19

Juan holte Fabian ab. Mich begrüßte er freundlich, aber zurückhaltend, was mir verriet, dass er die Bilder gesehen hatte.

»Wie lange dauert es bis New Orleans?«, fragte ich Juan, als die beiden aufbrechen wollten.

Er trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Querida, wenn ich es dir genau sage, verrate ich zu viel.«

»Ungefähr«, bohrte ich weiter. Die unvermeidliche Geheimniskrämerei war mir verhasst, aber Gregor hatte deutlich gemacht, dass er noch immer in meinen Träumen herumschnüffelte. Ich wollte verdammt sein, wenn ich ihm irgendwelche nützlichen Informationen preisgeben würde, falls ich doch einschlief.

»Einen Tag, Kontaktaufnahme und Rückreise eingeschlossen«, schätzte er.

So lange? Ich würde den Boden durchwetzen beim Herumtigern.

»Okay.« Jahrelange Übung im Vortäuschen von Gelassenheit bei emotionalen Zusammenbrüchen hatte ihre Vorteile. »Gib gut acht auf mein Gespenst.«

Juan warf einen argwöhnischen Blick in Richtung seiner Schulter. Fabian lächelte mich an, seine Hand verschwand in Juans Schlüsselbein.

»War schön, dich zu sehen, querida«, verabschiedete sich Juan, der seine Schulter immer noch nicht ganz aus den Augen lassen konnte. Ich winkte mit gezwungenem Lächeln. Musste ja nicht aussehen wie die gramgebeugte, verlassene Ehefrau.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Spade sich die Schläfe rieb. Annette stand in der Tür, lehnte fast am Türrahmen. Wir alle hatten lange nicht geschlafen.

»Legt euch eine Weile aufs Ohr, Leute. Wir machen ja keinen Wettbewerb im Wachbleiben. Vor allem du, Spade. Du musst womöglich hellwach sein, wenn wir Nachricht erhalten. «

Er nickte. »Nur ein paar Stunden. Damit dürfte ich über die Runden kommen.«

»Ihr braucht keine Angst zu haben, dass ich einnicke. Ich habe genug Sorgen, die mich wach halten.«

Spade warf Tate einen missbilligenden Blick zu. »Nach allem, was wir wissen, sind die Bilder getürkt. Tates Eifersucht auf Crispin ist grenzenlos. Würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn Fabian vermelden würde, dass eine solche Frau nie existiert hat.«

»Ja, klar«, spottete Tate. »So was würde ich nie machen. Zuallererst bin ich Cats Freund. Und wenn Bones nichts zu verbergen hat, warum versteckt er sich dann?«

»Es reicht, Leute.« Die Jungs machten meine Kopfschmerzen immer schlimmer.

Spade warf Tate noch einen letzten bösen Blick zu. »Bald haben wir den Beweis, dass du lügst. Ich freue mich schon darauf, Crispin zu erzählen, wie du Cat in Sorge versetzt hast, nur weil du immer noch vergeblich hinter ihr her bist. Dafür wird er dich dann wohl endlich umbringen.«

Tate straffte die Schultern. »Ich will verdammt sein, wenn ich die Klappe halte, während er sie hinter ihrem Rücken zum Narren hält.«

Der Blick, den Spade Tate zuwarf, beunruhigte mich. Er wirkte, als müsste er sich schwer zusammenreißen, um ihn nicht kaltzumachen.

»Du hast ein Riesenglück, dass Crispin mich hat schwören lassen, nie Hand an dich zu legen«, meinte Spade schließlich. »Sonst wärst du schon längst einen Kopf kürzer.«

»Träum weiter«, schoss Tate zurück.

»Sag besser nichts mehr«, warnte ich ihn. Spade konnte auch ernst machen. Wusste Tate das nicht?

Spades Muskeln spannten sich an, als wäre seine Geduld endgültig erschöpft. Ich wollte mich schon auf ihn stürzen, da entschied ich mich für eine andere Taktik.

