14.

 

D

er Ort, an dem er auf die Frau wartete, lag nicht weit von der Stelle, an der man Friedrich Metz überfallen hatte. Das Haus war klein und verfallen und gehörte zur ehemaligen Ziegelei; im Dach klaffte ein Loch und die beiden Öffnungen, die als Fenster gedient hatten, starrten wie Augenhöhlen. Er stand im Erdgeschoss und schaute nach draußen. Er musste nicht lange warten. Die Frau kam langsam, ein wenig ängstlich, aus dem Nebel auf das Haus zu. Er taxierte sie von weitem. Das könnte die Richtige sein, dachte er. Sie hat eine gute Figur, sie wird ihm gefallen.

Bologna jedenfalls gefiel sie, obwohl er in der Dunkelheit nicht gar zu viel sah. Er war seit langem mit keiner Frau zusammen gewesen. Jene, zu denen er ging und die schweigen konnten, musste er teuer bezahlen. Oft verfluchte er das Zölibat. Ihre Kleidung taugte nichts, aber sie würde von ihm neue bekommen. Was Hübsches, eng Anliegendes, überlegte er, mit weitem Ausschnitt. Dann würde der Richter nicht Nein sagen. Sie stand direkt vor dem ehemaligen Fenster, und er sah in dem wenigen Mondschein, der den Nebel durchdrang, dass sie einen üppigen Busen hatte und jung war. Genau darauf kam es ihm an. Er musste sie nur richtig instruieren, dann würde es schon klappen.

Sie war nur noch wenige Schritte vom Haus entfernt und blieb stehen. »Ist da jemand?«, fragte sie leise.

»Komm rein!«, antwortete Bologna. Vor allem neue Kleidung, dachte er. Und die Frisur. Ich muss nur aufpassen, dass ich es nicht übertreibe, denn sonst schöpft er Verdacht. Es muss innerhalb der Grenzen ihres Standes bleiben, um glaubwürdig zu sein. Aber das zerschlissene, alte Zeug, das sie trägt, geht auf keinen Fall.

Eine Tür gab es nicht, und die Frau betrat das Gebäude. Sie befanden sich in einem Raum, der früher als Küche gedient hatte. Das Mobiliar und die einstige Feuerstelle waren geplündert worden. Die junge Frau stand im Eingang, ihre Figur zeichnete sich als Silhouette ab, und sie schaute hin und her, weil sie nichts sah. »Komm hierher!«, sagte er. Sie ging auf ihn zu und blieb in kurzer Entfernung von ihm stehen.

»Ich habe gehört, dass du Arbeit suchst. Bei wem bist du zurzeit beschäftigt?«

»Ich habe für einen Arzt gearbeitet, habe den Haushalt geführt. Aber er ist mit seiner Familie weggezogen. Sie brauchten mich nicht mehr.«

»Was hat dir der Arzt gezahlt?«

»Nichts. Ich hatte Unterkunft und Verpflegung frei.«

»Du kannst bei mir viel Geld verdienen. Du kannst sogar einen doppelten Verdienst haben.«

»Was heißt das?«

»Ich möchte, dass du eine Stelle antrittst beim neuen Richter! Er lebt allein und hatte bisher keine Zeit, sich um eine Hilfe für den Haushalt zu kümmern. Biete ihm deine Dienste an. Sag ihm, dass du für ihn kochen wirst, wenn er abends nach Hause kommt. Zähle ihm alle Vorteile auf: Wäsche waschen, Wohnung putzen, Einkäufe erledigen. Und vielleicht ist er noch an anderen Dingen interessiert. – Stimmt es, dass du schreiben und lesen kannst?«

»Ja.«

»Du bekommst von mir neue Kleidung. Ich möchte, dass du ihm gefällst. Zeig dich von deiner besten Seite!«

»Nehmen wir an, er stellt mich ein …«

»Dann hast du die größte Hürde schon genommen«, sagte Bologna.

»Und was habt Ihr davon?«

»Es ist wichtig, dass du nicht nur bei ihm arbeitest, sondern auch bei ihm wohnst. Wo bist du momentan?«

»Ich habe eine Dachkammer bei einem Schmied.«

»Mach dem Richter klar, dass du bei ihm wohnen möchtest. Das ist üblich. Dann berichtest du mir über das, was du siehst und hörst. Am besten fängst du ein Verhältnis mit ihm an. So erfährst du mehr; Dinge, die er sonst für sich behält.«

»Er hat mir nichts getan.«

Bologna zog einen Beutel hervor und kramte nach Geldmünzen. »Das ist mehr, als du je in Fingern hattest.« Er wusste, dass es für sie ein Vermögen war und dass ihr Herz pochen würde, nachher, wenn sie die Münzen bei Licht betrachtete.

»Trotzdem!«, beharrte sie. »Ich bin nicht geübt darin, Leute zu betrügen.«

Bologna verschlug es für einen Moment die Sprache.

»Was soll mit ihm passieren?«, fragte sie. »Ich will wissen, um was es geht!«

Er schüttelte den Kopf. »Ihm geschieht kein Leid.«

»Die Sache gefällt mir nicht.«

Bologna ärgerte sich maßlos. Was hatte Henning ihm für einen Unsinn erzählt? Sie ist die ideale Person dafür, hatte er gesagt. Bologna war unvorsichtig gewesen. Er hatte die Katze gleich aus dem Sack gelassen. Nun gab es kein Zurück mehr; sie wusste bereits zu viel. Er hatte sich verhalten wie ein dummer Anfänger.

»Wohnen deine Eltern hier?«, fragte er.

»Sie leben in einem Dorf im Westerwald.«

»Wie bist du nach Mainz gekommen?«

»Der Hof war zu klein für acht Kinder.«

»Und deine Familie war froh, dich los zu sein.«

Sie schwieg, und Bologna vermutete, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Was ist das für ein Leben?«, fragte er. »Willst du ewig so weitermachen?«

Sie gab immer noch keine Antwort. »Du gehörst doch zu den Betrogenen«, sagte er und fasste sie am Arm. »Was steht dir denn bevor? Im günstigsten Fall findest du wieder eine Anstellung bei einer Familie. Du kannst bei ihnen wohnen, du bekommst was zu essen, aber kein Geld. Du wirst von morgens bis abends den Buckel krumm machen! Du wirst die Erste im Haus sein, die aufsteht und Feuer macht. Beim Frühstück und den Mahlzeiten bist du diejenige, die die schlechtesten Brocken abbekommt. Wer putzt das Haus? Wer schleppt die schweren Körbe vom Markt nach Hause? Muss ich dir von den Waschtagen erzählen? Und du bist nicht nur ihr Arbeitstier, du musst auch noch als Hure herhalten! Wenn es nicht der Hausherr ist, dann sind es seine Söhne. Was aber, wenn du ein Kind bekommst? Dann jagen sie dich zum Teufel. – Sind das nicht herrliche Aussichten?«

Bologna schaute sie herausfordernd an. Er hatte, während er sprach, ihr im Dunkel liegendes Gesicht eindringlich beobachtet. Das Zucken um ihre Mundwinkel war ihm nicht entgangen.

»Wie heißt du?«, fragte er.

»Gerlinde.«

»Wie alt bist du?«

»Einundzwanzig.«

»Eine Chance, wie ich sie dir biete, kommt nicht wieder!«

»Gut!«, sagte sie. »Aber ich tue es nicht gern …«