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Ich wollte das natürlich nicht glauben. Die Blicke der beiden Männer gaben mir zu verstehen, für wie dumm sie es hielten, eine in ihren Augen einfache Tatsache anzuzweifeln. Eigentlich wirkten Gregors Kräfte nur auf Menschen, da Vampire und Ghule durch übernatürliche geistige Kontrollmechanismen vor ihnen gefeit waren. Bei mir als Mischling konnte sein Trick aber womöglich funktionieren.

Wenn erst mein Onkel davon erfuhr, dass ein Vampir mit derartigen Fähigkeiten existierte … Der würde sich vielleicht ins Hemd machen.

»Gregor wird versuchen, dich im Traum zu manipulieren«, warnte mich Mencheres, bevor er ging. »Ich rate dir, alles, was er sagt, zu ignorieren und so schnell wie möglich aufzuwachen.«

»Worauf du deinen Arsch verwetten kannst«, murmelte ich. »Was hat es eigentlich mit Paris auf sich? Vorhin hat es sich angehört, als hätte es damit eine besondere Bewandtnis.«

»Gregor ist Franzose«, antwortete Mencheres. »Du hast beschlossen, ausgerechnet in dem Land Urlaub zu machen, in dem er seit fast neun Jahrhunderten lebt. Ein Zufall ist das wohl kaum.«

Ich war stinkwütend. »Was soll das heißen?«

»Das Offensichtliche«, antwortete Bones, der mich am Arm gepackt hatte und regelrecht mit sich zerrte, während wir auf ein malerisches, von Weinreben bewachsenes Landhaus zugingen. »Gregor hat dir befohlen hierherzukommen.«

Die Begrüßungsansprache des netten französischen Vampirpärchens, das uns empfing, verstand ich nicht. Bones antwortete in ihrer Sprache, er hörte sich genauso perfekt an wie sie.

»Du hast mir gar nicht erzählt, dass du Französisch sprichst«, sagte ich leise.

»Du hast mir ja auch nicht erzählt, dass du ständig diese Träume hast«, gab er auf Englisch zurück.

Er war immer noch sauer. Ich seufzte. Wenigstens hatten wir ein paar friedliche Wochen miteinander verbracht.

Wir machten uns auf Englisch miteinander bekannt. Unsere Gastgeber stellten sich als Ehepaar Sonya und Noel vor.

»Ihr seid verheiratet?«, fragte ich verwundert nach und wurde sofort rot. »Das sollte nicht so schockiert klingen, ich meinte nur …«

»Außer euch ist sie noch keinem Vampirehepaar begegnet, mes amis«, kam Bones mir zu Hilfe. »Cat war wohl schon der Ansicht, sie hätte ein Monopol auf den Status.«

Beide lachten, und der peinliche Augenblick verflog. Sonya zuckte mit keiner Wimper, als die sechs Vampire um ihr Grundstück herum Stellung bezogen.

Wir wurden zu unserem Zimmer mit Blick auf den das Haus umgebenden Garten geführt. Sonya war Gartenbauexpertin. In ihrem Reich sah es aus wie im Paradies.

»Fleiß und Geduld, ma chérie«, sagte sie auf meine Komplimente hin. »Das kann eigentlich nie schaden.«

Sie warf Bones einen vielsagenden Blick zu, um anzudeuten, dass ihr seine barsche Reaktion von vorhin nicht entgangen war.

»Ich werde versuchen, deinen Rat zu beherzigen, meine Liebe«, antwortete Bones lakonisch.

»Ihr wollt euch bestimmt frisch machen und eure Sachen auspacken. Cat, für dich stehen Obst, Käse und eisgekühlter Wein bereit. Bones, soll ich für dich gleich jemanden heraufschicken oder erst später?«

»Später. Erst muss ich mit meiner Frau sprechen.«

Wieder dieser herausfordernde Unterton, als er mich seine Frau nannte. Sonya und Noel gingen. Ihre Schritte waren noch nicht verklungen, da machte Bones mir schon die Hölle heiß.

