14

Die folgenden drei Wochen vergingen wie im Flug. Abgesehen von Cannelles anhaltender Gehässigkeit und den Sorgen um meine Familie musste ich mir eingestehen, dass ich nie glücklicher gewesen war.

Mit Gregor zusammen zu sein, war wundervoll – solange ich mich nicht mit ihm anlegte oder eine eigene Meinung äußerte. Das begriff ich schnell. Wie kam ich, ein Teenager, auch dazu, einem tausendjährigen Vampir zu widersprechen, dessen Macht und Wissen meine kühnsten Vorstellungen übertraf? Dieses Argument benutzte jedenfalls Gregor, wenn er sauer war. Ein gutes Argument, wie ich fand. Mir fiel kaum etwas ein, das ich darauf hätte erwidern können.

War Gregor allerdings gut aufgelegt, war alles himmlisch. Er hörte mir stundenlang zu, wenn ich über die Unsicherheiten sprach, die das Heranwachsen für mich mit sich brachte. Er bestärkte mich darin, meine übermenschlichen Eigenschaften zu zeigen, die ich in Gegenwart meiner Mutter stets zu verbergen versucht hatte. Außerdem kaufte er mir Kleidung, Schuhe, Schmuck. Über meine Proteste setzte er sich mit der Bemerkung hinweg, hübsche junge Damen sollten auch hübsche Dinge besitzen.

Bisher hatte mich noch kein Mann als hübsch bezeichnet. Genauer gesagt hatte mir auch noch keiner so viel Beachtung geschenkt wie Gregor. Praktisch über Nacht war das Gefühl verflogen, eine einsame Ausgestoßene zu sein, und ich kam mir umschwärmt und auserwählt vor. Da war dieser attraktive, zuvorkommende, charismatische Mann, der sich mit mir abgab, und auch wenn ich wusste, dass es dumm von mir war, verliebte ich mich jeden Tag mehr in Gregor.

Der allerdings gab sich lediglich als mein Beschützer. Jeden Tag versuchte ich, mir meine Schwärmerei auszureden. Gregor ist nicht nur tausend Jahre zu alt für dich, er hat wahrscheinlich auch noch an jedem Finger eine andere Frau. Cannelle zeigt ja mehr als deutlich, dass sie auf ihn steht, aber er beachtet sie gar nicht, obwohl sie eine solche Schönheit ist. Wie schlecht stehen dann erst deine Chancen?

Ich war schon zu der Überzeugung gelangt, dass ich mir meine Hoffnungen aus dem Kopf schlagen musste, auch wenn ich mich insgeheim doch nach ihm verzehrte, da nahm er mich mit ins Kino, wo wir uns Der Englische Patient ansehen wollten. Nach einem Crashkurs war mein Französisch zumindest so gut, dass ich nicht alle Untertitel lesen musste, um die Handlung zu verstehen, und gewisse Szenen bedurften keiner Übersetzung.

Die weibliche Hauptfigur hieß Catherine. Zu hören, wie mein Name während der erotischen Szenen gestöhnt wurde, ließ meine geheimen Fantasien offenbar werden. Überdeutlich war mir bewusst, wie Gregors Knie meines berührte, wie sein Arm auf der Lehne des Kinosessels lag, und wie groß seine ganze Gestalt darin wirkte. Ich spürte Hitze in mir aufsteigen, murmelte hastig, dass ich zur Toilette musste, und sprang auf.

Ich schaffte es nicht bis zu den Örtlichkeiten. Im Korridor wurde ich von Gregor gepackt, der mich blitzschnell zu sich herumdrehte und an sich zog. Überrascht öffnete ich den Mund, da legte sich auch schon seiner darauf, schockierte mich mit seiner eindringenden Zunge. Er griff mir ins Haar und hielt meinen Kopf fest, während er mich küsste.