Ich begann keuchend zu taumeln und griff mir an den Kopf. Sofort war Spade an meiner Seite. Sein Beschützerinstinkt war sogar noch ausgeprägter als sein hitziges Temperament.

»Was hast du, Cat?«

»Der ganze Stress und der Schlafmangel … Ein kleiner Schwächeanfall.«

Mit einem letzten drohenden Blick in Richtung Tate berührte Spade mich sanft am Arm. »Ich hole dir ein Glas Wasser. «

Er ging nach drinnen, und ich wandte meine Aufmerksamkeit Tate zu. »Ich habe dir wahrscheinlich gerade das Leben gerettet«, sagte ich ruhig.

Vlad hatte die Szene leicht amüsiert mit angesehen. Er hatte gewusst, dass ich meinen Schwächeanfall nur gespielt hatte, weil er meine Gedanken lesen konnte.

»Junger Mann, du wirst noch mal einen schrecklichen Unfall erleiden«, sagte er zu Tate. »Mach mit deinen Provokationen so weiter, und dieser Tag wird bald kommen.«

Tate verdrehte die Augen. »Ja, ja, ich weiß … du wirst mir einen qualvollen Tod bereiten. Ich kann’s nicht mehr hören.«

»Wenn ich dich umbringen wollte, hätte ich es längst getan. Du solltest aufpassen, was du sagst, damit du, wenn du mal wieder jemanden zum Äußersten treibst, stark genug bist, um eine Chance zu haben, mit dem Leben davonzukommen. «

»Guter Tipp«, fügte ich hinzu. »Du solltest auf ihn hören.«

Tate sah mich an. »Scheiße, Cat. Ich müsste vor meinem eigenen Schatten Angst haben, wenn ich mir bei jeder Drohung ins Hemd machen würde. Eines Tages werde ich sterben. Jeder muss das, sogar unsereiner. Verdammt will ich sein, wenn ich bis dahin feige rumheule und jedem in den Arsch krieche, damit ich nirgendwo anecke. Mir bleibt nur das, was ich aus meinem Leben mache. Wie ich sterbe? Das ist das Problem des Typen, der mich kaltmacht.«

»Gott«, murmelte ich. Er wollte einfach nicht hören.

Vlad stieß einen Pfiff aus. »Ich habe mich immer gefragt, was sie an dir findet. Du hast meistens einen so bedauernswerten Eindruck auf mich gemacht. Wenigstens steckt so etwas wie Courage in dir.«

»Du Arschloch …«, fing Tate an.

Seine Füße fingen Feuer. Dann seine Hände. Der Schwung, mit dem er sich auf Vlad hatte stürzen wollen, verwandelte sich urplötzlich in ein wie ein Tanz anmutendes Herumgehüpfe, während er versuchte, die Flammen auszutreten.

»Tststs«, machte Vlad »Siehst du? Du musst dich beherrschen. «

»Ähem.« Ich räusperte mich. »Machst du das bitte aus?«

Langsam verlöschten die Flammen. Ich schüttelte den Kopf. Fabian konnte gar nicht schnell genug zurückkommen. Wer hätte gedacht, dass ich mich einmal so auf ein Gespenst freuen würde?

»Kann ich mich darauf verlassen, dass du ihn nicht umbringst, Vlad, solange ich drinnen ein bisschen nicht-schlafe? «

Vlad lächelte. »Vorerst ja.«

 

Juan kam nicht zurück. Fabian auch nicht, obwohl es keine achtzehn Stunden dauerte, bis wir eine Nachricht von ihm hatten. Sie kam in Form eines Anrufs. Komisch; irgendwie schienen mich schlechte Nachrichten immer per Telefon zu erreichen.

»Cat.«

Juans Stimme. Als ich sie hörte, wusste ich gleich, dass es schlimm stand. Er klang so beherrscht. So gezwungen sanft.

