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Meine Wunschliste:

• mal ohne doofe Aufpasser zu sein (Mama, Krankenschwester, Lehrer)

• nach Berlin fahren (und bei Lars schlafen)

• in einem tollen 5-Sterne-Hotel übernachten und beim Zimmerservice so viel Schnitzel mit Pommes und Cola bestellen, wie ich möchte

• ein fremdes Mädchen küssen

• ein Mädchen nackt sehen

• einem Mädchen unters T-Shirt fassen (aber nur, wenn sie mag)

• einen Liebesbrief schreiben und abschicken (aber nur, wenn ich wirklich verliebt bin)

• mich verlieben

• neues Handy (iPhone 4)

• mit einem coolen Sportwagen durch die Gegend fahren (Lars fährt, ich darf schalten)

• Autofahren lernen

• die besten Spaghetti carbonara der Welt essen

• Party machen ohne Mama, aber mit Mädchen

• Leute verarschen

• eine Zigarette rauchen

• ganz lange wach bleiben

• mit einer geilen Limousine durch die Stadt fahren

• in Clubs gehen

• ganz viel alkoholfreies Bier/Sekt trinken und dazu Chips und Gummibärchen essen

• neue Spiele für die Wii ausleihen oder kaufen

• coole Klamotten und Schuhe bekommen

• einen eigenen Song aufnehmen (wie ein echter Popstar)

• alles, was mich zum Lachen bringt (Lars weiß bestimmt ganz viel)

• Mama endlich wieder von Herzen glücklich sehen

Zuerst hatte ich aufgeschrieben: »Noch meinen sechzehnten Geburtstag erleben«. Aber dann fiel mir auf, dass ich darauf keinen Einfluss habe, und strich es wieder durch. Ich war begeistert von meiner Wunschliste, weil dort nur Sachen draufstanden, die mir Spaß machten. Darum ging es ja, hatte Lars mir erklärt: »Du bist der Boss, du kannst entscheiden.« Als er mir den Block aus der Hand nahm, um sich alles noch einmal durchzulesen, kam es mir immer noch wie ein Traum vor. Womit hatte ich das nur verdient? Was hatte ich gesagt oder getan, dass Lars ausgerechnet mit mir seine Zeit verbrachte? Warum nicht ein anderes Kind? Warum ich? Er gab mir den Block nach einigen Wimpernschlägen wieder zurück und nickte zufrieden. Ich war so aufgedreht, dass ich mit der Liste in der Hand vom Bett sprang und schon halb aus der Tür auf dem Weg ins Wohnzimmer war.

»Daniel, Daniel«, rief mir Lars hastig hinterher. »Komm sofort zurück!«

Ich bremste ab und rutschte mit meinen Socken fast bis zum gegenüberliegenden Bad. Mama und Papa schauten mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte, und ich schlidderte den gleichen Weg zurück zu Lars, sprang aufs Bett und lies mich in seine Arme fallen. Ich war völlig außer Puste. Als ich mich etwas beruhigt hatte, fragte Lars: »Fällt dir irgendwas an deiner Liste auf?«

Ich sah sie mir wieder an und sagte: »Nein.«

»Vielleicht stehen ja ein oder zwei Dinge darauf, die deine Mutter nicht unbedingt sehen sollte. Hmm, was meinst du?«

»Scheiße, stimmt«, sagte ich und war total überfordert mit der Situation, weil das alles so neu für mich war: Geheimnisse, Abenteuer, Weiber … mir wurde schwindelig von der Vorstellung, all das mit Lars erleben zu können, und ich merkte, wie mir kalt und meine Lippen lila wurden.

»Ganz ruhig, mein Kleiner«, sagte Lars. »Alles wird gut, aber komm mal wieder klar. Unsere Reise hat noch nicht mal begonnen. Und wenn du jetzt schon durchdrehst und schlappmachst, wie soll das erst werden, wenn plötzlich ein heißes Mädel vor dir steht und dich ranlässt?«

Ich legte mich neben Lars, um zu kuscheln, ein wenig auszuruhen und zu träumen. Mir fiel ein Satz ein, den mir eine Krankenschwester gesagt hatte, als es mir sehr schlechtging und niemand wusste, ob ich die Nacht überstehe: »Wer keinen Mut hat zu träumen, kann nachts die Sterne nicht sehen«. Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet jetzt daran dachte. Vielleicht weil es draußen gerade dunkel wurde. Vielleicht weil man durchs Fenster schon die Sterne sehen konnte. Vielleicht weil mich gerade mein Mut verließ. Ich glaube, ich bekam so etwas wie Abenteuerlampenfieber mit dem kribbeligsten Bauchgrummeln, das man sich nur vorstellen konnte.

