3

»… wacht gerade auf …«

»… bald aufbrechen, er kommt morgen …«

Flüchtig drangen die Gesprächsfetzen an mein Ohr. Mir war warm. Na ja, bis auf meinen Arm. Etwas Weiches und Kühles fuhr mir über die Stirn.

»Bist du wach, Kätzchen?«

Abrupt öffnete ich die Augen, die Lethargie fiel von mir ab. Ich versuchte mich aufzusetzen, aber jemand hielt mich mit festem Griff zurück.

»Nicht bewegen, Süße, warte ein paar Minuten, damit das Blut zirkulieren kann.«

Blut? Ich blinzelte ein paarmal und sah Bones vor mir. Er war noch immer voll roter Spritzer, aber sein Blick war fest. Das beruhigte mich so weit, dass ich mich wieder zurücksinken ließ, in seinen Schoß, wie sich herausstellte. Zwei leere Blutkonserven, eine Infusionskanüle und ein Katheter lagen neben ihm.

»Wo sind wir?«

»In einem Van auf dem Weg nach London«, antwortete er. »Weißt du noch, dass wir angegriffen wurden?«

»Ich weiß noch, wie so viel Silber aus dir rauskam, dass man jemandem die Collegeausbildung damit hätte finanzieren können«, antwortete ich, sah mich um und stellte fest, dass Mencheres und vier andere Vampire bei uns waren. »Du hättest draufgehen können. Mach das nicht noch einmal.«

Ein heiseres Lachen entfuhr ihm. »Sagt die Frau, die mir fast ihr ganzes Blut eingeflößt hat. Starkes Stück.«

»Du hattest so viel Silber in dir, dass deine Selbstheilungskräfte nicht ausgereicht haben. Was hätte ich denn machen sollen? Einfach zusehen, wie du stirbst?«

»Die Typen hätten dir den Kopf wegblasen können«, gab er gelassen zurück.

»Wer waren die eigentlich?« Ich betastete meine Wange. Keine Schmerzen. Bones hatte mir nicht nur menschliches Blut verabreicht. Mein Körper heilte vielleicht schneller als der einer gewöhnlichen Sterblichen, aber ein Knochenbruch ließ sich nur mit Vampirblut so schnell kurieren.

»Tut mir leid, Süße«, murmelte Bones. »Meine Unbesonnenheit hätte dich fast das Leben gekostet.«

»Wie viele Tote?«

»Drei von sechs.« In seiner Stimme lag mehr als nur Selbstvorwurf. Was, konnte ich nicht genau sagen.

»Die Angreifer waren Ghule und richtig schwer bewaffnet, wie du ja weißt. Kaum warst du mit mir abgehauen, kamen noch etwa acht Vampire dazu.«

»Wenigstens ist die Verstärkung noch eingetroffen.« Lächelnd wandte ich mich an Mencheres. »Danke.«

Bones verzog den Mund. »Es waren nicht Mencheres’ Leute. Unsere Retter hätten vermutlich als Nächstes mich ins Visier genommen, wenn Mencheres am Ende nicht doch noch mit Verstärkung aufgetaucht wäre.«

Vielleicht war das frische Blut noch nicht bis in mein Gehirn vorgedrungen, denn ich kapierte gar nichts. »Wenn es nicht eure Leute waren, wer dann?«

»Wir wurden von zwei Gruppen verfolgt«, fasste Bones zusammen. »Von den Ghulen und von Gregors Leuten, vermute ich zumindest. Wahrscheinlich hatte er keine Lust mehr, sich nur im Traum an dich heranzumachen, und hat sich handfesteren Methoden zugewandt.«

Mir war nicht entgangen, dass Mencheres die ganze Zeit über kein Wort gesagt hatte. »Wie siehst du das?«

Er warf mir einen Blick zu. »Wenn wir bei Spade sind, können wir uns besser unterhalten.«

»Sofort.« Bones sagte nur dieses eine Wort, aber mehr war auch nicht nötig.

»Crispin …«

»Jetzt nennst du mich auch noch bei meinem Menschennamen, als wäre ich noch ein Kind«, fiel Bones ihm ins Wort. »Laut unserer Allianz bin ich dir ebenbürtig, also sagst du mir jetzt alles, was du über Gregor weißt.«

Bones ließ deutlich durchblicken, dass Mencheres einen Krieg zwischen ihren beiden Sippen riskieren würde, wenn er sich weigerte. Dass Bones so eindeutig Stellung beziehen würde, hätte ich nicht erwartet; Mencheres offenbar auch nicht, das besagte zumindest sein bestürzter Gesichtsausdruck.