Das Gefühl war gleichzeitig verzehrend, beängstigend und gut. So wie er mich gepackt hatte, konnte ich mich nicht bewegen, und atmen konnte ich auch nicht, weil er mich so leidenschaftlich küsste. Anscheinend bemerkte er irgendwann meine wild fuchtelnden Hände und ließ von mir ab. Ich wäre fast zusammengesackt und war froh über die Wand, die meinen Sturz verhinderte. Mein Herz schlug so laut, dass er bestimmt Kopfschmerzen davon bekam.

»Dein erster Kuss?«, fragte Gregor mit belegter Stimme und warf einem Pärchen, das stehen geblieben war, um zu gaffen, einen bösen Blick zu.

Ich wollte es nicht zugeben, aber er schien immer zu wissen, wann ich log.

»Ja.« Wie erbärmlich. Ich war sechzehn, die Hälfte meiner Klassenkameraden hatte bereits Sex gehabt.

Ein Lächeln kräuselte seine Lippen. »Genau die Antwort, die ich hören wollte. Du machst das sehr gut.« Er legte die Arme um mich, sodass ich – die Wand im Rücken – mich nicht entziehen konnte. »Mal sehen, wie du dich bei den anderen Vergnügungen anstellst, mit denen ich dich vertraut machen werde.«

Ich sah ihn mit großen Augen an und dachte, ich hätte ihn missverstanden. Er verhielt sich plötzlich so anders als sonst, dass ich nicht mehr mitkam. »Du meinst also, du willst, äh, Sex mit mir haben?«

Auf mein verblüfftes Flüstern reagierte er, indem er mich an sich riss. »Warum, glaubst du, dass du hier bist? Warum, glaubst du, habe ich dich bei mir aufgenommen, dich in schöne Kleider gesteckt und Tag und Nacht mit dir verbracht? Ich habe abgewartet, bis du dich an dein neues Zuhause gewöhnt hast, und ich bin sehr geduldig gewesen, oui? Aber meine Geduld ist bald zu Ende. Du gehörst mir, Catherine, und bald werde ich dich ganz in Besitz nehmen. Sehr bald.«

Mir fehlten die Worte. Natürlich war ich schwer in Gregor verliebt, aber ich hatte nicht geplant, mit ihm ins Bett zu hüpfen.

Zaghaft lächelte ich. »Du machst Witze, oder?«

Sofort wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Er zog die Brauen zusammen, sodass sich die Narbe an seiner Schläfe dehnte, und machte ein finsteres Gesicht.

»Du verspottest mich? Ich will dir geben, wofür Cannelle töten würde, und du kicherst nur dumm. Vielleicht sollte ich meine Zeit lieber mit einer Frau als mit einem törichten Kind verbringen.«

Tränen traten mir in die Augen. Ich brauchte mich nicht umzusehen, um zu wissen, dass die Leute uns im Vorbeigehen angafften.

»Es tut mir leid. Ich habe das nicht so gemeint …«, begann ich.

»Nein, du hast das nicht so gemeint«, schnitt er mir das Wort ab, seine Stimme troff vor Hohn. »Du meinst nicht, weil du nicht denkst. Komm mit, Catherine. Für heute Abend ist dein Ausflug zu Ende.«

Und damit packte er mich am Arm und zerrte mich hinter sich her zum Ausgang. Ich hielt den Kopf gesenkt, damit die Leute, an denen wir vorbeikamen, nicht sahen, dass ich weinte.

 

Gregor sprach zwei Tage lang nicht mit mir. Ich rief meine Mutter an und bekam von ihr nur Schelte, weil ich einen so wundervollen Mann beleidigt hatte. Wusste ich denn nicht, was für ein Glück es für mich war, dass er mich bei sich aufgenommen hatte? War es mir denn egal, dass ihm mein Seelenheil so am Herzen lag? Ich sagte ihr nicht, dass meine Seele nicht ganz das zu sein schien, wofür er sich interessierte. Vielleicht war ich tatsächlich undankbar. Gregor hatte schließlich so viel für mich getan. Ohne ihn wären meine Familie und ich in schrecklicher Gefahr. Und er war ein erwachsener Mann – ein sehr erwachsener Mann. Ich konnte schließlich nicht erwarten, dass jemand seines Alters nur Händchen halten wollte, wenn er Interesse an mir hatte.

