17.
A
m frühen Morgen passierte Thomas das südliche Stadttor. Er hatte sich von der Stadtwache ein Pferd geliehen. Es regnete ausnahmsweise nicht, und ein kräftiger Wind hatte über Nacht den Nebel und die Wolken weggefegt. Mit jedem Huftritt flogen Brocken des leicht gefrorenen Bodens auf. Er kannte die Gegend nicht, hatte sich aber den Weg, den er nehmen musste, genau beschreiben lassen. Rechts und links flogen Felder vorbei. Die meisten Acker waren im letzten Herbst gepflügt worden, und dicke Schollen reihten sich aneinander. Ein paar Krähen zogen durch die Luft und stießen Schreie aus, sonst war es still.
Thomas kam an einen Punkt, von dem aus er die Stadt und ihre Umgebung überschaute. Der Rhein, über dem zarte Dunstschleier hingen, ließ ihn an eine silberne Schlange denken. Die aufgehende Sonne verlieh der Stadt einen besonderen Glanz. Er überschaute die Mauer mit ihren Türmen und die Kirchen, Klöster und Adelshöfe. Der rötliche Dom überragte alle Gebäude. Obwohl Mainz die größte Ansiedlung dort unten in der Ebene war, wirkte die Stadt klein und beschaulich – verglichen mit italienischen Städten, die er kannte; verglichen auch mit Köln.
Thomas konnte weit in die Ferne blicken. Das mussten die Hügel des Taunus sein, die sich dort abzeichneten, und der Anfang des Rheingaus. In der anderen Richtung lag eine weitere Hügelkette, wahrscheinlich der Odenwald. Und wenn er sich noch ein Stück umwandte, sah er weit gestrecktes Land, flacher und sanfter; in dieser Richtung herrschte Wald vor, ein paar vereinzelte Rebflächen gab es und kleine Dörfer.
Etwa eine Stunde später, nachdem er einige Weiler durchquert hatte, erreichte Thomas ein Dorf in einer Talsenke. Kaum mehr als zehn Bauernhöfe gruppierten sich halbkreisförmig um einen Teich. Ein niedriger Flechtzaun umgab die wenigen Gebäude. Dahinter lagen Wiesen und Felder, gelegentlich kleine Baumgruppen; in der Ferne ein Dorf mit Kirchturm. Thomas war froh, den richtigen Weg gefunden zu haben, denn etwas abseits sah er das kleine Haus; er erkannte es an dem verlassenen Storchennest. Genau so hatte man es ihm beschrieben.
Aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Langsam ritt er darauf zu. Er musste an ein Märchen denken, das ihm früher seine Großmutter erzählt hatte und in dem ein Hexenhaus eine Rolle spielte – denn wie ein solches wirkte es auf ihn. Neben der Tür befanden sich zwei winzige Fenster, und Holzschindeln bedeckten das niedrige Giebeldach. Er band sein Pferd an ein Weidengebüsch nahe eines Baches. Während er auf das Haus zuging, hatte er das Gefühl, von drinnen beobachtet zu werden.
Die Läden waren verschlossen. »Hallo«, rief er, »ist jemand zu Hause?« Niemand antwortete. Er klopfte an die Eingangstür, die aus rohen Brettern gefertigt war.
»Wer ist da?« Thomas stutzte, denn es klang, als ob ein junges Mädchen mit ihm spreche.
»Ein Freund von Klara Roth.«
»Was wollt Ihr?«
»Mit Euch reden.«
»Über Klara?«
»Ja.«
»Klara ist tot«, sagte die Mädchenstimme.
»Deswegen bin ich hier.«
»Ich habe mit der Sache nichts zu tun.«
»Macht schon auf! Es geschieht Euch nichts.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Er sah ein Auge, das an ihm auf- und abwanderte.
»Schau an, schau an! Ein hübscher junger Kerl, und er will mich besuchen.«
»Lasst mich rein!«
Die Tür öffnete sich, und vor Thomas stand eine sehr alte Frau mit unzähligen Falten im Gesicht. Die Wangenknochen traten hervor, und auffallend war die leicht gebogene Nase. Ihre braunen Augen blickten wach. Sie trug ein weißes Tuch auf dem Kopf, war klein, stand jedoch aufrecht vor ihm und hielt die Hände in die Hüften gestemmt. Sie musste über achtzig sein.