»Verdammt noch mal, Kätzchen, ich dachte, das hätten wir hinter uns, aber du hast schon wieder ganz allein entschieden, was du mir zumuten kannst und was nicht.«

Sein anklagender Tonfall ließ mein schlechtes Gewissen schwinden. »Ich dachte, es wäre nichts, deshalb habe ich es dir nicht erzählt.«

»Nichts? Nette Umschreibung dafür, dass ein berühmtberüchtigter Vampir versucht hat, dich im Traum zu entführen. «

»Ich wusste nicht, was da im Gang war!«

»Du hast gewusst, dass etwas Seltsames im Gange war, aber du hast es mir verschwiegen. Ich dachte, dir wäre schon vor sechs Jahren klar geworden, dass es ein Fehler ist, mir etwas zu verschweigen.«

Ein Schlag unter die Gürtellinie. Ein paar Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, war ich wegen Mordes am Gouverneur von Ohio festgenommen worden. Dabei war aufgeflogen, dass ich ein Vampirmischling bin. Ich ahnte nicht, dass Don, der FBI-Agent, der mich verhörte, der Bruder meines verschwundenen Vaters war, eines Vampirs, der meine Mutter nur hatte schwängern können, weil er sehr kurz nach seiner Verwandlung mit ihr Sex hatte. Ich ahnte auch nicht, dass Don seit meiner Geburt gewusst hatte, dass ich eine Halbvampirin bin. Ich hielt ihn lediglich für einen hochrangigen FBI-Agenten, der von der Existenz Untoter wusste … und Bones umbringen würde, wenn ich sein Angebot, seiner geheimen Elitetruppe beizutreten, ausschlug.

Heimlich verließ ich also Bones und ging zu Don. Meiner Meinung nach war das die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten. Bones verkraftete die Trennung nicht. Es kostete ihn zwar über vier Jahre, aber er spürte mich schließlich auf und machte mir klar, dass ich zu Unrecht geglaubt hatte, unsere Liebe hätte keine Chance. Ich hatte immer noch ein wahnsinnig schlechtes Gewissen deswegen, und jetzt bohrte er mit einem glühenden Eisen in der alten Wunde herum.

»Wie lange willst du mir das noch vorhalten? Wenn ich mir dich so anhöre, möchte ich meinen, noch jahrelang.«

Der Zorn wich ein wenig aus seinem Gesicht. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und warf mir einen frustrierten, aber schon nicht mehr ganz so vernichtenden Blick zu.

»Machst du dir überhaupt eine Vorstellung davon, wie es für mich gewesen wäre, beim Aufwachen festzustellen, dass du nicht mehr da bist? Ich wäre wahnsinnig geworden, Kätzchen. «

Ich atmete tief durch. Wenn Bones einfach so im Schlaf verschwinden würde, entführt von irgendeinem wildfremden Vampir, der wer weiß was mit ihm anstellte, würde ich vermutlich auch ausrasten. Reiß dich am Riemen, Cat. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, euch gegenseitig Kränkungen vorzuwerfen, die ihr gar nicht so gemeint habt.

»Versuchen wir, das zu den Akten zu legen, okay? Ich hätte dir von meinen Träumen erzählen sollen. Beim nächsten Mal sage ich es dir, sobald ich aufwache. Pfadfinderehrenwort.«

Er kam zu mir und packte mich bei den Schultern. »Ich würde es nicht ertragen, dich auf diese Weise zu verlieren, Kätzchen.«

Ich legte meine Hände auf seine. »Du wirst mich nicht verlieren, versprochen.«

 

Die Opéra Garnier war ein in jeder Hinsicht extravagantes Gebäude, das den altertümlichen Charme verströmte, den nur wirklich alte Bauwerke haben. Begleitet wurden wir von Sonya und Noel sowie unserer Schutztruppe. Bones wollte kein Risiko eingehen für den Fall, dass Gregor auftauchte, um uns den Spaß zu verderben.

Ich ging zum ersten Mal in die Oper. Sonst putzte ich mich nur so heraus, wenn ich jemanden umbringen musste, aber falls es in dem Stück nicht brutaler zuging als in der Broschüre angekündigt, würde es dazu heute Abend nicht kommen.

Auf dem Weg zu dem vergoldeten Eingang heimste Bones so viele bewundernde Blicke ein, dass ich ihn fester an die Hand nahm. Zugegeben, er sah umwerfend aus in seinem schwarzen Smoking und dem locker um den Hals geschlungenen weißen Seidenschal, aber mussten diese Weiber so glotzen? Doch ich musste mich schon selbst oft genug kneifen, um wirklich zu glauben, dass ich einen solchen Hauptgewinn abbekommen hatte. Bei den vielen begehrlichen Blicken, die ihm zugeworfen wurden, wünschte ich mir allerdings manchmal, er wäre nicht so eine verdammte Sahneschnitte.

