20.

 

K

atharina stand neben ihrem Bett und packte die Pläne in einen Ledersack. Kurze Zeit später machte sie sich auf den Weg zum Gericht, ging dort einen Gang entlang zum Zimmer von Thomas. Er stand beim Fenster, als sie eintrat. Sie hatte ihn bisher immer allein angetroffen, und es kam ihr so vor, als sei er innerhalb des Amts völlig isoliert. Sie sprach ihn darauf an.

»Die haben mich schon abgeschrieben«, sagte Thomas. »Man geht mir aus dem Weg. Natürlich haben alle mitbekommen, was läuft, sie wissen, dass der Kurfürst mich vom ersten Tag an nicht wollte und mich loswerden möchte. Was mich aber am meisten enttäuscht, ist das Verhalten von Steininger. Seit er weiß, was Erbach von mir hält, geht auch er mir aus dem Weg.«

Katharina ging an ihm vorbei und legte den Lederbeutel auf einen mit Papieren übersäten Tisch.

»Das sind die Pläne«, sagte sie. Sie löste eine Schnur und breitete mehrere Papierrollen auf dem Tisch aus. Thomas war sehr ungeduldig, er entrollte eines der Papiere, das mit einer kleinen, gleichmäßigen Schrift bedeckt war und eine Zeichnung im Text enthielt.

»Ist das die Schrift deiner Schwester?«, fragte er.

»Ja, daran besteht kein Zweifel.«

Thomas trat ans Fenster, damit mehr Licht auf das Blatt fiel und las laut: »Die Presse ist das größte und imposanteste Gerät. Wer sie bedient, muss Kraft haben. Sie ist nach dem Vorbild der Weinpressen gebaut. Es ist für einen geschickten Schreiner kein Problem, eine Presse herzustellen, wenn man ihm eine gute Zeichnung liefert. Vor allem die Holzkonstruktion dürfte kaum Schwierigkeiten bereiten. Viel schwieriger ist es, die Metallteile herzustellen; den Wagen, den Schlitten, den Rahmen. Hierfür braucht man einen fähigen Metallwerker, der sich in mechanischen Fragen auskennt. Trotzdem war dieser Teil der Erfindung nicht der schwierigste.«

An dieser Stelle kam die Zeichnung, auf die Thomas zuvor nur einen flüchtigen Blick geworfen hatte; sie zeigte die Presse. Er las weiter: »An der Presse arbeiten in der Regel zwei Mann. Einer ist für die Knochenarbeit zuständig und bedient den Hebel. Der andere schwärzt die Lettern mit einem Ballen, legt die Papierbogen ein, beziehungsweise nimmt sie nach dem Druckvorgang heraus und hängt sie an der Leine zum Trocknen auf. Bisher wurde nur mit schwarzer Farbe gedruckt, aber auch Zweifarbendruck ist möglich. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich das aufwendige Verfahren lohnt oder ob nachträgliches Rubrizieren von Hand nicht billiger wäre.« Er runzelte die Stirn.

»Die Sache ist ziemlich kompliziert«, sagte Katharina. »Du liest momentan den Teil, der noch am einfachsten zu verstehen ist.«

Thomas legte das Blatt auf den Tisch zurück und nahm ein anderes auf. Es war überschrieben mit: Die Lettern. Er las: »Das eigentlich geniale an der Erfindung sind die beweglichen Metalllettern. Vorstufen des Druckens mit Holztafeln gab es schon länger, auch Druckstempel sind nichts Neues, es gibt sie sowohl aus Holz als auch aus Metall gefertigt. Aber noch keinem ist es gelungen, einen Text mit kleinen Metallbuchstaben zu drucken. In der technischen Umsetzung dieser Idee besteht die eigentliche Revolution.«

Katharina trat zu Thomas und schaute ihm über die Schulter. Wenn sie so nahe bei ihm stand, fiel es ihm schwer, sich auf den Text zu konzentrieren.

»Lies weiter!« Sie tippte auf den Text.