Schließlich erschien ein schmallippiges Lächeln auf seinem Gesicht. »Na schön. Ihr wisst ja bereits, dass ich Gregor habe einsperren lassen, weil er in Cats Zukunft eingreifen wollte, sodass sie dich nicht kennenlernt. Was ihr nicht wisst, ist, dass Gregor Cat bereits vor seiner Gefangennahme zu sich geholt hatte.«

Ich sprang auf. »Ich bin Gregor noch nie begegnet!«

»Soweit du dich erinnern kannst«, antwortete Mencheres. »Du bekommst Kopfschmerzen, wenn du von Gregor hörst, nicht wahr? Das liegt an deinen unterdrückten Erinnerungen. Du hattest bereits mehrere Wochen bei Gregor verbracht, als wir euch in Paris aufgespürt haben. In dieser Zeit war es ihm gelungen, dir den Kopf zu verdrehen und mit Lügen vollzustopfen. Mir war klar, dass ich dein Gedächtnis manipulieren musste, um alles wieder ins Lot zu bringen, weshalb du dich an die Zeit mit ihm nicht erinnern kannst.«

»Das darf doch nicht … Er kann doch nicht …« Schon fingen die hämmernden Kopfschmerzen wieder an. Er ist nicht dein Mann … Tut mir leid, dass es mit diesem anderen Typen nicht geklappt hat … Es war im Ritz an der Place Vendôme …

»Aber vampirische Gedankenkontrolle funktioniert bei mir nicht«, stammelte ich schließlich. »Ich bin ein Halbblut; bei mir hat das noch nie funktioniert!«

»Deshalb musste ja ich es tun«, sagte Mencheres ruhig. »Ich musste all meine Kraft aufbieten, einen Zauber auch, um die Erinnerung aus deinem Kopf zu löschen. Ein weniger mächtiger Vampir hätte das nicht geschafft.«

Auch Bones wirkte verblüfft. »Partir de la femme de mon maìtre«, murmelte er. »Einer von Gregors Vampiren hat mir das zugerufen, bevor er geflohen ist. Deshalb also ist Gregor so scharf auf sie.«

Mencheres blieb stumm. Bones warf erst ihm einen Blick zu und dann mir. »Ist mir egal«, sagte er schließlich. »Gregor kann sich seine Ansprüche geradewegs in den Arsch schieben. «

Ich war noch immer nicht überzeugt. »Aber ich habe Vampire gehasst, bevor ich Bones begegnet bin. Ich wäre niemals wochenlang mit einem durchgebrannt.«

»Deine Mutter hat dich dazu gebracht, sie zu hassen«, sagte Mencheres. »Sie hat Gregor sich zuerst vorgenommen. Er hat sie dazu gebracht, dir weiszumachen, er wäre ein Freund von ihr, der dich beschützen wollte.«

»Wie weit haben sich Gregors Behauptungen bereits herumgesprochen? «, knurrte Bones.

»Du hast mich noch nicht gefragt, ob es überhaupt geschehen ist.«

Ich verstand nur Bahnhof. »Was?«

»Unwichtig. Er bekommt sie nur über meine verschrumpelte, verrottete Leiche.«

»Was!«, diesmal stieß ich Bones an, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

»Es geht um das, was Gregor behauptet«, sagte Bones eisig. »Jetzt, da er frei ist, erzählt er jedem, dass er dich irgendwann während dieser zwei Wochen geheiratet hat.«

Entgegen der landläufigen Meinung gab es in meinem Leben durchaus Situationen, in denen ich sprachlos war. Als meine Mutter mir an meinem sechzehnten Geburtstag offenbart hatte, dass all meine Abnormitäten daher kamen, dass mein Vater ein Vampir war, zum Beispiel. Auch als ich Bones nach vier Jahren Trennung zum ersten Mal wiedergesehen hatte. Das hier übertraf jedoch alles. Einige schier endlose Augenblicke lang war ich nicht einmal dazu in der Lage, mir eine angemessen entrüstete Antwort einfallen zu lassen.