»Ich wollte es dir lieber gleich sagen, querida…«

Vlad starrte mich an. Tate auch. Spade hatte mir fast den Kopf auf die Schulter gelegt, um mithören zu können.

»Als Fabian ihn aufgespürt hat, war sofort klar, dass Bones nicht gegen seinen Willen festgehalten wird. Er, äh, hat zu verstehen gegeben, dass Fabian gehen soll … Würdest du dich bitte zusammenreißen, amigo?« Das war vermutlich an den Geist gerichtet gewesen, denn ich hatte keinen Nervenzusammenbruch erlitten. Noch nicht. »Hör zu, querida, Fabian sagt, Bones wäre sehr ruppig gewesen. Hätte ihm gesagt, er solle sich verpissen, oder so etwas.«

Ich atmete tief durch. »Du meinst also, er will nach wie vor allein sein. Hat … hat er gesagt, wie lange noch? Hat er irgendwas über mich gesagt?«

Ich konnte nicht anders; meine Stimme brach beim letzten Satz. Mein Herz jagte, und ich fühlte mich schwach, aber wenigstens stand ich noch.

».« Juan klang, als hätte er etwas Ekliges verschluckt. »Fabian hat ihn gefragt: ›Wie soll ich es deiner Frau sagen?‹ Und Bones hat geantwortet …« Juan unterbrach sich.

»Was hat er geantwortet?« Ich schrie fast.

»Er hat gesagt: ›Ich habe keine Frau.‹«

Spade riss mir das Handy aus den gefühllosen Fingern. »Das ist eine verdammte Lüge!«

»Hör mal, mir gefällt das auch nicht«, hörte ich Juan zurückschnauzen. »Aber er lügt nicht.«

Spade schäumte geradezu. »Ich kenne diesen Mann seit zweihundertzwanzig Jahren, und ich kann dir sagen …«

»Schon gut, Spade.«

Auf meinen ruhigen Tonfall hin unterbrach Spade seine Hasstirade und sah mich mit großen Augen an. »Du glaubst diesen Mist doch nicht etwa, oder?«

Ich muss gelacht haben. Scheiße, genau weiß ich es nicht mehr. »Nachdem ich die Satellitenaufnahmen gesehen und Augenzeugenberichte gehört habe, denke ich mal, es stimmt. Sag mir nur eins: Hat Bones ausdrücklich gesagt, dass er zu mir zurückkommt? Oder glaubst du das nur?«

Spade straffte sich. »Er musste mir seine Absichten nicht schriftlich geben, ich weiß es auch so …«

Jetzt lachte ich wirklich, ein hässliches Lachen. »Anders ausgedrückt, nein, das war nur deine eigene Einschätzung.«

Da hatte Bones mir klipp und klar gesagt, dass es aus war, und ich wollte es einfach nicht kapieren. Ich hatte mich an das bisschen Hoffnung geklammert, das Spade mir bis zum bitteren Ende in Aussicht gestellt hatte.

Annette blieb in ihrer Zimmerecke, clever. Spade legte ohne ein weiteres Wort an Juan auf.

»Cat, lass uns von hier verschwinden«, mischte sich Tate ein. »Du kannst zu Don und dem Team zurückkommen. Dort bist du immer willkommen. Das hier hast du nicht nötig.«

Ich starrte ihn an, die kalte Realität drang allmählich durch den brennenden Schmerz. Genau, hier bist du nicht zu Hause. Du gehörst nicht hierher. Du gehörst nirgendwohin.

»Nein.«

Ich hatte das Wort nur gedacht, aber jemand anderer hatte es laut ausgesprochen. Vlad drängte sich an Tate vorbei, als wäre der gar nicht da.

»Gregor hat deutlich gemacht, dass er sie nicht in Ruhe lassen wird, und du kannst sie nicht vor ihm beschützen. Du wirst nur das Leben deiner Soldaten opfern und ihres gleich mit. Sie kann bei mir bleiben, bis sie sich entschieden hat, was sie tun will.«

»Ich bezweifle, dass deine Absichten ehrenhaft sind«, erwiderte Spade, seine Augen blitzten grün.

