40.

 

D

u kannst in Rom bei mir leben!«, sagte Bologna. »Es ist die Hauptstadt der Welt.«

Katharina saß unbekleidet auf dem Bett und verdeckte ihre Brüste mit den Armen. Sie befanden sich immer noch in dem Raum, in dem sie zusammen gegessen hatten. Das Bett stand nahe beim Kaminfeuer. Die Kerzen hatte Bologna gelöscht. Über dem Bett hing ein Wandteppich, der in leuchtenden Farben Szenen aus der Artusepik zeigte.

»Ich wäre eine Fremde. Das ist kein schönes Leben«, sagte sie. Ihr Haar glänzte bei dieser Beleuchtung wie Seide. Sie spürte Bolognas anhaltende Blicke auf ihrer hellen und empfindlichen Haut.

»Es würde dir an nichts fehlen.« Sie wich aus, wenn er sie berühren wollte. Sie wusste, dass sie ihn damit zum Wahnsinn trieb. »Lass uns ein wenig reden«, hatte sie gesagt. Sein Blick zeigte deutlich, wie wenig ihm danach der Sinn stand.

»Ein Kleriker darf nicht heiraten«, sagte Katharina.

»Das ist die offizielle Version.«

»Und die inoffizielle?«

»Ich bin bald der zweite Mann im Kirchenstaat. Wenn du an der Spitze stehst, geht vieles. Was Jupiter erlaubt ist, ist einem Ochsen noch lange nicht erlaubt, sagten die Alten.« Katharina musste lächeln. Bestimmt hatte Bologna in der Klosterschule lateinische Sprichwörter gelernt und war stolz darauf, viele noch aufsagen zu können. Er hatte ausgerechnet jenes zitiert, dass auch ihr besonders gut gefiel. »Wer will mit dem Gesetzgeber richten? Denkst du, der Papst lebt im Zölibat?«, fügte er hinzu.

»Und wenn du dich irrst? Wenn dir die Erfindung nicht Tür und Tor öffnet?«

»Was ist denn der Kirchenstaat? Auf der Landkarte gibt es ihn kaum, ein unbedeutender Klecks. Unsere Macht und Herrschaft basiert auf dem Wort. Damit regieren wir die Herzen der Menschen. Bisher war das Wort flüchtig, das geschriebene Wort ein Luxus. Bald aber werden wir das Abendland mit Hilfe von Büchern beherrschen, die unsere Sicht der Welt verbreiten.«

Ihre Sicht der Welt. Katharina hörte sehr aufmerksam zu. Bologna vertrat seine Position ganz ungeniert, das war das Erstaunliche. Ihr wurde klar, das die Erfindung zwei Gesichter hatte: Sie konnte Segen bringen und Unheil.

»Noch hast du die Pläne nicht«, sagte Katharina.

»Notfalls räumen wir ihm die Werkstatt leer.«

»Das nützt euch wenig. Ihr kennt die Arbeitsabläufe nicht.«

»Gutenberg selbst wird sie uns erklären. Die Folter hat noch jeden zum Reden gebracht. Ich wollte anders vorgehen, aber der Tod deiner Schwester hat alles über den Haufen geworfen.«

»Du hast mir gesagt, du hättest die Verhandlungen mit meiner Schwester nicht selbst geführt. Wer war es dann?« Sie schob ihre Arme ein wenig nach unten.

Es war das erste Mal, dass sie ihren Körper mit Berechnung einsetzte. »Henning, der Goldschmied«, sagte Bologna. Wahrscheinlich dachte er, dass sie es ohnehin erfahren würde, wenn er sie mit nach Rom nahm. »Er hat sie dazu gebracht. Mit meinem Geld!«

Das erste Mal, dass Katharina die Macht spürte, die sie auf einen Mann ausüben konnte. »Und von ihm weißt du auch, dass es die Erfindung gibt?«, fragte sie.

Bologna streckte den Arm nach ihr aus, aber sie schob ihn sanft zurück, mit einem Blick, der besagte: ›Noch nicht.‹ Sie spürte, dass sie mehr haben konnte.

»Henning und ich haben uns in Straßburg kennen gelernt«, sagte Bologna, der auf das Spiel einging. »Damals hat Gutenberg noch experimentiert. Ich habe mich gleich für seine Erfindung interessiert. Ich bezahlte Henning dafür, mir Informationen zu beschaffen über die Druckerei, die im Entstehen begriffen war. Viel kam dabei nicht heraus. Gutenbergs Bemühungen verliefen im Sand. Aber mir war klar, dass er nicht aufgibt. Ich musste viele Jahre warten. Lange hörte ich nichts von Henning. Dann bekam ich einen Brief von ihm aus Mainz.«

»Was war Klaras Aufgabe?«, fragte Katharina.