»Komm«, sagte ich entschlossen, »zieh dich an!«

»Ah ja?«

»Ja, wir gehen raus unser erstes Abenteuer erleben! Ich verstecke die Liste in meinem Zimmer und dann können wir nachher, wenn wir wieder zurück sind, gleich den ersten Punkt durchstreichen.«

Lars schaute mich mit großen Augen an. Damit hatte er nicht gerechnet. Das konnte ich genau sehen. Ha! Ich flüsterte ihm zu: »Kannst du Mama fragen, ob wir noch raus dürfen? Weil es ja schon spät ist. Bei mir erlaubt sie es bestimmt nicht.«

Lars nickte, und ich zischte ab.

Es war schon nach 20 Uhr, als wir aus dem Haus traten und die dunkle Landstraße stadteinwärts entlangliefen. Ich kannte jedes Staubkorn auf dieser Strecke, weil ich dort täglich mit dem Schulbus vorbeikam, aber in diesem Moment fühlte ich mich wie ein Fremder an einem fremden Ort. Lars trug seine schwarze Lederjacke, ich meinen schwarzen Mantel, und als er cool auf den Boden spuckte, spuckte ich auch auf den Boden. Ich fühlte mich lebendig und frei und falls nichts dazwischenkommen würde, hatte ich noch genug Kraft für zwei Stunden. Nach der ersten Kreuzung fragte Lars ungeduldig: »Willst du’s mir freiwillig sagen, oder muss ich raten?«

»Was denn sagen?«

»Wohin wir gehen.«

»Ach so«, winkte ich lässig ab. »Wir gehen zur Tankstelle.«

»Aha«, grinste Lars.

»Zigaretten kaufen.«

»Ist schon klar.«

Ich versuchte cool zu bleiben, aber mir ging ganz schön der Kackstift. Zum Glück lag die Tankstelle nicht gerade um die Ecke und mir blieb noch genug Zeit, um nachzudenken. Aber je länger ich mir darüber Gedanken machte, desto unsicherer wurde ich.

»Hast du schon mal geraucht?«, fragte ich.

»Ja, mit zwölf oder dreizehn habe ich meine erste Kippe probiert. Ich hatte ein paar Kumpels, die schon etwas älter waren als ich und mit denen ich immer Skateboard gefahren bin. Die haben alle geraucht, und irgendwann hab ich auch eine probiert.«

»Und, wie war das so?«

»Ganz ehrlich: Gar nicht mein Ding.«

»Das stinkt, ne?«

»Ja, und ich hatte stundenlang diesen ekligen Geschmack im Mund und an den Fingern. Ich hab mir auch eine eigene Schachtel Lucky’s gekauft, aber die meisten Kippen haben meine Kumpels geraucht. Ich weiß noch genau, wie ich überlegt habe, was ich mit der Schachtel mache, weil ich nicht wollte, dass mein Papa die entdeckt.«

»Das hätte Ärger gegeben, oder? Also, ich würde riesigen Ärger von Mama bekommen. Darf gar nicht dran denken.«

»Mein Vater hätte mir sicher für ein paar Tage das Skateboard weggenommen, was zu der Zeit die absolute Höchststrafe für mich gewesen wäre. Das Risiko war mir viel zu hoch, und ich hab die Packung dann in einen Briefkasten geworfen.«

»Gut so.« Ich wurde immer aufgeregter.

»Sag mal, wie weit ist es denn noch?«, beschwerte sich Lars, als wir schon eine ganze Weile unterwegs waren. »Hast du überhaupt so viel Puste? Wir müssen den ganzen Weg ja auch wieder zurück.«

Mist. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber das würde ich schaffen. Ich musste. Es gab keinen Weg mehr zurück. Als am Ende der Straße die beleuchtete Tankstelle auftauchte, blieb ich stehen.

»Fuck, ich habe gar kein Geld dabei.«

»Ich aber«, lachte Lars und stellte die Sauerstofftasche auf den Boden. Ich sprang nervös von links nach rechts.

»Daniel, du musst das nicht tun. Nicht, wenn du es nicht unbedingt willst.«

»Doch, doch, doch, ich will es unbedingt«, sagte ich. Lars beugte sich vor mich.