Die Frau machte eine Geste mit dem Zeigefinger der rechten Hand. »Ihr habt in letzter Zeit zu wenig geschlafen, junger Freund!«
»So fühle ich mich auch.«
»Die Jugend hält ihre Kräfte für unerschöpflich!« Sie trat zur Seite und ließ ihn herein. Es gab nur einen einzigen Raum. Da draußen die Sonne schien, war der Kontrast zur Dunkelheit im Haus stark, und Thomas erkannte zunächst recht wenig. Von Balken hingen Büschel mit Kräutern, an Schnüren aufgereihte Zwiebeln und Knoblauchknollen. Über einem Feuer stand auf einem Dreifuß ein Kupferkessel, von dem fremdartige Gerüche ausgingen. Auf einer Stange im hinteren Teil des Raums saß eine Krähe.
Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Junger Mann, Ihr wisst nicht, wie wichtig gesunder Schlaf ist.«
Thomas zeigte auf einen schwarzen Hund, der in der Nähe des Feuers zusammengerollt lag. Seine Schnauze ruhte auf den Vorderpfoten, und er hob träge die Augendeckel, um sie gleich wieder fallen zu lassen. »Der hat damit kein Problem!«, sagte er.
»Isidor, begrüß unseren Gast!« Der Hund zeigte keine Reaktion.
Der Schein des Kaminfeuers verlieh den Gegenständen wechselndes Aussehen. In der Nähe des Feuers blieb Thomas stehen, und die Frau betrachtete sein Gesicht. »Ihr habt schwarze Ringe unter den Augen, und die Farbe Eurer Haut gefällt mir nicht. Was habt Ihr gefrühstückt?«
»Etwas Brot und Käse.«
»Esst zum Frühstück Honig, und trinkt ein Glas frische Milch dazu! Mittags häufiger Fleisch und Kohl. Trinkt Ihr Wein?«
»Selten.«
»Jeden Abend ein Glas! Das stärkt die Konstitution. – Wie sieht’s mit Frauen aus?«
»Ich lebe wie ein Mönch.«
»Ist für einen Mann in Eurem Alter nicht gut. Schlägt aufs Gemüt und macht melancholisch.«
Die Alte trat näher heran und blickte ihm in die Augen. »Aber alles in allem seid Ihr gesund. – Was ist nun mit Klara?«
»Erzählt mir alles, was Ihr über sie wisst.«
»Stellt mir Fragen!«
Sie schien über den Mord informiert zu sein. »Kam Klara oft hierher?«, fragte Thomas.
»Etwa einmal in der Woche, manchmal häufiger.«
»Weshalb?«
»Ich war ihre Lehrerin.«
»Worin?«
»Kräuterkunde. Schaut Euch nur um! Sie war eine gute Schülerin. Sehr interessiert. Sehr aufmerksam.«
»Viele hielten Klara für eine Hexe.«
»Dann ging es ihr wie mir.« Sie lachte.
»Stört Euch das nicht?«
»Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Mit den Jahren gewöhnt man sich an alles.«
»Und Klara?«
»Sie regte sich darüber auf. Mach dir nichts draus, hab ich immer gesagt, das gibt sich.«
»Wer kommt sonst noch zu Euch?«
»Jeder, der meine Hilfe braucht, kann kommen.«
»Ihr behandelt Krankheiten?«
»Ausschließlich! – Schöne Augen habt Ihr.«
»Was für Krankheiten?«
»Atembeschwerden, Verdauungsschwierigkeiten, Schmerzen … was sich mit Kräutern heilen oder lindern lässt.«
»Kommen auch Leute, die Zaubermittel verlangen?«
Sie lachte erneut wie ein Kind. »Die schicke ich wieder weg.«
»Ihr glaubt nicht an übernatürliche Kräfte?«
»Im Gegenteil. Ich glaube an die Kräfte, die in der Natur liegen.«
Unvermittelt fasste sie an seine Haare. »Mein Liebster hatte solche Locken.«
Thomas verbarg seine Irritation. »Klara wollte in Eure Fußstapfen treten?«
»Man muss sich über Wasser halten.«
»Was habt Ihr ihr beigebracht?«
»Alles. Ich werde nicht mehr lange leben. Ich wollte ihr mein gesamtes Wissen weitergeben.« Sie fuhr kurz mit ihrer Hand, die sich rau anfühlte, über seine Wange.