»Deine Schwester sollte sich an Baum heranmachen. Das war Hennings Idee, und ich fand sie gut. Baum ist Junggeselle, seine Schüchternheit stadtbekannt. Ein gutmütiger Riese. Ich vermute, dass es für deine Schwester leicht war, ihn um den Finger zu wickeln.«

Katharina fasste sich an den Hinterkopf. Ihr Haar war mit einer Spange aus Elfenbein nach oben gesteckt. Ihr Vater hatte sie ihr geschenkt. Sie zog sie ein Stück aus dem Haarknoten hervor.

»Nehmen wir an, ich komme mit. Wo werden wir wohnen?«

»In einem Palast.«

»Mit Dienern?«

»Ja!«

»Wirst du andere Frauen haben?«

»Nie.«

Er streckte seine Hand aus und berührte ihren weißen Arm. Die Innenfläche seiner Hand war feucht.

»Warte einen Moment«, sagte sie und legte ihren Kopf in den Nacken. Sie umfasste fest die Haarspange und zog sie mit einem Ruck heraus. Das Haar löste sich, die Locken fielen auf ihre Schultern.

»Küss mich!«, sagte sie.

Bologna beugte sich herab. Er hatte schmale Schultern und war zierlich gebaut. Ihre Lippen berührten sich. Katharinas Haarspange war filigran gearbeitet und am Kopf mit einer Schnitzerei verziert. Die Nadel war lang und spitz. War sie fest genug? Sie legte ihre linke Hand auf sein Schulterblatt, in der rechten hielt sie die Spange.

Bologna beugte sich weiter herab. Er stützte sich mit den Händen auf das Bett. Was für hochtrabende Pläne er hatte! Und vielleicht war das nicht einmal abwegig. Mussten nicht alle Aufsteiger größenwahnsinnig sein? Sie testete mit den Fingern die Festigkeit der Haarnadel und bewegte ihre Hand zu seinem Rücken hin. Vielleicht ändere ich den Lauf der Geschichte, dachte sie spöttisch.

Bologna küsste ihren Hals. Er hielt die Augen geschlossen. Ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, sie betrachtete seinen Rücken. Sie umklammerte die Haarnadel wie ein Messer und führte sie nach unten. Wo lag das Herz? Sie dachte an ihre Schwester. Bologna war schuld an ihrem Tod. Er hatte außerdem versucht, Thomas zu töten, um an die Pläne zu kommen. Er hatte sie entführen lassen, und er demütigte sie.

Die Spitze der Haarnadel war nur noch um Fingerbreite von seiner Haut entfernt. Jetzt griff er mit seiner Hand nach ihrer Brust. Doch bevor er sie berühren konnte, stach sie zu. Sie hatte Angst, die Nadel würde brechen. Oder an einer Rippe stecken bleiben. Sie stieß fest zu, und ein Großteil der Nadel verschwand in seinem Körper. Er richtete sich auf, seine Augen weiteten sich. Er streckte beide Hände nach ihr aus. Als wolle er ihren Hals umklammern. Aber dann sackte er nach vorne.

Sie konnte sich nicht rechtzeitig zur Seite drehen. Er fiel mit dem Oberkörper auf sie. Sein Kopf lag an ihrer Schulter.

Katharina geriet in Panik. Sie stieß seinen Körper zur Seite und sprang mit einem Schrei aus dem Bett. Sie wusste nicht, ob er tot war. Aus der Wunde drang kein Blut. Die Nadel wirkte winzig. Sie ging einige Schritte zurück und behielt seinen Körper im Auge. Er lag seltsam verdreht mit dem Oberkörper und Gesicht nach unten im Bett. Er schien nicht zu atmen. Sie ging näher heran. Ängstlich griff sie nach der Nadel. Nichts geschah. Sie stieß sie tiefer hinein, so tief es ging. Dann fasste sie seinen Kopf an den Haaren und hob ihn hoch. Bolognas Mund war geöffnet, sein Blick leer.