»Hätte Bones Zweifel an meinen Absichten, wäre er hier, um sie zu überwachen«, antwortete Vlad. Tates Protest half nicht. Schnell wurde die Stimmung explosiv. »Du beschützt eine verlassene Geliebte, nicht die Frau deines besten Freundes. Warum kümmerst du dich nicht um dein eigenes Liebesleben? An dieser Front hattest du ja bislang so deine Defizite. «

Hätte ein Vampir erbleichen können, wäre Spade das gerade passiert. Vlads Anspielung auf Giselda, Spades ermordete Verlobte, war mir nicht entgangen. Bevor die Situation völlig aus dem Ruder lief, trat ich zwischen Spade und Vlad. Ich hatte keine Angst um Vlad. Ich fürchtete vielmehr, Vlad würde Spade in ein Häufchen Asche verwandeln, wenn Spade Hand an ihn legte.

»Spade, was du auch denken magst, Bones hat mehr als deutlich gemacht, dass es aus ist zwischen uns. Ich bin selbst schuld, weil ich es nicht akzeptieren wollte. Tate … ich kann nicht zurück. Es gibt kein Zurück.« Gott, wenn es doch eins gäbe. »Vlad, was ist dein Preis? Jeder Vampir hat einen. Also was willst du von mir, wenn ich bei dir bleibe, bis ich weiß, wie es weitergeht?«

Vlad schien nachzudenken. »Mir reicht es, wenn ich von dir trinken darf.«

»Einverstanden.« Besser gesagt: Verkauft! An den Vampir mit den kupfergrünen Augen.

Spade verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass du mit ihm gehst.«

Nicht brutal werden, wandte ich mich mental an Vlad, als ich sah, wie dessen Lippen sich auf die Provokation hin kräuselten. Spade ist ein Freund, auch wenn er unrecht hat. Kein Snack, den du toasten kannst. Das gilt auch für Tate, der sieht nämlich auch aus, als wollte er sich dir gleich in den Weg stellen.

»Rieche ich Rauch?«, fragte Vlad, immer noch dieses leise Lächeln im Gesicht.

Und damit schlugen Flammen aus den Wänden. Sie sahen aus wie von Zauberhand erschaffene orangefarbene und rote Schlangen, die immer größer wurden. Und größer.

Spade fing an zu fluchen und lief zum Waschbecken, wo er die nächstbesten Behältnisse mit Wasser füllte und um Hilfe rief.

»Wenn ihr schnell seid, habt ihr das in null Komma nichts gelöscht«, versicherte Vlad und bot mir den Arm an. »Wollen wir?«

Wäre ich geblieben, hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Die drei würden aneinandergeraten, das wusste ich; ich würde es nicht verhindern können. Bei Tate waren jetzt schon die Sicherungen durchgebrannt. Er packte Vlad an der Schulter … und wurde durch die Decke geschleudert. Durch zwei, so hörte es sich zumindest an. Trümmerteile regneten zwischen den Flammen herab.

Vlad verzog keine Miene. »Das war eine Warnung. Das nächste Mal mache ich ernst.«

Ich warf einen letzten Blick auf das Loch in der Decke und die brennenden Wände, bevor ich Vlads Arm nahm, noch immer ganz fertig von dem, was in der letzten Viertelstunde geschehen war. »Gehen wir.«

Wir stiegen in einen Wagen, der offensichtlich Vlad gehörte. Im Davonfahren hörten wir es dreimal vernehmlich rumsen, als die Autos in der Einfahrt explodierten.

»Damit sie nicht versuchen, uns zu folgen«, erklärte Vlad auf meinen verdutzten Gesichtsausdruck hin.

Am Himmel blitzte es. Es war das Letzte, was ich sah, bevor ich die Augen schloss.