»Soweit ich weiß, hat Klara auf dem Mainzer Markt Kräuter verkauft?«
»Auch Salben und Rezepte. Sie stand erst am Anfang. Die Geschäfte liefen nicht schlecht. Schlimm, dass sie sterben musste.«
»Wie habt Ihr von ihrem Tod erfahren?«
»Von einem Bauern. Er hat’s auf dem Markt gehört. So was spricht sich rum.«
»Hat Klara mit Euch über ihr Privatleben gesprochen?«
»Sie hatte keine Geheimnisse vor mir.«
»Gar keine?«
»Fast keine«, sagte die Alte leichthin.
»Sie sprach auch mit Euch über die Männer, die zu ihr kamen?«
»Ich habe sie beraten. Sie hat meine Erfahrung und mein Wissen geschätzt. – Wir müssen uns nicht im Stehen unterhalten. In meinem Alter strengt das an.«
Sie nahmen an einem Tisch Platz. Die Krähe beäugte Thomas argwöhnisch. »Wenn Klara über alles mit Euch gesprochen hat: Kennt Ihr dann auch die Namen der Männer, die zu ihr kamen?«
»Das waren drei.«
»Nur drei?«
»Reicht doch, oder?«
»Hat sie von den Männern Geld bekommen?«
»Nicht nur Geld. Ein kluger Mensch ist auch an Naturalien interessiert und an Dienstleistungen.«
»Das habt Ihr ihr geraten?«
»Mit den Jahren lernt man, Vor- und Nachteile einer Sache realistisch einzuschätzen.«
»Klara hörte auf Euch?«
»Sie hat bei verschiedenen Gelegenheiten gemerkt, wie wertvoll meine Empfehlungen sind. Sie hat sich auf mich verlassen – und ist gut damit gefahren.«
»Was sprang für Euch dabei heraus?«
Sie lächelte. »Doch, Ihr seht blass aus. Ich werde Euch jetzt was zur Stärkung bringen.«
»Nicht nötig. Um noch mal auf die Liebhaber zu kommen …«
»Ich bestehe darauf.« Sie stand auf und füllte einen Holzbecher aus einem Krug, der in der Nähe des Feuers stand. Sie stellte den Becher vor Thomas auf den Tisch. »Trinkt!«
Die Flüssigkeit roch seltsam nach irgendwelchen Gewürzen, die er nicht kannte. Er wollte nicht unhöflich sein und nahm einen Schluck. Es schmeckte süß und scharf gleichzeitig.
»Was ist das?«
»Kräfte aus der Natur, die Euren Organismus stärken. Nicht so zögerlich! Trinkt!«
Er nahm noch einen Schluck. »Drei Liebhaber, sagtet Ihr? Könnt Ihr mir die Namen nennen?«
»Ich dachte mir, dass Euch das interessiert.«
»Bitte spannt mich nicht auf die Folter.«
»Ihr seid jung und ungestüm. Warum habt Ihr es so eilig?«
Die Krähe visierte ihn immer noch mit feindseligem Blick. Sie hatte den Kopf ein wenig eingezogen. Er nahm einen weiteren Schluck von der dunklen, etwas zähen Flüssigkeit.
»Wollt Ihr mir nicht helfen, den Mörder zu finden?«
»Ich weiß doch nicht einmal, wer Ihr seid!«
»Ich bin Richter in Mainz.«
Sie entblößte einen zahnlosen Mund. »Richter also … und sehr in Eile.«
Seine Ungeduld wuchs. Er hatte bis Mittag wieder in der Stadt sein wollen. Gleichzeitig spürte er, dass sie ihm entscheidende Informationen liefern konnte.
»Und wozu die Eile?«, fragte sie spöttisch.
