11.

 

K

onnte das Katharinas Vater sein? Dann würde sie wahrscheinlich im Kloster landen, und er konnte seine Karriere in den Wind schreiben. Thomas warf einen Blick zur Tür: Sie war nicht verriegelt. Er war so durcheinander gewesen, als Katharina hereinkam, dass er es schlicht vergessen hatte. Auch ihre Augen klebten an der Tür, und wahrscheinlich dachte sie das Gleiche.

Wieder klopfte es, diesmal heftiger. Thomas kam es vor, als habe ihm jemand Eisklumpen in den Nacken gelegt. Er sah die Gänsehaut auf ihrer Brust.

Sie hörten eine Stimme: »Aufmachen!« Es waren nur wenige Schritte bis zu einer Tür, die in einen Lagerraum führte. Thomas zeigte darauf, und Katharina sprang auf, griff nach Kleid und Mantel, eilte in den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Thomas zwängte sich in seine Hosen und sein Hemd. »Aufmachen!«, wiederholte die Männerstimme, die ihm bekannt vorkam.

»Ich bin’s, Friedrich Metz. Ich muss mit ihnen reden.«

»Augenblick!«, rief Thomas. »Ich mache gleich auf.« Er stopfte das Hemd in seine Hosen und bemerkte, dass zwei Becher auf dem Tisch standen; er versteckte einen hinter dem Feuerholz beim Kamin.

»Es ist dringend!«

Und ein toller Zeitpunkt, besser geht’s nicht, ergänzte Thomas in Gedanken. Er hob seine Jacke vom Boden auf und streifte sie über. Er ging zur Tür, machte ein wenig Lärm mit dem Riegel und öffnete.

Der Baumeister trat ein, ohne eine Aufforderung abzuwarten; genau das hatte Thomas vermeiden wollen. Sie blieben in der Nähe der Tür stehen. Thomas bemerkte Katharinas Kopftuch auf der Truhe, das er übersehen hatte.

»Mein Gott, was für eine Hitze hier drin«, sagte Metz und zog seinen Mantel ohne Einladung aus, warf ihn über einen Hocker und setzte sich an den Tisch. Thomas fügte sich in sein Schicksal und setzte sich dem Baumeister gegenüber an den Tisch.

»Ist Euch nicht gut? Ihr habt einen hochroten Kopf«, sagte Metz.

»Alles in Ordnung«, erwiderte Thomas. »Was wollt Ihr?«

»Mein Gewissen plagt mich …«, sagte der Baumeister. Er schien nach den rechten Worten zu suchen, und Thomas wartete ungeduldig, dass er weitersprach. Metz zog die Augenbrauen zusammen. »Ich habe Euch angelogen«, fuhr er schließlich fort und machte eine entschuldigende Geste mit seinen breiten Händen. »Ich will mein Leben nicht in Sünde verbringen.«

»Sünde?«, murmelte Thomas, und ihm lag eine Bemerkung auf der Zunge. Aber er fragte nur: »Wo drückt der Schuh?«

Die hellen Augen des Meisters suchten in den seinen nach Verständnis. »Wahrscheinlich ist meine Mutter schuld«, sagte er. »Und die Pfaffen. Mein Leben lang habe ich Geschichten gehört, wie die Sünder bestraft werden im Fegefeuer. Ihr kennt das! Mich verfolgen die Bilder, ich stelle sie mir so wirklich vor. – Aber zur Sache …«, ermahnte er sich. Doch statt zur Sache zu kommen, schwieg er. Thomas konnte nicht umhin, ihn tatsächlich ins Fegefeuer zu wünschen.

»In welchem Punkt habt Ihr nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte er.

»Klara Roth war meine Geliebte!«, stieß er hervor.

Plötzlich empfand Thomas Sympathie für Metz. »Und das Messer?«, fragte er.

»Ich habe es natürlich nicht verloren. Sie hat es gesehen, als ich es einmal bei mir hatte. Es gefiel ihr so gut, dass ich es ihr schenkte …«

»Sie hat es also in ihrer Wohnung aufbewahrt?«

Der Baumeister nickte.

»Lag es offen herum?«

Metz dachte nach, und seine Stirn legte sich in Falten. »Jedenfalls nicht, wenn ich bei ihr war. Ich wollte das nicht. Es ist schließlich ein auffälliges Messer, und es gibt Leute, die wissen, dass es mir gehört hat!«

»Habt Ihr ihr häufiger Geschenke gemacht?«

Metz bemühte sich um ein Lächeln, das ihm jedoch gründlich misslang. »Ich war nicht kleinlich.«

»Wusstet Ihr, dass Eure Geliebte häufiger Besuch bekam nicht nur von Euch?«

»Natürlich, das war kein Geheimnis. Sie sprach ja offen darüber.«

»Sie hat kein Theater gespielt, Euch nichts von großer Liebe vorgegaukelt?«

»Von Liebe war nie die Rede zwischen uns, nur von Sympathie und gegenseitigem Verständnis.«

Ein Bild von Klaras Leben begann sich abzuzeichnen. Musste ein Mann wie Metz, der vom Alter her ihr Vater hätte sein können, nicht ein Stück Sicherheit bedeuten?

