27.

 

G

utenberg rechnete jeden Moment mit dem Besuch seines Geldgebers. Er musste Fusts Zweifel zerstreuen. Gutenbergs Schulden betrugen eintausendvierhundert Gulden. Ihm schwirrte der Kopf, wenn er an die Höhe des Betrags dachte. Manchmal hatte er Angst zu scheitern. Allein die technischen Aspekte der Erfindung reichten aus, ihn zur Verzweiflung zu treiben. Wann hatte er zum letzten Mal einen heiteren, unbeschwerten Tag erlebt?

Sonnenstrahlen fielen durch die Seitenfenster der guten Stube und warfen Lichtflecke auf den Boden. Er freute sich über die Aufhellung, leicht abergläubisch wie er war. Er dachte an seine Mitarbeiter. Er hatte sie mit großer Sorgfalt gewählt, als seien sie seine Jünger, seine Erben, in denen seine Kunst weiterleben würde. Und doch hatte einer ihn betrogen.

Wenn ich ihn zu fassen kriege, bringe ich ihn um, hatte er letzte Nacht gedacht, als er wach lag. War er dazu fähig? Noch nie in seinem Leben hatte er eine solche Wut gespürt, das stand fest.

Seine Hitzköpfigkeit hatte ihm manchen Ärger eingebracht, und er hatte gelernt, sie zu kontrollieren. Aber wenn es um seine Erfindung, sein Werk ging, verstand er keinen Spaß. Er konnte nicht abschätzen, wozu er, wenn ihn der Zorn packte, imstande war. Er liebte die Werkstatt, das Knarren der Presse, das Rascheln des Papiers, die metallischen Klänge aus der Schriftgießerei.

Maria erschien und kündigte Fusts Besuch an. Das geschah mehr pro forma, denn der Finanzier folgte ihr auf dem Fuß. Er benahm sich, als sei er hier zu Hause, als gehörten der Hof und die Werkstatt bereits ihm. Gutenberg unterdrückte seinen Arger.

»Mein lieber Fust!« Er ging mit ausgestreckten Armen auf den Geschäftsmann zu und schüttelte ihm die Hand. Maria zog sich leise zurück und schloss die Tür.

»Gibt es Fortschritte?«, fragte Fust.

Gutenberg wusste, dass er sich an die direkte Art seines Geldgebers nie gewöhnen würde. Fust war etwa sechzig Jahre alt und klein von Statur. Er kleidete sich sorgfältig und sprach langsam und gewählt; seine Auffassungsgabe aber war schnell. Er erkannte bei einem Problem sofort den entscheidenden Punkt, wie Gutenberg bei verschiedenen Gelegenheiten feststellen konnte. Dann funkelten, wenn er zuhörte, unter seinen buschigen Brauen blaue Augen unruhig hin und her, und sein kantiges Kinn schob sich noch ein Stück weiter nach vorn. Keiner konnte ihm etwas vormachen.

»Wir kommen zügig voran«, sagte Gutenberg.

Er spürte Fusts misstrauischen Blick. In gewisser Weise verstand er den Finanzier. Er hatte fast sein ganzes Vermögen investiert und konnte sich einen Fehlschlag nicht leisten. Fust wusste, dass dem Buchdruck die Zukunft gehörte. Er war als Kaufmann herumgekommen und auf der Höhe seiner Zeit. Die Städte strebten empor, überall wurden Universitäten gegründet. Fusts eigener Reichtum basierte darauf, dass er lesen, schreiben und vor allem rechnen konnte. Langfristig versprach das Geschäft mit Büchern riesige Gewinne. Ein neuer Markt würde entstehen, und Fust schätzte die Zahl der potenziellen Käufer sehr hoch ein, wie er oft betonte. Gutenbergs handwerkliche Fähigkeiten bestritt er nie, hatte sogar den Aufbau der Werkstatt und die Lösung der technischen Probleme eine herausragende Leistung genannt. Aber nie verbarg er seine Zweifel darüber, ob Gutenberg genug vom Geschäft verstand.