Er fuhr fort: »Die Buchstaben sind winzig. Sie werden aus flüssigem Metall gegossen. Hierbei kommt es auf die richtige Mischung an. Das Metall darf nicht zu hart sein, denn sonst bricht es. Aber es darf auch nicht zu weich sein, weil sonst die Konturen der Buchstaben unscharf werden. Die ideale Mischung bei der Herstellung des Metalls beschreibe ich an einer anderen Stelle.«

Thomas hielt inne, dann sagte er: »Ich muss mit Gutenberg reden.«

»Nur wird er dir nicht viel erzählen«, erwiderte Katharina. »Jedenfalls nicht in Bezug auf seine Erfindung.«

»Wir werden sehen.«

Katharina trug denselben Mantel wie an dem Abend, als sie bei ihm gewesen war. Sie hatte ihn nicht abgelegt, weil es in der Amtsstube kalt war. In ihren Locken hingen Regentropfen. Thomas ging auf sie zu und fasste sie bei den Schultern. Aber sie entzog sich mit einer geschickten Bewegung und ging zur Tür.

»Geduld!«, sagte sie.

 

Am Nachmittag ging Thomas zu einem der Schöffen, einem jungen Mann, der zu den wenigen gehörte, die ihn noch grüßten. Er war mit zwei Kollegen in einem Raum und stand an einem Schreibpult. Offenbar fertigte er gerade die Kopie einer Urkunde an.

»Wo hat Gutenberg seine Werkstatt?«, fragte Thomas. Er durfte den Besuch nicht länger hinausschieben.

»Ich kann Euch hinbringen«, erwiderte der Schöffe.

Sie verließen kurze Zeit später das Gerichtsgebäude durch einen Nebeneingang, der zu einer engen Gasse führte. Aus einer Schmiede drangen metallische Klänge, Thomas sah Feuerschein aufleuchten. Es war zu seiner Überraschung jedoch kein Mann, der dort ein Eisen schmiedete, sondern eine Frau in einem roten Kleid mit weißer Schürze hieb mit dem Hammer auf den Amboss. Sie durchquerten mehrere kleine Gassen. Die Häuser waren dicht an dicht gebaut. Ein Karren hätte Mühe gehabt, hier durchzukommen. Die meisten Häuser schoben sich mit jedem Stockwerk weiter nach vorn, um so Platz zu gewinnen, der zu ebener Erde fehlte. Zwei Mädchen zeichneten mit einem Stock Figuren in den halbgefrorenen Matsch. Eine Magd mit braunem Kopftuch schüttete einen Eimer schwarze, stinkende Brühe vor die Tür. Im Badehaus hörte man Schreie und schrilles Gelächter. Es dämmerte, und von vielen Dächern hingen Eiszapfen, in denen sich das diffuse Licht fing. Die Stadt machte auf Thomas immer noch einen labyrinthischen Eindruck.

Schließlich standen sie vor einem ehemaligen Adelshof. Die Fassade des Hauptgebäudes war aus Stein gemauert, es hatte drei Stockwerke und einen stufigen Giebel. Die Eingangstür war mit rotem Sandstein gefasst; an einem Wappenschild in der Mitte des Türbogens nagte der Zahn der Zeit. Eine Wandmalerei zeigte ein weiteres Wappen: Ein gebeugt am Stock gehender Mann hielt eine Schale in der ausgestreckten Hand. Ein Bettler? Zwei links und rechts an das Haupthaus angrenzende Gebäude, die ebenfalls zum Hof gehörten, hatten nur zwei Geschosse und waren nicht aus Stein errichtet. Im linken befand sich ein hohes zweiflügliges Tor. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen Fachwerkhäuser.

»Hier ist es«, sagte der Schöffe. »Jedenfalls der Wohntrakt. Die Werkstatt kann man von hier aus nicht sehen. Sie befindet sich in einem eigenen Gebäude, soweit ich weiß. Man muss erst den Hof durchqueren – aber da lässt er keinen rein.«

Als er allein war, klopfte Thomas laut an die mächtige Holztür, die sich kurz darauf einen Spalt breit öffnete. Vom Gesicht einer jungen Frau, eher eines Mädchens, sah er kaum die Hälfte. Sie wirkte blass und hatte ein weißes Tuch um den Kopf gebunden. »Wer seid Ihr?«, fragte sie.

»Der neue Richter.«

»Um was geht’s denn?«

»Ich will mit dem Meister reden.«

»Der hat keine Zeit. Er sagt, niemand darf ihn stören.«

»Was ich mit ihm zu besprechen habe, duldet keinen Aufschub. Sag ihm das!«, beharrte Thomas.

