33.

 

W

as soll ich hier?«, fragte Hermann Baum. »Warum so offiziell? Können wir uns nicht in der Werkstatt unterhalten?«

Sie standen zu dritt im Gesellschaftszimmer. Es war Vormittag, und draußen fiel Schnee.

»Wir möchten dir ein paar Fragen stellen«, sagte Gutenberg.

»Dann beeilt euch. Als hätten wir keine Arbeit. Sonst hetzt du immer.«

»Es dauert nicht lange«, sagte Thomas.

»Um was geht’s?«

»Ich möchte mit Euch über Euer Leben außerhalb der Werkstatt sprechen.«

»Was geht Euch das an?« Hermann Baum trug einen Arbeitskittel, dessen ehemals blaue Farbe sich nur erahnen ließ vor lauter Dreck, Öl und Druckerschwärze. Eine Kappe hing ihm schräg auf den glatten, schwarzen Haaren, bedeckte die halbe Stirn und das rechte Ohr. Auch seine breiten Finger starrten vor Schmutz, der sich unter den Nägeln sammelte. Die Handrücken bildeten muskulöse Hügel. Aus einem dunklen Gesicht leuchteten blau die Augen hervor. Seitlich der klobigen Nase zogen sich tiefe Linien zu den Mundwinkeln und von dort zum trotzigen Kinn. Er war gut einen Kopf größer als Thomas, der ihn auf Ende vierzig oder Anfang fünfzig schätzte.

»Mach keinen Arger«, sagte Gutenberg.

»Was geht ihn mein Privatleben an? – Davon abgesehen, dass ich keins habe, wie du sehr wohl weißt!«

»Wir befragen jeden, und du bist der Erste.«

»Sucht der Kerl immer noch den Mörder?«, fragte Hermann Baum, ohne Thomas anzuschauen. »Denkt er vielleicht, wir haben was mit der Sache zu tun? Und warum machst du das Spiel mit, Johannes? Ich verstehe das nicht!«

»Wo habt Ihr die Nacht verbracht, als Klara Roth ermordet wurde?«, fragte Thomas, während er mit dem rechten Fuß auf den Boden klopfte.

Baums Gesicht lief rot an. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Das ist ein schlechter Witz.«

»Einer von uns ist ein Verräter!«, sagte Gutenberg. »Und jeder wird befragt.«

»Ich höre wohl schlecht?!« Er legte seine Hand ans rechte Ohr und bog es nach vorn.

»Es gibt Beweise. Ich bin davon überzeugt, dass du mit der Sache nichts zu tun hast …«

»Warum bin ich dann hier? Warum verhört ihr mich zuerst?«

»Jemand muss der Erste sein!«

»Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich den Ast absäge, auf dem ich sitze.«

»Einer hat’s getan!«

»Aber ich nicht!«

»Du beantwortest jetzt seine Frage!«

»Das werde ich nicht tun. Wer bin ich denn?!«

»Dann machst du dich verdächtig.«

Hermann Baum drückte sein Kinn nach unten und fasste durch buschige, zusammengezogene Brauen Gutenberg scharf ins Auge. »Ich weiß nicht, wo ich vor über einer Woche war«, brummte er zögerlich. »Zu Hause wahrscheinlich.«

»So lange liegt das nicht zurück«, sagte Thomas. »Der Mord hat die ganze Stadt aufgewirbelt. Ihr müsst wissen, wo Ihr den Abend und die Nacht verbracht habt!«

Baum redete weiter mit Gutenberg – und registrierte Thomas nur insofern, als er mit dem Daumen auf ihn zeigte. »Der Bischof hat diesen Kerl zum Teufel gejagt. Was hat der bei uns zu suchen?«

»Wenn du weiter nörgelst«, sagte Gutenberg, »stehen wir morgen früh noch hier. Du wirst jetzt endlich seine Frage beantworten!«

»Überlegst du dir eigentlich, was du tust?«, fragte Baum. »Bald wird einer den andern verdächtigen. Dann ist unsere Gemeinschaft im Eimer.«

»Deine Antwort!«, sagte Gutenberg, indem er die letzte Silbe in die Länge zog.

»Im Bett war ich, zum Teufel.«

»Kann jemand bezeugen, dass Ihr zu Hause wart«, fragte Thomas.