»Wann sind die ersten Bibeln fertig?«, fragte Fust. »Wann können wir mit dem Verkauf beginnen?«

Gutenberg hatte mit dieser Frage gerechnet, denn sie kam so sicher wie das Amen in der Kirche. »Ich hoffe, dass wir in etwa einem Jahr soweit sind.« Das war eine sehr optimistische Schätzung. Sie waren noch immer nicht über die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments hinausgekommen, die ganzen prophetischen Schriften lagen noch vor ihnen und das gesamte Neue Testament.

»Das ist zu lange«, sagte Fust. »Ihr müsst schneller arbeiten.«

Gutenberg hob beide Arme. »Noch mehr kann ich den Männern nicht zumuten. Wir arbeiten sechs Tage die Woche vom frühesten Morgen bis tief in die Nacht. Mittlerweile sogar sonntags den halben Tag. Wenn das öffentlich wird, steht mir Ärger mit der Geistlichkeit ins Haus. Wir haben die Grenze unserer Belastbarkeit erreicht.«

»Hört, Gutenberg! Ihr hattet versprochen, im Herbst fertig zu sein: und zwar dieses Jahr!«

»Das war auch mein Ziel. Aber wir bewegen uns auf einem Gebiet, wo es keine Vorbilder gibt. Es ist, als ob man ein neues Land erforscht, das noch nie ein Mensch betreten hat. Wir machen gute Fortschritte. Am Gelingen gibt es keinen Zweifel.«

»Es geht nicht nur ums Gelingen«, belehrte ihn Fust. »Bei Geschäften spielt die Zeit eine wichtige Rolle.«

Gutenbergs Ärger wuchs. Er war von seinem Selbstverständnis her nicht nur Erfinder, sondern auch Geschäftsmann. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass er Geschäfte machen konnte, zum Beispiel mit den Spiegeln. Fusts Bemerkung zeigte einmal mehr, wie wenig er ihm in kaufmännischer Hinsicht zutraute. Er fühlte sich behandelt wie ein Lehrjunge. »Wir werden Gewinne machen und den Verlust durch die Verzögerung ausgleichen.«

»Das höre ich seit mehr als einem Jahr«, sagte Fust. »Aber solange wir nichts verkaufen, reden wir von totem Kapital. Mein Geld liegt brach.«

»Ihr vergesst, dass ich Euch auch die Zinsen schulde.«

»Die sind nicht hoch. Da könnte ich mein Geld Gewinn bringender anlegen. Nein, mir geht das zu langsam. Und ich will Euch auch sagen, woran es liegt. Die Arbeiten würden schneller vorankommen, wenn Ihr es nicht zu genau nehmen würdet.«

»Dann könnte ich den Laden gleich dichtmachen«, sagte Gutenberg. »Bei mir gibt es keinen Pfusch.«

»Es geht nicht um Pfusch. Ich war als Kaufmann für die Qualität meiner Waren bekannt. Aber man kann es auch übertreiben. Ihr hättet zum Beispiel kein Pergament kaufen sollen. Das war ein Fehler. Die Lieferschwierigkeiten haben uns um Wochen zurückgeworfen.«

»Wie hätte ich das vorhersehen können?!«

»Papier hätte es auch getan.«

»Mittlerweile drucken wir den größten Teil auf Papier.«

»Aber warum nicht gleich?«, fragte Fust.

»Pergament ist besser. Und es hält länger.«

»Aber Papier ist billiger in der Anschaffung. Ihr habt unnötig die Kosten in die Höhe getrieben.«

»Ihr wisst, warum ich mich für Pergament entschieden habe«, sagte Gutenberg. »Wir werden mit unseren Bibeln auf Skepsis stoßen. Besonders in den Klöstern. Deshalb orientiere ich mich an den Handschriften. Das gilt auch für das Material.«

»Feinheiten!«, entgegnete Fust scharf. »Ihr seid zu pedantisch. Ich habe doch gesehen, wie lange Ihr an einem Buchstaben herumfeilt. Es wäre keinem Menschen aufgefallen, wenn hier und da ein Schnörkel fehlt.«

