie wollte die Pistole. Mit was für einem Wesen sie es auch zu tun haben mochte, womöglich konnten Kugeln ihm etwas anhaben. Vielleicht sogar genug, um ihr die Chance zur Flucht zu verschaffen.

»Sprich nicht von diesem Ort«, antwortete der Mann schaudernd. »Weckt üble Erinnerungen.«

Denise hielt inne. Sie musterte den Fremden noch einmal genau. Rote Augen. Schwefelgeruch. Weder Mensch noch Vampir noch Ghul. »Dämon«, sagte sie.

Er verneigte sich. »Du darfst mich Rom nennen.«

Verzweifelt versuchte Denise, sich an alles zu erinnern, was sie über Dämonen wusste. Das meiste stammte allerdings aus dem Film Der Exorzist. Und selbst wenn sie Weihwasser gehabt hätte, was nicht der Fall war, würde es einem Dämon tatsächlich etwas ausmachen, wenn sie es mit den Worten »die Macht Jesu Christi bezwingt dich« auf ihn kippte?

»Dieser Spade, mit dem du vorhin telefoniert hast«, fuhr Rom fort. »Ist der ein Vampir oder ein Ghul?«

Panik überkam sie. Sie war zwar nicht direkt mit Spade befreundet, wollte aber auch nicht, dass er in Gefahr geriet.

»Er ist ein Mensch«, antwortete sie.

Der Dämon zog die Brauen hoch. »Aber du hast ihm erzählt, was du gesehen hast, er muss also über Vampire und Ghule Bescheid wissen. Wenn du weder Leibeigene noch Geliebte eines Vampirs bist, welche Verbindung hast du dann zu den lebenden Leichen?«

Denise achtete darauf, nichts zu sagen, das später vielleicht Cat in Schwierigkeiten bringen konnte. »Ich, äh, habe vor ein paar Jahren einen Vampirangriff überlebt und danach versucht, so viel wie möglich über diese Spezies herauszufinden. Dabei bin ich auch mit anderen Opfern in Kontakt gekommen. Wir tauschen Informationen aus. Geben aufeinander acht.«

Rom dachte über das Gehörte nach. »Du hast also im Grunde genommen keine Verbindungen zur Welt der Untoten und ihren Bewohnern?«

Sie nickte. »Nein.«

Er seufzte. »Dann bist du für mich nutzlos.«

Unerträglicher Schmerz fuhr ihr in die Brust, so plötzlich, dass es sich wie ein Schuss ins Herz anfühlte. Sie war wie gelähmt, konnte aber noch einen Satz keuchen.

»Warte! Ich … habe Verbindungen …«

Der Schmerz ließ so schnell nach wie er gekommen war. Rom lächelte zufrieden. »Dachte ich’s mir doch.«

»Was willst du von mir?« Nie gekannte Angst kroch ihr in den Nacken. Ein Dämon hatte sie in der Hand. Schlimmer konnte es nicht kommen.

Rom kniete sich zu ihr auf den Boden, woraufhin sie zurückwich. »Ich zeige es dir.«

Er presste ihr die Hand auf die Stirn. Sie sah Licht, dann kamen die Bilder. Rom in einem Pentagramm, ihm gegenüber ein junger Mann mit roten Haaren. »Gib mir Macht, wie du sie hast«, sagte der Rothaarige, »dann kannst du alles haben, was du willst.« Rom berührte ihn, und er wurde schreiend zurückgeschleudert.

Wieder grelles Licht, und andere Bilder. Rom stand mit ausgestreckter Hand vor dem Mann. Der Mann schüttelte den Kopf und wich zurück. Rom ging auf ihn zu und brach in Wutgeheul aus, als um ihn herum ein Pentagramm sichtbar wurde. Flammen erhoben sich aus den Linien, der Boden brach weg, und Rom war nicht mehr zu sehen. Lange Zeit war da nichts als Feuer, dann eine Reihe schrecklicher, blutrünstiger Bilder. Schließlich das Gefühl von Freiheit. Dann wieder Dutzende Sterbende, bis schließlich ihre Tante Rose, Amber, Paul … und sie selbst auftauchten.

»Dein Vorfahr Nathanial hat seinen Pakt mit mir gebrochen. « Raums Stimme war wie ein Phantom in ihrem Ohr. »Lange Zeit hat er mich einsperren können, aber ich bin wieder da, und ich will meinen Lohn.«

Denise schüttelte den Kopf, um die schrecklichen Bilder darin loszuwerden. »Und was soll ich dazu beitragen?«

»Anscheinend versteckt er sich bei Vampiren oder Ghulen«, gurrte Rom. »Ich kann mich nicht unter sie mischen, du aber schon. Finde ihn für mich. Bring ihn mir, dann lasse ich dich und den Rest seiner Brut in Ruhe.«

Den Rest seiner Brut. Die Gesichter ihrer Eltern tauchten vor Denises innerem Auge auf. Ihre Mutter oder ihr Vater, einer von beiden musste mit Nathaniel verwandt sein, denn sie, ihr Cousin und ihre Cousine waren es anscheinend auch, und Rom hatte vor, Nathaniels gesamte Familie auszulöschen, um ihn zu finden.