»Die starren nicht mich an, Schatz«, raunte Bones mir zu. »Dich sehen die Leute an. Genau wie ich.«

Ich lächelte über den lüsternen Blick, den er mir zuwarf. »Liegt bloß an meinem Kleid«, witzelte ich. »Es lässt meine Hüften und meinen Busen voller erscheinen.«

Unter den geschickt über der Brustpartie drapierten Stoffbahnen meines schulterfreien, zinnoberroten Abendkleids aus Taft, verbarg sich ein leichtes Mieder, das für den nötigen Halt sorgte. Die Stofffülle war an der Taille gerafft und endete als Schleppe an dem langen, engen Rockteil. Etwas so Edles hatte ich noch nie getragen.

Bones lachte leise in sich hinein. »Ich denke immerzu darüber nach, wie ich es dir in dem Teil besorgen kann. Am liebsten von hinten, im Augenblick zumindest, aber das kann sich bis zum Ende der Aufführung noch ändern.«

»Warum sind wir überhaupt hier, wenn es dir gar nicht um die Oper geht, sondern nur darum, dir Schweinereien auszudenken? «

»Darin liegt doch gerade der Reiz«, antwortete er mit verschmitztem Lächeln. »Ich mag es, mir vorzustellen, was ich alles mit dir machen werde, wenn wir allein sind.«

Dann wurde er ernster, und das Glitzern verschwand aus seinen Augen. »Eigentlich hatte ich gedacht, wir sehen uns die Aufführung an, essen spät zu Abend und vertreten uns dann bei einem Stadtbummel die Beine. Unsere Leibwächter werden uns zwar begleiten, aber sie müssen uns ja nicht ganz so dicht auf die Pelle rücken. Einverstanden?«

Ich sah ihn mit offenem Mund an. Einfach so herumspazieren, ohne Schutzkleidung und eine bis an die Zähne bewaffnete Wacheinheit im Nacken? Einfach Sightseeing machen wie ganz normale Leute?

»Oui, sì, in jeder Sprache, in der das Wort Ja existiert. Bitte sag jetzt nicht, du hast mich angeschmiert.«

»Niemals. Die Vorstellung fängt gleich an; suchen wir unsere Plätze.«

»Okay.«

»Bist heute wohl mit allem einverstanden, was?« Da war er wieder, dieser verschmitzte Tonfall in seiner Stimme. »Das werde ich später ausnutzen.«

 

Als sich zur Pause der Vorhang senkte, waren mir drei Dinge klar: Ich liebte die Oper, ich wollte einen Drink, und ich musste pinkeln.

»Ich komme mit«, verkündete Bones, nachdem ich ihn über mein dringendes Bedürfnis in Kenntnis gesetzt hatte.

Ich verdrehte die Augen. »Das gehört sich nicht.«

»Ich muss mir die Lippen nachziehen, Cat, darf ich mitkommen? «, fragte Sonya. »Bones, du kannst Sekt holen, für mich bitte auch einen. Die Bar ist genau gegenüber der Toilette, du findest uns also leicht wieder.«

Was das heißen sollte, war offensichtlich. Bones wäre in der Nähe, falls es irgendwelchen Ärger gab, sei es durch den unerwünschten Verehrer aus meinen Träumen oder irgendwelche mordlustigen untoten Opernfans.

Er nickte. »Ich begleite euch. Das hat nichts mit übertriebener Fürsorge zu tun. Es ist nur höflich.«

»Klar.« Meine Lippen zuckten. »Mach, was du willst.«

Vor der Damentoilette hatte sich eine lange Schlange gebildet. Bones ließ ein amüsiertes Schnauben hören, als er sah, wie ich einen sehnsüchtigen Blick in Richtung der einsamen Tür der Herrentoilette warf.

»Das gehört sich nicht«, äffte er mich nach.

»Die ganzen Weiber, die hier anstehen, wollen doch nicht alle aufs Klo. Es müsste einen extra Schminkraum geben, damit wir anderen pinkeln können«, murrte ich und wandte mich dann entschuldigend an Sonya. »Äh, dich habe ich nicht gemeint. Kümmere dich einfach nicht um das, was ich sage.«

Sie lachte. »Ich weiß, was du gemeint hast, chérie. Ich habe das selbst schon so oft gedacht, schließlich brauche ich schon lange keine Toilette mehr.«

»Bring mir was zu trinken, Bones, beeil dich, damit ich nicht noch mehr dummes Zeug rede.«

Er gab mir einen Handkuss. »Bis gleich.«

Als er wegging, war ich nicht die Einzige, die seine Hinteransicht genoss.