»Es geht um die Bibel.«

»Reden wir von der Bibel. Wie weit seid Ihr?«

»Beim zweiten Buch der Könige.«

»Nach meinem Zeitplan wolltet Ihr schon bei den Chroniken sein!«

»Die Spindel an einer Presse ist gebrochen. Ich musste sie durch eine neue ersetzen.«

»Lag keine zum Ersatz bereit?«

»Das kam völlig unvorhergesehen …«

»Kosten?«

»Fast keine. Nur das Material.«

»So rechnet ein Geschäftsmann nicht. Die Presse stand still. Die Männer hatten nichts zu tun. Das sind Kosten!«

Gutenberg spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Hätte er nur damals das Geld nicht so dringend gebraucht! Aber kein anderer wollte das Risiko eingehen.

»Ich kann die Ausreden nicht mehr hören«, sagte Fust. »Was ich bemängele, sind grundlegende Dinge. Ich verlange, dass Ihr Eure Arbeitsweise ändert! Es war ein Fehler, die Bibel zu drucken. Sie ist zu umfangreich. Ein Messbuch hätte es auch getan oder ein Stundenbuch. Auch mit Heiligenlegenden hätten wir schnell Geld verdient. Schluss jetzt mit Feinheiten! Die Welt geht nicht unter, wenn sich hier und da ein Fehler einschleicht. Die Schriftsetzer müssen schneller arbeiten und auch der Korrektor. Wenn die Qualität der Farbe mal nachlässt – was soll’s! Wir müssen bei gleichem Zeitaufwand mehr erreichen. – Ist das klar?!«

Gutenberg war zu keinerlei Kompromissen bereit, wenn es um die Qualität seiner Arbeit ging. Fust verstand nichts von technischen und mechanischen Fragen, auch wenn er alles besser wusste. Kam es bei einer Erfindung von solcher Bedeutung auf ein paar Monate mehr oder weniger an? Er würde Bücher schaffen, deren Größe und Schönheit schärfster Kritik standhielten.

Und doch spürte Gutenberg, dass ein Funke Wahrheit in Fusts Vorwürfen lag. Gutenbergs Stärke war gleichzeitig sein schwacher Punkt. Wenn er etwas machte, musste es perfekt sein. Ohne diese besessene Liebe zum Detail gäbe es keine Erfindung. Aber die Charaktereigenschaften, die dem Erfinder nutzten, schadeten dem Geschäftsmann. Fust sprach als Geldgeber, und aus kaufmännischer Sicht hatte er Recht! Trotzdem konnte Gutenberg nicht nachgeben, er hätte sich verbiegen müssen. Also bemühte er sich um Diplomatie.

»Ich werde prüfen, ob Verbesserungen möglich sind.«

»Dann haben wir uns nicht verstanden«, sagte Fust. »Ich gebe mich nicht länger mit gutem Willen zufrieden. Das höre ich seit Monaten. Keine vagen Versprechungen mehr! Ich habe mitbekommen, wie eine ganze Seite neu gesetzt werden musste, weil Euch das Schriftbild nicht gefiel. Da liegt der Hund begraben!«

Gutenberg gab keine Antwort. Die Seite musste neu gesetzt werden, weil einige Zeilen zu viele Buchstaben enthielten; das Schriftbild schwankte und Gutenberg fand den Anblick unerträglich.

»Ich komme bald wieder«, sagte Fust. »Ich habe ausgerechnet, wie viele Seiten Ihr bisher pro Woche gedruckt habt. Ich hoffe, dass auch Ihr eine solche Rechnung führt. Ich erwarte nach den Fastnachtstagen eine deutliche Steigerung. – Sonst sehe ich mich zu anderen Schritten gezwungen!«

Fust machte auf dem Absatz kehrt und verließ eilig den Raum. Er behandelt mich wie einen Hund, dem man einen Tritt versetzt, wenn er nicht gehorcht, dachte Gutenberg. Sonst sehe ich mich zu anderen Schritten gezwungen. So deutlich hatte Fust noch nie gedroht. Gutenberg hatte als Gegenleistung für den Kredit die Werkstatt verpfändet und die Bibeln.