»Wenn ich nicht innerhalb von drei Tagen Klaras Mörder finde, verliere ich meine Stelle.«
»Wer sagt das?«
»Der Kurfürst.«
Sie schob das Kinn nach vorne und nickte. »Der alte Dietrich. Er wird sich nicht mehr ändern. – Wenn Ihr zum Essen bleibt, will ich Euch ein bisschen was erzählen.«
Thomas resignierte. »Ich bleibe gern.«
»Im Kessel brodelt ein Eintopf. Und trinkt endlich Euren Becher leer.«
Er gehorchte, obwohl sich sein Kopf bereits zu drehen begann. Sobald er den Becher leer hatte, goss sie nach. Außerdem füllte sie zwei Tonschalen mit Eintopf und stellte sie auf den Tisch. Sie reichte ihm einen Holzlöffel. »Kostet!«
Er begann zu löffeln, und es schmeckte ihm gut.
»Was habt Ihr bisher über Klaras Liebhaber herausgefunden?«, fragte die Alte.
»Von zweien habe ich den Namen rausbekommen und mit ihnen gesprochen. Einer wird seitdem vermisst.«
»Der Baumeister. Ich habe davon gehört.«
»Der zweite war hilfsbereit und unterstützt mich, sofern ich diskret bleibe.«
»Das muss der Abt sein«, sagte sie.
»Er ist ein sympathischer Mann. Ihr habt von drei Liebhabern gesprochen. Über den dritten weiß ich bis jetzt nichts.«
»Was habt Ihr noch herausgefunden?«
»Dass Klara offensichtlich einem Geheimnis auf der Spur war.«
»Welchem Geheimnis?«
»Es war von Schwarzer Kunst die Rede …«
»Und da dachtet Ihr natürlich gleich an Hexerei. Seid Ihr deshalb bei mir? Wer hat Euch das erzählt?«
»Der Abt.«
»Sie hat ihm also von mir berichtet. Das war unklug. Mit schwarzer Kunst verbindet der gemeine Mensch Hexenkünste, geheime Machenschaften, Teufelskram. Ist es nicht so?«
»Ich glaube nicht an solche Dinge«, sagte Thomas.
»Aber Sprache ist lebendig und vieldeutig. Oft drückt ein Begriff ganz verschiedene Dinge aus.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Dass die Spur in eine andere Richtung weist.«
»In welche?«
»Langsam, langsam. Ihr fallt immer mit der Tür ins Haus. Ich bin eine alte Frau. Ich hetze nicht gern. Und man ist einsam im Alter. Die Freunde sterben weg. Selten sieht man ein junges Gesicht. – Wie schmeckt es Euch?«
»Gut! Wenn Ihr etwas wisst: Sagt es mir bitte! Was ist Schwarze Kunst? Und wer ist der dritte Liebhaber?«
»So viele Fragen auf einmal? Ich will Euch die erste beantworten. Schwarze Kunst ist etwas ganz Neues. Eine Revolution!«
»Worum geht es dabei?«, fragte Thomas.
»Kunst kommt von Können. Ich spreche von einer Erfindung. Von ein paar Menschen, die etwas können, wovon andere nicht zu träumen wagen.«
»Aber warum wird diese Kunst, wenn sie nichts mit Hexerei zu tun hat, die Schwarze genannt?«
»Weil in diesem Fall Schwarz ganz wörtlich zu nehmen ist.«
»Es geht um die Farbe?«
»Unter anderem.«
Es war klar, dass sie seinen Aufenthalt in die Länge zog. Sie blickte ihn eigenartig an. Sah er wirklich einem Mann, den sie früher geliebt hatte, ähnlich?
»Eine neue Methode, Farbe herzustellen?«, spekulierte er. »Geht es darum, Stoffe zu färben?«
»Es geht um eine Maschine.«
Er fühlte sich betrunken, und sein Mund stand vor Staunen weit offen. Sie lachte amüsiert, und der Hund bellte. Daraufhin sagten sie eine Weile nichts und aßen schweigend.
»Als Richter könnt Ihr natürlich schreiben und lesen«, fing sie auf einmal von selbst wieder an.