Katharina schaute sich im Zimmer um. Seine Kleidungsstücke lagen auf einer Truhe. An seinem Gürtel hing der Schlüssel, mit dem er die Tür von innen verriegelt hatte. So sicher hatte er sich gefühlt! Katharina griff nach ihrem Kleid und zog es über. Sie ging zur Tür und horchte. Falls jemand draußen stand, gab er keinen Laut von sich. Katharina steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür einen Spalt breit. Im Gang brannte kein Licht. In ihren Schläfen pochte es, als habe sie Fieber. Sie schob die Tür weiter auf. Nichts geschah! Sie schaute im Gang nach rechts und links. Bologna hatte keine Wache draußen postiert. Sie trat zurück in den Raum, entzündete eine Öllampe und warf einen letzten Blick auf Bologna, der zu schlafen schien.

Ihr blieb keine Zeit, über das, was sie getan hatte, nachzudenken. Wohin sollte sie gehen? Sie entschied sich für rechts. Der Gang war niedrig, und sie musste gebückt gehen. Sie hatte den Eindruck, als führe der Weg unmerklich aufwärts, und das schien ihr ein gutes Zeichen zu sein. Was war der Sinn und Zweck der unterirdischen Anlage? Hatte man früher hier Waren gelagert, vor fremdem Zugriff gesichert? Dienten die Gänge als letzte Zuflucht bei einer Eroberung der Stadt? Sie konnte nur Vermutungen anstellen! Wahrscheinlich wusste es niemand.

Der Lichtschein der Lampe reichte nicht weit. Häufig kreuzten sich Gänge, und sie traf ihre Entscheidung, welchem sie folgte, rein nach Gefühl. Als sie zu einer Treppe kam, die abwärts führte, wuchs ihre Unsicherheit. Das verworrene Gangsystem hatte mehrere Ebenen. Sie stieg die Treppe hinab und folgte nun einem Gang, der noch niedriger war. Es gab in regelmäßigen Abständen Luftschächte und Nischen, in denen man früher wahrscheinlich Fackeln angebracht hatte, wie verrußte Stellen vermuten ließen. Sie erreichte einen Punkt, von dem aus sie nur noch kriechend weitergekommen wäre. Bestimmt konnte sie stundenlang im Kreis herumlaufen, ohne einen Ausgang zu finden. Unter welchem Gebäude oder Platz sie sich wohl gerade befand? Sie ging zurück, die Treppe wieder hinauf und irrte orientierungslos weiter. Die Flamme der Öllampe wurde immer kleiner und schwächer.

Irgendwann entdeckte sie einen Gang, der breiter und höher war als die bisherigen und stetig aufwärts führte. Sie kam in eine Art Halle, die vollständig ausgemauert war. Vier Wege gabelten sich. Einer führte nach links, der zweite über eine steinerne, ausgetretene Sandsteintreppe nach unten, direkt daneben eine weitere, diesmal aufwärts führende Treppe und der vierte Gang führte nach rechts. Sie entschied sich für die Treppe, die nach oben ging. Als die Treppe endete, erreichte sie einen Gang, in dem sie aufrecht stehen konnte und der breiter war als alle bisherigen. Von weitem sah sie einen Streifen Helligkeit und hörte Stimmen. Zwei Männer unterhielten sich. Der Lichtstreifen fiel seitlich in den Gang, also befanden sich die Männer wahrscheinlich in einem Raum – ein Wachraum möglicherweise. Sie musste daran vorbei. Sollte sie die Lampe löschen? Aber selbst wenn der Gang ins Freie führte, wusste sie nicht, wie lang die Strecke noch war.

Sie hörte Würfel, die man im Becher schüttelte und die dann über eine Holzfläche purzelten. Katharina löschte ihre Lampe und näherte sich dem Licht auf wenige Schritte. Die Männer debattierten über einen Wurf und zählten Punkte. Katharina wartete. Die beiden begannen sich zu streiten, nicht sehr ernsthaft, aber mit einer gewissen Erregung. Einer forderte, den Wurf zu wiederholen, der andere fühlte sich dadurch benachteiligt.

Katharina huschte, ohne ins Innere des Raums zu schauen, durchs Licht. Wieder im Dunkeln blieb sie stehen. Die beiden stritten heftiger, ihre Verärgerung wuchs. Katharina ging weiter. Sie sah nichts mehr und tastete sich an der Wand entlang. Bald erreichte sie eine Treppe, die Stufen führten aufwärts. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie vergaß die Kälte. Auf Händen und Füßen kletterte sie nach oben, bis ihr ein kalter Luftzug ins Gesicht fuhr.