Das konnte sie nicht zulassen. »Ich finde ihn«, versprach Denise. Ich weiß zwar nicht, wie, aber ich schaffe es.

Raums Finger glitten über ihre Arme. Vor Grauen bekam Denise eine Gänsehaut.

»Ich glaube dir ja, dass du es ernst meinst. Aber als zusätzlichen Ansporn …«

Sie wurde fester gepackt; erneut durchzuckten furchtbare Schmerzen ihren Körper. Sie konnte sich selbst schreien hören, aber Rom lachte nur unbekümmert.

»Versuche, nicht draufzugehen, ja? Das ist erst der Anfang.«

 

Spade rümpfte die Nase, als er in die Straße einbog, in der Denise wohnte. Ein widerlicher Gestank drang durch das Lüftungssystem zu ihm ins Auto. Seine Blicke suchten die Straße ab; irgendwo musste ein Motor brennen oder ein Dach geteert werden, aber da war nichts. Der Gestank wurde schlimmer, als er in Denises Einfahrt bog. Spade griff in seine Reisetasche und zog zwei lange Silbermesser hervor, die er sich in die Ärmel steckte. Dann stieg er aus und ging zur Haustür. Am Türrahmen schnupperte er gründlich.

Schwefelgestank erfüllte seine Lungen, so beißend, dass er hätte husten müssen, wenn er ein Mensch gewesen wäre. Fluchend stieß Spade die Luft aus. Nur eine Kreatur hinterließ einen solchen Geruch.

Denise MacGregor hatte sich ihre Erlebnisse also doch nicht nur eingebildet, aber vielleicht kam Spade schon zu spät, um ihr das zu sagen.

Mit einem gezielten Tritt räumte er die Tür aus dem Weg, sprang hindurch und rollte sich gleich darauf ab, um einem eventuellen Angriff auszuweichen. Denise lag zusammengesunken vor einer Couch auf dem Boden, aber Spade rannte nicht sofort zu ihr hin. Er ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, um sich zu vergewissern, dass niemand sonst da war. Nichts, nur das Geräusch ihres Atems und ihres Herzschlages.

Sowohl im Ober- als auch im Untergeschoss sah er in jedem Schrank und jedem Zimmer nach, fand aber nichts. Als er sich vergewissert hatte, dass er nicht in eine Falle geraten war, ging er zu Denise.

Sie war bewusstlos, bekleidet nur mit einem Bademantel, dessen Gürtel nicht verknotet war. Und sie stank nach Schwefel, als hätte sie darin gebadet.

Spades Lippen pressten sich zu einer harten Linie zusammen, als er das Kleidungsstück zurückschob. Er hatte sich auf das Schlimmste gefasst gemacht, fand aber erstaunlicherweise keine Anzeichen von Gewalteinwirkung vor. Alles wirkte, als wäre der Dämon gekommen, hätte Denise das Bewusstsein geraubt und wäre wieder verschwunden.

Spade zog Denises Bademantel wieder zu, strich ihr eine feuchte mahagonifarbene Haarsträhne aus dem Gesicht und schüttelte sie leicht. »Denise, wach auf.«

Er musste es ein paarmal versuchen, dann aber öffneten sich ihre haselnussbraunen Augen, richteten sich auf ihn … und weiteten sich entsetzt.

»Wo ist er? Ist er noch hier?«

Spade hielt Denise fest und sprach mit beruhigender Stimme auf sie ein. »Niemand ist hier, nur ich. Alles ist gut.«

Denise ließ ein durchdringendes Schluchzen hören. »Nein, ist es nicht.«

Sie zog die Ärmel ihres Bademantels hoch und zeigte ihm ihre Unterarme. Spade stieß unwillkürlich einen Fluch aus, als er die sternförmigen Schatten auf ihrer Haut sah.

Denise hatte recht; gar nichts war gut. Der Dämon hatte ihr seine Zeichen aufgedrückt.

 

Spade saß in Denises Badezimmer auf dem Klodeckel. Sie hatte unbedingt duschen wollen, obwohl er sie nach oben hatte tragen müssen. Seine Hilfe hatte sie abgelehnt. Als wäre er imstande, in einer solchen Situation an Sex zu denken.

Das Badezimmer verlassen würde er allerdings nicht. Er wolle nicht dafür verantwortlich sein, wenn sie bei dem Versuch, aus der Wanne zu steigen, ausrutschte und sich das Genick brach, hatte er ihr erklärt. Der Tod könne ihr nichts mehr anhaben, jetzt, wo der Dämon sie gezeichnet hatte, war Denises bittere Antwort gewesen. Spade wusste nicht genau, ob das der Wahrheit entsprach, und so hatte er ihr den Bademantel abgenommen und ihr keine andere Wahl gelassen, als die Tür der Duschkabine hinter sich zuzuziehen, nachdem sie sich auf den Boden der Duschwanne gesetzt hatte.