Ordentlich zerknirscht wartete ich drei Tage ab, bevor ich mit ihm sprach. Ich hatte einen Plan; nur wusste ich nicht, ob er auch funktionieren würde.

Erst legte ich Make-up auf. Gregor schien es zu gefallen, wenn ich das tat. Dann machte ich mir das Haar. Danach war mein Outfit dran. Ich trug am liebsten Hosen, aber die konnte Gregor nicht ausstehen. Also durchwühlte ich meine neuen Klamotten und streute mir dabei immer mehr Asche aufs Haupt. Siehst du all die schönen Sachen? Die hat er dir gekauft. Sieh dir das Schlafzimmer an. Es ist fast so groß wie das ganze Haus deiner Großeltern. Niemand hat dich je so gut behandelt. Klar, Gregor kann launisch sein, aber du bist eine halbvampirische Missgeburt. Da kannst du wohl kaum Kritik üben.

Ich wählte ein ärmelloses weißes Kleid aus und redete mir weiter wahnsinnige Schuldgefühle ein. Dann putzte ich mir ein letztes Mal die Zähne und machte mich auf den Weg zu Gregors Zimmertür.

Als ich dort angekommen war, zögerte ich allerdings. Was, wenn er bereits beschlossen hatte, mich wieder nach Hause zu schicken? Gott, wie hatte ich nur eine solche Idiotin sein können?

»Komm rein, ich kann dich hören«, rief er.

O Mist. Jetzt oder nie.

Ich trat in sein Schlafzimmer, dessen Ausstattung mich fast mein Vorhaben vergessen ließ. Wow. Wie archaisch.

Das Bett war etwa zweimal so groß wie das Doppelbett in meinem Zimmer. An allen vier Ecken reckten sich gewundene Baumstämme in die Höhe. Sie waren mit ineinander übergehenden Schnitzereien verziert und liefen oben zusammen, sodass sie eine Art Baldachin aus bearbeitetem Holz bildeten. Das ganze Bett wirkte, als bestünde es aus einem einzigen gigantischen mit Steroiden vollgepumpten Baum. Etwas Derartiges hatte ich noch nie gesehen. Ich errötete, als ich einige der geschnitzten Formen näher betrachtete. Die Figuren waren im Kampf und bei anderen Beschäftigungen ineinander verschlungen.

»Es ist über vierhundert Jahre alt. Es wurde dem Bett des Odysseus nachempfunden und für mich von einem Tischler gefertigt, der Bäume zog, die sich von ihm in jede gewünschte Form biegen und winden ließen«, erklärte Gregor auf mein ehrfürchtiges Staunen hin. »Großartig, non

»Ja.« Ich wandte den Blick vom Bett ab, das ich wie gebannt angestarrt hatte, und drehte mich zu ihm. Er saß am Schreibtisch vor seinem Computer. Er minimierte das Fenster auf dem Bildschirm und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Wartend.

»Das von neulich Abend tut mir leid«, begann ich. »Ich habe mich schwer in dich verliebt, dachte aber, das wäre dumm von mir, weil du nie und nimmer Interesse an mir haben könntest. Als du mich dann geküsst und mir gesagt hast, du wolltest … na ja, du weißt schon, was, war ich so überrumpelt, dass ich dachte … es könnte nicht wahr sein, weil ich nie solches Glück haben würde.«

Als ich mir meine Entschuldigung zurechtgelegt hatte, war ich der Meinung gewesen, sie würde glaubhafter klingen, wenn ich mich zu meinen Schwärmereien bekannte, egal wie peinlich sie mir waren. Es stimmte ja. Ich wusste wirklich nicht, warum Gregor sich für mich interessierte, wo es doch Tausende von tollen Frauen gab, die liebend gern mit ihm zusammen gewesen wären. Wäre sein aufbrausendes Temperament nicht gewesen, hätte ich ihn für perfekt gehalten.