Hermann Baum lachte. »Leider nicht!«

»Was soll das heißen?«

»Ich bin Junggeselle.«

»Ihr wohnt bei einem Kaufmann?«

»Wenn Ihr schon alles wisst, warum fragt Ihr dann?«

Thomas fühlte wachsendes Unbehagen. »Es muss doch jemand mitbekommen haben, wann Ihr gekommen seid.«

»Weiß ich nicht. Ist mir egal.«

Baums aggressive Ablehnung übertrug sich auf Thomas, in dem es zu brodeln begann. Er war selbst von dem Tonfall überrascht, den er nun anschlug. »Ein Haus ist wie ein Organismus«, sagte er. »Jeder Bewohner ist ein Teil davon. Ob man es will oder nicht, man bekommt immer mit, was der andere macht. Nichts geschieht, ohne dass es von den Nachbarn registriert wird! – Wo liegt Eure Kammer?«

»In einem Zwischengeschoss, fast unterm Dach«, sagte Baum, mit einem verärgerten Seitenblick auf Gutenberg.

»Seid Ihr dort allein untergebracht, oder gibt es noch andere Zimmer?«

»Noch zwei andere.«

»Wer wohnt dort?«

Er verzog das Gesicht und gab keine Antwort.

»Zwei Frauen«, antwortete Gutenberg an seiner Stelle. »Das weiß jeder hier, denn die andern ziehen ihn damit auf.«

Thomas verstand nicht, was Gutenberg meinte. »Frauen, die im Haus arbeiten?«

»Mägde. Wie heißen sie noch gleich, Hermann?«

»Hab ich vergessen.«

»Sei nicht kindisch.«

»Die Namen!«, sagte Thomas ungeduldig, aber Hermann Baum gab keine Antwort.

»Warum ziehen die Männer ihn damit auf?«

»Weil er rot wird, sobald eine Frau in seine Nähe kommt.«

»Du sollst dein Maul halten, Johannes!«

»Allein deshalb«, sagte Gutenberg, »kann es nicht sein, dass er was mit Klara Roth hatte. Er ist viel zu schüchtern. In Gegenwart einer Frau kriegt er das Maul nicht auf. Sein Gesicht ist dann wie eine Maske. Deshalb nennen die Männer ihn ›Puppe‹. Das ist sein Spitzname.«

»Wir reden noch zusammen, Johannes, nachher, unter vier Augen.«

»Zum Beispiel wenn ein Fest ist«, fuhr Gutenberg unbeirrt fort. »Alles tanzt und ist fröhlich. Aber Puppe sitzt vor seinem Becher, besäuft sich und verzieht keine Miene.«

»Unter vier Augen. Nicht jetzt«, wiederholte Hermann.

Danach sagte er überhaupt nichts mehr. Er war so verärgert, dass er die Fragen, die Thomas ihm stellte, einfach ignorierte. Stur, dachte Thomas, wie ein Ochse. Auch Gutenbergs Ermahnungen nützten nichts. Schließlich gingen die beiden Männer zurück in ihre Werkstatt, während Thomas einen Blick in die Küche warf, wo Maria das Mittagessen vorbereitete. Er setzte sich an den Tisch.

»Kennst du Hermann Baum gut?«, fragte er sie.

»Nein, er redet nicht viel, ein stummer Riese«, antwortete Maria, ohne lange zu überlegen.

»Baum sagt, dass er in einer Kammer wohnt und nebenan zwei Mädchen.«

»Lisa und Beate.«

»Du kennst sie?!«

Sie nickte Thomas zu, während sie Zwiebeln schnitt und ihr Tränen über die Wangen liefen. »Natürlich. Man sieht sich auf dem Markt. Man lästert ein wenig …«

»Ich brauche deine Hilfe, Maria.«

»Wobei?«

»Ein paar Nachforschungen.«

»Das hört sich nicht gut an.«

»Ich möchte, dass du Lisa und Beate über Hermann ausfragst! Würdest du das für mich tun?«

»Was möchtet Ihr wissen?«

»Mich interessieren seine Gewohnheiten. Wann er nach Hause kommt. Wann er geht. Ob er Besuch hat. Ob ihnen in letzter Zeit etwas Besonderes aufgefallen ist. Und ob sie sich daran erinnern, wo er in der Nacht war, als Klara Roth getötet wurde und in der Nacht, als der Baumeister verschwand.«

»Das ist nicht schwer. Den Gefallen kann ich Euch tun.«