Nicht nur ich war perplex. Selbst in meinem Zustand fielen mir die überraschten Mienen der anderen Vampire im Van auf, die nach einem bösen Blick von Bones jedoch schnell wieder ausdruckslos wurden. Mencheres’ Blick blieb hart, und schließlich sprach ich den ersten logischen Gedanken aus, der mir in den Kopf kam.

»Nein.« Danach fühlte ich mich schon besser, also sagte ich es noch einmal, diesmal lauter. »Nein. Das stimmt nicht.«

»Selbst wenn, würde sein Tod alles beenden«, versicherte mir Bones.

Mit einer Handbewegung wandte ich mich an Mencheres. »Du warst doch dabei, oder? Sag ihm, dass es nicht stimmt!« Mencheres zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht gesehen, wie der Bluteid vollzogen wurde. Gregor hat behauptet, es wäre kurz vor meinem Eintreffen geschehen. Einige seiner Leute sagten, sie wären Zeugen gewesen, aber das könnte eine Lüge sein, Gregor ist schließlich nicht gerade eine ehrliche Haut.«

»Aber was habe ich gesagt?«

Mit einem Mal hatte ich Angst. Hatte ich mich etwa irgendwie an einen fremden Vampir gebunden? Das konnte doch wohl nicht sein, oder?

Mencheres sah mich durchdringend an. »Du warst völlig außer dir. Gregor hatte dich emotional beeinflusst, und er sollte fortgebracht werden, einer unbekannten Bestrafung entgegen. Wahr oder unwahr, du hättest alles ausgesagt, um das zu verhindern.«

Anders ausgedrückt …

»Bones hat deutlich gemacht, wie er zu dieser Angelegenheit steht.« Mencheres warf einen Blick in die Runde. »Als sein Mitregent unterstütze ich ihn. Hat jemand etwas dagegen vorzubringen?«

Alle verneinten.

»Dann wäre das geklärt. Gregor erhebt unhaltbare Ansprüche, und wir ignorieren sie. Cat selbst kann nicht bestätigen, eine Verbindung mit ihm eingegangen zu sein, und außer ihm ist sie die Einzige, die es wissen kann. Bones?«

Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht, aber es war so kalt, wie ich mich im Inneren fühlte. »Wollen doch mal sehen, wie lange einer überlebt, der behauptet, meine Frau wäre nicht meine Frau

»Es ist deine Entscheidung.« Mencheres schien die potenzielle Dezimierung seiner Herde nicht zu beunruhigen. »Vor Tagesanbruch sind wir bei Spade. Ich für meinen Teil bin müde.«

Da waren wir schon zwei. Ich bezweifelte allerdings, dass ich Schlaf finden würde. Es kam mir wie eine Vergewaltigung vor, dass man über einen Monat meines Lebens aus meinem Gedächtnis getilgt hatte. Ich starrte Mencheres an. Kein Wunder, dass ich immer ein Problem mit dir hatte. Auf einer unterbewussten Ebene habe ich mich offenbar daran erinnert, dass er mich manipuliert hatte, auch wenn mir die exakte Erinnerung daran fehlte.

Oder doch nicht?

»Warum kannst du nicht einfach meine Gedanken lesen und selbst nachsehen, was passiert ist? Du hast meine Erinnerungen gelöscht, dann kannst du sie doch auch zurückholen, oder?«

»Sie sind so tief verschüttet, dass nicht einmal ich mehr an sie herankommen kann. Sie sollten ganz sicher vergessen bleiben.«

Klasse. Wenn selbst Mega-Meister Mencheres meine Erinnerungen nicht mehr zutage fördern konnte, waren sie wohl endgültig verloren.

»Mir ist egal, was Gregor oder sonst jemand glaubt«, wandte Bones sich in sanfterem Tonfall an mich. »Für mich zählt nur, was du denkst, Kätzchen.«

Was dachte ich eigentlich? Dass ich sogar noch tiefer in der Scheiße steckte, als ich anfangs geglaubt hatte? Dass mir ein Monat meines Lebens geklaut worden war, den ich bei einem Fremden verbracht hatte, mit dem ich eventuell auch noch eine Ehe eingegangen war? Verdammt, wo sollte ich da anfangen?

»Ich wollte, wir hätten einfach nur unsere Ruhe«, sagte ich. »Weißt du noch, wie es war, als es nur uns beide in dieser großen dunklen Höhle gab? Wer hätte gedacht, dass wir noch einmal glauben würden, das wäre die unkomplizierteste Zeit unseres Lebens gewesen?«