»Er wird mich ausschimpfen.«

»Er wird erst recht verärgert sein, wenn ich ihm eine Vorladung ans Gericht schicke!«

Sie schloss die Tür, und Thomas betrachtete missmutig die Hauswand. Seine Laune näherte sich einem Tiefpunkt. Es dauerte lange, bis sich die Tür wieder öffnete und das Mädchen ihn schweigend in einen Raum führte, dem man ansah, dass er nur selten genutzt wurde: die »gute Stube«. Sie verließ das Zimmer, und er musste erneut warten.

Thomas schaute sich um. Der Raum mochte etwa acht Schritte lang und sechs Schritte breit sein. Durch die milchigen Fensterscheiben drang spärlich Licht. Alle Wände und die Decke waren mit Eichenholz verkleidet, das eine dunkle Färbung angenommen hatte. In einem hohen Kamin, am oberen Rand rot bemalt, lagen halb verkohlte Scheite. Die Asche barg noch einen Rest Glut und verbreitete etwas Wärme. Neben dem Kamin stand eine Holzbank mit weißen Kissen. Den Fußboden bedeckten abwechselnd schwarze und gelbe Kacheln. Auf Regalen sah man angestaubte Bücher. Die dem Kamin gegenüberliegende Wand beherrschte ein mit Schnitzwerk verzierter Schrank, und in der Mitte des Raums befand sich ein Tisch, der mühelos zehn und mehr Gästen Platz bot.

Schließlich hörte Thomas polternde Schritte. Dann erschien Gutenberg in der Tür. Er hatte es nicht für nötig befunden, seine graue, mit schwarzen Flecken bedeckte Schürze und eine flache Ledermütze abzulegen. Katharina hatte ihn treffend beschrieben. Er wirkte vom ersten Eindruck her eher unscheinbar. Aber etwas hatte sie nicht erwähnt: seine über dem grauen Bart hervorleuchtenden Augen. Thomas hatte das Gefühl, als würden sie ihn durchdringen bis in versteckte Winkel. Ein forschender, fast starrer Blick, wie er ihn einmal in Italien bei einem Maler erlebt hatte. Die zusammengezogenen Brauen verhießen allerdings wenig Gutes.

»Ihr seid der neue Richter?«

»Thomas Berger.«

»Maria sagt, Ihr hättet Euch grob und drohend verhalten.« Seine Stimme war dunkel, und trotz seiner Verärgerung sprach er langsam und beherrscht.

»Sie übertreibt. Ich muss mit Euch sprechen.«

»In welcher Angelegenheit? Und weshalb so dringend?«

»Es betrifft die beiden Mordfälle, von denen Ihr gehört habt. Besonders den an Klara Roth.«

»Was habe ich damit zu tun?« Er wirkte überrascht, und falls er sich verstellte, so war er sehr geschickt darin.

»Kanntet Ihr Klara Roth?«

»Flüchtig.«

»Was heißt ›flüchtig‹?«

»Viele Mainzer kenne ich vom Sehen, weiß ihren Namen, habe aber weiter nichts mit ihnen zu tun.«

»Was wisst Ihr über die Tote? Ich sammle Informationen. Jeder Hinweis kann für mich wichtig sein!«

»Fragt Ihr das jeden in der Stadt? Es hat doch einen Grund, dass Ihr ausgerechnet zu mir kommt.«

»Darüber sprechen wir gleich. Bitte antwortet erst auf meine Fragen!«

Gutenbergs Augenbrauen rückten noch ein Stück näher zusammen. »Was ich über Klara Roth weiß? Sie stammt aus einer angesehenen Familie, ihr Vater ist Karl Roth, ein reicher Kaufmann – aber das kann Euch jeder erzählen. Klara Roth hatte in der Stadt einen schlechten Ruf. An den Markttagen verkaufte sie Kräuter und Salben. Abergläubische Menschen hielten sie für eine Hexe. – Das wisst Ihr doch alles schon!«

»Hatte sie Feinde? Fällt Euch jemand ein, der einen Grund hatte, sie zu töten?«

»Nein. Dazu kann ich nicht mal eine Vermutung äußern. Ich kannte die Roth ja kaum.«

»Habt Ihr irgendwann in letzter Zeit mit ihr gesprochen?«

»Nein, ich kann mich nicht erinnern. Wenn wir uns auf der Straße begegneten, grüßten wir uns; das war alles.«

