13.

 

K

atharina hatte eine Vermutung. Die Idee war ihr in der Nacht gekommen. Sie verließ den Schulraum, ging ins Freie und zum Kaufhaus. Mehrere Pferdekarren mit Waren standen vor dem Portal, das ein hoher Spitzbogen umrahmte. Links vom Eingang lehnten sich zwei kleine Gebäude ans Kaufhaus; in einem davon wohnte der alte Franz mit seiner Familie. Die Skulpturen der Kurfürsten standen nebeneinander aufgereiht am unteren Rand des sehr breiten Giebeldaches. Obwohl es nicht regnete, hatten die meisten Arbeiter ihre Kapuzen übergezogen, denn der Nebel war so dicht, dass er sich in der Kleidung festsetzte und sie nach einiger Zeit durchdrang.

In der weiten, mit Ständen gefüllten Halle fand man alles, womit sich Handel treiben und Geld verdienen ließ. Ein Getreidehändler, der zwischen mehreren bis zum Rand mit Korn gefüllten Holzbottichen stand, verhandelte gestikulierend mit zwei Handwerkern. Sie hatten Säcke mitgebracht, die zu ihren Füßen lagen, und der Händler hielt in der linken Hand einen Maßeimer. Katharina sah ihren Vater im hinteren Teil des Raums; er unterhielt sich mit dem Prior des Franziskanerklosters und bemerkte sie nicht. Sie hielt Abstand und wartete, bis die beiden ihr Gespräch beendet hatten und der Vater sich vom Stand entfernte. Erst dann ging sie auf ihn zu. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sie sah.

Sie fragte ihn, ob er einen Moment Zeit habe, und er bat sie, mitzukommen. Im hinteren Teil des Kaufhauses befand sich ein durch Bretterwände abgeteilter Raum für die Verwaltung; außer ihrem Vater arbeiteten hier noch zwei Kaufmannsgehilfen. Nur einer der beiden war da; vor ihm auf einem Tisch lagen Silbergulden, die er zu Säulen aufschichtete, und in gewissen Abständen schrieb er etwas in sein Geschäftsbuch, während sich seine Lippen bewegten. Er nickte Katharina flüchtig zu, unterbrach die Abrechnung aber nicht.

»Dass du dich auch mal blicken lässt!«, sagte ihr Vater. »Was gibt’s denn?«

»Es geht um das Bett!«

»Was für ein Bett?«

»Klaras Bett.«

Karl Roth machte ein verständnisloses Gesicht. Er ging um den Tisch herum, auf dem Geschäftsbücher und Papiere lagen; dann setzte er sich auf einen Lehnstuhl.

»Hast du dir schon Gedanken gemacht, was damit passieren soll?«, fragte Katharina.

»Ich muss das Begräbnis vorbereiten. Und hier stapelt sich die Arbeit.« Er machte eine vage Handbewegung über den Tisch. »Ich habe an das Bett keinen Gedanken verschwendet.«

Katharina schaute zum Gehilfen, der einen Münzstapel bildete, fast so hoch wie die Madonna auf dem Tisch ihres Vaters. »Wir können es nicht da draußen stehen lassen«, sagte sie. »Es ist wertvoll. Kann ich es haben? Für mein Zimmer.«

»Warum nicht?«, sagte er. »Deine Geschwister werden neidisch sein. Aber wer zuerst kommt …«

»Es muss abgeschlagen und von zwei Männern transportiert werden. Glaubst du, dass deine Schreiner das machen können?« Damit meinte sie die beim Kaufhaus angestellten Handwerker.

»Sie bauen gerade einen Stand um. Danach kannst du sie haben. Ich rede mit ihnen.«

»Danke!« Sie ging um den Tisch und gab ihm einen Kuss. Sie wusste, dass er das mochte. Wenn sie es geschickt anstellte, konnte sie von ihm bekommen, was sie wollte. Sie ging im Kaufhaus herum und wartete, bis die beiden Schreiner mit ihrer Arbeit fertig waren. Dann machten sie sich zu dritt auf den Weg zum Hafen.

Der Pegel des völlig im Nebel untergegangenen Flusses war angestiegen und hatte den alten Treidelpfad überschwemmt. An Schifffahrt war nicht zu denken. Sie liefen über die holprige Rheinaue. Schließlich erreichten sie den Wald und kamen zu Klaras Haus. Es wirkte auf Katharina noch verlassener als sonst. Sie betraten den Raum, in dem es kalt war und nach feuchten Wänden roch. Die beiden Schreiner gingen zum Bett und betrachteten es von allen Seiten. Sie hatten Werkzeug mitgebracht und begannen mit ihrer Arbeit.