»Hört!«, sagte Thomas. »Ich glaube Euch, dass Ihr mit dem Mord nichts zu tun habt. Aber ich erwarte von Euch Offenheit. Wer hatte außer Euch noch ein Verhältnis mit Klara?«

Metz verzog das Gesicht. »Eine delikate Angelegenheit!«

Es fiel Thomas schwer, ruhig zu bleiben. »Jemand hat Euer Messer als Tatwaffe benutzt«, sagte er. »Wahrscheinlich wollte der Betreffende den Verdacht auf Euch lenken?! Ich weiß nicht, ob es angebracht ist, so feinfühlig zu reagieren.«

Aber Metz schwieg. Thomas suchte nach einem neuen Ansatzpunkt. »Wie oft wart Ihr bei ihr?«

»Einmal die Woche.«

»Zu einem festen Termin?«

»Immer mittwochs.«

»Warum ausgerechnet am Mittwoch?«

»Sie hatte sonst keine Zeit, und das passte mir ganz gut. Mittwochs haben wir oft Ratssitzungen, und ich hatte eine Ausrede, länger wegzubleiben.«

»Auch bis in die frühen Morgenstunden?«

»Wer sagt das?«, fragte Metz irritiert.

»Also stimmt es. Was hat Eure Frau dazu gesagt?«

»Wir schlafen seit einiger Zeit getrennt.«

»Aber sie weiß, dass Ihr eine Affäre hattet?«

»Sie wird es sich denken.«

»Wusste Eure Frau, wohin Ihr gingt?«

»Das glaube ich nicht. Woher sollte sie es wissen?«

»Was war mit den anderen Tagen. Habt Ihr nie versucht, Euch am Dienstag mit ihr zu verabreden oder am Freitag?«

»Anfangs schon. Aber sie hatte an diesen Tagen keine Zeit.«

»Da kamen andere Männer. Ich muss die Namen wissen!«

»Das waren verschiedene.«

»Wie viele?«

»Außer mir mindestens zwei.«

»Hat sie keine Namen genannt?«

»Nein.«

»Aber Ihr kennt sie trotzdem?«

Friedrich Metz fuhr mit beiden Händen durch seine Haare, bis er sie vollständig verstrubbelt hatte. »Nur von einem«, sagte er schließlich. »Aber das kann nicht der Mörder sein?«

»Ihr kennt ihn gut?«

»Wir sind nicht befreundet, aber ich hatte mit ihm zu tun. Er ist ein Ehrenmann!«

»Ein Geistlicher, nicht wahr?«

Der Baumeister nickte widerstrebend.

»Wie heißt er?«

»Er ist Abt.«

»In Mainz?«

»Ja!«

»Welchem Kloster steht er vor?«

Metz ließ sich lange Zeit, bis er schließlich antwortete: »Den Karmelitern. Aber Ihr müsst mir versprechen, dass Ihr meinen Namen ihm gegenüber nie erwähnt.«

Die Information, die Thomas gerade bekommen hatte, war brisant. Er war zwar erst wenige Tage in Mainz, wusste aber, dass das Karmeliterkloster zu den wichtigsten Institutionen der Stadt gehörte und sein Vorsteher ein einflussreicher Mann war. Gehörte er nicht sogar dem geistlichen Gericht an? In gewisser Weise also ein Kollege. Thomas lief Gefahr, in ein Wespennest zu stechen. Er stellte sich Katharina hinter der Tür vor, wie sie große Augen machte.

»Und der Abt kam ebenfalls einmal die Woche?«

»Montags.«

»Woher wisst Ihr das?«

»Ich habe ihm aufgelauert und ihn an seinem Gang erkannt, der auffällig ist.«

»Wen habt Ihr noch beobachtet?«, fragte Thomas.

»Nur ihn.«

Thomas schaute ihm ins Gesicht. »Wann begannen Eure Besuche?«

»Vor etwa zwei Jahren.«

Es war höchste Zeit, den Baumeister loszuwerden und Katharina aus der Kammer befreien. »Ihr habt mir sehr geholfen.«

»Vielleicht ist es einfach nur Angst.«

Thomas stand auf. »Wenn ich noch was wissen möchte, melde ich mich bei Euch.«

Auch Metz stand auf. »Euer Kopf ist immer noch rot. Macht kalte Umschläge!«

Thomas begleitete Metz zur Tür. Sie gaben sich zum Abschied die Hand. Thomas schloss die Tür hinter dem Baumeister und legte den Riegel vor. Er schüttelte den Kopf über seine Leichtsinnigkeit.

Als er sich umdrehte, stand die Tür zur Kammer offen, und Katharina kam auf ihn zu. Sie trug ihr Kleid, und ihre Haare waren zerzaust. Erst in diesem Moment war ihm klar, dass der Abend ruiniert war. Sie zuckte mit den Schultern.

»Ich gehe dann besser.«

Es war zwecklos, sie aufhalten zu wollen. »Sehen wir uns morgen?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen verrückt sein.«

Er reichte ihr das blaue Tuch, und sie band es sich um den Kopf. Einen Moment wirkte sie unschlüssig. Dann ging sie zur Tür, öffnete sie und schlüpfte hinaus. Er schaute ihr nach, wie sie im Regen verschwand.