»Kanntet Ihr Klara Roths Haus?«

»Ich weiß vom Hörensagen, dass sie irgendwo vor der Stadt, in einem alten Köhlerhaus wohnte. – Aber warum stellt Ihr mir diese Fragen?«

»Ich habe herausgefunden, dass Klara Roth mehrere Liebhaber hatte: Männer, die sie in ihrem Haus besuchten und von denen sie sich aushalten ließ.«

Thomas machte eine Pause und forschte in Gutenbergs Gesicht, der ungläubig den Kopf schüttelte: »Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich einer von diesen Männern war. Ich habe die Frau doch kaum gekannt.«

»Könnt Ihr Euch erinnern, wo Ihr die Nacht verbracht habt, als der Mord an Klara Roth geschah?«, fragte Thomas.

»Ich arbeite jeden Tag bis weit in die Nacht. Ich bin der Erste, der morgens die Werkstatt betritt und der Letzte, der sie verlässt. Ich habe keine Zeit, andere Leute umzubringen!«

»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, sagte Thomas.

»Verdächtigt Ihr mich? Weshalb?«

»Antwortet bitte! Ich tue meine Arbeit und muss jedem Hinweis nachgehen.«

»Was für einem Hinweis? Ich verstehe kein Wort! Hört, ich kann mich erinnern, in welcher Nacht der Mord geschah, und es gibt auch einen Zeugen – eine Zeugin –, die bestätigen kann, dass ich das Haus nicht verlassen habe. Aber das ist eine private Sache, die Euch nichts angeht.«

»So kommen wir nicht weiter. Ich untersuche zwei Mordfälle, und Ihr tätet gut daran, mir zu helfen – in Eurem Interesse. Ich kann Dinge für mich behalten.«

»Ich habe die Nacht mit dem Mädchen verbracht, das Euch die Tür geöffnet hat.«

»Ruft sie!«

Gutenberg zögerte, verließ dann aber langsam das Zimmer. Thomas hörte, wie er mehrmals ›Maria‹ rief. Dann kam er mit dem Mädchen zurück, das eine Schürze umgebunden und die Haare zurückgesteckt hatte. Thomas konnte ihr Alter schlecht schätzen, aber sie war noch keine zwanzig. Er erklärte ihr den Sachverhalt, und sie bestätigte Gutenbergs Aussage. Sie hatten die Nacht in seinem Zimmer verbracht und waren zusammen dort eingeschlafen. Erst gegen Morgen verließ sie sein Bett, um in der Küche Feuer zu machen.

»Seid Ihr jetzt zufrieden?«, fragte Gutenberg, der sich keine Mühe mehr gab, seinen Ärger zu verbergen.

»Ich habe Euch schon vorher geglaubt«, sagte Thomas, »aber ich muss solche Fragen stellen.« Er dankte Maria, und sie verließ den Raum.

»Wollt Ihr mir jetzt endlich sagen, weshalb Ihr mich verdächtigt?«

»War einer Eurer Mitarbeiter mit Klara Roth befreundet?«

»Darüber weiß ich nichts!«

»Wie viele Männer arbeiten für Euch?«

»Insgesamt zwölf.«

»Es könnte sein, dass einer in die Fälle verwickelt ist.«

»Ausgeschlossen! Für meine Männer lege ich meine Hand ins Feuer. Ich habe sie persönlich ausgesucht und mir die Wahl nicht leicht gemacht.«

»Man glaubt Menschen zu kennen und merkt dann, dass man sich in ihnen getäuscht hat«, sagte Thomas.

»Meine Mitarbeiter sind rechtschaffen. Alle!«

»Wie ich gehört habe, arbeitet Ihr an einer Erfindung?«

»Ich betreibe eine Druckerei. Wir sind in der Lage, Texte in bisher unvorstellbarer Zahl zu vervielfältigen.«

»Das ist in Mainz allgemein bekannt?«

»Selbstverständlich! Warum sollte ich ein Geheimnis daraus machen? Alle, die lesen können, sollen es wissen!«

»Habt Ihr Schulden gemacht, um Eure Werkstatt einzurichten?«

»Auch das pfeifen die Spatzen von den Dächern.«

»Erzählt mir etwas über Eure Mitarbeiter.«

»Sie arbeiten hart. Ich schätze ihr Können und ihre Zuverlässigkeit. Nur jemand, der sie nicht kennt, kann sie verdächtigen.«

»Ein Fremder sieht aber mitunter Dinge, die sonst niemandem auffallen«, sagte Thomas.