»Komm näher.«

Ich stieß einen erleichterten Seufzer darüber aus, dass er anscheinend nicht mehr sauer war, und ging auf ihn zu. Etwa dreißig Zentimeter entfernt blieb ich stehen.

»Näher.«

Ich ging weiter, bis meine Knie seine berührten.

»Näher.«

Das Wort war ein gegurrter Befehl und in seinen Augen änderte sich etwas. Das Grau machte grünen Schlieren Platz.

Ich legte ihm die Hände auf die Schultern und begann zu zittern. Er machte die Beine breit, und ich stellte mich zwischen sie.

»Küss mich.«

Ich war zwar nervös, hatte aber Angst, mich zu widersetzen, also legte ich die Lippen auf seine und fragte mich, ob ich es überhaupt richtig machte.

Sein Mund öffnete sich, und seine Hände erwachten zum Leben. Sie pressten mich an ihn, während seine Zunge sich zwischen meine geschlossenen Lippen schob. Urplötzlich lag ich auf ihm, der Stuhl kippte nach hinten, und Gregor küsste mich, als gäbe es in meinem Mund irgendwelche verborgenen Schätze zu finden.

Es gefiel mir, auch wenn ich mich ein wenig überwältigt fühlte. Einen gekeuchten Protestlaut stieß ich erst aus, als er mich mit starker Hand hochhob und aufs Bett legte.

»Gregor, warte«, keuchte ich, als sein Mund zu meiner Kehle wanderte. Ich spürte kühle Luft an den Beinen, weil mein Kleid hochgeschoben wurde.

Halt, stopp. Ich hatte mich entschuldigen und das Schweigen zwischen uns beenden wollen – ein bisschen Küssen war vielleicht auch geplant –, aber das hier war nicht meine Absicht gewesen.

»Was hast du gesagt?«

Die Frage klang fast barsch, und er hörte kurz auf, den Reißverschluss meines Kleides zu öffnen. Ich zitterte, als ich sah, dass ihm Fänge aus dem Mund schauten. Ich hatte sie erst einmal gesehen, auf der Veranda meiner Großeltern an dem Abend, als wir uns kennengelernt hatten und er beweisen wollte, dass er ein Vampir war. Seine Fänge machten mir Angst, aber sie brachten mich auch auf eine Idee.

»Beiß mich«, improvisierte ich, obwohl ich davor auch Angst hatte, aber ich hatte mir eine Alternative ausdenken müssen, und zwar schnell. Eine, die keinen Wutausbruch bei ihm auslösen würde. »Trinke von mir.«

Gregor starrte mich an. Dann lächelte er. »Oui. Heute Nacht das Blut deiner Adern und morgen das Blut deiner Unschuld.«

O Gott. Was hatte ich getan?

Gregor setzte sich auf und zog mich mit sich. Seine Hand strich mir das Haar zur Seite, während er am Ausschnitt meines Kleides herumzerrte.

Alles in mir machte sich auf das Unvermeidliche gefasst. Wie schlimm würde es sein?

»Du hast Angst«, murmelte er. Seine Zunge, die in kreisenden Bewegungen über meine Kehle fuhr, ließ mich unwillig zurückfahren. Sein Griff wurde hart wie Stahl. »Das macht dein Blut nur noch süßer.«

Ich wollte etwas sagen, aber das endete in einem Schrei. Reißzähne drangen in mich ein, und ich spürte buchstäblich, wie das Blut aus mir hervorquoll. Gregor saugte, die Schmerzen ließen mich schaudern, aber das war nichts im Vergleich zu der Hitze, die mich überkam. Er saugte stärker, mir wurde immer schwindliger, und ich ergab mich der Dunkelheit, die mich erwartete.