»Mmm hmmm.«

Der Seufzer kam von einer Brünetten weiter vorn in der Schlange. Ich sah sie mit hochgezogenen Brauen an und tippte vielsagend auf meinen Verlobungsring.

»Vergeben, Schätzchen.«

Sie war ein Mensch, sonst wäre ich handgreiflich geworden, als sie sich, nach ihrem zweiten sehnsüchtigen Blick in Richtung Bones, achselzuckend an mich wandte.

»Nichts hält ewig.«

»Nur der Tod«, stieß ich hervor.

Sonya sagte etwas auf Französisch, das die Frau dazu brachte, schmollend den Mund zu verziehen, bevor sie sich mit einer letzten spitzen Bemerkung abwandte.

»Wenn du es nicht erträgst, dass andere deinen Kerl anhimmeln, musst du ihn halt zu Hause lassen.«

Die Hs waren bei ihrem starken französischen Akzent kaum hörbar. Du kannst sie nicht umbringen, bloß weil sie eine Schlampe ist, ermahnte ich mich selbst. Auch wenn du ihre Leiche ganz leicht entsorgen könntest …

»Er fickt sogar noch besser, als er aussieht«, sagte ich schließlich nur. Mehrere Köpfe drehten sich in meine Richtung. Mich kümmerte es nicht; ich war sauer. »Und sein schönes Gesicht wird fest zwischen meinen Schenkeln stecken, sobald wir nach ’aaause kommen, verlass dich drauf.«

An der Bar hörte ich Bones lachen. Sonya kicherte ebenfalls. Die Frau warf mir einen giftigen Blick zu und trat aus der Schlange.

»Bon, eine weniger vor uns. Wir sind fertig, bevor Bones unsere Drinks hat«, bemerkte Sonya, als sie ausgekichert hatte.

»Die wären wir los.« Ich warf einen Blick auf die anstehenden Frauen, von denen die meisten über die kleine Szene lächelten oder meinen Blick mieden. »Sind ja nur noch ein Dutzend vor uns.«

Als wir zehn Minuten später die Toilette betraten, musste ich so dringend, dass ich fast auf einem Bein hüpfte. Ich hatte wirklich schwer an mich halten müssen, um brav abzuwarten, bis ich an der Reihe war, statt Sonya zu bitten, die anderen Frauen mittels Hypnose aus dem Weg zu räumen, denn das wäre wirklich unfair gewesen.

Als ich aus der Kabine kam, verstaute Sonya gerade ihren Lippenstift in ihrer kleinen Clutch. Ich trat zu ihr an den Spiegel, um mir die Hände zu waschen.

»Die Welt ist klein«, sagte jemand zu meiner Rechten.

Ich drehte mich um und sah in die Augen einer hübschen Blonden. »Wie bitte?«

»Erinnern Sie sich an mich?« Ich schüttelte den Kopf. »Ist schon eine Weile her. Bis Sie diese Frau angeschnauzt haben, war ich mir nicht mal sicher, ob Sie es sind, aber Ihr Teint ist sehr auffällig. Außerdem waren Sie bei unserer ersten Begegnung auch so hibbelig.«

Ihrem Akzent nach war sie Amerikanerin. Und ich hatte sie noch nie im Leben gesehen.

»Tut mir leid, Sie müssen mich verwechseln.« Eigentlich hatte ich ein gutes Personengedächtnis. Ich war schließlich Halbvampirin und durch meinen früheren Job zusätzlich geschult.

»Es war im Ritz an der Place Vendôme, wissen Sie nicht mehr?« Ich schüttelte wieder den Kopf. Sie seufzte. »Macht nichts. Tut mir leid, dass es mit diesem anderen Typen nicht geklappt hat, aber Sie haben sich ja anscheinend einen besseren an Land gezogen, Glückwunsch.«

»Häh?«

Inzwischen hatte ich wirklich den Eindruck, dass die Gute nicht ganz bei Trost war. Sonya stellte sich dichter zu mir. Die junge Frau tupfte sich Puder auf die Nase und verstaute das Döschen dann wieder in ihrer Handtasche.

»Sie kamen mir ohnehin viel zu jung zum Heiraten vor, ich kann’s Ihnen also nicht verdenken …«

»Wie bitte?« Jetzt war ich komplett verwirrt.

Sie seufzte. »Nichts für ungut. War nett, Sie wiederzusehen. «

Sie ging. Sonya wollte sie schon festhalten, aber ich raunte ihr zu: »Lass. Sie hat mich bloß verwechselt.«

Stechender Schmerz fuhr mir in den Schädel, als würden sich kleine Nadeln in mein Gehirn bohren. Ich rieb mir die Schläfen.