»Oder malt den Teufel an die Wand«, erwiderte Gutenberg.

»Seid Ihr auch großzügig mit Informationen, wenn es darum geht, wie Ihr Eure Bücher herstellt?«

Gutenberg lachte. »Haltet Ihr mich für blöd? Ich will meine Bücher verkaufen, also sollen die Leute wissen, dass ich welche herstelle. Aber wie ich das mache – das werde ich keinem auf die Nase binden!«

»Wer kennt die Hintergründe? Wer kann über Arbeitsabläufe im Detail berichten?«

»Niemand. Außer mir!«

»Und Eure Mitarbeiter!«

»Die natürlich auch. Aber die halten den Mund. Keiner sägt den Ast ab, auf dem er sitzt.«

»Seid Ihr Euch dessen sicher?«

Der Erfinder kniff die Augen zusammen. Erstmals wirkte er nachdenklich und leicht verunsichert. Aber nur für einen kurzen Augenblick. »Vollkommen sicher. – Worauf gründet Ihr Euren Verdacht?«

»Wie eng ist die Zusammenarbeit?«

»Wir sind eine Familie.«

»Nehmen wir an, einer Eurer Mitarbeiter möchte sich selbstständig machen …«

»Das ist absurd.«

»Weshalb?«

»Weil keiner von ihnen über die finanziellen Mittel verfügt.«

»Dann lassen wir das Geld außer Acht und reden nur von den Fähigkeiten: von Intelligenz, technischem Verständnis, handwerklichem Geschick …«

»Das haben sie alle. Sonst würden sie nicht für mich arbeiten.«

»Ihr glaubt, jeder könnte eine eigene Druckerei betreiben, wenn er das nötige Geld hätte?«

»Die Werkstatt ist ein großer Raum, und jeder sieht, was der andere macht. Worauf laufen Eure Fragen hinaus?«

»Gibt es einen Mitarbeiter, den Ihr für besonders fähig haltet?«

»Alle sind gut. Das ist meine Truppe!«

»Und Ihr sprecht mit Euren Leuten auch über private Dinge?«

»Natürlich.«

»Hat einer der Männer jemals Klara Roth erwähnt?«

»Nein. Daran kann ich mich nicht erinnern.«

»Wo wohnen Eure Mitarbeiter?«

»Zwei haben privat eine Kammer gemietet, der Rest wohnt bei mir.«

»Wo genau?«

»Wir befinden uns in einem alten Adelshof, der aus mehreren Gebäudeteilen besteht. Ein weitläufiges Gebilde. Meine Zimmer sind im angrenzenden Gebäude untergebracht, im oberen Stock. Meine Männer wohnen in einem Gebäude auf der anderen Seite des Hofs und in einem Zwischenbau.«

»Das heißt, Ihr bekommt es nicht mit, wenn einer abends sein Zimmer verlässt.«

»Das ist unwahrscheinlich. Ich bin nicht ihr Kindermädchen.«

»Haben Eure Mitarbeiter Familie?«

»Sie sind Junggesellen. Darauf habe ich geachtet, denn wir arbeiten hart, bis weit in die Nacht – und auch am heiligen Sonntag, wenn Ihr es genau wissen wollt. Für Frau und Kinder bleibt da keine Zeit.«

»Es ist sehr wahrscheinlich, dass einer Eurer Männer Klara Roth die Geheimnisse der Erfindung verraten hat«, sagte Thomas.

Gutenberg schüttelte energisch den Kopf. »Ich glaube Euch kein Wort.«

»Ich kann es beweisen«, sagte Thomas.

»Darauf bin ich gespannt. Bisher höre ich nur Verleumdungen!«

»Ihr behauptet, dass nur Ihr und Eure Mitarbeiter die Arbeitsabläufe kennt …«

»Das ist richtig.«

Thomas sagte: »Ich bin im Besitz von Aufzeichnungen und Plänen, die ich in Klara Roths Haus gefunden habe. Sie waren gut versteckt, und der Mörder hat sie nicht entdeckt. Aus den Aufzeichnungen geht klar hervor, wie Eure Werkstatt aussieht und wie sie funktioniert. Was sagt Ihr dazu, dass ich Begriffe wie ›Winkelhaken‹ oder ›Gießgerät‹ kenne?«

In Gutenbergs Gesicht bewegte sich kein Muskel, aber sein Blick wirkte noch starrer und bohrender als zuvor. »Was wollt Ihr eigentlich?«, fragte er. Thomas fiel auf, wie blass seine Lippen waren. »Mich erpressen?«

»Hat das jemand versucht?«

»Ich empfehle es keinem!«

Thomas warf einen verstohlenen Blick auf die starken Hände des Meisters. »Von wem stammen die Aufzeichnungen, die Ihr gefunden habt?«, fragte Gutenberg.