»Du musst mir nichts beweisen, hörst du? Für mich bist du mit Zigarette nicht cooler als ohne.«

»Aber was würdest du denn an meiner Stelle tun?«

»Das sage ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich dich nicht beeinflussen will. Es ist dein Leben, deine Entscheidung. Du willst doch eigene Entscheidungen treffen. Jetzt hast du die Gelegenheit dazu.«

Die Ampel sprang auf Grün, und wir überquerten die Straße. Jetzt waren es nur noch ein paar Meter. Die Tankstelle war leer. Überall Kameras. Das würde doch auffallen, dachte ich, wenn wir nur Zigaretten kauften, aber Lars griff schon nach einer Dose Fanta, was mich aufatmen ließ.

»Willst du auch was trinken?«

Ich schüttelte den Kopf. Als Lars an der Kasse stand, blieb ich am Eingang stehen, um genügend Sicherheitsabstand zum Tankstellenwärter zu bekommen, damit er mich nicht wiedererkennen konnte. Lars wedelte mit einer Packung Marlboro Lights und einem kleinen Feuerzeug, und wir gingen die Straße weiter zum Park. Lars setzte sich schon auf eine Bank, aber die Laterne leuchtete mir zu hell. Ich wollte lieber nach einem sichereren Versteck suchen. Das fanden wir hinter der Kirche. Dort gab es auch eine Bank, und ich sagte: »Perfekt.« Ich sah mich um, niemand zu sehen. Ich sah mich ein zweites Mal um. Die Luft war rein.

»Ja oder nein?«, fragte Lars.

Ich sagte: »Ja.«

Lars sagte: »Okay.«

Er zog die Plastikfolie von der Verpackung, riss das silberglänzende Papier ab, steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und zündete sie an. Er nahm zwei große Züge und blies den Rauch langsam durch die Luft. Ich schaute der grauen Wolke zu, wie sie langsam in der Dunkelheit verschwand. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, atmete tief ein und aus und machte es ihm nach. Ich wusste ja, wie es geht. Ich wohne ja nicht auf dem Mond. Aber ich wollte es eben genauso wie Lars machen. Auch mein Rauch verschwand über mir in der Nacht. Lars wuschelte mir über den Kopf, lachte nur, und ich gab ihm die Zigarette zurück. Wir lehnten uns beide nach hinten und schauten auf die beleuchtete Kirche.

»Wenigstens werden wir hier nicht für unsere Sünden bestraft«, lachte Lars. Die Fanta stand ungeöffnet neben ihm auf der Bank. Ich hatte keinen Durst, aber es war gut zu wissen, dass etwas da war. Für den Notfall. Kalt war es nicht, aber richtig warm auch nicht. Es war so mittel. Jetzt noch ein echtes Bier und ein geiles Mädel, dachte ich, und der Abend wäre perfekt. Was für Sünden meinte Lars?

»Was für Sünden meinst du?«

»Also, wenn du das nicht weißt?«, grinste mich Lars an. »Dafür komme ich bestimmt in die Hölle, aber das halte ich aus. Der liebe Gott wird mich schon freikaufen. Da mache ich mir keine Sorgen. Geht’s dir gut?«

»Ja.«

»Was macht das Herz?«

»Schlägt.«

»Und die Lunge?«

»Atmet.«

»Bingo.«

Lars hielt seine Hand in die Luft, und ich schlug mit voller Wucht ein. Mit ihm konnte man wirklich jede Menge erleben. Ich sah ihm zu, wie er an der Zigarette zog. Die Glut erinnerte mich plötzlich an eine böse Geschichte, die ich einmal gehört hatte und die von der Hölle und dem Fegefeuer und vom Teufel handelte, und ich zuckte innerlich kurz zusammen. Ich wollte Lars davon erzählen, aber dann doch nicht. Ich wollte lieber an etwas Schönes denken, aber ich bekam den Gedanken nicht mehr weg, also musste ich schnell etwas sagen, aber das erste, was aus meinem Mund kam, war: »Teufel.«

»Wie bitte?«, fragte Lars.

»Ist mir so rausgeplatzt«, entschuldigte ich mich.