»Im Moment würde es mir schwer fallen.«
»Und Ihr habt studiert. Sicher waren die Lehrbücher sehr teuer?«
»Das könnt Ihr laut sagen.« Thomas hatte Mühe, seine Worte klar zu artikulieren.
»Müssen ja von Hand geschrieben werden. Eine furchtbar mühselige Arbeit. Früher«, sagte sie, »gab es Schreibstuben ausschließlich in Klöstern. Wenn man alt ist, kommt man nicht mehr viel rum. Aber ich habe mir sagen lassen, dass es mittlerweile kleine, gewerbliche Betriebe gibt, die sich auf das Vervielfältigen von Schriften spezialisiert haben …«
»Das ist richtig. Zum Beispiel im Elsass gibt es eine bekannte Schreibstube. Ich besitze einen Katalog der Bücher, die man dort kaufen kann.«
»Dort sind sicher viele Schreiber angestellt, die sich den ganzen Tag die Finger wund schreiben?«
»Allerdings. Weil der Bedarf riesig ist. Das fängt schon in der Lateinschule an. Jeder braucht eine Grammatik.«
»Den Donat, selbstverständlich«, sagte sie, und er schaute verblüfft auf, weil sie den Namen des Lehrbuchs kannte. Sie war mit seiner Reaktion sichtlich zufrieden. »Die Zahl derjenigen, die schreiben und lesen können, wächst rapide an. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke! Da war das noch eine Seltenheit.«
»Weil es immer mehr Schulen gibt«, sagte Thomas. »Und Universitäten. Und weil unser Wissen über die Welt wächst. Die Entwicklung ist unglaublich. Früher gab es nur die Theologie. Nun entstehen völlig neue Wissenschaften. Auch die Vergangenheit wird erforscht. Wir entdecken das Wissen der Antike neu und gehen darüber hinaus.«
Er leerte den Becher zur Hälfte. Etwas hatte seine Zunge gelöst. Vor lauter Reden vergaß er das Essen. »Die Alten haben viel gewusst«, lallte er. »Sie sind Riesen, aber wir stehen auf ihren Schultern. Herrliche Skulpturen habe ich gesehen und Tempelruinen. Die Alten hatten ein Bild vom Menschen, das uns verloren gegangen war. Aber man gräbt alte Schriften aus, teilweise nur in Arabisch erhalten. Man übersetzt sie ins Lateinische und sogar in die Volkssprachen.«
»Es wäre also ein Segen für die Menschheit, Bücher in beliebiger Zahl vervielfältigen zu können?«, fragte die Alte.
»Keine Frage!«
»Und genau darum geht es bei der Schwarzen Kunst.«
Wieder starrte er sie mit offenem Mund an. Die Krähe stieß Schreie aus.
»Wie funktioniert das?«, fragte Thomas.
»Mit Hilfe einer Maschine. Wenn man sie zu bedienen weiß, kann man in kurzer Zeit mehr als hundert Exemplare einer Schrift anfertigen, die alle gleich aussehen. – So jedenfalls hat Klara mir das beschrieben.«
Thomas versuchte sich auszumalen, was das bedeutete. Wenn sie die Wahrheit sagte, würde es die Welt verändern.
»Woher wusste Klara das alles?«
»Die Frage stelle ich mir auch.«
Und das in dieser kleinen, am Rhein gelegenen Stadt? Die früher einmal bedeutend gewesen war, heute aber vom Ruhm der Vergangenheit zehrte? Ausgerechnet hier, dachte er, soll sich in aller Stille eine der größten Umwälzungen in der Geschichte der Menschheit vollziehen?
»Wer steht hinter der Erfindung.«
»Ein Mann, der Johannes Gensfleisch heißt, aber man nennt ihn Gutenberg. Ich kann über ihn nicht mehr sagen, als jeder andere in der Stadt. Hört Euch ein wenig um!«
»Ist er Klaras dritter Liebhaber?«
»Ihr fragtet mich vorhin, ob Klara keine Geheimnisse vor mir hatte, und ich antwortete: ›Fast keine.‹ Denn was den dritten Liebhaber betrifft, hat sie hartnäckig geschwiegen. Ich frage mich, weshalb.«