»Alles in Ordnung, chérie?«, erkundigte sich Sonya.

»Bestens. Sie hat mich nur verwechselt«, sagte ich noch einmal. »Ich bin schließlich zum ersten Mal in Paris.«

 

Wir gingen die Rue de Clichy entlang, unsere Bodyguards folgten uns in ein paar Schritten Entfernung. Ich hatte mich gegen ein richtiges Abendessen entschieden und stattdessen in einem der vielen hübschen Straßencafés ein Croissant und einen Cappuccino bestellt.

Sonya und Noel waren nicht mitgekommen, damit wir das bisschen Privatsphäre genießen konnten, das wir hatten. Es hatte tatsächlich etwas Intimes an sich, trotz unserer Leibwache und der zahlreichen Passanten. Wir waren einfach nur irgendein Pärchen, eines unter vielen, die die mitternächtlichen Straßen von Paris bevölkerten.

Unterwegs erklärte mir Bones, an welchen Bauwerken wir vorbeikamen … und wozu sie früher gedient hatten. Er brachte mich mit Geschichten über sich, seinen Freund Spade und seinen Erschaffer Ian zum Lachen. Ich konnte mir gut vorstellen, was die drei alles angestellt hatten.

Am Ende einer der langen Straßen, wo die Häuser besonders eng zusammenstanden, blieben wir stehen. Bones rief etwas auf Französisch und führte mich dann weiter in eine schmale Gasse hinein.

»Was hast du gesagt?«

Er lächelte. »Das willst du nicht wissen.«

Er bedeckte meinen Mund mit einem innigen Kuss und presste mich an sich. Ich keuchte, als ich spürte, wie seine Hände mein Kleid hochschoben.

»Bist du verrückt? Hier sind ein halbes Dutzend Vampire in der Nähe …«

»Aber nicht in Sichtweite«, unterbrach er mich mit einem leisen Lachen. »Wie befohlen.«

»Sie können uns hören, Bones«, beharrte ich, inzwischen der Hausmauer zugewandt, weil er mich blitzschnell umgedreht hatte.

Er lachte immer noch. »Dann sag halt nur etwas Schmeichelhaftes. «

Bones hatte einen Arm um meine Taille geschlungen, sodass ich an ihn gepresst war. Als ich mich ihm zu entwinden versuchte, rutschte mir das Kleid nur noch höher. Dann ließ mich das plötzliche Eindringen seiner Reißzähne in meinen Hals erstarren. Er stieß ein leises, lustvolles Knurren aus.

»Ah, Kätzchen, dir gefällt das beinahe so gut wie mir. Versinke in mir, Süße, so wie ich in dir.«

Es war ein Gefühl, als würde das Blut, das von meinem Körper in seinen strömte, durch süße Glut ersetzt. Bones hatte recht gehabt, ich fand es wunderbar, wenn er mich biss. Meine Haut war erhitzt, mein Herzschlag beschleunigte sich, – und dann drängte ich mich an ihn und stöhnte über die Verzögerung, als er sich erst noch die Hose aufmachen musste.

»Bones«, presste ich hervor. »Ja …«

Ich knallte so heftig mit dem Kopf gegen die Hauswand, dass ich spürte, wie mein Wangenknochen brach. Und dann hörte ich die Schüsse.

In Salven dröhnten sie über unsere Köpfe hinweg, von allen Seiten … Von überall kamen sie, nur nicht aus Richtung der Mauer, an die ich gepresst war. Bones drückte mich gegen die Backsteine. Sein Körper bedeckte meinen, zuckend krümmte er sich über mir, während er mit den Fäusten auf die Mauer vor uns einhämmerte. Er wollte offensichtlich ein Loch hineinschlagen.

Da erst wurde mir bewusst, warum er so zuckte. Die Kugeln trafen ihn.

Unseren Bodyguards erging es offenbar noch schlimmer, so hörte es sich zumindest an. Da Bones nicht jedes Mal reflexartig zusammenfuhr, wenn geschossen wurde, hatten sie wohl einen Halbkreis um uns gebildet. Als eine der Salven in einem abgehackten Aufschrei endete, wollte ich mich panisch von Bones losmachen. Es war viel schlimmer, als ich gedacht hatte. Wer immer es auf uns abgesehen hatte, benutzte Silberkugeln.