Einer der beiden, ein schmaler, fast verhungert wirkender Mann, schlug mit seinem Hammer vorsichtig gegen einen der Bettpfosten und stutzte. »Hör mal!«, sagte er zu seinem Kollegen. »Das klingt hohl.«

»Und wenn schon!«, meinte der andere, rothaarig und einen Kopf kleiner. »Mach vorwärts, damit wir nach Hause kommen.«

Der seltsame Klang fiel ihnen bei allen Pfosten auf. Sie zerlegten das Bett in seine Einzelteile, damit es durch die Tür passte und transportfähig war. Klara hatte das Bett damals, als sie das Haus vom Köhler übernahm, für teures Geld anfertigen lassen. Der einzige Luxus, den ich mir je im Leben erlaubt habe, sagte sie. Die beiden Schreiner hatten einen Karren mitgebracht, auf den sie es luden und den sie zu zweit zogen, während Katharina aufpasste, dass nichts herunterfiel. Trotzdem fluchten die beiden über das Gewicht und den holprigen Untergrund, während sie Richtung Stadt liefen.

Sie passierten das Fischtor. Der Marktplatz war fast menschenleer. Man konnte kaum von einer Seite zur anderen schauen. Der Nebel verschluckte die Türme des Doms, dessen gewaltige, eiserne Eingangspforte nicht so weit offen stand wie sonst. Die Schreiner stellten den Karren vor Katharinas Elternhaus ab, und sie zeigte ihnen den Weg zu ihrem Zimmer. Das Bett wieder aufzubauen, dauerte länger als das Abschlagen, und der Rothaarige wurde ungeduldig. Endlich waren sie fertig, und die beiden eilten davon.

Zum Glück waren Katharinas Geschwister nicht im Haus.

Sie würden ärgerlich sein, das hatte der Vater richtig vorausgesehen. Katharina war mit dem eigenen Zimmer ohnehin privilegiert. Sie schloss die Tür, ging zum Fenster und betrachtete das breite Bett, das kaum ins Zimmer passte. Sie klopfte gegen den linken Pfosten des Fußendes, der ihr am nächsten war. Hier und bei den drei anderen Pfosten derselbe Klang. Ein kugelförmiger Knauf saß auf den Pfosten. Er ließ sich nicht bewegen. Katharina ging in den Keller, wo ihr Vater sein Werkzeug aufbewahrte. Sie fand einen Hammer und eine flache Eisenstange, etwas verrostet schon, und nahm beides mit nach oben. Sie klemmte das Eisen unter den Knauf und schlug mit dem Hammer dagegen. Nun benutzte sie das Eisen wie einen Hebel, und die Holzkugel gab nach. Sie nahm den Knauf in beide Hände, und mit einem Ruck löste sie ihn vom Bettgestell. Sie legte die Kugel zur Seite und untersuchte den Pfosten. Innen war er hohl. Die Aushöhlung hatte die Form eines Zylinders, und darin befand sich etwas Zusammengerolltes. Sie griff danach. Aber ihre Hand, obwohl schmal, passte nicht hinein, und ihre Finger waren zu kurz. Sie versuchte, nur mit Zeige- und Mittelfinger hineinzufassen, aber auch das nützte nichts. Sie dachte daran, die Eisenstange zu benutzten, hatte aber Angst, dann das Papier, oder was immer sich dort befand, zu beschädigen. Sie entschied sich schließlich für einen schmalen Holzstab, den sie manchmal im Unterricht als Zeigestock benutzte. Es gelang ihr, die Rolle ein wenig anzuheben, sodass sie eine Ecke mit den Fingern zu fassen bekam, und zog sie vorsichtig heraus. Zum Vorschein kam ein gerolltes, mit Fäden zusammengebundenes Papier. Sie hielt es eine Weile in Händen. Es war gutes Papier, sie erkannte es am Aussehen und daran, wie es sich anfühlte. Sie hatte vor Jahren mit ihrem Vater eine Papiermühle im Süddeutschen besucht und sich gewundert, dass das beste Papier (so genanntes Hadernpapier) aus alten Lumpen hergestellt wurde. An manchen Stellen schimmerte Schrift durch.

Katharina löste vorsichtig die Fäden und entrollte den Bogen, der großformatig war. Sie hatte sich nicht getäuscht: Schriftzeichen bedeckten das Papier, hauptsächlich aber eine große Zeichnung, die etwa die Hälfte der Fläche einnahm; darunter noch zwei kleinere Skizzen. Sie erkannte, dass es sich immer um den gleichen Gegenstand handelte, den sie oben in Vorderansicht sah, unten aber in Seitenansicht.

Was war das für ein Gerät? Wuchtige Teile bildeten einen rechteckigen Rahmen, ähnlich wie bei einer Tür. Aus dem oberen Teil schaute etwas hervor, das eine Stange oder Spindel sein mochte und am unteren Ende von einer Platte abgeschlossen wurde. Das Bild löste eine Assoziation bei ihr aus, einen Anklang an etwas Bekanntes, Alltägliches. Wurden beim Keltern von Wein und beim Pressen von Wäsche nicht ähnliche Geräte verwendet?

Katharina legte den Plan aufs Bett, wobei er sich von selbst wieder zusammenrollte. Dann machte sie sich an die langwierige und schwierige Arbeit, die anderen Holzkugeln zu entfernen. Sie entdeckte drei weitere Verstecke, ebenfalls mit Papierrollen darin.