»Es ist Klara Roths Handschrift.«

»Aber das ist doch vollkommener Unsinn. Woher sollte …?«

»Genau die Frage stelle ich mir auch«, sagte Thomas. »Woher? Oder besser: Von wem?«

»Von mir bestimmt nicht!«, sagte Gutenberg. »Was wisst Ihr noch?«

»Im Grunde fast alles. Nur dass mir die Anschauung fehlt.«

»Ihr lügt!«

»Ich möchte Euch gern klarmachen«, sagte Thomas, »dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Wir wollen beide wissen, wer Klara Roth das Geheimnis Eurer Erfindung verraten hat. Und wir wollen verhindern, dass diese Person weiteren Schaden anrichtet.«

Thomas spürte, dass Gutenberg nicht wusste, wie er ihn einschätzen sollte. Der Erfinder zögerte, ihm Glauben zu schenken. Aber Gutenbergs Vertrauen war höchst wichtig für Thomas. Die Lösung des Falls, seine eigene Zukunft konnte davon abhängen.

»Soll ich Euch von Eurer Presse erzählen? Von dem Metallrahmen, in dem man das Papier befestigt und dann mit dem Schlitten unter die Presse schiebt? Könnt Ihr Euch erklären, woher ich weiß, dass die Ballen, mit denen Ihr Eure Lettern einfärbt, innen mit Rosshaar gefüllt sind?«

»Schweigt still!« Gutenbergs Tonfall war scharf und schneidend. Thomas konnte sich lebhaft vorstellen, dass es kein Vergnügen war, ihn zum Gegner zu haben. Mit ihm sei nicht gut Kirschen essen, hatte der Schöffe gesagt.

»Ist Euch klar, dass ich ruiniert bin, wenn meine Erfindung in fremde Hände gerät?«

»Deshalb fragte ich vorhin nach Krediten.«

»Wie sonst hätte ich meine Werkstatt finanzieren sollen: die Geräte, die Mitarbeiter, meinen gesamten Haushalt. Es wird noch mindestens zwei oder drei Jahre dauern, bis meine Schulden zurückgezahlt sind und ich Gewinne mache. – Wer außer Euch weiß Bescheid?«

»Niemand!«, sagte Thomas.

»Ihr sagt, dass Ihr mir helfen wollt, dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Wie soll ich Euch glauben?«

»Ich will Euch noch weiter entgegenkommen!«, sagte Thomas. »Ich will Euch in alles einweihen, was geschehen ist, seit ich den Mordfall übernahm.«

Sie setzten sich an den langen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. An der Wand sah Thomas ein Gemälde, das die Auferstehung Christi darstellte. Ein weiteres Ölbild zeigte Simson mit den Stadttoren von Gaza.

Thomas berichtete Gutenberg über das bisher Geschehene. Von dem Abt und Katharina erwähnte er nichts. Er sprach von Klaras Aufzeichnungen. Thomas bemerkte, wie Gutenbergs Mundwinkel nervös zuckten, je länger er fortfuhr. Auch das Ultimatum des Kurfürsten erwähnte er.

»Wir sitzen in einem Boot«, schloss Thomas. »Unsere Interessen überschneiden sich. Das Geheimnis ist bei mir in sicheren Händen. Aber wir müssen handeln, ehe es zu spät ist. Ich bin davon überzeugt, dass ich die Mordfälle erst dann lösen kann, wenn ich weiß, wer von Euren Männern Klara Roths Liebhaber war.«

»Einer von meinen Leuten?«, murmelte Gutenberg, mehr für sich. »Das muss ich verdauen. Ich brauche Zeit!«

»Wir haben keine Zeit!«

»Trotzdem muss ich nachdenken. Bitte geht jetzt. Lasst mich eine Weile allein!«

»Gut, aber ich bin in zwei Stunden wieder bei Euch.«

»Einverstanden!«