»Interessant«, sagte er und schaute mich wieder an. »Der gute alte Beelzebub. Ich hab mal von ihm geträumt, weißt du?«

»Echt?«

»Ja, vor einem halben Jahr etwa. Ich war zu der Zeit oft traurig, fühlte mich einsam, hatte komische Gedanken.«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte ich schnell, um ihn zu beruhigen. »Jetzt bin ich für dich da.«

»Ich weiß, mein Kleiner. Und ich für dich.«

»Gib mal die Zigarette, bevor sie ausgeht«, sagte ich. »Und wie war das mit dem Teufel?«

»Ich wollte ein Buch über Engel schreiben, weil Schreiben ja mein Beruf ist. Aber sie wollten es nicht.«

»Wer, die Engel?«

»Ja.«

»Aber warum denn nicht?«

»Ich weiß auch nicht. Vielleicht hatten sie Sorge, ich könnte ihr Geheimnis verraten?«

»Hmm.«

»Und dann habe ich eines Nachts vom Teufel geträumt.«

»Krass«, sagte ich leise und hörte ihm gut zu, weil es so spannend war. Ich warf die Zigarette auf den Boden und trat mit meinem Turnschuh drauf.

»In dem Traum sagte der Teufel zu mir: Gott schickt immer nur seine Engel. Er sendet seine Angestellten, seine Knechte aus, weil er sich zu fein ist, selbst zu erscheinen. Oder warum redet ihr Menschen immer nur davon, einen Engel gesehen zu haben? Ich dagegen komme immer persönlich. So wichtig bist du mir, mein Freund. Gott schickt Engel. Wen könnte ich schicken? Weißt du, wie meine Engel heißen? Ich war natürlich völlig überrascht und sagte: Nein!

Da sprach der Teufel weiter: Ich habe keine Gang, die ich herumkommandieren kann, so wie Gott. Ich bin eine One-Man-Show. Ich bin ganz alleine. Ganz alleine, so wie du.

Und dann sah er mich mit seinen feuerroten Augen an und fragte: Findest du es nicht eigenartig, dass Gott eine unvorstellbar große Armee an Engeln besitzt, die mich aber trotzdem nicht besiegen kann? Schau mich an: Das hier ist alles, was ich habe. Willst du das Geheimnis meiner Macht wissen?«

Lars hörte einfach auf zu erzählen. Ich zog an seiner Jacke und sagte: »Wie ging’s weiter? Wie ging’s weiter?«

»Dann bin ich aufgewacht.«

»Ja, aber kam er denn gar nicht mehr zurück? In deinem Traum, meine ich.«

»Nein, nie mehr.«

»Ganz schön aufregend. Kann ich die Fanta aufmachen? Ich brauche einen Schluck.«

»Logo.«

Lars steckte die Zigarettenschachtel in seine Jackentasche, stellte sich gegen die Hecke und zog seine Hose runter.

»Was machst du da?«, fragte ich, als ich mit dem Trinken fertig war.

»Na, wonach sieht’s denn aus? Strullern.«

»Ich muss nicht.«

»Na, wie schön für dich.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Reicht das nicht für heute?«, lachte Lars und hängte sich die Sauerstofftasche über die Schultern. »Hat’s denn Spaß gemacht?«

»Und wie!«

»Das bleibt aber unser Geheimnis. Das musst du mir versprechen. Ich bekomme sonst von deiner Mutter den Anschiss meines Lebens.«

»Ich verspreche es dir, ehrlich.«

Das war leichter gesagt als getan. Ich kann nämlich keine Geheimnisse für mich behalten. Ich vergesse auch oft, was ein Geheimnis ist und was nicht. Wenn ich an etwas denke, muss es raus. Aber ich hatte Lars ein Versprechen gegeben, und Versprechen bricht man nicht. Das war alles noch so neu für mich. Ich meine, jemanden zu haben, mit dem man ein Geheimnis teilen kann. Auf dem Rückweg kamen wir am Sportplatz vorbei und eine Jugendmannschaft hatte gerade Fußballtraining. Wir blieben kurz am Geländer stehen und schauten zu.

»Wie is’n das so für dich, die Jungs da im Flutlicht kicken zu sehen?«, fragte mich Lars, und ich sagte die Wahrheit: »Scheiße.«

Er legte seinen Arm um mich, wir gingen weiter und machten bei drei Häusern Klingelstreiche. Lars gab mir immer ein paar Meter Vorsprung, damit ich nicht so schnell um die Ecke rennen musste. An einer Kreuzung, nicht mehr weit von unserem Haus entfernt, ruhten wir uns aus, weil wir beide keine Puste mehr hatten. Ein Mädchen mit einem Hund kam die Straße entlang. Ich konnte nicht genau erkennen, welche Rasse der Hund war. Dafür war es zu dunkel und meine Augen zu schwach. Das Mädchen war bestimmt schon sechzehn und voll hübsch.