Hinter dem Mattglas konnte er undeutlich ihre Silhouette erkennen, beobachten, wie sie drinnen herumhantierte und sich offenbar mit all ihren Seifen und Shampoos bearbeitete. Der Raum füllte sich mit den verschiedensten Duftnoten, die den penetranten Schwefelgeruch überlagerten. Spade schloss die Augen. Er musste Denise bald an einen sicheren Ort bringen. Der Dämon würde zwar bestimmt nicht gleich wiederkommen, aber hier konnte sie nicht bleiben.

»Ich brauche ein Handtuch.«

Spade griff sich zwei und reichte ihr das größere durch den Türspalt. Als Denise sich eingehüllt hatte, öffnete er, ihren Protest ignorierend, die Tür ganz, hob Denise heraus und rubbelte ihr mit der freien Hand das tropfnasse Haar trocken.

»Das kann ich selbst«, wandte sie ein und stieß matt seine Hand weg.

»Unter normalen Umständen bestimmt«, antwortete er, während er sie zum Bett trug. »Aber du hast gerade einen beinahe tödlichen Herzstillstand durch einen Dämon erlitten, der dir seine Essenz durch den Körper gejagt hat. So was steckt keiner einfach so weg, also hör auf zu diskutieren und lass dir von mir helfen.«

Sie sackte gegen seinen Körper, als hätte dieses letzte bisschen Widerstand all ihre Stärke gefordert. Spade hielt sie mit einem Arm umschlungen, sodass sie sich an ihn lehnen konnte. Mit einer Hand trocknete er ihr das Haar, mit der anderen hielt er das Handtuch zusammen, in das sie gehüllt war. Denises Augenlider flatterten, ihr Kopf kippte gegen seinen Arm. Ihre zarte Kehle war nur noch Zentimeter von seinen Lippen entfernt.

Spade kämpfte gegen den plötzlichen Drang an, mit dem Mund über ihre Halsschlagader zu fahren. Er hatte seit über einem Tag nichts gegessen, aber nicht allein der Hunger machte ihm zu schaffen. Ein Muskel in seinem Kiefer spannte sich. Er hatte gehofft, das sonderbare Verlangen, das er in Denises Gegenwart verspürte, würde sich mit der Zeit verflüchtigen, aber es war eindeutig noch da.

Zum ersten Mal hatte er Denise auf Crispins Weihnachtsfeier im Jahr zuvor gesehen. Gleich nach seinem Eintreten war ihm eine dunkelhaarige Frau aufgefallen. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen und über etwas gelacht, das Cat gesagt hatte. Einen Augenblick später hatte die Frau in seine Richtung gesehen, als hätte sie gespürt, dass er sie beobachtete. Ihre vollen Lippen waren noch zu einem Lachen geöffnet gewesen, aber ihr direkter Blick war es, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Der Blick und das seltsame Kribbeln, das bei ihrem Anblick über ihn gekommen war.

»Wer ist das?«, hatte er Crispin gefragt.

Crispins Augen waren Spades Blick gefolgt, und er hatte geschnaubt. »Sorry, Alter. Das ist die beste Freundin meiner Frau.«

Und mit diesen Worten war Denise in unerreichbare Ferne gerückt. Sie war eine Sterbliche, und Sterbliche brauchte Spade nur zu zwei Dingen – zum Stillen seines Hungers und zur Befriedigung seiner Libido. Bei Denise stand natürlich beides nicht zur Debatte, denn sie war Cats Freundin, und er hätte damit Crispin beleidigt. Also hatte Spade das seltsame Kribbeln ignoriert, das sich bei seinem nächsten Blick in ihre Richtung wieder eingestellt hatte, aber sie hatte sich ohnehin schon wieder abgewandt und lächelte einen jungen Mann mit hellbraunem Haar an. Fast war er erleichtert gewesen, als Crispin ihm gesagt hatte, dass sie verheiratet war. Es gab also wirklich keinen Grund, weiter Gedanken an sie zu verschwenden.

Aber jetzt war Denise Witwe und lag mit nichts als einem Handtuch am Leib in seinen Armen. Sein Verlangen nach ihr war unter diesen Umständen schwer zu ignorieren.

Sie ist nichts für dich, ermahnte sich Spade.

Aber hübsch war sie trotzdem, das konnte er sich ja ruhig eingestehen. Nass wirkte ihr Haar dunkler, und ihre Haut war rosig und zart. Der beißende Schwefelgeruch hatte sich verflüchtigt, und über all die Parfümdüfte hinweg drang ihr ganz eigener Körpergeruch nach Jasmin und Honig zu ihm durch.