»Wir müssen hier weg, Gott, die bringen dich um!«, schrie ich und versuchte mich aufzurichten. Da Bones mich aber mit aller Kraft niederhielt, fuchtelte ich so hilflos herum wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte.

»Wenn wir abhauen, machen sie dich alle«, krächzte er, wegen des Schusslärms fast unhörbar. »Von unseren Leuten hat bestimmt jemand Verstärkung angefordert. Wir warten, Mencheres wird kommen.«

»Bis dahin bist du tot«, gab ich zurück. Es war schwierig, einen Vampir mit Schusswaffen zu töten, selbst mit Silberprojektilen, weil es zu lange dauerte, bis das Herz zerfetzt war. Das wusste ich von Bones. Kein Vampir wirft sich einem freiwillig vor die Flinte …

Seine Worte. Es war jetzt über sechs Jahre her, dass er mir das erklärt hatte. Aber Bones posierte ja praktisch für unsere Angreifer. Die Verstärkung würde zu spät kommen. Das war ihm sicher ebenso klar wie mir. Dieses eine Mal log er mich an.

Unter seinen Fausthieben gab die Mauer allmählich nach. Drinnen hörte ich Leute kreischen. Irgendwann würde es Bones schaffen, ein Loch in die Wand zu schlagen, und wir wären vor dem erbarmungslosen Kugelhagel geschützt. Aber mit nur einer Hand, während sein Körper von Geschossen durchsiebt wurde? Bones’ Bewegungen wurden schon langsamer; fast wie ein Betrunkener schlug er auf die Mauer ein. Gott, er würde so sterben, über mir kauernd, hier in dieser Gasse.

Etwas Wildes stieg in mir auf. Mein Verstand gab nicht mal einen richtigen Befehl an meinen Körper. Ich wusste nur, dass Bones vor diesen Geschossen in Sicherheit gebracht werden musste, bis er sich erholen konnte.

Mit diesem Ziel im Kopf schaffte ich es, mich umzudrehen und sprang dann senkrecht nach oben, die Arme fest um ihn geschlossen, um ihn mit mir hochzureißen. Wir schafften es auf das Dach des fünfstöckigen Hauses, vor dem wir uns zusammengekauert hatten. Dort rollte ich mich mit ihm im Arm ab, aber seltsamerweise zischten uns keine Geschosse mehr um die Ohren.

Ich machte mir keine Gedanken darüber, warum die Schützen von uns abgelassen hatten. Nicht jetzt, da Bones in meinen Armen zusammensackte. Die Angst gab mir Kraft, trieb mich dazu, mit ihm auf das Dach des Nachbargebäudes zu springen. Dann auf das nächste und das übernächste – ich nahm mir nicht einmal die Zeit, erstaunt über das zu sein, was ich gerade getan hatte. Als der Schusslärm ganz verklungen war, hielt ich inne. Nach dem, was ich jetzt vorhatte, würde ich umfallen wie eine Mücke, aber Bones brauchte Blut. Und zwar viel.

Die Angreifer kamen nicht hinter uns her. Noch hielten unsere Leibwächter sie vielleicht in Schach, aber das würden sie sicher nicht mehr lange durchhalten. Ich packte Bones’ hängenden Kopf, schlitzte mir an seinen Fängen die Pulsader am Handgelenk auf und ließ mein Blut in seinen Mund strömen.

Eine scheinbar endlose, schreckliche Sekunde lang geschah gar nichts. Er schluckte nicht und öffnete nicht die Augen. Er tat überhaupt nichts, das rote Rinnsal floss ihm einfach aus dem Mund. Hektisch drehte ich mit der anderen Hand seinen Kopf, damit das Blut in seine Kehle rinnen konnte. Tränen raubten mir die Sicht. So viele Silberkugeln hatten sich in seinen Körper gebohrt, überall, sogar in seine Wangen. O Gott, bitte lass ihn nicht sterben …

Schließlich schluckte er. Er schlug zwar nicht die Augen auf, aber ich spürte ein Saugen am Handgelenk, das zuvor nicht da gewesen war. Das Saugen wurde stärker, zog mir das Blut aus den Gefäßen, und die Erleichterung, die mich überkam, war sogar stärker als die Benommenheit, die dann folgte. Gebannt beobachtete ich, wie die Schusswunden in Bones’ Körper anschwollen und die Silbergeschosse freigaben. Ich musste lächeln, obwohl vom Rande meines Gesichtsfeldes her alles mehr und mehr verschwamm, als Bones die Augen öffnete.