»Guck mal, Lars. Da drüben!«

»Ja, hab sie schon gesehen. Was wollen wir machen?«

»Na, was wohl? Ansprechen!«

»Echt?«

»Was denn sonst?«

Ich lachte ihn aus, weil er von alleine gar nicht erst auf die Idee gekommen wäre, und fragte mich, wer von uns beiden hier das Kind war. Ich wartete noch auf den passenden Moment. Als das Mädchen unter einer Laterne stand, machte ich schnell ein paar Schritte auf sie zu.

»Hallo«, sagte ich.

»Hi«, sagte sie.

»Ich bin Daniel.«

»Sofie.«

»Du bist richtig schön.«

»Danke.«

»Hast du jetzt Zeit?«

»Nein.«

»Und morgen?«

»Nein.«

Und übermorgen.«

»Nein.«

Dann zog sie hastig an der Leine ihres Hundes und verschwand im Haus. Es war übrigens ein Labrador. Lars stand an der Ecke und applaudierte.

»Was denn?«, sagte ich. »Hätte doch auch klappen können.«

»Ey, ich sag doch gar nichts. Du hast das genau richtig gemacht. Nicht lange überlegen. Einfach ansprechen.«

Dann klingelte ich an unserer Haustür und drückte ihn ganz fest an mich. Dieser Abend war so schön. Lars war da. Alles war gut. Bis der Schwächeanfall kam.


Ich war so aufgedreht, dass ich wie ein Wahnsinniger brüllend und lachend durch die Wohnung rannte. Ich merkte, wie ich immer schwächer wurde, aber anstatt mich auszuruhen, machte ich es mit meiner Toberei nur noch schlimmer. Als ob mich eine unsichtbare Kraft immer weiter anschieben würde. Die Ärzte sagen, dass liege an einem der drei Blutgerinnsel in meinem Kopf, von dem sie noch nicht wissen, woher es kommt und was es auslöst. Mama und Papa saßen auf dem Sofa und sahen fern. Lars lag mit seinem Laptop im Gästezimmer. Ich schaffte es gerade noch ins Bad, um mich zu übergeben. Mama eilte sofort zu mir, um mir Halt zu geben. Wenn ich kotzen muss, kommt wegen meines Magenverschlusses nur ekliger Gallensaft aus meinem Mund. Das schmeckt widerlich und ist kein schönes Gefühl. Und weil Gallensaft ausspucken richtig anstrengend für mein Herz ist, bin ich danach immer sehr wackelig auf den Beinen. Lars stand im Flur. Zum ersten Mal sah er mich in diesem Zustand. Mama fragte, ob draußen irgendwas passiert sei, und Lars sagte, dass wir nur spazieren waren. Er warf mir einen sorgenvollen Blick zu, und ich schaffte es, für einen kurzen Moment zu lächeln. Damit wollte ich ihm ein Zeichen geben, dass ich unser Geheimnis nicht verraten, dass ich durchhalten würde. Dann würgte ich den letzten Rest Gallensaft aus und fiel erschöpft ins Bett.

Mama brachte mir einen Tee. Sie war noch immer sauer auf mich wegen der Sache im Krankenhaus. Ich sagte ihr, dass sie die beste Mama der Welt sei. Sie knuddelte mich und sagte: »Hab dich ja auch lieb, du kleiner Scheißer.«

»Darf ich noch Chips?«, fragte ich.

»Du spinnst wohl, Freundchen! Eben noch gekotzt und jetzt wieder Chips? Du schläfst jetzt!«

Immer wenn es mir bessergeht, vergesse ich die schlimmen Dinge sofort wieder. Aber zum Glück habe ich Mama, die mich daran erinnert. Ich wartete noch einen Augenblick, dann gab ich Lars ein Klopfzeichen durch die Wand. Wir hatten das vereinbart. Er klopfte zurück und kam noch kurz an mein Bett, um gute Nacht zu sagen.

»Na, geht’s dir besser?«

»Ja«, sagte ich.

»Okay, dann träum was Schönes.«

»Nein, bleib noch.«

Ich hatte meine Hände unter der Decke und fummelte an meinem Penis herum. Lars bemerkte das nicht, weil ich ja oben im Hochbett lag. Dann sagte ich: »Zeigst du mir deinen Schwanz, wenn er hart ist?«

Lars fing an zu lachen und antwortete: »Gute Nacht!«

Dann ging er aus dem Zimmer, kam aber kurz wieder und grinste: »Und Hände über die Decke!«

Wenigstens hatte ich gefragt. Ich hatte so etwas ja noch nie in echt gesehen, und Mama konnte ich nicht fragen, weil sie ja eine Frau ist. Und Muh auch nicht, weil sie eine Kuh ist.

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen
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